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Der mexikanische Filmemacher Carlos Reygadas (*1971) ist seit seinem gefeierten Regiedebüt JAPÓN (2002) ein prominenter Vertreter des wagemutigen internationalen Autorenkinos und bekannt für seine eigensinnige Filmsprache. Seine Werke zeichnen sich durch ihre sog- und rätselhaften Bilderwelten aus, denen eine intellektuelle Beschäftigung mit dem Medium Film und seinen technischen Möglichkeiten wie z.B. dem Bildformat oder der Kameraoptik zugrunde liegt. Er wählt oft schonungslos intime Stoffe, die um essentielle Fragen des Daseins kreisen und zeigt Menschen, die Grenzen überschreiten auf der Suche nach einem Lebenssinn jenseits der modernen Gesellschaft. Reygadas’ spirituelle Erzählhaltung ist inspiriert von seiner Beschäftigung mit dem Werk Andrej Tarkowskijs: Plansequenzen in menschenleerer, oftmals postapokalyptisch wirkender Natur, eine bewegliche Kamera, die die Gedanken ihrer Protagonisten weiterzudenken scheint, und nicht zuletzt der spezifische Einsatz von Musik zeichnen sein Werk aus. Fast immer arbeitet er mit Laiendarsteller*innen, die er, im Bresson’schen Sinne, als Modelle nutzt und sie zu den ungemein körperlichen Trägern seiner Filme formt. Alle seine Filme hatten bei den großen internationalen Festivals in Europa ihre Weltpremiere, wo sie gleichermaßen faszinierten und polarisierten.

Wir freuen uns sehr, Carlos Reygadas zur Vorpremiere seines neuen Films NUESTRO TIEMPO und zur Vorführung von POST TENEBRAS LUX (2012) im Rahmen einer Werkschau zu Gast zu haben. Zusätzlich findet im Arsenal in Kooperation mit der dffb eine Masterclass statt, moderiert von Nicolas Wackerbarth und für alle Interessierten offen.

NUESTRO TIEMPO (Our Time, Mexiko/F/D/DK/S 2018, 21.6., in Anwesenheit von Carlos Reygadas) Das Paar Juan und Ester lebt mit seinen zwei Kindern auf einer Ranch im Norden Mexikos, wo sie Stiere züchten. Juan ist ein angesehener Schriftsteller und führt ein scheinbar glückliches Familienleben, dem die Vereinbarung einer offenen Beziehung mit seiner Frau zugrunde liegt. Indes geraten seine Erwartungen an sich selbst ins Wanken, als Ester bei einer Party sexuelles Interesse an einem gemeinsamen Freund zeigt – wozu er sie ermuntert, um sie gleichzeitig zu kontrollieren und zu manipulieren. Reygadas’ neuester Film ist gleichsam eine Familienaufstellung, in der seine wirkliche Frau und seine Kinder (wie auch in POST TENEBRAS LUX) mitspielen und erstmals auch er selbst. In seinem bislang längsten Film nutzt er „alle Kunstmittel des Films für alle Gefühlswirklichkeiten der Liebe“ (Bert Rebhandl) und verhandelt die graduelle Erosion machistischer Selbstbilder im Westerngewand vor atemberaubenden Landschaften.

POST TENEBRAS LUX (Mexiko/F/NL 2012, 22.6., in Anwesenheit von Carlos Reygadas & 29.6.) Ein reicher Industrieller lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern abgeschieden in einem selbst erbauten Luxusbungalow in der mexikanischen Provinz. Er führt eine angespannte Beziehung mit seiner Frau, die er nicht mehr begehrt. Der Frust darüber entlädt sich in Jähzorn und Aggression. Die Bewohner der Umgebung sind ihm schon aufgrund des Klassenunterschiedes feindlich gesonnen und bald ereignet sich ein folgenschwerer Zwischenfall. Mit eigens konstruierten Weitwinkellinsen und im heutzutage seltenen Normalformat gedreht, zelebriert Reygadas die irreale Gleichzeitigkeit von Gegenwart, Erinnerungen, Fantasien und Parallelwelten.

JAPÓN (Mexiko/NL/D/E 2002, 23. & 27.6.) Reygadas’ Spielfilmdebüt beginnt mit einer Autofahrt durch die Nacht und furiosen Klangwelten: Ein namenloser Mann mittleren Alters verlässt Mexiko-Stadt, um tief in der Natur seinem Leben ein Ende zu setzen. Er findet Unterkunft in der Scheune einer alten indigenen Frau namens Ascen, die auf einer Anhöhe über einer trostlosen Schlucht lebt. Sooft er die Pistole an seine Brust setzt, verlässt ihn der Mut. Gleichzeitig erlebt er mit, wie Ascens gerade aus dem Gefängnis entlassener Neffe ihre Scheune abreißen will, was sie schicksalsergeben hinnimmt. Beeindruckt vom Wesen der Frau, ergreift ihn ein neues, kühnes Verlangen, das ihn ins Leben zurückbringen könnte. Reygadas’ experimentell-verspielter Film zelebriert die Vision eines spirituell aufgeladenen Kinos, das sich wie im Seelenflug durch Natur, Räume und Traumvisionen bewegt.

BATALLA EN EL CIELO (Battle in Heaven, Mexiko/B/F/D/NL 2005, 25. & 28.6.) Der korpulente, schweigsame Marcos arbeitet als Chauffeur für einen General, seine Frau verkauft Wecker und Gebäck in einer U-Bahn-Passage. Um diesem stillstehenden Leben zu entkommen und schnelles Geld zu machen, entführen sie das Kleinkind einer Nachbarin, das aber kurz darauf stirbt. Auf der Flucht vor seinen Gewissensbissen wendet er sich an Ana, die Tochter des Generals, die heimlich als Prostituierte in einem Bordell arbeitet. Er gesteht ihr die Tat und sucht im Sex mit ihr einen Weg zur Erlösung. Mit einer kühnen Narration fragmentiert Reygadas die Kriminalhandlung und seine langen, von Luft, Wänden und Himmel magnetisch angezogenen Kamerafahrten eröffnen einen vom Zuschauer auszufüllenden Gedankenraum. Zentral für den Film sind die langen, expliziten Sexszenen zwischen Marcos und Ana, die schon bei der Uraufführung in Cannes 2005 kontrovers diskutiert wurden.

STELLET LICHT (Mexiko/F/NL/D 2007, 26. & 30.6.) Das titelgebende, leitmotivische „stille Licht“ steht gleich am Anfang dieser gleichnishaften Dreiecksgeschichte. Die erste Szene zeigt den langsamen Anbruch des Tages, das einsetzende Sonnenlicht, welches eine Farbsymphonie von Schwarzgrau bis Goldgelb-Weiß auslöst. Doch in das „stille Licht“ drängt sich eine urwüchsige Tonwelle von Natur- und Tiergeräuschen – atmosphärische Grundstimmung der unglücklichen Liebesgeschichte zwischen Marianne, dem verheirateten Johan und seiner Ehefrau Esther, allesamt Mitglieder einer tiefreligiösen, mennonitischen Gemeinde in Mexiko. Mit Laiendarsteller*innen der deutschstämmigen Glaubensgemeinschaft und auf Plautdietsch gedreht, entwirft Reygadas eine der Zeit enthobene Tragödie um Schuld, Sühne und Erlösung. (gv)

Mit freundlicher Unterstützung des Kulturinstituts von Mexiko in Deutschland.

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