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EAST OF EDEN (Jenseits von Eden, Elia Kazan, USA 1955, 1.1., 8.1. & 20.1.) Wechselnde Perspektiven, schnelle Schnitte, eine irritierende Schiefstellung der Kamera und nicht zuletzt eine CinemaScope-Kameraführung, die Totalen meidet – diese formalen Charakteristika ziehen sich durch Kazans schonungslose Beschreibung eines Generationenkonflikts am Ende des 1. Weltkriegs: Cal (James Dean in seiner ersten großen Rolle) fühlt sich von seinem autoritären Vater Adam (Raymond Massey) ungeliebt. Als dieser ihn erneut zurückweist, konfrontiert er seinen Bruder mit der Wahrheit über ihre totgeglaubte Mutter, die ein Bordell führt. Der Bruder flüchtet in den Krieg, der Vater in eine Krankheit. Der Generationskonflikt setzte sich jenseits der Storyline fort: Der in seinem Schauspieler-Selbstverständnis eher konservative Massey lehnte Deans Hang zur Improvisation ab, die Konfrontation zwischen Vater und Sohn fand im Aufeinanderprallen der Darstellungsstile eine zusätzliche Ausdrucksebene.

ENTRE LES MURS(Die Klasse, Laurent Cantet, F 2009, 2. & 6.1.) Basierend auf dem gleichnamigen Roman von François Bégaudeau sowie auf einer Vielzahl von Improvisationsworkshops mit Lehrer*innen und Schüler*innen, in denen Cantet über einen Zeitraum von einem Jahr die Figuren des Films und eine Handlungslinie entwickelte, zeigt ENTRE LES MURS den Alltag einer Klasse von 15-Jährigen in der Pariser Banlieue während ihres letzten Schuljahrs vor Beginn der Berufsschule. Der hohe Migrantenanteil in der Klasse/Schule, die unterschiedlichsten kulturellen und sozialen Hintergründe der Schü-ler*innen und nicht zuletzt das schwierige Alter der Mittelstüfler lassen die Stoffvermittlung immer wieder in den Hintergrund geraten: Französischlehrer François Marin (gespielt von Lehrer und Schriftsteller Bégaudeau) ist ebenso 
als Sozialarbeiter und Integrationsbeauftragter gefragt. Lange Zeit versucht er die zahlreichen Konflikte direkt in der Klasse anzusprechen bis die Situation eskaliert. Ein nüchterner, konzentrierter, dabei überaus ehrlicher und intensiver Blick auf das französische Schulsystem und die Versuche, es als Ort der sozialen und kulturellen Integration zu verstehen.

DER RUF DER SIBYLLA – RELOADED (Clemens Klopfenstein, Schweiz 1985, 3. & 12.1.) Man ist versucht, die besondere Leichtigkeit, Verspieltheit, den Humor und die Fantasie in Klopfensteins Odyssee durch das Land der Liebe zumindest in Teilen auf seine von ihm selbst als "improvisierende Art des Drehens" bezeichnete Arbeitsweise zurückzuführen. Dieses Bekenntnis zur Improvisation zieht sich wie ein roter Faden durch sein Œuvre und zeigt sich auch in diesem realen Märchen zwischen Theater und Kloster, Mailand und den sibillinischen Bergen. Dorthin verschlägt es schließlich die Schauspielerin Clara (Christine Lauterburg) und ihren eifersüchtigen Freund (Max Rüdlinger), der sich als Kunstmaler verdingt und eingangs das Engagement Claras an einem deutschen Theater und vor allem ihren attraktiven Bühnenpartner mit Argusaugen betrachtet. Ein Zaubertrank, der ungeahnte Kräfte freisetzt, gibt dem vertrackten Beziehungspatt neue Impulse. Wir zeigen die vor Kurzem digitalisierte Fassung des Films mit der von Klopfenstein selbst neu bearbeiteten Tonspur.

MENSCHEN AM SONNTAG (Robert Siodmak, Rochus Gliese, Edgar G. Ulmer, D 1930, 4. & 18.1., am Klavier: Eunice Martins) Ein Regieensemble (unterstützt von Drehbuchautor Billy Wilder und Kameramann Eugen Schüfftan) trifft auf ein (Laiendarsteller-)Ensemble: Es entsteht ein neusachlicher „Wirklichkeitsfilm“, die präzise Beschreibung eines Wochenendes im Leben von fünf jungen Berlinern. Am sommerfrischen Wannsee verschieben sich die Interessen, bilden sich Paare und verlieren sich wieder, werden neue Bekanntschaften gemacht und wird das nächste Wochenende geplant. Als einer der letzten deutschen „Stummfilme“ überhaupt montiert MENSCHEN AM SONNTAG eine lebendige Collage aus dokumentarischen Aufnahmen und improvisierten Spielfilmszenen.

OPENING NIGHT(John Cassavetes, USA 1977, 5. & 10.1.) Gena Rowlands als "woman under the influence", als umschwärmter Theaterstar Myrtle Gordon, für die Leben und Theaterrollen zu einem unentwirrbaren Ganzen verschmolzen sind. Als sie Zeugin eines Unfalls wird, bei dem eine jugendliche Verehrerin zu Tode kommt, verstärkt das Erlebte Myrtles Widerstand gegen das Stück bzw. die Rolle einer alternden Frau, die sie darin spielen soll. Die Probenarbeiten und erste Testaufführungen werden zunehmend zum Kampf, Myrtles hysterisches Dauer-Aufbegehren treibt sie selbst in den Alkohol und ihre Kollegen in die Verzweiflung. Die Premiere droht im Eklat zu enden, als Myrtle völlig betrunken im Theater erscheint und auftritt. Im Verlauf des Stücks nüchtert sie zusehends aus, um in der letzten Szene – mittlerweile wieder glasklar – gemeinsam mit ihren Bühnenpartner Maurice (John Cassavetes) fulminant improvisierend das Stück in eine Komödie zu drehen. Von Cassavetes stammt der Ausspruch: "Ohne Improvisation gibt es keine Kunst." Inszenierte Improvisation gehört auch dazu.

DER VERLORENE (Peter Lorre, BRD 1951, 7. & 16.1.) Einzige Regiearbeit des Emigranten Lorre, in der er als Hauptdarsteller den Arzt und Serumforscher Dr. Rothe spielt, dessen Mord an seiner Braut Anfang der 40er Jahre aufgrund seiner kriegswichtigen Arbeit vertuscht wird. Die ungesühnte Tat hat weitere Morde zur Folge. Die atmosphärisch dichte, auf einer wahren Begebenheit basierende Nachkriegsproduktion war auch in Bezug auf Lorres Schauspielerführung singulär: Immer wieder ermutigte er seine Schauspielkollegen zu improvisieren, sich vom Drehbuch zu lösen. Diese eher experimentelle Arbeitsweise lag quer zum Zeitgeist: Lorres pessimistische Studie wurde von Kritik und Publikum abgelehnt, er selbst kehrte in die USA zurück.

NORMAL LOVE (Jack Smith, USA 1963, 9. & 30.1.) Perlschnüre, Wunderkerzen, Räucherstäbchen, das Porträt einer Hollywood-Göttin – vor diesem Stillleben-Altar liegt ausgestreckt der Underground-Superstar Mario Montez im Meerjungfrauen-Kostüm und beginnt – weitgehend improvisierend – mit den Gegenständen zu interagieren – Auftakt einer überbordenden Performance-Fantasy-Extravaganza in ländlichem Setting. NORMAL LOVE konzipierte Smith als „kommerziellen“ Nachfolger zu "Flaming Creatures". Das nie vollendete, inzwischen restaurierte Werk sollte aus sechs Sequenzen bestehen, die zum Teil von der Meerjungfrau inspiriert sind.

KONZERT IM FREIEN (Jürgen Böttcher, D 2001, 13. & 19.1.) Zwischen 1981 und 1986 drehte Böttcher am und um das Marx-Engels-Denkmal in Berlin-Mitte. Das Material verschwand lange im Archiv, bis Böttcher zehn Jahre nach der Wende und auf der Grundlage der alten Aufnahmen KONZERT IM FREIEN entwickelte. Entstanden ist eine komplexe Collage aus dokumentarischen Aufnahmen der damals beteiligten Künstler und intensiven Beobachtungen der heutigen Besucher des Denkmalensembles. Gerahmt, bespielt, strukturiert, erzählt wird der Film von den Musikern Günter „Baby“ Sommer und Dietmar Diesner, die mit Perkussion und Saxophon durch den Film führen und ihn kommentieren. Eine musikalisch-improvisierte Auseinandersetzung mit Geschichte und Kunst in der neuen Mitte Berlins.

… UND DEINE LIEBE AUCH (Frank Vogel, DDR 1962, 14. & 23.1.) Dicke, weiße Linien auf Straßen und Bürgersteigen, von Panzern und schwerbewaffneten Soldaten bewacht, fassungslose Bürger: … UND DEINE LIEBE AUCH ist der erste DEFA-Film, der den Mauerbau im August 1961 zeigt (und diesen staatstragend rechtfertigt), aber auch einer der wenigen DEFA-Filme, der dokumentarische Aufnahmen (u.a. des Mauerbaus) mit einer immer wieder improvisierten Spielfilmhandlung verbindet. "Ein Film in und mit Berlin" heißt es gleich im Vorspann, die beeindruckend eingefangene Atmosphäre des Sommers 1961 grundiert eine Dreiecksgeschichte zwischen Klaus (Ulrich Thein), der bis zum Mauerbau in Westberlin als Taxifahrer sein Geld verdient, Ulli (Armin Mueller-Stahl), zunächst Fabrikarbeiter, dann Mitglied der grenzschützenden Kampftruppe und der Briefträgerin Eva (Kati Székely), die sich zwischen den beiden Halbbrüdern entscheiden muss. Ein propagandistischer Liebesfilm im Stil des Cinéma vérité.

UNTER DEM PFLASTER IST DER STRAND (Helma Sanders-Brahms, BRD 1975, 21. & 26.1.) Halbdokumentarische und -autobiografische Liebesgeschichte zweier Schauspieler in Berlin, die im Kielwasser der 68er-Bewegung auf der Suche nach dem Sinngehalt ihrer Arbeit und ihrer Leben sind. Grischa (Grischa Huber) engagiert sich zunehmend in der Frauenbewegung, demonstriert gegen den Paragrafen 218, interviewt Arbeiterinnen und formuliert neue Ansprüche. Heinrich (Heinrich Giskes) zieht sich frustriert zurück, fängt an zu trinken. Der Versuch der beiden, eine gleichberechtigte Beziehung aufzubauen, scheitert. Unversöhnlich enden die Diskussionen, die sie über die Ursachen der gesellschaftlichen Verhältnisse führen und über die Positionen, die die beiden darin einnehmen. Ohne Drehbuch und streckenweise frei improvisiert, ist der Film ein sensibles Porträt eines Paars in der Krise.

WARUM LÄUFT HERR R. AMOK? (Michael Fengler, R.W. Fassbinder, BRD 1969, 25. & 29.1.) Die -stilistische Ausnahmeerscheinung in Fassbinders Œuvre basiert auf einer losen „Improvisationsvorlage“. Ausgestattet mit diesem Handlungsgerüst improvisieren die Schauspieler Alltagsszenen aus dem Leben einer Durchschnittsfamilie, bestehend aus Herrn R., einem technischen Zeichner ohne beruflichen Erfolg, und seiner Frau, die Hausfrau ist und sich um den gemeinsamen Sohn kümmert. Mal kommen die Eltern zu Besuch, mal ein Schulfreund, mal die Nachbarin. Aus der Improvisation der Darsteller schält sich schonungslos die trostlose Existenz der Figuren, erwachsen die monströsen Züge einer Lebensform, die auf das im Titel angedeutete Ende zusteuert.

NASHVILLE (Robert Altman, USA 1974, 28. & 31.1.) Fünf Tage in der titelgebenden Hauptstadt von Tennessee. In der Country-und-Westernmusik-Metropole kreuzen sich die Wege von 24 quasi gleichberechtigten Protagonisten, darunter Musiker und Sänger, ein Musikproduzent, eine Journalistin, eine Kellnerin und ein Rechtsanwalt plus einem Lautsprecherwagen, der überlaut Wahlkampfslogans verbreitend durch die Straßen fährt. Altman und sein weitgehend improvisierendes Ensemble zeigen vignettenhaft eine glitzernd-abgründige Scheinwelt: gleichzeitig Fresko des Musikzirkus in Nashville und scharfsichtiges Porträt Amerikas, Komödie, Tragödie und Musical. (mg)

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