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PRINCESS CYD (Stephen Cone, USA 2017, 12.1., in Anwesenheit von Stephen Cone & 28.1.) Warum Stephen Cone bis heute nicht zu den bekanntesten Independent-Filmemachern zählt, gehört zu den großen Rätseln unserer Zeit. Acht Filme drehte er in den vergangenen zehn Jahren, die in ihrer Aufrichtigkeit (gegenüber den Figuren wie auch den Zuschauern), einem fantastischen Gespür für Schauspieler*innen und nicht zuletzt wunderbaren Soundtracks an die Filme von Jonathan Demme erinnern. In seinem neuesten Film PRINCESS CYD besucht die 16-jährige Cyd ihre Tante Miranda in Chicago. Diese ist erfolgreiche Schriftstellerin, Single und lädt jede Woche Freunde ihres akademischen Zirkels ein. Cyd genießt die neue Umgebung und verliebt sich in eine junge Frau, die sie in einem Coffeeshop trifft. Am schönsten jedoch: Miranda und Cyd beginnen sich durchaus liebevoll herauszufordern, indem sie über ihre Vorstellungen von Sex, Erfolg und über das Leben ganz allgemein sprechen.

PERSON TO PERSON (Dustin Guy Defa, USA 2017, 13. & 23.1.) Wie hieß es am Ende der New-York-Hymne "The Naked City" (1948)? "There are eight million stories in the naked city. This has been one of them." Dustin Guy Defa folgt in seinem zweiten Spielfilm seinerseits fünf Menschen durch die Großstadt und erweist sich dabei als meisterhafter Erzähler wunderschöner Vignetten: Eine junge Reporterin (Abbi Jacobson) soll etwa reißerische Informationen zu einem Mordfall beschaffen und landet in einem Uhrengeschäft, das mehr eine soziale als wirtschaftliche Funktion erfüllt. Oder "eine der schönsten erzählt von einem Vinylsammler, dem ein gefälschtes Original vom Bebop-Virtuosen Charlie Parker angedreht wird. Nach einer langen Verfolgungsjagd auf dem Fahrrad hält der Geprellte dem Betrüger eine Lektion über seine Liebe zur Musik. Defa schreibt wunderbar verkorkste Dialoge und hat ein Auge für die Vielfalt menschlicher Ausweichmanöver." (Dominik Kamalzadeh)

VOYAGE OF TIME: LIFE’S JOURNEY (Terrence Malick, USA/D 2016, 13. & 25.1.) Als Terrence Malicks The Tree of Life (2011) ins Kino kam, war das Erstaunen groß, als in der Mitte der Handlung der Film plötzlich einen Schritt zur Seite trat und die Entstehung unserer Erde erzählte. Ausgehend von dieser Sequenz hat Malick nun einen quasi experimentell-essayistischen Dokumentarfilm gedreht. In spektakulären Bildern und begleitet von der Stimme Cate Blanchetts, erzählt VOYAGE OF TIME die Geschichte unseres Universums, vom Urknall bis zum menschlich-urbanen Gewusel (und darüber hinaus). Ein Mammutprojekt, Jahre in Vorbereitung, das nun endlich zum ersten Mal in Deutschland zu sehen sein wird. "Mehr als jeder andere Malick-Film bisher ist VOYAGE OF TIME ein reines cinematographisches Vergnügen, das den Verstand wie die Seele gleichermaßen anspricht." (Olaf Möller)

MARJORIE PRIME (Michael Almereyda, USA 2017, 14. & 20.1.) In der nahen Zukunft erwecken holografische Darstellungen verstorbene Menschen wieder zum (künstlichen) Leben. Sie lassen sich nach Wunsch programmieren. Welches Alter sollen sie haben? An was können sie sich erinnern? Und am wichtigsten: An was möchte man selbst erinnert werden? Auch die 86-jährige, an Alzheimer erkrankte Marjorie besitzt eine solche künstliche Intelligenz, die aussieht wie ihr verstorbener (und jung gebliebener) Ehemann Walter. Als Marjorie stirbt, lässt ihre Tochter Tess sie ihrerseits als Hologramm auferstehen. Michael Almereydas MARJORIE PRIME ist ein ruhiger und nachdenklicher Film, der an Andrej Tarkowskijs "Solaris" (1972) erinnert. Wie in Tarkowskijs Raumschiff werden hier die Menschen mit ihren Erinnerungen konfrontiert. Almereydas Regie, die Schauspieler sowie die Kamera von Sean Price Williams und der Soundtrack von Mica Levi (Under the Skin) machen MARJORIE PRIME zu einem der aufregendsten Science-Fiction-Filme der letzten Jahre.

DID YOU WONDER WHO FIRED THE GUN? (Travis Wilkerson, USA 2017, 23. & 27.1.) 1946 erschoss S.E. Branch, Urgroßvater von Travis Wilkerson, Bill Spann, einen schwarzen Mann. Branch war ein weißer Rassist und lebte wie sein Opfer in einer Stadt in Alabama. Konsequenzen musste er keine befürchten. In seinem neuen Film begibt sich Wilkerson auf einen sprichwörtlichen Horrortrip. Er filmt das Lokal, in dem die Tat geschehen ist, spricht mit seinen Geschwistern und trifft Menschen, die über den Rassismus sprechen, dem sie immer wieder ausgesetzt sind. DID YOU WONDER WHO FIRED THE GUN? ist ein fulminant-wütender Dokumentarfilm, teils Familiengeschichte, teils Oral History über den Rassismus und gegen das Vergessen. "Seit 15 Jahren greift Travis Wilkerson in seinen politischen Filmen unablässig das Handeln des amerikanischen Herrschaftsgefüges an, doch noch nie hat er einen solch persönlichen Film gedreht." (Mark Peranson)

ESCAPES (Michael Almereyda, USA 2016, 16. & 24.1.) Man kennt Hampton Fancher als Autor von "Blade Runner" (1982) und "Blade Runner 2049" (2017). Er war aber auch Schauspieler, Tänzer und 
ein begnadeter Geschichtenerzähler. Michael Almereyda lässt ihn in ESCAPES ausführlich zu Wort kommen und schlägt einen so eklektizistischen wie wilden Bogen durch das Hollywood des 20. Jahrhunderts. Eine Story folgt der nächsten: Mit 15 ging Fancher beispielsweise nach Spanien, studierte dort Flamenco und auf der Rückfahrt lud ihn angeblich Marlon Brando zum Essen ein (Fancher lehnte dankend ab). Als Schauspieler begegnet uns Fancher als Cowboy, Killer, Schlingel und ab und zu sogar als Held. Almereyda zitiert dabei ausgiebig die amerikanische Popkultur, Comics, alte Filme und vergessene Fernsehserien. Besonders schön ist auch, wie "Blade Runner" in Zusammenhang mit Fanchers Leben gebracht wird.

COLUMBUS (Kogonada, USA 2017, 18. & 26.1.) In den vergangenen Jahren sorgte Kogonada für Aufsehen mit seinen Video-Essays über Yasujiro Ozu, Richard Linklater oder den Neorealismus. Nun hat er seinen ersten Spielfilm gedreht, den man zu den schönsten Debüts der letzten Jahre zählen muss. Das beschauliche Columbus im Bundesstaat Indiana ist eine mittelgroße Stadt, die dank ihrer modernistischen Bauten (u.a. von I.M. Pei, Eero Saarinen und Robert Venturi) ein Mekka für Architekturliebhaber ist. COLUMBUS ist ein architektonischer Spielfilm und eine berührende Coming-of-age-Geschichte. Die 19-jährige Casey pflegt ihre Mutter, die sich von ihrer Crack-Sucht erholt. Sie trifft auf Jin, einen südkoreanischen Übersetzer, der seinen todkranken Vater, einen ehemaligen Architekturprofessor, besucht. Gemeinsam gehen sie rauchend durch die Stadt, sie blickt zögerlich in die Zukunft, er versucht sein Leben zu regeln. "Hätte COLUMBUS eine Offenbarung zu vermitteln, so läge diese in den Freuden des Alltags und in der Art und Weise wie sich das Monumentale, das Außergewöhnliche, mit dem Alltäglichen vermengt, bis es fast verschwindet." (Jonathan Romney)

THE FLORIDA PROJECT (Sean Baker, USA 2017, 18.1.) Seit 2000 drehte Sean Baker sechs Spielfilme, darunter die iPhone-Produktion "Tangerine" (2015). Immer wieder kreisen seine Filme um Außenseiter, die nicht zuletzt durch ökonomische Kräfte an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden. In seinem neuesten Film THE FLORIDA PROJECT schlagen sich eine junge Mutter und ihre sechsjährige Tochter im grellen Sonnenlicht Floridas durchs Leben. Unterstützung erhalten sie vom Besitzer eines Motels, der dem alltäglichen Chaos nicht gleichgültig gegenübersteht. "THE FLORIDA PROJECT ist eine Offenbarung: Der Film für sich, und weil er das Versprechen eines ortsspezifischen und in der Realität grundierten amerikanischen Spielfilms erfüllt." (Kent Jones)

GEMINI (Aaron Katz, USA 2017, 19.1., zu Gast: Aaron Katz & 26.1.) Los Angeles, die Stadt des Film noirs: Jill ist die persönliche Assistentin einer aufstrebenden Schauspielerin. Eines Morgens liegt diese brutal ermordet in ihrer Wohnung und Jill wird zur Hauptverdächtigen. Als ihre Lage immer auswegloser wird, greift sie zu drastischen Maßnahmen. Aaron Katz' "Cold Weather" (2010) war eine der schönsten Neu-Interpretationen der Sherlock-Holmes-Erzählung, GEMINI ist eine nicht minder faszinierende Fortsetzung und Weitererzählung des mythischen Genres des LA-Thrillers. Man sieht dem Film in jeder Einstellung seine Liebe zum Genrekino an. Katz hat ein profundes Verständnis für dessen Konventionen, die damit einhergehenden Erwartungen und welche Freuden daraus gezogen werden können. Visuell bestechend gefilmt und mit einem 90er Jahre Soundtrack, erzählt Katz nebenbei auch viel über das heutige Los Angeles, über den Starkult, Paparazzis und Superfans, die keine Grenzen mehr kennen.

TONSLER PARK (Kevin Jerome Everson, USA 2017, 21. & 27.1.) Es ist der 8. November 2016 und Kevin Jerome Everson filmt in Charlottesville, Virginia, in einem Wahllokal, das in einem afroamerikanischen Viertel liegt. In langen Einstellungen und in wunderschönem 16-mm-Schwarzweiß zeigt er Menschen, die zur Wahl gehen, Wahlhelfer, die Auskunft geben, Stimmzettel entgegennehmen und Ausweise kontrollieren. Es geht nicht um einzelne Personen, Interviews finden sich ebenso wenig wie das Hervorheben verschiedener Protagonisten. Kann man Demokratie besser zeigen? Everson gehört zu den produktivsten Filmemachern der USA. In seinen unzähligen Kurz- und Langfilmen konzentriert er sich auf das Leben der afroamerikanischen Bevölkerung und die Gemeinschaften, in denen sie leben. TONSLER PARK ist ein Höhepunkt seines Werks und einer der wichtigsten Filme des Jahres. „What we witness, in short, is a white supremacist’s nightmare – aka American democracy in action.“ (Tony Pipolo) (hb)

Unknown Pleasures #9 wird unterstützt von der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika. Das Programm wurde von Hannes Brühwiler kuratiert. Das komplette Programm findet sich unter unknownpleasures.de

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