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Die 15. Kurzfilmtage Oberhausen im März 1969 standen im Zeichen der Revolten und Protestformen des Vorjahrs, aber auch der Eskalation von Prag, die den Ost-West-Dialog, um den es in Oberhausen seit jeher ging, stark belastete. Während "die Verflochtenheit, Gegensäzlichkeit und Gespaltenheit der heutigen Welt" (Eva Strusková, Radio Prag) viele osteuropäische Rezensent*innen des Festivals pessimistisch oder gar melancholisch stimmte, entdeckte der slowakische Journalist Daniel Tisovecky (Radio Bratislava) in diesem Jahrgang auch "ein auffallendes gemeinsames Gebiet, auf welchem die Kurzfilmer sowohl der sozialistischen als auch der privaten Filmgesellschaften operieren. Es ist dies die Angst vor dem Manipuliertsein durch eine unkontrollierte Macht, die Angst vor rationell nicht begründbaren Umständen der Annahme des Terrors, Angst vor der Absperrung, dem Gefangensein im von anderen bestimmten Raum." Dieser Spur folgt die Filmauswahl für dieses Programm, denn sie führt auch zu der bis heute relevanten Frage nach filmischen Formen, die sich diesen Kontrollregimen widersetzen können.

Ein Film über den dichter werdenden Nebel im deutschen Winterwald (1981): Eine Fahrt durch einen vernebelten Winterwald in der Eiffel wird Dietrich Schubert zum Sinnbild für die ernüchternde Lektüre der eigenen Geheimdienstakte, die ins Jahr 1968 zurückführt. Sein Film Demonstrantenselbstschutz (1968), eine satirische Anleitung zum Umgang mit prügelnden Polizisten, hatte ihm beim Staatsschutz das Etikett "Politfilmer" eingebracht und eine jahrelange Observierung zur Folge. Želimir Žilniks Lipanjska Gibanja (1968) dokumentiert die Studentenproteste in Belgrad. Auch dort wird die Polizeigewalt zum Kristallisationspunkt einer Bewusstwerdung, in diesem Fall der Enfremdung von einer politischen Kaste, die ihre Ideale längst dem bloßen Machterhalt geopfert hat. Die mechanisierte, nurmehr von Formen bevölkerte Welt in Franz Winzentsen Animationsfilm Windstill (1969) verlagert die Kritik an der Gesellschaft auf eine nur auf den ersten Blick abstraktere Ebene. Als Mitbegründer der Hamburger Film-Cooperative gehörte Winzentsen zu den Protagonisten des "anderen Kino", deren künstlerische Experimente Befreiungsschläge waren gegen die "etablierte Filmkultur, die sich mit Hilfe von Selbstkontrolle, Bewertungsstelle und Filmförderungsgesetz am Leben hält" (aus einem Statement der Cooperative). "Nur für übereifrige Linksabweicher in westlichen Ländern, deren Vorstellung von Engagement sich in Agitation und Aktion erschöpft, ist die Parabel vordergründig und beziehungslos. Für Jan Švankmajer ist sie ein Versuch, politische Realität verschlüsselt darzustellen", schrieb Will Wehling, Co-Direktor der Oberhausener Kurzfilmtage, über Byt (1968), eine Realbild-Animation über einen Mann, der in seinen eigenen vier Wänden von der Objektwelt terrorisiert wird. In Will Hindles Billabong (1968) erschließt sich das Eingeschlossensein der männlichen Jugendlichen eher als Ableitung aus ihrer rastlosen Untätigkeit und dem wiederkehrenden Lockruf einer vorbeifahrenden Lokomotive. Harte Lichtkontraste und eine zärtliche, von Verlangen erfasste Kamera setzen diesen Film unter eine eigentümliche Spannung. "Ein wunderschöner Knabe (vermutlich ein Mädchen) möchte in einem großen Zirkus auf der Geige seine Melodie vorspielen." Diesen schönen Satz setzte Günter Pflaum an den Anfang seiner Rezension von Különös Melodia, einen Film, der in diesem Jahrgang wohl wie kein zweiter die Kluft markierte zwischen dem rückhaltlos provozierenden Naturalismus vieler westlicher Filmemacher und den kunstvollen, oft parabelhaften und hier als manieriert kritisierten Arbeiten der osteuropäischen Avantgarde.

Programm:
Ein Film über den dichter werdenden Nebel im deutschen Winterwald
Dietrich Schubert 1981 16 mm 17 min
*Demonstrantenselbstschutz Dietrich Schubert 1968 16 mm 6 min
Lipanjska Gibanja Juni-Unruhen Želimir Žilnik 1968 35 mm OmU 10 min
*Windstill Franz Winzentsen 1969 16 mm ohne Dialog 12 min
Byt Jan Švankmajer 1968 35 mm ohne Dialog 13 min
*Billabong Will Hindle 1968 16 mm ohne Dialog 8 min
Különös Melodia László Lugossy 1969 35 mm ungar. OF 19 min

Zu Gast: Ulrich Gregor

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