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Studio Gad

"Studio Gad" ist eine kollaborative Arbeit von Nadja Korinth, Katharina von Schroeder, Sara Gubara und den Filmvermittlern des Vereins Entuziazm über das private Filmarchiv des 2008 verstorbenen sudanesischen Filmemachers Gadalla Gubara. Das Projekt ist nach dem gleichnamigen, von ihm im Jahr 1974 gegründeten ersten Filmstudio im Sudan benannt – Studio Gad.

Gadalla Gubara war einer der ersten und am längsten produktiven Filmemacher im damaligen Sudan, heute Nord-Sudan. Seit den 1950ern bis zu seinem Tod 2008 drehte er Spielfilme, Reportagen, Lehr- und Familienfilme. Sie bilden einen Großteil des kinematografischen Erbe des Sudan.

Nach seinem Tod wurden die Filmrollen privat gelagert und drohten zu verfallen. Nadja Korinth und Katharina von Schroeder haben Gadalla Gubara 2007 in Khartum kennengelernt und interviewt. Seit seinem Tod 2008 bemühen sie sich gemeinsam mit seiner Tochter Sara Gubara um den Erhalt des Archivs. Im Rahmen des Projekts "Der filmische Nachlass von Gadalla Gubara" konnte ein Großteil des Archivbestands im Jahr 2013 digitalisiert werden.

Schwerpunkte / Ziele des Projekts "Studio Gad" sind:
Gadalla Gubaras Archiv wieder ans Licht zu bringen und ins Bewusstsein zu holen.
Die Filme in einen zeitgenössischen und lebendigen Zusammenhang zu stellen.
Einen deutsch-sudanesischen Austausch anzuregen, bei dem die Beteiligten gemeinsam recherchieren, Filme restaurieren und sie bei Veranstaltungen in Khartum und Berlin zugänglich machen.
Langfristig möchte das Projekt die hierzulande gänzlich unbekannte Kinogeschichte des Sudan in die kuratorische Auseinandersetzung mit Archiven einbringen und dazu anregen, dem durch jahrzehntelangen Bürgerkrieg verstellten Sudan-Bild andere Ebenen und Erzählungen zurückzugeben.

Nadja Korinth und Katharina von Schroeder haben bereits dokumentarisch zum heutigen Sudan gearbeitet und schon früh an den Bemühungen um die Bewahrung des Gubara-Archivs Anteil genommen. Sie werden in enger Zusammenarbeit mit Sara Gubara aus dem Archiv ein Filmprogramm und eine Ausstellung entwickeln, die in Khartum ihre Premiere haben und im Rahmen der Abschlussveranstaltung von Visionary Archive im Mai 2015 in Berlin zu sehen sein werden. Der Berliner Verein für Filmvermittlung Entuziazm wird parallel dazu mit einer Gruppe junger sudanesischer Filmemacher der Sudanese Film Factory in Gesprächen und Filmen zeitgenössische Positionen zu Gubaras Filmen erarbeiten.

LES MISÉRABLES (Sudan 2007)

Der letzte Film Gubaras ist LES MISÉRABLES, den er im Alter von 87 Jahren, und seit einigen Jahren erblindet, mit Hilfe seiner Tochter, der Regisseurin und Animationsspezialistin Sara Gubara, gedreht hat. Es ist der bislang letzte 35-mm-Film aus dem Sudan.

LES MISÉRABLES ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Victor Hugo. Die Anpassungen an die sudanesische Gegenwart betreffen nicht nur narrative Wendungen, sondern beziehen sich explizit auf Gubaras politische Erfahrungen. So wurde die Gefängnis-Szene in jenem Gefängnis gedreht, in dem Gubara wenige Jahre zuvor inhaftiert worden war, nachdem er sich geweigert hatte, sein Studio der Regierung zu überlassen. Und der Höhepunkt der Romanvorlage, die Revolution, wurde schon im Vorfeld gestrichen, um der Zensur zu entgehen.

Das Projekt möchte den Kontext der Produktion und Fertigstellung von Gubaras LES MISÉRABLES genau recherchieren.

KHARTOUM 1960, 2014

Für die Auseinandersetzung mit dem filmischen Werk von Gadalla Gubara ist auch der Dokumentarfilm KHARTOUM (Sudan 1960) von zentraler Bedeutung. Angelehnt an das Genre der Stadtsinfonie kontrastiert der Film Aufnahmen von folkloristischen Tänzen und historischen Gebäuden mit dem "swinging" Khartum der 1960er Jahre, in dem Frauen Miniröcke trugen, Männer und Frauen in Nachtclubs zu Jazzmusik tanzten und amerikanische Autos über neugebaute Boulavards fuhren. Der Soundtrack stammt von Hassan Attia, der in seinen Stücken folkloristische mit modernen bzw. Jazz-Elementen mischt.

Khartum heute ist eine Stadt mit islamischen Kleidungs- und Verhaltensvorschriften. Ein Teil des Studio-Gad-Projekts ist es, einen Workshop abzuhalten, in dessen Mittelpunkt dieser Film stehen soll. Junge sudanesische Filmemacher, die Gubaras Arbeit zum großen Teil noch nie gesehen haben, können in diesem Rahmen Filmantworten auf Gubaras KHARTOUM 1960 formulieren.

Die Gegenüberstellung des Films von 1960 und der Antwortfilme von heute soll einen Raum erschließen, in dem Fragen erlebter Wirklichkeit gegenüber repräsentativen Bedürfnissen artikuliert werden können, in dem das Zusammenspiel tradierter Werte mit den Folgen der Globalisierung lokal überdacht werden kann.

Der Workshop findet in Zusammenarbeit mit Stefan Pethke (ENTUZIAZM. Freunde der Vermittlung von Film und Text e.V.) und mit Unterstützung der "Sudan Film Factory" statt, einer Einrichtung des Goethe-Instituts in Khartum, die sich der technischen Unterstützung von Filmprojekten lokaler Filmemacher verschrieben hat.

Biografien

Sara Gadalla Gubara lebt und arbeitet in Khartum. Sie ist Regisseurin von Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilmen. Sie hält mehrere internationale Rekorde im Langstreckenschwimmen und arbeitet als Schwimmlehrerin und Rettungsschwimmerin. Zusätzlich berät sie NGOs in Geschlechter und Gleichstellungsfragen. Sara Gubara ist Absolventin der Academy of Arts in Kairo. Ihre Filme wurden auf Festivals in Südafrika, Zansibar und Uganda präsentiert.

Nadja Korinth war als Journalistin und Produzentin für die BBC News in London und Berlin tätig. Seit 2006 arbeitet sie als freie Autorin für Arte, Al Jazeera und BBC. Sie hat Reportagen und Dokumentationen zu kultur- und entwicklungspolitischen Themen u. a. in Afghanistan, Ruanda, im Sudan und dem Kaukasus produziert.

Katharina von Schroeder studierte Filmmontage an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam Babelsberg. Sie arbeitet als Cutterin für zahlreiche Fernsehsender, u.a. BBC, Al Jazeera, ARD, ZDF, 3Sat und Arte. Darüberhinaus realisiert sie eigene Dokumentarfilme. Für ihren Abschlussfilm MY GLOBE IS BROKEN IN RWANDA gewann sie 2010 den Max Ophüls Preis (Dokumentarfilm). 2014 realisierte sie als Regisseurin den abendfüllenden Dokumentarfilm WE WERE REBELS (92 min) im Südsudan.

Stefan Pethke ist Absolvent der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB). Er lebt und arbeitet von Berlin aus als Filmemacher, Autor und Filmvermittler (u.a. Berlinale Talentcampus, UNERHÖRT! Musikfilmfestival Hamburg, Doha Film Insittute, in Form mehrerer Lehraufträge an diversen deutschen Universitäten) sowie als Untertitler und Übersetzer. Im Jahr 2007 gründete er gemeinsam mit Michael Baute, Volker Pantenburg und Stefanie Schlüter den Verein ENTUZIAZM. Freunde der Vermittlung von Film und Text e.V. in Berlin. Als Teilnehmer am Projekt "Living Archive – Archivarbeit als künstlerische und kuratorische Praxis der Gegenwart" entwickelte Entuziazm das Dokumentationsprojekt "1978 – Ein Jahr wie jedes andere".