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THE BAND WAGON (Vincente Minnelli, USA 1953, 1. & 5.1.) Offensichtlichste Gestaltwerdung der choreografischen Form ist das Musical, das jenseits der Summe seiner Tanzszenen eine durchchoreografierte Gesamtanordnung darstellt. Eine solch spektakuläre Gesamtanordnung ist zweifelsohne THE BAND WAGON, in dem Fred Astaire als ehemaliger Hollywood-Tanzstar in New York eine Revue herausbringen will, diese unter dem falschen Regisseur jedoch zum Reinfall wird. Erst die in jeder Beziehung überragende Primaballerina Gabrielle (Cyd Charisse) kann die Tournee retten. Die atemberaubenden Tanzarrangements gehören zu den besten Choreografien der Filmgeschichte.

CASABLANCA
(Michael Curtiz, USA 1942, 2. & 8.1.) Casablanca 1941: Auf der Flucht vor den Nationalsozialisten ist die nordafrikanische Hafenstadt für viele Emigranten Zwischenstation auf dem Weg nach Amerika. Auch Ilsa (Ingrid Bergman) und ihr Mann (Paul Henreid) hoffen, hier Transitvisa für die Weiterreise zu erhalten, treffen jedoch zunächst auf Ilsas ehemaligen Geliebten (Humphrey Bogart). Ein Emigrationsmelodram als Choreografie von Fluchterfahrungen (on-screen wie off-screen): Viele Flüchtlings-Rollen besetzte Curtiz mit berühmten deutsch-(sprachig)en Schauspielern, so z.B. Peter Lorre, Conrad Veidt, Curt Bois und Szöke Szakall, die ihrerseits wenige Jahre zuvor aus Deutschland bzw. Europa flüchten mussten.
MARTHA (Rainer Werner Fassbinder, BRD 1974, 3. & 11.1.) Immer wieder zitiert wird Michael Ballhaus' komplexe Kamerachoreografie in Fassbinders schnörkellosem Melodram, deren Höhepunkt in Präzision und Verdichtung zweifellos eine 360-Grad-Kamerafahrt relativ am Anfang des Films ist. Die unheilverkündende Plansequenz beschreibt die erste Begegnung zwischen den Protagonisten, der zu Abhängigkeit und Gehorsam erzogenen Martha und dem undurchsichtigen Helmut, die wenig später heiraten werden. Eine schwindelerregende Kreisfahrt als Kristallisationspunkt eines sadistischen Karussells.
A STUDY IN CHOREOGRAPHY FOR CAMERA (Maya Deren, USA 1945, 4. & 12.1.) "In diesem Film wird der Raum mittels der Auslotung filmischer Techniken selbst zu einem dynamischen Teilnehmer der Choreografie. Es ist in gewisser Weise ein Duett zwischen Raum und Tänzer; ein Duett, in dem die Kamera nicht nur ein sensibel beobachtendes Auge ist, sondern selbst erzeugend und mitverantwortlich für die Performance wird." (Maya Deren)
LIVES OF PERFORMERS (Yvonne Rainer, USA 1972, 4. & 12.1.) Anfang der 70er Jahre wendete sich die langjährige Choreografin Rainer mit LIVES OF PERFORMERS dem Film zu. Ihre Erfahrungen als Tänzerin und Choreografin manifestieren sich in einer großen Aufmerksamkeit für die Darstellung von Körpern und Körperlichkeit im Film, aber auch für Aspekte der Kadrierung und der Montage. In der Art eines Melodrams über einen Mann zwischen zwei Frauen verwebt Rainer mit großer Präzision und Humor Abfolgen von Stillstand und Bewegung, Gruppierungen und Neugruppierungen, Dokumentar- und Spielfilmszenen, Text- und Tanzpassagen, Fotos und ihrem eigenen Voice-over-Kommentar.

TIMBUKTU (Abderrahmane Sissako, Mauretanien/F 2014, 6. & 10.1.) In bunten, flatternden Trikots jagt eine Gruppe von Jugendlichen über einen sandigen Bolzplatz. Die vermeintlich fröhliche Fußballszene verkehrt sich in ihr Gegenteil, als sich abzeichnet, dass die Kinder ohne Ball spielen. Die Szene funktioniert gleichzeitig als Markierung des Irrsinns – islamistische Gruppen haben die mythische Stadt Timbuktu eingenommen und dort u.a. das Fußballspielen unter Strafe gestellt – wie als poetische Choreografie der Auflehnung, des Widerstands, der Imagination. Ähnlich den Jungen auf dem Sandplatz bricht sich auch an anderen Stellen der Stadt in kleinen Gesten der Bevölkerung der Widerstand gegen das strenge fundamentalistische Regelwerk der Rebellen Bahn.

VICTORIA (Sebastian Schipper, D 2015, 13. & 17.1.) Choreografie und Improvisation, Timing und Flexibilität, Konzentration und Taumel – was auf 
den ersten Blick als Gegensatz daherkommt, verschmilzt in VICTORIA zu einem atemlosen Zweieinhalbstundentrip, zu einer taumelnden Geschichte der Nacht, einem mäandernden, schnittlosen One-Take-Film. In einem Berliner Club lernt die junge Spanierin Victoria (Laia Costa) vier Kleinkriminelle kennen. Was als vorsichtige Annäherung beginnt, führt im Verlauf des Abends zu einem völlig aus dem Ruder laufenden Gefälligkeitsüberfall. Eine hoch-frequente Tour de Force für Protagonist_innen und Kinogänger_innen, ein soghafter Wachtraum, ein Kinorausch.

TSUBAKI SANJURO (Akira Kurosawa, Japan 1962, 14. & 16.1.) Ironisch-komödiantisches Pendant zu Kurosawas im Jahr zuvor entstandenem Film "Yojimbo": ein erneutes Aufmischen des populären Samuraifilms, angereichert um Gangsterfilm- und Thriller-Elemente sowie eine Verbeugung vor dem Musical. Ein körperbetonter Mifune als durch und durch unkonventioneller Samurai ist umgeben von einer Gruppe naiver Samurai-Novizen, die sich am Aufbegehren gegen eine mächtige Fürstenclique verhoben haben. In der Formation einer Art "corps de ballet" wirken die (Re)Aktionen, Interventionen, Bewegungen der Jung-Samurais wie Teile einer Nummern-Revue, minutiös getimt, präzise gespielt.

SENSO
(Luchino Visconti, Italien 1954, 18. & 21.1.) Die Geschichte einer zerstörerischen Leidenschaft vor dem Hintergrund des zu Ende gehenden Risorgimento, durchzogen von filmischer Opulenz und theatralischer Choreografie. In seinem ersten Farbfilm verwebt Visconti die private Tragödie der Contessa Sarpieri (Alida Valli), die sich in Venedig in einen österreichischen Leutnant (Farley Granger) verliebt, mit einer gesellschaftlichen Studie. Das Chaos des Krieges und das Chaos der Gefühle bedingen einander. Eine Amour fou als Historiengemälde.

TO METEORO VIMA TOU PELARGOU (Der schwebende Schritt des Storches, Theo Angelopoulos, GR/F/I/CH 1991, 18. & 19.1.) An der griechischen Nordgrenze filmt ein Journalist die Notlage von Flüchtlingen und merkt, dass er zunächst keinen Zugang zur Situation vor Ort findet. Die philosophisch-universelle, nach wie vor aktuelle Reflexion über Grenzen, Grenzschutz und Grenzüberschreitungen kulminiert in zwei kunstvoll choreografischen Sequenzen: In einer stumm artikulierten Trauungszeremonie, in der sich die Hochzeitsparteien am Grenzfluss gegenüber stehen, und in einem schwebenden Akt des Grenzgängertums, als Monteure eine neue Stromverbindung über die Landesgrenze spannen.

PICKPOCKET (Robert Bresson, Frankreich 1959, 20. & 22.1.) Ein kunstvolles Ballett der Hände, ein brillanter Reigen von Portemonnaies, Geldumschlägen, Brieftaschen und Uhren – Bresson fügt das reibungslos ineinandergreifende Werk einer kleinen Gruppe von Taschendieben auf einem Bahnhof in einer faszinierenden Montage zu einem Tanz der Handbewegungen, Objekte und Blicke. Fingerfertiges Mitglied der Gruppe von Taschendieben ist Michel, der seine wenigen sozialen Bindungen löst und der Kunst des Taschendiebstahls verfällt.

EL VALLEY CENTRO (James Benning, USA 1999, 23.1.) Benning beschreibt die 35 kontemplativen, durchschnittlich zweieinhalb Minuten dauernden Aufnahmen im kalifornischen Great Central Valley als "found choreographies" – allesamt beeindruckende Beobachtungen kurzer Bewegungsvignetten von Mähdreschern, Feldarbeitern, Frachtzügen, Baumwollpflückern oder Baggern, die sich in den ernormen Weiten der Landschaft positionieren. Es entsteht ein Kaleidoskop einzelner Handlungen zwischen Nostalgie und scharf-kritischem Kommentar, Bewegung und Stillstand: ruhig, hoch konzentriert und von kraftvoller Poesie. LA CHASSE AUX PAPILLONS (Jagd auf Schmetterlinge, Otar Iosseliani, F/D/I 1992, 20. & 24.1.) Zwei alte Damen bewohnen irgendwo in der französischen Provinz ein Schloss. Als eine der beiden stirbt, erbt ihre in Moskau lebende Schwester das Anwesen, das bald darauf in die Hände japanischer Geschäftsmänner fällt. Die Schlusseinstellung zeigt das Schloss mit neuen Fenstern, im Vordergrund ein modernes, fernbedientes Eingangstor mit großen japanischen Schriftzeichen. Gleich einer leise-ironischen Choreografie der Auflösung, einer feinfühligen Orchestrierung der Trauer zeigt Iosseliani den Untergang einer Welt, eines Lebensgefühls, einer Kultur.

NO (Sharon Lockhart, USA/Japan 2003, 25.1.) Zwei japanische Bauern betreten ein Feld und legen in regelmäßigen Abständen Heuhaufen auf den Acker. Langsam arbeiten sie sich in den Vordergrund vor und schichten Heustapel in sich zur Kamera hin verjüngenden Linien auf. Als sie am vorderen Bildrand angekommen sind, verteilen sie das Heu und bedecken so das gesamte Feld gleichmäßig. Das Resultat ist eine choreografierte Version der täglichen Arbeit der Bauern, eine visuelle Interaktion mit der Landschaft und die Entstehung eines Landschaftsbildes.

GOSHOGAOKA
(Sharon Lockhart, USA/Japan 1998, 25.1.) In der Turnhalle einer Mittelschule eines japanischen Vorortes absolviert ein Mädchen-Basketballteam komplex choreografierte Trainingsabläufe. In sechs jeweils 10-minütigen Einstellungen entsteht im Zusammenspiel von Stimmen, Geräuschen und Körperbewegungen ein subtiles und vielschichtiges soziales Porträt, dessen Rahmen die Bewegungen bilden und in dem sich die Unterscheidung zwischen Dokumentarischem und Ästhetischem aufzulösen beginnt.

Tanz ohne Tänzer: In Fortsetzung der Ideen und Filme von Maya Deren beschäftigte sich auch die amerikanische Tänzerin, Choreografin und Filmemacherin Shirley Clarke mit der Beziehung zwischen Tanz und Film. In ihrem Text "Cine-Dance" (1967) beschreibt sie: "Egal ob ich mit Tänzern oder Schauspielern arbeite, immer beschäftige ich mich mit der Choreografie dessen, was auf der Leinwand passiert; mit den darin angelegten Mustern, Rhythmen, Bewegungen – alles Elemente von Tanz, aber auch Elemente des Lebens. Für mich ist das der Tanz, der im Film existiert: nicht Tanz, wie er auf der Bühne stattfindet, sondern die Ausdehnung der Welt selbst." Wir zeigen eine Auswahl ihrer frühen, soeben restaurierten experimentellen Kurzfilme (26. & 31.1.): DANCE IN THE SUN (USA 1953), IN PARIS PARKS (USA 1954), BULLFIGHT (USA 1955), A MOMENT IN LOVE (USA 1956), BRUSSELS LOOPS – GESTURES (USA 1957), BRUSSELS LOOPS – WORLD KITCHEN (USA 1957), BRIDGES-GO-ROUND (USA 1958), SKYSCRAPER (USA 1959).

TROUBLE IN PARADISE (Ärger im Paradies, Ernst Lubitsch, USA 1932, 27. & 29.1.) Der "director of doors" (wie Mary Pickford ihn verzweifelt nannte) at his best: Auch Lubitschs Pre-Code-Film ist eine Choreografie der Türen, Fenster und Treppen. Sie öffnen und schließen sich, eröffnen und versperren, werden hinauf- und hinabgestiegen und sind ebenso wichtiger Bestandteil der meisterlichen Ménage-à-trois-Komödie wie die drei Hauptdarsteller: die reiche Witwe Mariette (Kay Francis) und das Gaunerpaar Lily (Miriam Hopkins) und Gaston (Herbert Marshall). Letztere haben es auf die Reichtümer Mariettes abgesehen. Doch das Vorhaben droht zu scheitern, als sich Gaston in die junge Witwe verliebt. Ein federleichtes, ironisches Loblied auf Immoralität, Geld und Sex.

THE KILLER (John Woo, Hongkong 1989, 28. & 30.1. ) "Wenn ich Action-Szenen drehe, habe ich häufig das Gefühl, ein Ballett, einen Tanz zu choreografieren." (J. Woo) Dabei inszeniert er nicht nur die komplexen Bewegungsabläufe der Protagonisten, sondern auch die exakten Flugschneisen der flirrenden Kugeln (Stichwort: "bullet ballet"), splitternden Möbel und zerberstenden Scheiben. Ein Film der umeinander kreisenden Gegner im andauernden Partikelhagel. Dabei will der Auftragskiller Jeff (Chow Yun-Fat) doch nur seinen "letzten Auftrag" erfüllen, im Verlauf dessen sich jedoch u.a. Inspektor Li (Danny Lee) an seine Fersen heftet. (mg/jpk)

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