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Fellinis Kino ist eine verführerische Illusionsmaschinerie. Seine ersten Filme gehen noch von neorealistischen Positionen aus, bald aber fand Fellini zu seinem eigenen, sehr persönlichen und poetischen Erzählstil. Das dekadent-groteske, opulente Kino, in dem die Grenzen zwischen Traum und Realität durchlässig scheinen, wurde bald zu seinem Markenzeichen. „Fellinis Werk steht in der Filmgeschichte einsam da. Es folgt keinem Stilwillen und keiner Mode, es kennt keine Gesinnung und keine Moral. Es ist manieristisch, hyperrealistisch, nihilistisch, spätmodern und dekadent und zugleich das genaue Gegenteil. In Wirklichkeit gehorchen Fellinis Filme nur einem einzigen Prinzip, und dieses Prinzip heißt Federico Fellini. Sie sind die Phantasien eines genialen Kindes, das sich die Zeit damit vertreibt, mit Gesichtern, Geräuschen, Kulissen und Geschichten zu spielen. Dabei erfindet es ganz zufällig eine Welt, die ihm gleicht, und lädt uns ein, sie mit ihm zu betrachten.“ (A. Kilb) Bis zu seinem Tod 1993 drehte Fellini 20 Filme, die wir in einer vollständigen Retrospektive in den nächsten zwei Monaten zeigen werden, viele davon in neurestaurierter Fassung. In der Welt des Spektakels angesiedelt ist sein erster Film, den er in Ko-Regie zusammen mit Alberto Lattuada drehte, LUCI DEL VARIETÀ (Lichter des Varietés, 1950). Die Satire auf die Welt des Provinzvarietés zeigt den Aufstieg einer Revuetänzerin und den Abstieg eines Komödianten. „Die Faszination geht auch hier von den Gesichtern aus; ganz direkt sind diese Gesichter darauf gerichtet, das Publikum zu verführen, was nicht gelingen will. Aber sie sprechen auch, wie später alle Figuren in Fellinis Filmen, von der Mythomanie Italiens, die gerade im Untergang der volkstümlichen Kulturen im Zeichen der Industrialisierung zunimmt.“ (Georg Seeßlen) (4. & 10.4.) Fellinis erster eigener Film, LO SCEICCO BIANCO (Die bittere Liebe/Der weiße Scheich, 1951) ist eine Satire auf die Scheinwelt der damals sehr beliebten Fotoromane. Ein Brautpaar aus der Provinz fährt auf Hochzeitsreise nach Rom. Die Frau sucht die Redaktion eines Fotoromans auf, um ihr Idol, den „weißen Scheich“, zu treffen. Als sie mit ihrem Schwarm für kurze Zeit allein ist, vermischen sich für sie Traum und Wirklichkeit. Die Realität holt sie ein: ihr Held ist im Hauptberuf Metzger, wie sie von seiner eifersüchtigen Ehefrau erfahren muss, von der sie auch noch eine Ohrfeige bezieht. Sie stürzt sich in den Tiber, der an dieser Stelle aber nicht tief ist, und wird von ihrem Mann im Spital gefunden. Gemeinsam machen sie sich zu der verabredeten Papstaudienz auf, mit der die Hochzeitsreise gekrönt werden soll. (5. & 11.4.) I VITELLONI (Die Müßiggänger, 1953) sind wörtlich übersetzt „große Kälber“ und stehen für fünf junge Nichtstuer und Faulenzer, die in einem provinziellen Badeort ihre Tage und Nächte verbummeln. Eines Tages wird einer der Fünf, Fausto, aus dem vermeintlichen „dolce far niente“ durch die Nachricht herausgerissen, dass seine Freundin ein Kind von ihm erwartet. Doch auch Ehe und Vaterschaft können einen wahren „vitellone“ nicht bekehren. Fellinis treffende Beschreibung des „vitellone“: „Warum sie den ganzen Tag nichts tun? Sie wissen es selbst nicht. Sie erwarten stets einen Brief, ein Angebot, einen Zufall, der sie für einen unbestimmten, würdigen und finanziell günstigen Auftrag nach Rom oder Mailand ruft... Sie sind die Arbeitslosen des Bürgertums, die Muttersöhnchen, die ‚vitelloni‘.“ (7. & 12.4.) Mit LA STRADA (Das Lied der Straße, 1954) hatte Fellini seinen ersten Welterfolg und wurde zum internationalen Star. Der Film erzählt die zugleich märchenhafte und reale Geschichte des fahrenden Wanderschaustellers Zampano (Anthony Quinn) und der naiven und sensiblen Gelsomina (Giulietta Masina). Für 10.000 Lire kauft Zampano einer armen, kinderreichen Bäuerin ihre Tochter Gelsomina ab, die ihn bei seinen Darbietungen unterstützen soll und mit ihm durchs Land zieht. Zampano macht Gelsomina zu seiner Geliebten, behandelt sie wie einen Gegenstand. Als sie sich einem Zirkus anschließen, trifft Gelsomina auf den gütigen Seiltänzer Matto, was Zampano eifersüchtig werden lässt. Im Streit tötet er Matto, Gelsomina lässt er am Straßenrand zurück. Erst als er Jahre später von ihrem Tod hört, lässt ein Gefühlsausbruch ahnen, was er für sie empfunden hat. „La Strada war ein Film, der von sehr tiefen inneren Widersprüchen, von Leid, Sehnsüchten und dem Wissen um das Verstreichen der Zeit erzählte.“ (Fellini) (9. & 13.4.) Ein Film über das Filmemachen und die Produktion von Bildern, mit Marcello Mastroianni als Fellinis Alter ego, ist OTTO E MEZZO (8 1/2, 1962). Der Titel bezieht sich auf die Zahl von Fellinis bisher entstandenen Filmen und markiert einen Höhe- und Wendepunkt in seinem Schaffen. Er erzählt die Geschichte eines Filmregisseurs, der einen Film drehen möchte, aber nicht weiß, worüber; der ohne rechten Plan eine kosmische Abschussrampe bauen lässt, sich dann in ein Kurbad zurückzieht, wo er mit einem Kardinal Gespräche führt, verschiedenen Frauen begegnet und Episoden aus seiner Vergangenheit an sich vorüberziehen lässt; der schließlich eine inhaltslose Pressekonferenz gibt und mit den geladenen Gästen einen Zirkusreigen aufführt. „Das Kino ist in diesem Film kein bloßer Apparat mehr, sondern ein selbständiges Wesen, das, einmal angestoßen, von sich aus weiterdenkt und weiterträumt. Das Spielzeug triumphiert über seinen Erfinder, die Mechanik reißt sich los und spielt ihre eigene Melodie.“ (A. Kilb) (14. & 22.4.) Vom Leben auf der Straße erzählt auch IL BIDONE (Die Schwindler, 1955). Drei alternde Gauner, die sich mit kleinen Betrügereien über Wasser halten, erschleichen sich mit allerlei Tricks – etwa in der Verkleidung als Priester – das Vertrauen kleiner Leute, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Als einer von ihnen durch die zufällige Begegnung mit seiner erwachsenen Tochter und einem gelähmten Mädchen Reue empfindet und gestohlenes Geld zurückgibt, wird er von seinen Kumpanen verprügelt und an einem Abhang liegengelassen. Beim Sterben wird er sich der Hoffnungslosigkeit und des Unglücks seines Lebens bewusst. „Wir haben uns bemüht, diese Geschichte von jener italienischen Konvention zu befreien, die die Schwindler aller Zeiten als lustige Helden komischer Abenteuer und Schlaumeier darzustellen liebt; andererseits wollten wir diese Begebenheit auch nicht wie einen Gangsterfilm erscheinen lassen.“ (Federico Fellini) (15. & 17.4.) Ein Film „über Giulietta und für Giulietta“ (Fellini) ist GIULIETTA DEGLI SPIRITI (Julia und die Geister, 1965) mit Giulietta Masina in der Titelrolle. Giulietta, eine Frau aus der besseren römischen Gesellschaft, verbringt den Sommer im Landhaus der Familie. Ihr Mann, ein erfolgreicher Geschäftsmann, ist meist abwesend. Als sie den Verdacht schöpft, dass er sie betrügt, kann sie sich niemandem anvertrauen. Sinnliche Verlockungen verwirren sie und stürzen sie in eine Krise, bei der ihr imaginäre Gestalten ihrer Kindheit wieder begegnen und in einen Dialog mit ihr treten. Schließlich lernt sie, sich von ihrem untreuen Mann ebenso zu emanzipieren wie von den Geistern. Fellinis erster Farbfilm ist von ungestümer Phantasie und eine Orgie von Formen und Farben, die die Gedanken, Träume und Visionen der Protagonistin objektivieren. (16. & 30.4.) LE NOTTI DI CABIRIA (Die Nächte der Cabiria, 1957) ist ein Drama über die Kraft des naiven und unbeirrbaren Glaubens. Die kleine römische Prostituierte Cabiria wird herumgestoßen, ausgebeutet und betrogen, bewahrt aber trotzdem ihren Glauben an das Leben und die Liebe. Die in ihrer Naivität märchenhaft wirkende Cabiria, die jedem Menschen mit einem Lächeln begegnet, verkörpert den Glauben an die Erlösung, die den Einfachen und Erniedrigten zuteil wird. (20. & 27.4.) Zu drei Episodenfilmen steuerte Fellini Beiträge bei, die wir in einem Programm zeigen. Für AMORE IN CITTÀ (Liebe in der Stadt, 1953), der alltägliche Geschichten aus dem Leben ganz normaler Römer darstellt, drehte er die Episode UN’ AGENZIA MATRIMONIALE (Eheinstitut). Darin recherchiert ein junger zynischer Journalist über ein Heiratsinstitut. Er gibt sich als Kunde aus und verändert sich durch die Begegnung mit einem naiven und wahrhaftigen Mädchen. Der 1961 entstandene BOCCACCIO ‘70, der komödiantisch von Liebe und Erotik erzählt, führte die Regiestars Visconti, de Sica, Monicelli und Fellini zusammen. Fellini drehte die Episode LE TENTAZIONI DEL DOTTOR ANTONIO (Die Versuchung), in der sich ein sittenstrenger Bürger über die Versuchung in Form einer riesigen Reklametafel, auf der die üppige Anita Ekberg für den Genuss von Milch wirbt, empört. Als sie aus dem Bild zu ihm herabsteigt, erliegt auch er der Versuchung. Die Episode TOBY DAMMIT entstand für den Film HISTOIRES EXTRAORDINAIRES/TRE PASSI NEL DELIRIO (Außergewöhnliche Geschichten, 1968), zu dem auch Roger Vadim und Louis Malle Episoden beisteuerten. In Fellinis Episode kommt ein englischer Schauspieler zu Dreharbeiten nach Rom, wo er im ersten „katholischen Western“ mitspielen soll und von Fotografen, Journalisten, Produzenten und kirchlichen Würdenträgern belagert wird. (21. & 23.4.) LA DOLCE VITA (Das süße Leben, 1959) schildert episodenhaft die Erlebnisse des Klatschreporters Marcello, der über die Exzesse der römischen High Society berichtet und dabei selbst immer mehr in den Sog dieser Gesellschaft gerät. Er nimmt mit, was sich ihm durch seine Arbeit an Abenteuern mit Schauspielerinnen und Sternchen anbietet, so erlebt er u.a. die nächtlichen Eskapaden einer Hollywood-Blondine im Trevi-Brunnen (Anita Ekberg als amerikanische Filmdiva). Doch die nächtlichen Ekstasen enden in morgendlicher Ernüchterung. Fellini schreibt: „Mein Film beschreibt das Übel ohne Sentimentalität und Selbstgefälligkeit. Es ist der Film eines Verzweifelten, und es ist eine Autobiographie ...“ (25.4. & 3.5.) Die Retrospektive Federico Fellini wird im Mai und im Juni fortgesetzt. Parallel dazu präsentieren das Filmmuseum Berlin und das Italienische Kulturinstitut im Filmhaus (1. Stock) die Austellung „La dolce vita, Skandal in Rom, Palme d’or in Cannes“. Zu sehen sind restaurierte und bislang unveröffentlichte schwarz-weiß Originalfotografien des offiziellen Fotografen Pierluigi Praturlon, die Federico Fellini, Marcello Mastroianni und Anita Ekberg am Set von La dolce vita zeigen. Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Istituto Italiano di Cultura (Berlin) und Cinecittà Holding. Dank an: Alberto Grimaldi Productions, Barilla, Campari, Cecchi Gori Group Fin.Ma.Vi, Cineteca di Bologna, Compagnia Leone Cinematografica, Filmauro (Aurelio De Laurentiis), Film Master, Gaumont, Hollywood Classics, Ibrahim Moussa, Intra Movies, Mediaset – Cinema Forever, Mercurio Fincom, Minerva Pictures Group, Rai Cinema, Rai Trade, Studio Canal Image, Surf Film (Massimo Vigliar), Titanus, Warner Bros.

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