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Als "Grauwertesammler" bezeichnete Alexander Kluge seinen Kameramann und meinte damit die Versessenheit, zwischen dem Schwarz und dem Weiß so viele Abstufungen wie möglich einzufangen. Diese Aufmerksamkeit für das Grau, für die Zwischentöne ist bei Thomas Mauch nicht nur auf Schwarz-Weiß-Filme beschränkt, sondern ist viel grundsätzlicher zu verstehen. Sie zeichnet auch viele der Farbfilme aus: die Kälte des Winterlichts in STROSZEK (Werner Herzog, BRD 1977), den naturalistischen Dschungel in AGUIRRE, DER ZORN GOTTES (Werner Herzog, BRD 1972), das Grau des heruntergekommenen West-Berlins in DIE BERÜHRTE (Helma Sanders-Brahms, BRD 1981), die Düsternis in LOS ENEMIGOS DEL DOLOR (Arauco Hernández Holz, Uruguay/ Brasilien 2014). Selbst die mit starken und expressiven Farb- und Lichteffekten  gearbeiteten Filme wie z.B. PALERMO ODER WOLFSBURG (Werner Schroeter, BRD/CH 1980) sind nie aufdringlich oder rein ästhetisierend aufgenommen. Als Meister der Zwischentöne wechselt Thomas Mauch nicht nur virtuos zwischen Spiel-, Dokumentar- und Experimentalfilmen, sondern variiert innerhalb der Genres selbst dokumentarische und fiktionale Aufnahmemodi. So stehen in Werner Schroeters PALERMO ODER WOLFSBURG opernhaft arrangierte Tableaus neben authentischen Bildern der Gastarbeiterrealität und ruhigen Landschaftsaufnahmen. Der Historienfilm AGUIRRE, DER ZORN GOTTES gewinnt seine Intensität nicht zuletzt aus den dokumentarisch anmutenden Kamerabewegungen, die sich mit ruhigen Einstellungen abwechseln, die die gespenstische Stimmung wiedergeben. Die stimmige Atmosphäre ist letztlich auch das Element, das so unterschiedliche Filme wie UNTER DEM PFLASTER IST DER STRAND (Helma Sanders-Brahms, BRD 1975), NICHT NICHTS OHNE DICH (Pia Frankenberg, BRD 1986) und Thomas Mauchs eigene Regiearbeit TOD EINES VATERS (BRD 1978) auszeichnet und verbindet.  Die Werkschau mit zwei Regiearbeiten von Thomas Mauch und 14 Filmen aus den Jahren 1963-2014, für die er an der Kamera stand, zeigt einen Ausschnitt aus seinem breiten Œuvre und bietet die Gelegenheit, einige Meilensteine des nachkriegsdeutschen Films wieder zu sehen. Thomas Mauch wird bei allen Vorführungen zu Gast sein. GESCHWINDIGKEIT. KINO EINS (Edgar Reitz,BRD 1963  2.2.)Experimentalfilm über Geschwindigkeit als das Leben bestimmenden Faktor. Sich beschleunigende Kamerafahrten wechseln sich mit verlangsamten Impressionen ab. DIE ACHSE (Thomas Mauch,BRD 1984  2.2.)Der satirische Kurzfilm ist eine Reflexion über die Bedeutung der Kameraachse und über Kameraführung als eine Frage des politischen Standpunkts. Die Collage von Archivmaterial und Spielszenen macht die Absurdität von Goebbels' Anweisung deutlich, nach der deutsche Truppenbewegungen nur von links nach rechts zu filmen waren. TOD EINES VATERS (Thomas Mauch,BRD 1978  2.2.) Regiearbeit von Thomas Mauch: Ein erwachsener Sohn kehrt zu Weihnachten in sein Elternhaus zurück. Der kürzlich verstorbene Vater ist omnipräsent, die Mutter (gespielt von Marianne Hoppe) lässt dem Sohn kaum Luft zum Atmen. PALERMO ODER WOLFSBURG (Werner Schroeter,BRD/CH 1980  3.2.)Der 18-jährige Nicola verlässt wie viele seiner Landsleute seine Heimat Sizilien, um bei VW in Wolfsburg zu arbeiten. In der kalten Fremde findet er sich nicht zurecht, er versteht das Verhalten der Einheimischen nicht und bringt eines Tages im Verlauf eines Streits zwei Jugendliche um. Im Prozess treffen Vorurteile der deutschen Wohlstandsbürger auf die Mentalität der italienischen Gastarbeiter. Die Gerichtsverhandlung, die Nicola wie abwesend über sich ergehen lässt, nimmt surreale Züge an: Groteske Szenen, Erinnerungsbilder und parabelhafte Visionen fügen sich zu einem Sinnbild des Heimatverlustes. AGUIRRE, DER ZORN GOTTES (Werner Herzog, BRD 1972  4.2.)Lope de Aguirre (Klaus Kinski), ein spanischer Conquistador des 16. Jahrhunderts, sagt sich während einer Expedition durch das Amazonasgebiet von der spanischen Krone los und will seinen eigenen Staat gründen.  Seinem Größenwahn fallen immer mehr Menschen zum Opfer, Halluzination und Wirklichkeit vermischen sich. Ein dokumentarisch anmutender Abenteuerfilm über eine monströse Führerfigur, über Imperialismus und Wahnsinn. STROSZEK (Werner Herzog, BRD 1977  4.2.) Der als  Straßensänger in Berlin lebende Bruno S. wird in Werner Herzogs Film zur Symbolfigur für ein gesellschaftlich bedingtes Außenseiterdasein. Sein Versuch, gemeinsam mit seinem Nachbarn und seiner Freundin, der Prostituierten  Eva (Eva Mattes),  in Amerika  das Glück zu finden, endet im Fiasko. Der Traum vom "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" erweist sich als Illusion, die drei erleben erneut Zwänge und Abhängigkeiten. HOW MUCH WOOD WOULD A WOODCHUCK CHUCK (Werner Herzog, BRD 1976  4.2.)Dokumentarfilm über eine Viehversteigerung samt Schnellsprechwettbewerb in New Holland, Pennsyl-vania. Die hektisch-rhythmische Sprache der Versteigerer steht in Kontrast zum altertümlichen Dialekt einer deutschstämmigen Sekte, die dort  ansässig ist. Einer der Auktionatoren spielt auch in Herzogs Film STROSZEK eine Rolle. UNTER DEM PFLASTER IST DER STRAND (Helma Sanders-Brahms, BRD 1975  5.2.) Halbdokumentarische und -autobiografische  Liebesgeschichte zweier Schauspieler in Berlin, die nach dem Abklingen der 68er-Bewegung auf der Suche nach Sinn für Arbeit und Leben sind. Grischa engagiert sich zunehmend in der Frauenbewegung, interviewt Arbeiterinnen und formuliert neue Ansprüche. Heinrich zieht sich frustriert zurück, fängt an zu trinken. Der Versuch der beiden, eine gleichberechtigte Beziehung aufzubauen, scheitert. Ohne Drehbuch und streckenweise frei improvisiert, ist der Film ein sensibles und authentisches Porträt eines Paars in der Krise. DIE BERÜHRTE (Helma Sanders-Brahms, BRD 1981  5.2.)Nach den Tagebuchaufzeichnungen einer jungen schizophrenen Frau erzählt Helma Sanders-Brahms die Leidensgeschichte der Veronika Christoph, Tochter aus gutem Hause, die die Kälte in ihrer Familie und der Gesellschaft zu überwinden versucht. Auf ihrer Suche nach Christus begegnet sie männlichen Randexistenzen, denen sie sich körperlich bis zur Selbstzerstörung hingibt. Dem "Versuch, den Wahnsinn von innen zu filmen", so Helma Sanders-Brahms,  begegnet die Kamera distanziert-beobachtend. Der Film erregte nach seiner Premiere beim Filmfestival von Cannes vor allem wegen einer blutigen Sexszene Aufsehen und blieb sehr umstritten. FRAU BLACKBURN, GEB. 5. JAN. 1872, WIRD GEFILMT (Alexander Kluge, BRD 1967  6.2.)Der Regisseur filmt seine Großmutter bei ihren alltäglichen Verrichtungen in ihrer Wohnung. Das dokumentarische Porträt wird unversehens zu einer fiktionalen Farce, mit einem zwielichtigen ehemaligen RAF-Flieger, der Frau Blackburn ein paar Erbstücke entwendet.   BESITZBÜRGERIN, JAHRGANG 1908 (Alexander Kluge, BRD 1973  6.2.) Angelehnt an das Porträt seiner Großmutter filmt Alexander Kluge hier seine Mutter bei der Beaufsichtigung von Renovierungsarbeiten in ihrer weitläufigen Wohnung. Wie in FRAU BLACKBURN, GEB. 5. JAN. 1872 vertraut sie Porzellan und anderes Gut einem zwielichtigen Herrn Guhl an, um mit dem Erlös auf Reisen zu gehen. Das Porträt wird zu einem Dokument des schnellen Wiederaufbaus nach der NS-Zeit und der Anhäufung von Gütern in den Jahren des Wirtschaftswunders. GELEGENHEITSARBEIT EINER SKLAVIN (Alexander Kluge, BRD 1973  6.2.)Sieben Jahre nach "Abschied von gestern" holte der Filmemacher seine Schwester Alexandra Kluge erneut vor die Kamera, um sie im beispielhaften, energiegeladenen Kampf gegen gesellschaftliche Widersprüche zu zeigen: Als Roswitha Bronski ernährt sie die fünfköpfige Familie mit einer illegalen Abtreibungspraxis. Nachdem sie angezeigt wird, muss ihr Mann den Lebensunterhalt verdienen, während sie beginnt, sich politisch zu engagieren. Die Geschichte vom Scheitern der emanzipatorischen Bemühungen ist durchsetzt von Zwischentiteln und Filmzitaten, die – zum Teil improvisierten – Szenen sind diskontinuierlich montiert, so dass die Erzählung gleichzeitig kommentiert und reflektiert wird. HABEN SIE ABITUR? (Ula Stöckl, BRD 1967  7.2.)Ula Stöckl porträtiert mit ihrem an der Hochschule für Gestaltung in Ulm entstandenen Dokumentarfilm Teilnehmer_innen des Abiturkurses am dortigen Abendgymnasium und geht deren Beweggründen für diese Bildungsentscheidung nach. NICHT NICHTS OHNE DICH (Pia Frankenberg, BRD 1986  7.2.)Im Mittelpunkt steht eine junge Filmemacherin, die in der bundesrepublikanischen Wohlstandsgesellschaft nach Herausforderungen sucht, um gegen die selbst diagnostizierte Oberflächlichkeit ihrer Lebensweise anzugehen. Trotz der Auseinandersetzungen mit ihrer portugiesischen Mitbewohnerin wie auch mit den ambitionierten Interviewfragen einer Journalistin gelingt es ihr nicht, zu existienziellen Einsichten zu kommen. Auch ihre Beziehung zu Alfred entwickelt sich nicht weiter. Pia -Frankenbergs satirische Zustandsbeschreibung wurde beim Max-Ophüls-Festival als bester Erstlingsfilm ausgezeichnet. LOS ENEMIGOS DEL DOLOR (Arauco Hernández Holz, Uruguay/Brasilien 2014  8.2.) Absurde Odyssee eines deutschen Schauspielers, der in Montevideo auf der Suche nach seiner Frau ist. Er gerät in eine Art Unterwelt, in der sich der depressive Pedro und der unerschütterliche Nelson zu ihm gesellen. Vereint durch ihr Seelenleid, machen die drei sich in einer menschenleeren Stadt gemeinsam auf den Weg. DAS EINZELNE BILD IST GAR NICHTS – EIN PORTRÄT DES KAMERAMANNS THOMAS MAUCH (Anja Lupfer, Melanie Liebheit, D 2005  8.2.)Das Porträt der beiden HFF-Absolventinnen gibt Einblick in Thomas Mauchs Arbeitsweise. (ah) Eine Veranstaltung der Deutschen Kinemathek.

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