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Ein traumhaftes Spiel mit verborgenen Wünschen und Begierden sowie ein Ausflug in menschliche Abgründe ist der verstörende Thriller BLUE VELVET (USA 1986). Ein in seine Heimatstadt zurückkehrender Student wird durch den Fund eines abgeschnittenen Ohres und die eigene, immer zwanghafter werdende Neugier in einen Abgrund von Gewalt und Perversion hineingezogen. Die Nachtklubsängerin Dorothy (Isabella Rossellini), die dem kriminellen Psychopathen Frank hörig ist, konfrontiert ihn mit den dunklen Seiten einer mysteriös-bizarren Welt des Verbrechens und der Verführung. (8. & 12. 12.) Wahn und Wirklichkeit vereint auf unergründbare Weise auch LOST HIGHWAY (F/USA 1997). Es geht um den Jazzmusiker Fred, der seine Ehefrau umbringt, weil sie ihn betrügt. In der Todeszelle verwandelt er sich in den sympathischen Pete, der sich wieder in die Frau aus seinem Leben als Fred verliebt – diesmal als Projektionsfigur der perfekten Blondine –, um nochmals erleben zu müssen, wie seine Wunschvorstellung zu einem Albtraum wird. (13. & 17. 12.) Ein hypnotisch-albtraumhaftes Traum- und Vexierspiel, das sich der linearen Nacherzählung verweigert, eine klassische lynchsche Verwirrung mit immer wieder neuen Erzählsträngen und Identitätswechseln ist auch MULLHOLLAND DRIVE (F/USA 2001). Bei einem Autounfall auf einer Landstraße nahe Hollywood verliert eine Frau ihr Gedächtnis. Gemeinsam mit einer anderen Frau macht sie sich auf die Suche nach der verlorenen Vergangenheit. Ein Regisseur wird erst durch zwei Mafiosi bedroht, dann von einem mysteriösen Cowboy, hinter Abfalleimern lauern böse Geister, und Zufallsbekanntschaften werden als Miniaturfiguren wieder zum Leben erweckt. (15. & 19.12.) Luis Buñuels surrealistischen Welten des Unterbewussten widmen wir fünf weitere Programme. ENSAYO DE UN CRIMEN (Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz, Mexiko 1955) erzählt die Geschichte eines kaum erwachsenen Neurotikers, der in seinen Traumfantasien jungen Frauen grausig schöne Morde zuteilt. (22. & 23.12.) EL ÁNGEL EXTERMINADOR (Der Würgeengel, 1962) ist ein Film voller Allegorien und Verschlüsselungen. In einer Villa feiert eine Gesellschaft reicher Bürger eine Party; wie von geheimnisvollen Kräften gebannt, vermögen sie mehrere Tage lang den Umkreis der vornehmen Salons nicht mehr zu verlassen. Als Vorfilm zeigen wir VILLA WATCH von Natascha Sadr Haghighian und Judith Hopf (D/USA 2005). (25.12.) In LE CHARME DISCRET DE LA BOURGEOISIE (Der diskrete Charme der Bourgeoisie, 1972) schildert Buñuel den Lebensstil des gehobenen Pariser Bürgertums, wobei sich ein Bischof als Gärtner verdingt, in einer Gesellschaft plötzlich ein Toter liegt, ein Botschafter aus dem Fenster mit dem Gewehr auf lästige Passanten zielt. Unmittelbar schlagen realistische Szenen ins Fantastische und Visionäre um; durch ein verschobenes Detail wird Alltag plötzlich zum Traum. (26.12.) In der Komödie LA ILUSIÓN VIAJA EN TRANVÍA (Die Illusion fährt mit der Straßenbahn, Mexiko 1953) geraten zwei Straßenbahner in einen Rausch: Enttäuscht darüber, dass "ihre" Bahn aus dem Verkehr gezogen werden soll, entscheiden sie sich nach einigen Mengen Bier für eine nächtliche Abschiedsfahrt. (27. & 29.12.) Erotische Fantasien, Wunschträume und Realität werden in BELLE DE JOUR (Schöne des Tages, F/I 1967) als gleichwertig akzeptiert und sind teilweise ununterscheidbar. Die schöne Séverine (Catherine Deneuve) lebt mit ihrem Mann in einer Pariser Luxuswohnung. Äußerlich scheint die Ehe harmonisch zu verlaufen, aber glücklich sind die beiden nicht. So erschafft sie sich unter dem Namen "Belle de Jour" eine Doppelexistenz, indem sie sich als Edelprostituierte verdingt. (28. & 30.12.) Mit ihrem Film DIE URSZENE (1981), der nicht nur wegen seines Titels der gesamten 50-teiligen Reihe als Matrix dienen könnte und der auch in der Ausstellung zu sehen ist, lieferte Christine Noll Brinckmann einen filmischen Beitrag zur psychoanalytischen Filmtheorie. Es ist ein Film über die Schaulust und die Beschaffenheit des Films (und einiger Frankfurter Schlafzimmer): Die Urszene ist eine Projektion, in der die Tiefe zur Fläche wird, Linearität dem Fragmentarischen unterliegt und es dennoch eine klare Ausrichtung des Begehrens gibt, hin zum Geheimnis, zur "öffentlichen Intimität des Kinos" (Heide Schlüpmann). EMPATHIE UND PANISCHE ANGST (BRD 1989) erlaubt einen Einblick in die Arbeit einer Psychoanalytikerin. "Was in diesem Film auf wundersame Weise zusammenfließt: eine empathische Frau (die Therapeutin) erzählt unter der Regie einer empathischen Frau (der Regisseurin) einem empathischen Kameramann Erlebnisse mit Menschen in panischer Angst." (D. Boarding) DRESS REHEARSAL/KAROLA 2 (USA/BRD 1981) untersucht die filmische Inszenierung des Selbst. "In beiden geht es um Kleidung und Selbstdarstellung, kreativen Narzissmus und seine emotionale und formale Verarbeitung im Film." (Brinckmann) Im Kontext ihrer eigenen Werke stellt Brinckmann zwei Filme der amerikanischen Avantgarde vor, die eine direkte Traumdeutung darstellen: Der Text von GENTLY DOWN THE STREAM (Su Friedrichs, 1981) ist eine Folge von 14 Träumen, entnommen dem Tagebuch der Filmemacherin. Das Biografische wurde durch Handbearbeitung ins Filmmaterial eingeschrieben. So entsteht eine filmische Textur: Gewoben wird der Stoff, aus dem die Träume sind. Symbolisches und Psychoanalytisches verschmilzt zu einer surrealen Welt. Bruce Conner rekonstruiert seine Kindheit als Tagtraum, als verschwommene Erinnerung irgendwo zwischen Wachsein und Schlaf. VALSE TRISTE (1977) ist, wie schon "Take the 5:10 to Dreamland", in leichtes Sepia getaucht und enthüllt seine assoziativen Bilder im Takt zu der Musik des "I love a Mystery"-Radioprogramms aus den 40er Jahren. Conner montiert Bilder aus Industrie- und Bildungsfilmen, um ein Abbild seiner Jugendzeit in Kansas aus den 40ern zu kreieren. (10.12.) Ken Jacobs ist einer der bedeutendsten Vertreter des Avantgarde-Kinos. Seine Arbeit umfasst eine Vielzahl von Ausdrucksformen bis hin zu "The Nervous System Film Performances" und zuletzt den "Nervous Magic Lantern"-Arbeiten. Jacobs ist fasziniert davon, das Medium Film stets neu zu erfinden und es dabei an dessen Grenzen und die der Wahrnehmung des Zuschauers zu führen. In Zusammenarbeit mit seiner Frau Flo bewegte und bewegt er sich zwischen einer ausgiebigen Analyse vorgefundener Bilder sowie hypnotischen Geisteszuständen. "Kino im Kopf" ist für sein filmisches Werk die treffendste Bezeichnung: Seine Experimente mit Dreidimensionalität, Flickereffekten und selbst gebauten Projektoren, die die Projektion zu einem hypnotischen Rausch werden lassen, sind ebenso Teil der Psychologie und Physiologie eines Kinos wie der Umgang mit gefundenem Material, das er wie Traumanalysen seziert. So in THE DOCTOR'S DREAM (1978): Jacobs zerlegte den Film THE DOCTOR in Fragmente. Ausgehend vom Zentrum des Films ordnete er anschließend die Sequenzen in beide Richtungen nach außen hin an und erzeugte damit neue, bzw. zuvor verborgene Bedeutungsebenen. Das Ergebnis ermöglicht Assoziationen wie einen sexuell konnotierten Unterton, der im Original verborgen ist. THE DOCTOR'S DREAM eröffnet ein Programm mit weiteren Kurzfilmen von Ken Jacobs: THE GEORGETOWN LOOP (1995), OPENING THE NINETEENTH CENTURY: 1896 (1890/1990), WINDOW (1964) und LITTLE STABS AT HAPPINESS (1959–63). (20.12.) Die Filmwissenschaftlerin Maria Morata hält einen einführenden Vortrag. Auch TOM, TOM, THE PIPER'S SON (1969/79) wird sie einführen: Der Film ist eine sinnliche Annäherung an die analytische Dimension des Experimentalfilms. Jacobs schließt ein kurzes Fundstück, einen frühen Biograph-Film des Kameramannes von Griffith, als ganzes in seinen langen Film mit ein. "TOM, TOM, THE PIPER'S SON war ein Abenteuer, weil ich weitere Wahrnehmungsschwellen in der zugrunde liegenden kurzen Komödie von 1905 entdeckte. Nicht nur gab es darin eine "freudianische" Szene mit einem Schwein. Das Filmmaterial unterlag auch dem Verfall, mit Kratzern oder der sich ablösenden Emulsion als Beweis der Zeit." (Ken Jacobs) (21.12.) Sein jüngstes – und zugleich frühestes – Epos STAR SPANGLED TO DEATH begann er bereits 1957, seither erweiterte es stetig. 2003 reicherte Jacobs den Film mit Bild-Text-Kommentaren zur politischen Gegenwart der USA an und vollendete das Werk. Es ist nicht nur eine umfassende Analyse des Kinos und der Weltgeschichte, sondern gleichzeitig eine assoziative, in Bildern erlebte Biografie des Künstlers. Zudem erscheint in diesen 440 Minuten Kino Jack Smith in der Rolle des "Spirit not of Life but of Living". (23.12.) Das Filmmuseum selbst zeigt eine Rarität aus den Beständen der Deutschen Kinemathek: LE MYSTERE DES ROCHES DE KADOR (Ewige Zeugen, F 1912) von Léonce Perret. Der Film erzählt die Geschichte von Suzanne, die nach einem traumatischen Erleben in Katatonie versinkt und durch eine Filmvorführung, die dieses Erlebnis auf die Leinwand bringt, geheilt wird. Darüber hinaus gibt es drei frühe Filme zum Thema Traum zu sehen: DER TRAUM DES FISCHERS (F 1911) und DES KINDES TRAUM (F 1907). LA MOMIE (Der Roman einer Mumie, F 1910) nutzt die Traumsequenz, um den Zuschauer ins exotische Ägypten zu entführen. (17.12., mit Einführung von Jesko Jockenhövel) DEAD TIME (2005) des kanadischen Filmemachers Steve Sanguedolce ist der Versuch einer filmischen Darstellung des Lebens m Drogenrausch. Für diesen Tagebuch-Film über die Geschwister Wendy und Julie und deren Versuche, ihrer Geschichte zu entkommen, hat Sanguedolce den Bildern alle falsche Normalität ausgetrieben. Jedes Bild ist handbearbeitet und verfremdet. Dazu hören wir Geschichten aus einer Welt der lebenden Drogentoten, die versuchen, den Kontakt zur wirklichen Welt nicht ganz zu verlieren und die Geheimnisse ihrer Kindheit doch noch zu verarbeiten. (27. & 29.12.) Zwischen den Jahren versetzen wir das Publikum in einen Rausch: Wir präsentieren schwindelerregende Flickerfilme (PIECE MANDALA/END WAR, 1966, und T, O, U, C, H, I, N, G, 1968 von Paul Sharits), leuchtende und fliegende Traumsequenzen (PPII, 1986 von M. M. Serra), hypnotische Kinofantasien (CHUMLUM, 1964, von Ron Rice, mit Jack Smith, Beverly Grant, Mario Montez und Gerard Malanga), vernebelte Blicke auf den Ozean (SAILBOAT, 1968 von Joyce Wieland), visuelle Drogenexzesse (LOOKING FOR MUSHROOMS, 1961–95 von Bruce Conner), gezüchtete Kristalle (KOSMOS, 2004 von Thorsten Fleisch) und erotische Feuerwerke (STERNENSCHAUER – SCATTERING STARS, 1994, von Matthias Müller). (28. & 30.12.) Das Thema ist unerschöpflich: Die Reihe wird wie die Ausstellung im nächsten Jahr bis zum 7.1. fortgesetzt. Happy New Year! Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes.

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