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Der Journalist Hardy Worm schrieb in den zwanziger Jahren:
Hier brüllt am Tage fieberndes Leben. Man hat das Empfinden,
als werde auf dem Potsdamer Platz ein Riesenfeuerwerk abgebrannt,
als schössen Brüllraketen empor, zerplatzten an den Dächern
der Häuser und überschütteten die ganze Stadt mit einer
Flut von Geräuschen. Damals wurde der Mythos vom Potsdamer
Platz geboren. Der Potsdamer Platz der Zwanziger: Ein Ort des Vergnügens
und des Flanierens. Ein Ort für gutbetuchte Prominenz und Menschen
mit Goldgräberstimmung.
Das Areal nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg: Eine Brachfläche,
Todesstreifen und Niemandsland. Weit und breit kein Stück alter
Stadt, an das man anknüpfen könnte. Das Bauwerk Mauer durchkreuzt
diesen Dreh- und Angelpunkt zwischen beiden Teilen Berlins. Die Geschichte
des Platzes ist zu einem Stück deutscher Geschichte geworden.
Seit 1990 kommt wieder Bewegung in das jahrelange Stilleben im Niemandsland.
Wie ein Spiegelbild der deutschen Befindlichkeit setzt nach der Wiedervereinigung
ein nicht mehr aufzuhaltender Tatendrang ein. Die jahrelange Enklave
in unmittelbarer Mauernähe wird aus dem Dornröschenschlaf
geweckt. Die längst verstummte Flut der Geräusche, von denen
Hardy Worm noch so lebhaft zu berichten wußte, erklingt nun
umso lauter an gleicher Stelle. Baufahrzeuge, Kräne, Betoniermaschinen:
Die Bewegung auf der Brachfläche steht keine Sekunde still. Eine
Stadt der Bewegung ist zurückgekehrt an einen Ort der metropolitanen
Geschwindigkeiten. Die Drehscheibe Potsdamer Platz ist ein big
point der Geisterstimmen der Geschichte, die in den Geräuschen
der Baustelle zu leben scheinen, umherirrend, flüsternd, auf
der Suche nach ihren abhanden gekommenen Gemäuern in einem neuen
Architektur-Panorama. Eine Legende wird wiederbelebt.
Manfred Wilhelms |
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