47. Internationale Filmfestspiele Berlin
27. Internationales Forum des Jungen Films


Pressemitteilung Nr. 1

Zeitkritische Themen und US-Independents:
Erste Filme des Internationalen Forums der Berlinale

Eine Reihe von Filmen, die das Internationale Forum des Jungen Films für sein Programm auswählte, beschäftigen sich mit zeitkritischen Themen. So protokollierten Pepe Danquart und Mirjam Quinte in NACH SAISON (Deutschland) zwei Jahre lang die Vermittlertätigkeit von Hans Koschnick und das Leben der Bevölkerung in der geteilten Balkan-Stadt Mostar. Koschnick wird zur Präsentation des Films in Berlin erwartet. Die Filme CALLING THE GHOSTS von Mandy Jacobson und Karmen Jelincic aus USA/Kroatien sowie BLACK KITES von Jo Andres (USA) widmen sich ebenfalls dem Thema des Bosnien-Konflikts.

Ein vergessenes Kapitel jüngster Geschichte analysiert Ulrike Ottinger in ihrem Film EXIL SHANGHAI. Es geht um die Flucht europäischer Juden vor dem Nazi-Regime in die Stadt Shanghai, einen der wenigen Orte in der Welt, für die man kein Einreisevisum brauchte. Ulrike Ottinger hat Menschen zum Sprechen gebracht, sie evoziert Schicksale und fand bei ihren Recherchen prägnante und poetische Bilder aus dem Shanghai von heute. Im Mittelpunkt des Films stehen mehrere Personen, die aus Zentraleuropa nach Shanghai auswanderten und später in die USA gelangten.

Eine andere Art von Vergangenheits-Recherche betreibt der Franzose Hervé Le Roux in REPRISE (Wiederaufnahme"): er ging den Bildern eines anonymen Filmdokuments vom Mai 68 nach, Die Wiederaufnahme der Arbeit in der Fabrik Wonder", das zum Schlüsselfilm der 68er Bewegung wurde. Le Roux gelang es, fast alle Personen dieses alten Films wieder aufzuspüren und nach ihren Erfahrungen zu befragen. Das wird zu einem faszinierenden Kapitel neuer Geschichtsschreibung und zu einer Analyse von Film im Film.

Natürlich zeigt das Forum auch neue Arbeiten von US-Independents. ILLTOWN von Nick Gomez ist eine brillant inszenierte Gangstergeschichte aus dem Milieu von Drogendealern in Miami. Gomez trat bereits 1993 mit dem Film Laws of Gravity" hervor. Der bis ins letzte Detail kontrollierte Film entwirft das Bild einer traumhaft schönen und zugleich von Gewalt beherrschten Welt. In dem Film spielen Michael Rapaport, Lili Taylor und Kevin Corrigan. Todd Verow (er erregte im vergangenen Jahr im Forum Aufsehen mit Frisk") erzählt in LITTLE SHOTS OF HAPPINESS die Geschichte eines Mädchens (Bonnie Dickenson), das aus der Monotonie ihres Alltagslebens auszubrechen sucht und zu einer Drifterin" wird, als eine Folge absurder, tragischer und komischer Begegnungen. Verow verwendet eine sehr persönliche Filmsprache, die unbekannte Seiten der Realität zur Darstellung bringt.

22. Januar 1997



47. Internationale Filmfestspiele Berlin
27. Internationales Forum des Jungen Films

Pressemitteilung Nr. 2

Deutsche und lateinamerikanische Filme im Programm des Internationalen Forums

Das Internationale Forum der Berliner Filmfestspiele zeigt als Uraufführung den deutschen Spielfilm Frost" von Fred Kelemen. Kelemen, der für seinen vorigen Film Verhängnis" mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnet wurde, ist ein Nachwuchs-Talent des deutschen Kinos. Er schildert in seinem neuen Film die Wanderungen einer Mutter mit ihrem Sohn durch vereiste Landschaften in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr. Die Menschen, denen sie begegnen, bieten keine Ruhe, keinen Ort des Bleibens. In suggestiven Bildern (die Kamera führte Kelemen selbst) beschreibt der Film das Klima einer alles durchdringenden Kälte unter den Menschen. In dem Film spielen Paul Blumberg, Anna Schmidt, Mario Gericke, Harry Baer und Isolde Barth. Frost" hat eine Spieldauer von 4 1/2 Stunden.

Ferner zeigt das Forum zwei Arbeiten bekannter deutscher Dokumentaristen : Barbara und Winfried Junge liefern mit Da habt ihr mein Leben - Marieluise, Kind von Golzow" eine weitere Folge ihrer Lebensläufe", die durchaus aufregende Lebensgeschichte der Marie-Luise S. von ihrer Schulzeit im Oderbruch bis zum Wegzug der Familie nach Nordrhein-Westfalen. Volker Koepp verfolgt in Wittstock, Wittstock" die Schicksale einiger Frauen aus der brandenburgischen Kleinstadt. Beide Filme sind differenzierte Porträts von Menschen aus der ex-DDR, sie versuchen sich an der Aufarbeitung" von Geschichte, sie offenbaren Witz, Ironie, und Selbstbewußtsein.

Ein starker Akzent im diesjährigen Forums-Programm liegt auf Lateinamerika. Jeweils um 11.00 im Delphi-Filmpalast zeigt das Forum einen Querschnitt von 8 neuen Dokumentar- und Spielfilmen aus Brasilien. Der brasilianische Film hat sich nach der staatlichen Kahlschlagpolitik wieder erholt, man kann sogar von seiner Wiedergeburt sprechen. In der brasilianischen Reihe laufen Filme von Tata Amaral, José Araújo, Silvio Back, Carla Camurati, João Batista de Andrade, Bia Lessa/Dany Roland, Lúcia Murat und Murilo Salles. Die Spannweite des Programms geht von Genrefilmen mit klassischen" brasilianischen Merkmalen bis hin zu soziologischen und politischen Untersuchungen sowie experimentellen Arbeiten. Eröffnet wird das Programm mit O Sertão das Memorias" (Der Sertão der Erinnerungen") von José Araújo. Fast alle brasilianischen Regisseure werden in Berlin anwesend sein.

Ferner zeigt das Forum zwei Spielfilme aus Argentinien von Filmstudenten bzw. jungen Regisseuren, die beachtliches Format erreichen: Moebius" (inszeniert von Studenten der Film-Universität Buenos Aires) könnte man als eine surreale Studie bezeichnen, die jedoch gegenwartsnah angesiedelt ist (es geht um die Suche nach einem im Labyrinth der Tunnel verschwundenen U-Bahn-Zug); Picado fino" (Feiner Staub") von Esteban Sapir ist die erfrischend dadaistische und überschäumende Talentprobe eines jungen Cineasten.

24. Januar 1997