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Lange habe ich mich gefragt, wozu eine Klappe dient. In der Zeit der analogen Filme, als ich die Dreharbeit und den Schnitt (in der Filmschule noch am Schneidetisch) entdeckte, habe ich verstanden, dass die heilige Klappe die Garantie der Synchronität von Ton und Bild war, eine Art Fetisch der Glaubwürdigkeit und auch eine Aufforderung an die Zuschauenden: die Wahrhaftigkeit der filmischen Darstellung anzuerkennen, sich auf das Spiel der Fiktion, auf den Glauben einzulassen. Die „internationalen Fassungen“ und die Synchronisierung von kommerziellen Filmen, aber auch die Nachsynchronisation (die ein Autor wie Bresson systematisch praktizierte) stellten diesen Glaubensvertrag in Frage. Die akustischen Unfälle des Undergrounds, des Direct Cinema oder des Cinéma vérité, die Einführung des Videos (per Definition synchron) – alles lief darauf hinaus, die Synchronität des Films als veralteten Spezialeffekt abzutun. In seinem dunkelsten Film, am Tiefpunkt der postmodernen Depression, ließ Philippe Garrel dem Publikum nur noch die Abstürze, die weißen Bilder und diese alleinstehenden Klappen, stimmlose Holzstücke, die nichts mehr garantieren als das unwiderrufliche Ende einer bestimmten Art von Kino: SIE STAND SO LANGE IM SCHEINWERFERLICHT, die Glaubhaftigkeit… Im Grunde glaubte schon niemand mehr. Die Welt war bereits verfilmt.

Die Frauen hatten auch schon alles in Frage gestellt. Marguerite Duras und Chantal Akerman leiten still und heimlich ein anderes Bild-Ton-Verhältnis ein, das in der Narration ein viel offeneres Verhältnis mit sich bringt zwischen dem, was gesagt (oder nicht gesagt) wird, und dem, was gezeigt wird. Und ich drängte mich in die Lücke, wie viele andere queere und mittellose Filmemacher*innen, die entdeckt haben, dass man aus der Falle der Synchronie und vor allem aus einer gewissen autoritären Erzählökonomie ausbrechen konnte, dass man sich die unendliche Macht des Kinos wieder aneignen und den Glaubensvertrag mit dem Publikum neu aushandeln konnte. Blieb noch, meine Stimme zu finden. „Glauben Sie nicht dem Sinn, glauben Sie mir!“ schreibt Paul Celan. Die Poesie, die Literatur, die sogenannten Bildenden Künste waren schon seit Ewigkeiten auf den Zug aufgesprungen, aber die Einsätze der Märkte, die enorme spektakuläre Maschinerie des Kinos ließ sich nicht so einfach verbiegen. Man musste sich einschleichen, Lücken finden. Man sprach damals von Drittem Kino und kreativen Dokumentarfilmen, aber unsere tödliche Waffe war die Stimme. Meine Stimme.

Schluss mit dem erklärenden Kommentar des Dokumentarfilms oder dem „Off“ als zusätzlichem Drehbuchwerkzeug. Man muss mit der Stimme spielen, wie mit einer Einstellung, mit den verschiedenen Perspektiven spielen – ich, du, er, sie. Eine Straße von ROME DÉSOLÉE filmen, und dabei eine Erinnerung erzählen, die dort stattgefunden hat. Oder irgendwo dort. Meine Nachbarschaft in Paris, BONNE NOUVELLE, filmen und sie mit Menschen bevölkern, die ich getroffen oder geliebt habe, mit Geschichten, die von meiner Stimme erzählt und manchmal von zwei anderen, befreundeten Stimmen widerlegt werden. Der Punkt ist, nicht zu schummeln, eine Art Wahrheit anzustreben. Nichts ist wirklich vor-geschrieben, die Stimme, oder besser die Stimmen des Films müssen aus den Bildern entstehen; vielleicht um eine andere Synchronität zu erfahren, nicht die der Lippen, sondern eine des Sinns? Beim Schnitt findet der Film seinen Kontrapunkt. Und wenn die Zuschauenden berührt werden, wenn sie einen Augenblick lang die musikalische Wahrheit des Films erfassen können, wenn sie sich in die Bilder, den Originalton und die Sprache einmischen können, wird der Glaubensvertrag erneuert. Die Wirkung der Bilder wird vervielfacht, die Musik wird von einer Beilage zu einem Charakter. Nach dem Ende von BOLOGNA CENTRALE (2003) sagte ein italienischer Künstler zu mir, dass ich eine einzigartige Form „reiner zeitgenössischer Poesie“ gefunden hätte. Ich habe vor Freude fast geweint. Seine Stimme finden, ohne sie zu sehr zu suchen.

THIS IS THE END ist eine Art Endpunkt. Ich habe mein eigenes Bild-Stimme-Dispositiv nach Herzenslust kaputtgemacht. Zwei Sprachen mischen sich, das Englisch der US-amerikanischen Dichter*innen und das Französisch meiner unruhigen Stimme, manchmal auch von der Stimme meiner Film-Partnerin Eva Truffaut (mit der ich mich in JAURÈS unterhielt) eingerahmt, die Bruce Bégouts schreckliche städtebauliche Überlegungen vor einem schwimmbadblauen Hintergrund vorträgt. Die Poesie, die letzte demokratische Stimme von Los Angeles, wird live gefilmt, synchron, fragil, verkörpert, manchmal gehemmt. Die prophetische Stimme der Gedichte nimmt auf der Leinwand Gestalt an (in den Körpern von Minderheiten, in queeren, Schwarzen, alten oder jungen Körpern). Der Geliebte und ich sind manchmal im Bild, aber meine Stimme bleibt im Off, omnipotent, mit dem Film voranschreitend, mit Los Angeles. Als wäre sie von den Bildern geschaffen, wird die Stimme manchmal von einem Auto oder einem Hubschrauber unterbrochen. Textvorlagen wurden Tag für Tag entwickelt. Sie wurden zusammengesetzt, geschnitten, überall in der Stadt der Engel verteilt. Und im letzten Moment, zwischen Schneiden und Mischen, wurden die Texte endgültig gesprochen und aufgenommen. Heute weiß ich, dass diese Kunst der Collage, diese mehrschichtigen Filme die Zuschauenden einladen, eine Art archäologische Baustelle zu erkunden, in ihren eigenen Erfahrungen zu graben, unter den Einstellungen, unter den Worten. Ich weiß, dass sie sich wiederfinden können in einer seltsamen Ausübung der Freiheit, die das Mainstream-Kino ihnen meist verweigert. Sie werden ihrerseits ihre Stimmen finden und vielleicht den Nerv ihrer Zeit treffen oder ihre erlöschende Schönheit betrachten.
 

Vincent Dieutre ist als Regisseur, Filmjournalist, Lektor und Übersetzer tätig. Seine Filme waren mehrmals zum Berlinale Forum eingeladen, zuletzt JAURÈS (2012) und THIS IS THE END (2023).

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