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Im Hinblick auf diese Auseinandersetzung haben wir in Zusammenarbeit mit dem Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes DAAD ein Stipendium eingeführt. Drei Monate lang kann ein Film- und Videokurator alles nutzen, was das Arsenal – Institut für Film und Videokunst hat: Infrastruktur, Büro- und Kinoräume, Sammlungen. Am Ende des Stipendiums steht ein Programm für die Öffentlichkeit. Unser erster Gast kommt aus London: Ian White ist Filmkurator der Whitechapel Gallery und arbeitet als freier Kurator, Autor und Künstler. Zu seinen kuratorischen Projekten gehören The Artists Cinema auf der Frieze Art Fair London 2006 und Kinomuseum bei den Kurzfilmtagen Oberhausen 2007. Er ist Mitherausgeber der Publikation Kinomuseum – Towards an artists' cinema (mit Mike Sperlinger, Köln 2008). White lehrte u.a. an der Central St. Martin's School of Fine Art und bietet das LUX Associate Artists' Programme an. Sein neuestes Projekt als Künstler ist eine Zusammenarbeit mit Jimmy Robert, Marriage à la Mode et Cor Anglais (STUK, Leuven, De Appel, Amsterdam, 2007/08). Das Programm, das Ian White für das Arsenal kuratiert hat, ist ein Forschungsprojekt, benannt nach Rosa von Praunheims berühmtem Film von 1971. Es widmet sich dem Verhältnis zwischen einer Filmpräsentation und ihrem Kontext bis zu dem Ausmaß, dass Kontext Inhalt wird und die Projektion eines Films zu einem manipulierten Performance-Event. Die Auswirkungen, die diese Forschungsarbeit auf die Praxis des Filmkurators hat, sind enorm, da sie auf die Geschichtlichkeit der Institution Kino verweisen und somit deren innere und äußere Grenzen aufzeigen. Was in den 1960er Jahren anhand von Kategorien wie expanded und other cinema in die Geschichtsschreibung einging, betrachtet White als Erbe einer Generation von Kunstschaffenden, die nicht nur ein Heraustreten aus den Repräsentationsmustern des traditionellen Kinos praktizierten, sondern auch die Be-und schließlich Er-Setzung eines rigiden Raumes, der im Bild des abgedunkelten Kinos seine metaphorische Entsprechung findet: "Insbesondere durch die Gründung von Kooperativen in den späten 1960er Jahren als auch aufgrund der Tatsache, dass sie um andere Vermächtnisse wussten als nur um jene, die institutionell wahrgenommen wurden, operierten Kunstschaffende ästhetisch und physisch gesehen in einem Raum zwischen Kinosaal und Kunstgalerie und sahen beide oder keines von beiden nicht nur als Notwendigkeit an, um ihre Arbeiten zeigen zu können, sondern oftmals als untrennbaren, politischen oder theoretischen Bestandteil des Werkes selbst" (Ian White im Katalog der Kurzfilmtage Oberhausen 2007). Dieser performative Umgang mit den räumlich wie ideell gegebenen Bedingungen von "Kino" spiegelt sich im vier Tage umfassenden Programm von Ian White in verschiedenen Facetten wieder. Seine eigene Praxis als Künstler spielte bei der Konzeption und Auswahl der Performances, Dia-Shows und Lesungen, die jede Filmprojektion begleiten, eine zentrale Rolle. In besonderer Weise wird dabei die Geschichte des Hauses thematisiert: bis auf wenige Ausnahmen liefen alle Filme, die im Programm gezeigt werden, 1971 beim 1. Internationalen Forum des jungen Films. Ihre Auswahl erfolgte streng konzeptuell, im Programm werden nur Filme von Frauen oder Kollektiven zu sehen sein. Das Verlassen des konventionellen Kinoraumes wird für den Zuschauer auch physisch spürbar: das Programm findet an drei Orten statt, dem Kino Arsenal, dem Veranstaltungsort lab.oratory und dem Kunstraum Silberkuppe, wo es mit der Performance IBIZA: A Reading For The Flicker eröffnet wird.
THE FLICKER (Tony Conrad, USA 1965/66, 14.11.) ist eine Ikone des strukturellen Films. Der Film, der aus weißen und schwarzen Filmbildern besteht, evoziert durch stroboskopische Effekte beim Betrachter direkte neuronale Reaktionen und löst optische Eindrücke wie Farb- und Formsehen aus. Im Arsenal wird ein Kurzfilmprogramm von parallelen Projektionen ergänzt: MONANGAMBEEE (Sarah Maldoror, Algerien 1996, 15.11.) heißt "Weißer Tod" und war der Schlachtruf der Bevölkerung Angolas bei der Ankunft der portugiesischen Sklavenhändler. Der Film erzählt von einer Frau, die ihren Mann im Gefängnis besucht und verspricht, ihm ein "Complet" zukommen zu lassen. Um die doppelte Bedeutung des Wortes herum entwirft die Regisseurin eine rhythmisierte Film-Collage über das Leben in einer kolonialisierten Gesellschaft. In D (Guido Lombardi, Anna Lajolo, I 1970) setzen die Filmemacher Bilder einer Paradiesvorstellung gegen die Dokumentation von Dörfern des östlichen Liguriens, deren Bewohner durch den Bau einer Autobahn ihrer Existenz beraubt werden. BLUE MONDAY/ WAR MACHINE (Duvet Brothers, GB 1984) ist ein zweiteiliger Experimentalfilm. Während WAR MACHINE einen Werbefilm paraphrasiert, indem er Ronald Reagans Stimme mit den Bildern von Kriegsopfern kombiniert, nimmt uns BLUE MONDAY mit auf eine visuelle Reise durch ein zerrüttetes Großbritannien, begleitet von einem Song der Band New Order.
NICHT DER HOMOSEXUELLE IST PERVERS SONDERN DIE SITUATION IN DER ER LEBT (Rosa von Praunheim, BRD 1971, 15.11.) wird anhand eines live gesprochenen Monologs und einer Projektion von Fotografien der Künstlerin Emily Roysdon aus einer zeitgenössischen queeren Perspektive beleuchtet. Der Film schlug bei seiner Erstausstrahlung 1972 im WDR Wellen der Empörung. Er kokettiert mit seiner schwulenfeindlichen Haltung: Die Geschichte von Daniel, der in die Großstadt kommt und alle Stationen im Leben eines schwulen Mannes der 1970er durchläuft, wird von einer mahnenden Stimme aus dem Off und Interviewausschnitten begleitet. Der "perfekte Dilettantismus", wie Christa Maerker es im Forumsprogramm von 1971 formuliert, der sowohl im Semi-Dokumentarischen des Films als auch in dessen Personenzeichnung und Situationsbeobachtung aufscheint, erzeugt beim Betrachter eine Verunsicherung, die bestenfalls zur Überprüfung der eigenen Haltung führt. Am zweiten Tag des Programms im Arsenal wird eine Audio-Installation die Projektion von LES PASSAGERS begleiten, und die Performance-Gruppe Low in the Cave den Film OTHON bespielen.
LES PASSAGERS (Annie Tresgot, Algerien, 1971, 16.11.) begleitet den 18-jährigen Rachid, der 1968, sechs Jahre nach der algerischen Unabhängigkeit, nach Frankreich emigriert, bei seinem Reifeprozess.
OTHON (Danièle Huillet, Jean-Marie Straub, BRD/I 1970, 16.11.) wurde nach dem 1664 erstaufgeführten Stück von Pierre Corneille wortgetreu und an den Originalschauplätzen gedreht. Der Film erzählt in fünf Akten eine Geschichte von Liebe und Macht im alten Rom. Den Abschluss bildet eine besondere Projektion von Richard Serra's Hands im Veranstaltungsort lab.oratory (17.11.). Die Filmserie, die der amerikanische Künstler 1968 drehte, stellt seine Hände bei einfachen Tätigkeiten dar. Die Art, in der Serra sie in HAND CATCHING LEAD inszeniert, ist laut Rosalind Krauss zum einen direkte Referenz auf das Medium Film, zum anderen handelt es sich um die filmische Betonung der eigenen künstlerischen Potenz. Gerade diese Komponente wird durch die Umgebung des lab.oratory auf eine besondere Weise hervorgehoben. (Anne Breimaier)
Eine Veranstaltung mit dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD.

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