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A STREETCAR NAMED DESIRE  (Endstation Sehnsucht, Elia Kazan, USA 1951, 1. & 3.12.) In New Orleans kommen im brütendheißen Sommer in zwei kleinen, nur durch einen Vorhang getrennten Zimmern drei grundverschiedene Personen zusammen: das Ehepaar Stella (Kim Hunter) und Stanley (Marlon Brando) – sie: ewig um Ausgleich bemüht, er: roh und brutal – sowie Stellas kapriziöse Schwester Blanche (Vivien Leigh). Blanches unerfüllte Sehnsüchte treiben sie zusehends tiefer in eine aus Träumen, Wünschen und Hoffnungen genährte Fantasiewelt, die unweigerlich mit Stanleys psychischer und physischer Gewalt kollidieren muss. Basierend auf Tennessee Williams’ Theaterstück entwirft Kazan ein beklemmend düsteres psychologisches Drama. PO SAKONU (Nach dem Gesetz, Lew Kuleschow, UdSSR 1926, 1.12., am Klavier: Eunice Martins) Konstruktivistischer Sowjet-Western als Kammerspiel: Fünf Abenteurer suchen und finden am Yukon Gold. Nach zwei Morden sind die Überlebenden mit einem existenziellen Dilemma konfrontiert. Eingeschlossen in einer Blockhütte inmitten von zunächst Eis und Schnee, später umspült von Hochwasser, setzen sie ein "offizielles Gericht" aus zwei Personen ein, um über den dritten, den Doppelmörder, zu richten. Ein so minimalistisches wie bildgewaltiges Drama, in dessen Mittelpunkt die Schauspielerin Alexandra Chochlowa steht: „Ihre Augen leuchten wie ihre Haare. Ihr Spiel ohne Worte, wirklich Filmspiel des Gesichts und der Hände – hier ist alle Literatur hinweggeschwemmt, und ein neuer, unbelasteter Mensch, seiner eigenen Empfindungen fähig, erscheint auf der Bühne.“ (Bernard von Brentano) ABSCHIED (SO SIND DIE MENSCHEN) (Robert Siodmak, D 1930, 4. & 8.12.) Ein junges Paar in einem kleinen Zimmer in der Berliner Pension "Splendide", in der vor allem gescheiterte Existenzen oder vom Leben Enttäuschte untergekommen sind. Auch Hella (Brigitte Horney) und Peter (Aribert Mog) haben mit Problemen zu kämpfen: Für die geplante Heirat fehlt ihnen das Geld. Durch ein verhängnisvolles Schweigen und daraus resultierende Missverständnisse kommt es zum Zerwürfnis. Der erste Ton-Kammerspielfilm überhaupt – Siodmak entwickelt eine so eindrückliche wie realistische Tonkulisse – spielt an einem Tag im Innern einer Wohnung. A TORINÓI LÓ  (Das Turiner Pferd, Béla Tarr, Ágnes Hranitzky, Ungarn 2011, 10. & 14.12.) Unaufhörlicher, tosender Wind, ein trostloses Holzhaus, kärgste Landschaft, ein Kutscher, seine Tochter und ein Pferd. Fünf Tage lang gleicht ein Tag dem anderen, wiederholt sich ein so mühevoll-beschwerliches wie minimales Tagwerk, einzig unterbrochen vom Besuch eines Nachbarn, der Düsteres berichtet, oder von Vorbeiziehenden, die um Wasser bitten. Dann, peu à peu, versiegt der Brunnen, erlischt das Licht, versagt das Pferd seinen Dienst. Rätselhaft, rigoros, hoch konzentriert (und höchste Konzentration erfordernd) kehrt Tarrs "filmischer Monolith" (H.P. Koll) in knapp 30 Einstellungen (Kamera: Fred Kelemen) die Schöpfungsgeschichte um. Am Ende steht keine Auf-, geschweige denn Erlösung, nur eine finale Dunkelheit und eine existentielle Kinoerfahrung. NIEMANDSLAND(Victor Trivas, D 1931, 11.12.) Russische Montagekunst meets deutschen Kammerspielfilm: Mitten im Ersten Weltkrieg treffen in einem Unterstand zwischen den Frontlinien fünf Soldaten unterschiedlicher Nationalitäten und Konfessionen aufeinander: ein Offizier, ein Fabrikarbeiter, ein Tischler (Ernst Busch), ein Schneider (dessen Rollenname "Irgendwo in der Welt" lautet) und ein Varietétänzer. Auf die anfänglichen Auseinandersetzungen folgen Annäherung, Verständnis und schließlich Solidarisierung. Der parabelhafte Antikriegsfilm wurde bereits wenige Monate nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten von der NS-Prüfstelle verboten. JEANNE DIELMAN, 23 QUAI DU COMMERCE, 1080 BRUXELLES (Chantal Akerman, Belgien/F 1975, 12. & 15.12.) Eine Frau – Jeanne Dielman (Delphine Seyrig), eine Wohnung, drei Tage. Hartnäckig beobachtet die Kamera in langen starren Einstellungen ihre alltäglichen Routinen in einer abgeschlossen scheinenden Welt: aufräumen, Betten machen, Staub wischen, abwaschen, Essen kochen. Am Nachmittag empfängt sie ältere Herren; auch ihre Gelegenheitsprostitution hat einen genauen Platz im präzisen Ablauf des Tages. Zunächst kaum merkbar werden die zeitlich und räumlich rigiden Strukturen am zweiten Tag erschüttert; am dritten Tag kommt es zur unausweichlichen Eskalation. Ein schweigsames Kammerspiel, dessen Choreografie der Gesten, Bewegungen und Rituale radikal Zeugnis einer emotionalen Erstarrung ablegt. DAS VERSTECK (Frank Beyer, DDR 1978, 13. & 29.12.) Seit einem Jahr gehen Wanda (Jutta Hoffmann) und Max (Manfred Krug) getrennte Wege, seit einem Jahr kommt Max über die Trennung nicht hinweg. Mithilfe eines Tricks – er schützt eine Verfolgung durch die Polizei vor – quartiert er sich für eine Woche bei Wanda und ihrem neuen Freund ein und lässt nichts unversucht, um seine Ex-Frau zurückzugewinnen. Sieben Tage kreisen die beiden ehemaligen Eheleute in einer Ost-Berliner Wohnung umeinander, ringen um einen Neuanfang, diskutieren, wägen ab. Eine ironisch-hintergründige Beziehungsgeschichte, mal melancholisch und mal heiter, mal nachdenklich und dann auch wieder leicht, in ihrer feinen Vielstimmigkeit (Buch: Jurek Becker) herausragend getragen von Jutta Hoffmann und Manfred Krug. THE CONNECTION (Shirley Clarke, USA 1961, 16. & 28.12.) Ausgehend von Jack Gelbers gleichnamigem Stück im Stück, Ende der 50er Jahre von der Living-Theatre-Theatergruppe in New York erstmalig auf die Bühne gebracht, formuliert Shirley Clarke in THE CONNECTION einen präzisen Kommentar auf das Cinéma vérité als dokumentarischen "Forschungsprozess" (Edgar Morin). Ein Dokumentarfilmregisseur und sein Kameramann filmen eine Gruppe von drogenabhängigen Jazz-Musikern, die in einem New Yorker Studio auf ihre "connection" warten. Der Regisseur "dokumentiert" das Geschehen, die Interaktionen der Junkies, nimmt die Jazzstücke auf, die sie improvisieren. Mit Ankunft des Dealers ändert sich das Gefüge schlagartig: Nicht nur die Drogen, sondern auch die Kamera beeinflusst die Machtverhältnisse auf beengtem Raum. FONTANE EFFI BRIEST (Rainer Werner Fassbinder, BRD 1974, 17. & 22.12.) Keine der zahlreichen Effi-Briest-Verfilmungen hält sich strenger an die literarische Vorlage, stellt die Adaption für ein anderes Medium deutlicher heraus als Fassbinders Bearbeitung des Gesellschaftsromans. Ruhig und konzentriert folgt der Film der 17-jährigen Effi (Hanna Schygulla), die den 20 Jahre älteren Baron von Instetten heiratet, in ihrer Ehe keine Liebe findet und sich in eine Affäre flüchtet. Gartenszenerien, lange Spaziergänge, Strand-ausflüge und Kutschfahrten kontrastiert Fassbinder mit zunehmend klaustrophobischen, doppelt-gerahmten und kontinuierlich bespiegelten Innenaufnahmen – innen wie außen, ein Film der allmählichen Erstarrung, der Auflösung. WHO'S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF?  (Mike Nichols, USA 1966, 18. & 27.12.) "What a dump!" Mit diesem Ausruf gibt Martha (Elizabeth Taylor), nach einem langen und alkoholschweren Abend kaum zu Hause angekommen, den Ring frei für eine weitere Runde des erbitterten Schlagabtauschs mit ihrem Mann (Richard Burton). Ihr "Drecksloch" wird zur Bühne und damit zum Katalysator für Anfeindungen, Beschuldigungen und Erniedrigungen in beide Richtungen, befeuert vom anwesenden "Publikum", einem jungen, nichts ahnenden Paar, das Martha eingeladen hat. Basierend auf dem gleichnamigen, erfolgreichen Kammerspiel-Bühnenstück von Edward Albee inszeniert Nichols die verbale Tour de Force als zwanghafte Ehehölle, als Kriegsfilm. 12 ANGRY MEN  (Sidney Lumet, USA 1957, 20. & 22.12.) Zwölf Geschworene (verkörpert von u.a. Henry Fonda, Martin Balsam, John Fiedler und Jack Klugman) haben in diesem intensiven Gerichtsdrama über Schuld oder Unschuld eines jungen Puerto Ricaners zu befinden, der des Mordes an seinem Vater angeklagt ist. Lumet siedelt die Handlung in seinem Kinodebüt, abgesehen von wenigen Minuten zu Beginn des Films, in einem einzigen Raum an. Die zunehmend angespannte Atmosphäre zwischen den Männern vermittelt sich auch über die Bildsprache (Kamera: Boris Kaufman): Während zu Beginn die Kamera den Raum in seiner Gesamtheit zeigt, rückt sie mit fortlaufender Handlung immer näher an die einzelnen Geschworenen und die sich zuspitzenden Diskussionen heran. Eine so scharfe wie packende Auseinandersetzung mit dem US-amerikanischen Rechtsprechungssystem. DIE GETRÄUMTEN(Ruth Beckermann, Österreich 2016, 23. & 26.12.) Zwei junge Schauspieler_innen (Anja Plaschg und Laurence Rupp) in einem Tonstudio des Wiener Funkhauses: Unterbrochen einzig von kurzen Pausen auf dem Gang, in der Kantine, im Konzertsaal, im Freien, lesen sie Briefe aus der fast zwei Jahrzehnte umspannenden Korrespondenz zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Vielfältige Variationen der Annäherung legen unterschiedliche Ebenen des Ringens (aller Beteiligten) frei: mit den Briefen, der Liebe, der Sprache, der Geschichte. Eine grandiose "Literatur-Erfilmung", die in der präzisen Reduktion der räumlichen Anordnung und in der Bedachtheit der Inszenierung Raum für die bewegende Liebesgeschichte zwischen zwei der wichtigsten Stimmen der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts schafft. DIAL M FOR MURDER (Bei Anruf Mord, Alfred Hitchcock, USA 1954, 25. & 30.12.) In nicht wenigen Filmen operiert Hitchcock mit der Reduktion von Schauplätzen, Personen und Handlungsfäden. Seinen François Truffaut gegenüber geäußerten Wunsch, einen gesamten Film in einer Telefonzelle zu drehen, hat er auch in DIAL M FOR MURDER nicht umgesetzt, gesteht den handelnden Personen dennoch nicht viel mehr als eine einzige, wenn auch äußerst schicke Londoner Wohnung zu. Hier soll der perfekte Mord an der reichen Margot (Grace Kelly) verübt werden, minutiös geplant von ihrem Ehemann (Ray Milland), der sich endlich uneingeschränkten Zugriff auf die Millionen seiner Frau erhofft. (mg)

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