Direkt zum Seiteninhalt springen
"Ich gehe gern an die Grenzen." Diese Aussage Isild Le Bescos gilt sowohl für ihre Regie-Arbeiten als auch für ihre Rollen. Häufig spielt sie rebellische, widerspenstige, neugierige junge Frauen, die irgendwie aus dem Rahmen fallen, der Langeweile ihres Alltags entkommen wollen, von Außenseitern fasziniert sind, sich entgegen aller Vernunft in wilde Romanzen stürzen. Le Bescos Performance ist stets von atemberaubender Präsenz, um nicht zu sagen: ein Ereignis. In ihren eigenen Filmen wirft Le Besco einen unerschrockenen Blick auf Kindheit und Jugend und zeigt sich ebenfalls an extremen Situationen interessiert: dem Treiben von drei auf sich allein gestellten Kindern, dem Coming-of-Age eines verstockten Jugendlichen und einer fatalen Ménage-à-trois dreier junger Frauen. Selbst noch ein Kind, als sie ihre erste Filmrolle bekam und ein 16-jähriger Teenager, als sie das Buch für ihren Debütfilm schrieb, der vier Jahre später (mit ihren Brüdern als Darsteller und Kameramann) entstand, legt sie schon früh Stilsicherheit und inszenatorische Souveränität an den Tag. Mit der Sprödigkeit ihrer Figuren ist sie solidarisch, ohne sie zu beurteilen und riskiert dabei auch Ungefälliges. Daraus erwächst eine ganz eigene erzählerische und emotionale Faszination. DEMI-TARIF (Half Price, Isild Le Besco, F 2004, 18.10., in Anwesenheit von Isild Le Besco & 23.10.) Drei Geschwister – zwei Mädchen, ein Junge (Kolia Litscher), im Alter von sieben, acht und neun Jahren – leben auf sich allein gestellt in einer verwahrlosten Pariser Wohnung. Jedes Kind hat einen anderen Vater, keiner war jedoch je da. Die Mutter hält sich anderswo auf und überlässt sie weitgehend sich selbst. Die Kinder kommen mehr oder weniger klar mit der Situation und arrangieren sich mit ihrer grenzenlosen Freiheit. Ein anarchisches Leben ohne Ordnung, ohne Regeln, voller Spiele und Streiche: Die drei klauen Kleinigkeiten, fahren ohne Ticket U-Bahn, spielen bis spät in der Nacht im Freien, schleichen sich in Kinosäle und schwindeln die misstrauisch gewordene Lehrerin an. Die Handkamera (Jowan Le Besco) ist ihre Komplizin und eine Stimme aus dem Off, die weder der Mutter noch den Kindern zuzuordnen ist, beschwört das Glück einer Kindheit ohne Autorität. BAS-FONDS (Dregs, Isild Le Besco, F 2010, 18.10., in Anwesenheit von Isild Le Besco & 24.10.) Drei junge Frauen hausen zusammen in einer karg eingerichteten Wohnung: Magali, die rabiat und unüberhörbar den Ton angibt und alle herumkommandiert, ihre kleine Schwester Marie-Steph und Magalis Bettgefährtin Barbara, die sich in Liebe zu ihr verzehrt. Sie lungern herum, beschimpfen sich gegenseitig, schweigen autistisch und brüllen bestialisch, hassen und begehren sich, veranstalten Besäufnisse, bewerfen sich mit Essen, verwüsten die Wohnung, im Fernseher laufen stets Pornos. Als beim Versuch, eine Bäckerei auszurauben, deren Besitzer zu Tode kommt, verschieben sich die Machtverhältnisse und nichts ist mehr wie zuvor. Der mit Laiendarstellerinnen gedrehte Film zeichnet eine wilde Ménage-à-trois außerhalb der gesellschaftlichen Ordnung, eine verstörende Konstellation aus Abhängigkeit, Zuneigung und Unterwerfung – mit radikaler Wucht, aber auch einer gewissen Zärtlichkeit. CHARLY (Isild Le Besco, F 2007, 19. & 22.10.) Der 14-jährige Nicolas (Kolia Litscher), ein antriebsarmer Teenager mit Schulproblemen, wohnt bei betagten Pflegeeltern in der französischen Provinz. Als er eine Postkarte mit dem Foto eines Badeorts am Meer findet, nimmt er Reißaus und sucht das Weite. Unterwegs liest ihn die nur wenig ältere Gelegenheitsprostituierte Charly (Marie-Julie Parmentier) auf und quartiert ihn in ihrem winzigen Wohnwagen ein. Dort muss er sich ihren strengen Regeln unterordnen und sich im Haushalt nützlich machen. Es kommt ganz allmählich zu einer Annäherung zwischen den beiden, nicht zuletzt, als sie Zeilen aus Frank Wedekinds Theaterstück Frühlings Erwachen miteinander lesen, finden sie eine gemeinsame Sprache. Nicolas kommt so dem Erwachsenwerden, dem Meer und sich selbst ein wenig näher. Ein wortkarger Coming-of-age-Film mit kleinem Plot und großer Wirkung. SADE (Benoît Jacquot, F 2000, 20. & 26.10.) Zusammen mit anderen Adligen, auf die die Guillotine wartet, wird der Marquis de Sade (Daniel Auteuil), Autor freizügiger Romane, 1794 in einem Pariser Luxusgefängnis interniert. Dort begegnet er der blutjungen Emilie de Lancris (Isild Le Besco), die sich mit ihren Eltern langweilt. Zunächst naiv und unschuldig, fühlt sie sich vom verrufenen Sade zunehmend angezogen und ist entschlossen, von dem alternden Libertin noch einiges lernen zu wollen, bevor es zu spät ist. Seine Sprache wird für sie im doppelten Sinne zum Instrument der Aufklärung, er führt sie behutsam zu ihrem Begehren. Der Historienfilm lässt keinen Zweifel daran, wer die eigentlichen Sadisten sind: diejenigen, die im Namen der Republik morden. ROBERTO SUCCO(Cédric Kahn, F 2001, 21. & 30.10.) In den Sommerferien lernt die 16-jährige Schülerin Léa (Isild Le Besco) in einer Stranddisco Kurt (Stefano Cassetti) kennen, einen lebhaften Angeber mit italienischem Akzent. Sie verlieben sich ineinander. Bei jedem Treffen fährt Kurt ein anderes Auto, und auch an seinen Geschichten ist nicht alles vertrauenswürdig – doch Léa ist fasziniert von ihm. In die Liebesgeschichte dringt nach und nach das andere Leben des jungen Mannes ein: Es ist voll brutaler Gewalt. Und auch die Beziehung mit Léa entwickelt sich ins Extrem. Basierend auf dem authentischen Fall des italienischen Gewaltverbrechers und Serienmörders Roberto Succo in den 80er Jahren konzentriert sich der Film auf die Momente zwischen den Gewalttaten und zeichnet in unterkühlten Cinemasope-Bildern und ohne psychologische Erklärungen das Porträt eines Außenseiters, der bis zuletzt außerhalb des sozialen Gefüges bleibt. PAS DOUCE (Die Unsanfte, Jeanne Waltz, F/CH 2007, 23. & 28.10.) Frédérique (Isild Le Besco), die alle Fred nennen, arbeitet als Krankenschwester in einer kleinen Stadt im Schweizer Jura. Sanft ist sie nicht – in ihr steckt eine große Wut, sie ist ungestüm, unzufrieden, unberechenbar. Niemand soll ihr zu nahe kommen. Als sie sich mit Selbstmordabsichten im Wald aufhält, schießt sie im Affekt einen Jungen an, der danach auf der Station ihr Patient wird. Der 14-Jährige ist aggressiv, rücksichtslos und ähnlich schwierig wie sie selbst. Das ahnungslose Opfer und die unerkannte Täterin finden allmählich Zugang zueinander. Für beide wird es ein Neuanfang. Indem er darauf verzichtet, sie psychologisch auszuleuchten, bewahrt der Film das Rätsel seiner Hauptfigur mit ihrem sagenhaft undurchdringlichen Gesicht. CAMPING SAUVAGE (Wild Camp, Christophe Ali, Nicolas Bonilauri, F 2005, 24. & 27.10.) Die rebellische 17-jährige Camille (Isild Le Besco) langweilt sich im Campingurlaub mit ihren Eltern und ihrem Barkeeper-Freund. Um ein wenig Spaß zu haben, stellt sie auf dem Zeltplatz provozierend ihre Reize zur Schau und trägt dabei dick auf: Plateauschuhe, Mini-Rock, wiegende Hüften, Schmollmund. Doch was wie Spätpubertät aussieht, möchte vor allem einer trostlosen Kleinbürger-Zukunft entkommen. Als der doppelt so alte Blaise (Denis Lavant), ein Sonderling und Familienvater mit Geldsorgen, als Segellehrer anheuert, funkt es zwischen den beiden – und unter den wachsamen Augen der Dauercamper beginnt eine leidenschaftliche Liebe. Ein Film mit magischen Momenten großer Verliebtheit – und Anklängen an Western, Road-Movie und Liebesdramen von Shakespeare. À TOUT DE SUITE (Right Now, Benoît Jacquot, F 2004, 25. & 31.10.) Paris 1975. Eine Kunststudentin (Isild Le Besco) aus großbürgerlichem Hause verliebt sich in einen Marokkaner, der sich bald als Krimineller erweist. Nach einem missglückten Bankraub stürzt sie sich mit ihm und seinem Komplizen Hals über Kopf in eine abenteuerliche Flucht quer durch Europa. Doch ihr Traum von einer Liebe endet abrupt am Flughafen von Athen. Dort lässt er sie sitzen, und sie ist nun auf sich allein gestellt in der fremden Stadt. Die in Schwarzweiß gefilmte Gangsterballade negiert den jugendlichen Übermut und das Freiheitsversprechen in vergleichbaren Nouvelle-Vague-Filmen, um sich ganz auf die Seelenlandschaft der Protagonistin zu konzentrieren. Die Handkamera zeigt immer wieder Großaufnahmen ihres Gesichts, auf der Suche nach ihrem Geheimnis – ein Gesicht, das keine Gefühle preisgibt und in dem von Freiheit nichts zu lesen ist. (bik) Eine Veranstaltung mit freundlicher Unterstützung des Institut français. Dank an Christine Dollhofer (Crossing Europe, Linz).

Gefördert durch:

  • Logo des BKM (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)
  • Logo des Programms NeuStart Kultur