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Der Mann, der ein bisschen Sand ins Getriebe gestreut hat, heißt Gerd Conradt und er ist einer jener 35 Studenten, die 1966 gemeinsam mit Wolfgang Petersen und Holger Meins als erster Jahrgang der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, kurz: dffb, im Deutschlandhaus des SFB in West-Berlin ihr Studium antraten. Wer hätte damals vermuten können, wohin die Protagonisten ihre jeweiligen Reisen führen werden? Am 17. September 2006 jährt sich der Gründungsakt der dffb als der ersten bundesrepublikanischen Filmschule zum 40. Mal und solche Brüche wie in dem Dokumentarfilm Starbuck: Holger Meins (2002 von Hartmut Jahn und Gerd Conradt) lassen erahnen, wie viel Zeit seitdem vergangen ist, wie stark sich die Welt – nicht zuletzt die des Filmemachens – gewandelt hat, wie viele Kämpfe gefochten, Niederlagen betrauert und Triumphe gefeiert wurden. An der dffb, im Prozess des gemeinsamen Arbeitens, verweben sich die persönlichen Geschichten über das Medium Film mit dem Kollektiven, der Geschichte. Mit dem 40-jährigen Bestehen der Akademie schließt sich 2006 der Zirkel, denn Hartmut Bitomsky, ebenfalls Student des ersten Studienjahres, kehrte zu Beginn des Jahres als Direktor an seine alte Wirkungs- und Ausbildungsstätte zurück.
Mit fünf Filmprogrammen im Arsenal und im dffb-Kino soll anlässlich des Jubiläums in der Woche vom 23.09. bis 30.09. Rückschau gehalten, die vergangene Zeit und das Gefälle zwischen Damals und Heute erfahrbar gemacht und ein Einblick in den Stand der Dinge gegeben werden. Gerd Conradt tritt als Kurator auf für ein Programm mit dem Titel „Damals trifft heute – Die ersten und die aktuellen Studentenfilme“. Dahinter steht die Idee, die Filme von vor 40 Jahren mit aktuellen Produktionen aus dem Studienjahr 2005/06 zu konfrontieren.
In 4 Blöcken finden sich u. a. Werke von Wolfgang Petersen und Holger Meins neben Studentenfilmen aus den letzten zwei Jahren. Schon hier wird sich zeigen, dass sich eine einfache Trennlinie zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen politisch-kritischem Bewusstsein und Spaßgesellschaft nicht ziehen lässt. Auf einen Film wie BRECHT DIE MACHT DER MANIPULATEURE (1968; 23.9.) von Helke Sander, der die Guerillataktiken der 60er Jahre dokumentiert und zeigt, wie Studenten des ersten Jahrganges den Presseball 1967 mithilfe eines Transparentes beinahe sprengen, antworten die heutigen Studenten ihrerseits mit einem Transparent, das sie während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 im Sony-Center, das im Juni und Juli als „ZDF-Arena“ diente, ausrollten. Titel: „Keine FIFA Kommerz-WM. Gebt uns unser Spiel zurück.“
In ausgewählten Filmen findet sich so die Ambition, die Welt in ihren politischen Dimensionen zu zeigen – Lawrence Tooley widmet sich in seinem Film MINUTES TO GO (2005; 25.9.) der globalen Verunsicherung nach dem 11. September, indem er das kollektive Erleben mit dem Streit eines Liebespaars verknüpft. Gleichzeitig gibt es damals wie heute Beispiele für Regisseure, die sich mit dem klassischen Erzählkino befassen, einen imaginären Blick in eine fremde Welt schweifen lassen.
Die Reihe „Damals trifft heute“ startet am Eröffnungstag der Festwoche, Samstag den 23.09. Bis Dienstag folgen drei weitere Blöcke, die die ganze thematische und formale Differenziertheit des Filmschaffens an der dffb entfalten. Am Montag, den 25.09. wird das Filmprogramm mit einem Treffen zwischen dem Jahrgang von 1966 und dem von 2006 um 21.15h im dffb-Café abgerundet. Den Auftakt mit dem Titel „Neue Filme“ bildet ein Dokumentarfilmblock am Samstag, den 23.09. Die vier ausgewählten Filme lassen die immense Vielfalt filmischen Schaffens an der dffb bereits erahnen: in BALKAN BAJNOK (Balkan Champion, 2006) begibt sich die rumänische Regisseurin Réka Kincses auf die Suche nach ihrer Familiengeschichte, die untrennbar verbunden ist mit der Geschichte ihres Heimatlandes. Eva Neymann widmet sich mit WEGE GOTTES (2006) der Situation von Straßenkindern in Odessa, während Joakim Demmer in TARIFA TRAFFIC (2003) die katastrophalen Verhältnisse an Spaniens Südküste beschreibt, wo Tag für Tag afrikanische Flüchtlinge in Schlauchbooten versuchen, das rettende Ufer Europa zu erreichen. Bastian Günther zeichnet schließlich mit BLEIB ZUHAUSE IM SOMMER (2004) ein Porträt des Sängers Bernd Begemann, den er auf einer seiner zahlreichen Tourneen durch Deutschland mit der Kamera begleitet. Parallel zu den Dokumentarfilmen wird am Eröffnungstag im dffb-Kino im neunten Stock des Filmhauses ein Kurzfilmprogramm gezeigt, das einen Querschnitt präsentiert aus den Produktionen der letzten drei Jahre. Die Reihe „Neue Filme“ wird am Eröffnungstag und in der folgenden Woche durch Spielfilme vervollständigt. So ist hier DER LEBENSVERSICHERER (2006; 23.9.) von Bülent Akinci zu sehen, der im Rahmen der Berlinale 06 ausgezeichnet wurde, und Prinzessin (2006) von Birgit Grosskopf, der im Januar seine Premiere beim Max-Ophüls-Preis feierte.
Einen Streifzug durch die dffb-(Film)-Geschichte bieten die zwei Reihen „Aus den Archiven der dffb“ und „Preisgekrönte Filme von Absolventen“. Sie beginnen am Mittwoch, den 27.09. mit zwei Dokumentarfilmen und findet ihre Fortsetzung mit Kurz- bzw. Spielfilmen. Es gibt ein Wiedersehen mit Cheol-Mean Whangs FUCK HAMLET (28.9.)– der 1996 unter erschwerten Bedingungen gedreht werden musste, weil die Aufenthaltsgenehmigung des Regisseurs abgelaufen war – und dem Kurzfilm BERLIN IS IN GERMANY (1998; 29.9.), der dem Regisseur Hannes Stöhr als Ausgangspunkt diente für seinen 2001 entstandenen gleichnamigen Langfilm. Dass selbsternannte Ordnungshüter auch schon sieben Jahre vor Muxmäuschenstill in Deutschland das Gesetz in die Hand nahmen, beweist Ed Herzogs KU’DAMM SECURITY (29.9.) von 1997. Die Reihe „Preisgekrönte Filme von Absolventen“ startet am Eröffnungstag, läuft bis Freitag und bietet ein Wiedersehen mit den frühen Filmen von u. a. Detlef Buck (WIR KÖNNEN AUCH ANDERS, 1992;29.9.), Fred Kelemen (Verhängnis, 1994; 25.9.) und Wolfgang Becker (DAS LEBEN IST EINE BAUSTELLE, 1997; 23.9.).
Einen Blick auf die aktuelle Kinolandschaft bietet schließlich ein Programm, das die Perspektive öffnet und Filme aus dem gesamten deutschsprachigen Raum zeigt. Ein Stück weit begibt sich diese Reihe auf Spurensuche nach dem Einfluss der dffb auf das heutige Filmschaffen. Gegründet wurde die Akademie in einer Krisenzeit des Kinos und in den letzten Jahren konnte man den Eindruck gewinnen, dass sich diese Krisenstimmung wieder verschärft hat. Doch spätestens seitdem Benjamin Heisenbergs SCHLÄFER (27.9.) und Christoph Hochhäuslers Falscher Bekenner 2005 beim Filmfestival in Cannes gezeigt worden sind und die Cahiers du Cinéma enthusiastisch von einer „Nouvelle Vague Allemande“ zu berichten wussten, ist der Aufschwung des heimischen Filmschaffens nicht mehr zu leugnen. Das deutsche Feuilleton griff die Idee einer entstehenden ästhetischen Strömung unter dem Namen „Neue Berliner Schule“ auf. Denn obwohl die meisten der Regisseure, die unter diesem Label firmieren, gar nicht aus Berlin kommen, hat die Riege einer ersten Generation von jungen Regisseuren – Angela Schanelec, Thomas Arslan und Christian Petzold – an der dffb studiert. Gemeinsam ist ihnen der Blick abseits des Mainstream-Kinos, die Sehnsucht nach einer präzisen Beschreibung der Welt, die nur allzu leichtfertig unter dem Begriff eines filmischen Realismus subsumiert wird. Vergleicht man zum Beispiel Maren Ades DER WALD VOR LAUTER BÄUMEN (2003; 28.9.) mit Petzolds Film Gespenster (2005), so lässt sich eine einheitliche thematische und formale Bestimmung nicht treffen. Dennoch sind Gemeinsamkeiten zu finden. Auf der Basis der Reflexion über das Medium, Stärken und Schwächen der eigenen Leistungen, die in der Zeitschrift „Revolver“ Ausgabe um Ausgabe verhandelt werden, bildet sich ein gemeinsamer Diskurs über das Filmschaffen heraus. Theorie und Praxis gehen Hand in Hand.
Die Filmreihe zur „Neuen Berliner Schule“ beginnt am 23.09. mit Henner Wincklers KLASSENFAHRT (2002) und setzt sich bis Donnerstag im Arsenal und im dffb-Kino fort. Alles in allem elf Filme von elf Regisseurinnen und Regisseuren, die schließlich am Ende der Woche gemeinsam mit Teammitgliedern, Produzenten, Redakteuren und Verleihern zu einem Symposion eingeladen sind. In drei Panels sollen hier Fragen nach Homogenität und Heterogenität der „Neuen Berliner Schule“ erörtert werden. (André Grzeszyk) – Weitere Informationen zu allen Veranstaltungen: www.dffb.de. Dank an: Gerd Conradt, Basis Filmverleih, Colonia Media, Credofilm, Delphi Filmverleih, Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Edition Salzgeber, Neue Visionen, Pegasos, Peripher, Razor Film, Royal Filmverleih, Schramm Filmverleih, Senator Film, Timebandits, Ventura Filmverleih, Zauberland.

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