Direkt zum Seiteninhalt springen
Die psychoanalytische Filmtheorie hat eine lange und umfangreiche Geschichte, nicht zuletzt natürlich, weil das Kino voll ist von Fallbeispielen (und Antworten darauf), sei das die unzählige Male wiederholte Nacherzählung des Ödipusmythos, die Inszenierung des voyeuristischen Blicks, der große Fundus an Traumsymbolen, oder die feministische Gegenstimme, die zahlreiche Filme hervorbrachte; oder sei es schlicht die Idee der Leinwand als Projektionsfläche. Wir zeigen viele Beispiele dieser Kinogeschichte, darunter Ausschnitte von Œuvres, die besonders im Lichte der Psychoanalyse Rezeptionsgeschichte erfahren haben: Filme von Alfred Hitchcock, David Lynch, Woody Allen, Luis Buñuel, aber auch das eines Experimentalfilmers: Ken Jacobs hat sowohl die Wahrnehmung immer zum Gegenstand seiner Arbeit gemacht, sei das durch 3D-Effekte oder Filmperformances mit eigens gebauten Projektoren, die Rauschzustände herstellen, oder durch Anwendung neuer Schnittfolgen die 1:1-Übersetzung einer Traumanalyse in eine Found Footage-Arbeit. Auch andere Künstler und Filmemacher haben mit ihrer Arbeit filmische Kommentare zur Psychoanalyse abgegeben, so Christoph Girardet und Matthias Müller mit ihren PHOENIX TAPES (einer Analyse der Filme von Hitchcock, im Novemberprogramm) oder Christine Noll Brinckmann mit ihrem Film DIE URSZENE (Dezember). Im Verlauf des Programms werden Filmwissenschaftler zu bestimmten Aspekten der Psychoanalyse und des Kinos sprechen, so Hermann Kappelhoff (FU Berlin), der über „Das Lächeln der Mona Lisa“, und Sabine Nessel (J.W.-Goethe-Institut, Frankfurt), die über feministische Filmtheorie und Psychoanalyse spricht. Karyn Sandlos (Toronto) spricht über psychoanalytische Hintergründe des Kuratierens von Filmen und Videos in Kurzfilmprogrammen, die einen ganz eigenen Raum für den Zuschauer schaffen. Dem haben wir in einigen Kurzfilmprogrammen versucht, Ausdruck zu verleihen, Programmen, die Reisen in die Tiefe und die Weite ermöglichen, Reisen, die Assoziationen und Erinnerungen wecken, in denen der Projektion des Films jene der Filmemacher und der der Kuratorin vorausgehen und zu deren Komplettierung die des Zuschauers hinzukommt. Das Ganze wird im Januar beendet mit einer Performance der Berliner Autorin Monika Rinck mit dem Titel „Diese Peepshow ist Dein Sarg“.
Im September bieten wir zunächst einen Einstieg durch Filme, die das Thema auf eine kinematografische Art und Weise explizit machen. Wir beginnen mit EMPATHY (Amie Siegel, USA 2004), der sich nicht nur explizit mit Psychoanalyse befasst, sondern auch mit ihren Protagonisten: mit Analytikern (echten) und Patientinnen (Schauspielerinnen, deren Casting schon Teil des Films ist). EMPATHY ist eine Art Meta-Film, selbst vielschichtig strukturiert und mit feststehenden Identitäten des Kinos (Genres) experimentierend: spielerisch entsteht dabei ein filmästhetischer Reichtum, der, die Prämissen stets verändernd, den Film zu einem unvergesslichen Kinoerlebnis macht. Doch es gibt Grenzen der Intimität – zwischen der Regisseurin und dem Publikum, dem Analytiker und der Patientin, der Interviewerin und den Interviewten – inszenierte Machtverhältnisse, die vor allem eine Frage aufwerfen: „Wie kann es jemals Empathie geben, solange es Autorität gibt?“ (Amie Siegel). Mit anschließender Diskussion. (20.9.)
Um Machtverhältnisse geht es auch in PERSONA (1966), Ingmar Bergmans stilistisch radikalstem Formexperiment. Es enthält eine berühmte Großaufnahme, in der die jeweiligen Gesichtshälften der beiden weiblichen Hauptpersonen nahtlos miteinander verschmolzen scheinen. Dieses Bild wird zu einer verdichteten Metapher des Films, der in Form wie Thematik die künstlerische und psychologische Identität in Frage stellt: Eine Krankenschwester übernimmt die Pflege einer in Isolation und Schweigen versunkenen Schauspielerin. Die Frauen geraten zunehmend in eine symbiotische Abhängigkeit. Sie werden zu spiegelbildlichen Varianten eines Bewusstseins, das an existentieller Sinnlosigkeit verzweifelt. Bergman selbst bezeichnete PERSONA als eine „Komposition verschiedener Stimmen im Concerto grosso derselben Seele, in der sich die Einsamkeit des auf sich selbst zurückgeworfenen Menschen mittels einer Vielfalt metaphysischer und psychologischer Reflexionen innerhalb einer asketischen formalen Struktur mitteilt. Die metaphysische Krise der beiden Protagonistinnen wird in eine Selbstreflexion des Kinos übersetzt.“ (20.9.)
Der Film von Alfred Hitchcock, in dem die Psychoanalyse explizit zum Gegenstand des Films wird, ist SPELLBOUND (USA 1945). Ingrid Bergman spielt die Psychoanalytikerin Constance. Der Leiter der Anstalt wurde pensioniert. Constance verliebt sich in ihren neuen Chef, doch wird bald deutlich, dass er an einem Trauma leidet. Um den Geliebten davon zu befreien, bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich mit ihm auf eine gefährliche Skiabfahrt einzulassen. Das wohl bemerkenswerteste an diesem Film ist eine Traumsequenz, die Hitchcock anders gestalten wollte als die üblichen nebelhaften Kinoträume und deshalb Salvador Dali anvertraute. (21.9.)
Bemerkenswert für seine Traumsequenzen ist auch G.W. Pabsts GEHEIMNISSE EINER SEELE (1926). Samuel Goldwyn, Produzent in Hollywood, versuchte 1925 Freud für 100.000 Dollar zur Mitarbeit an einem Liebesfilm über Antonius und Kleopatra zu gewinnen – ohne Erfolg. Im selben Jahr ersuchte der Produzent Hans Neumann die Berliner Psychoanalytiker Hanns Sachs und Karl Abraham, als Berater für einen „psychoanalytischen Film“ mitzuwirken. So populär schien die Psychoanalyse zu diesem Zeitpunkt, dass selbst die deutsche Filmindustrie in ihr ein zugkräftiges Thema für ein Massenpublikum erblickte. Abraham und Sachs nahmen trotz Freuds heftigster Proteste das Angebot an und überarbeiteten das Drehbuch zum Film Geheimnisse einer Seele. Ein psychoanalytisches Kammerspiel. Der Ufa-Film rekonstruierte einen von Freud berichteten Fall seelischer Störung und ihre Heilung durch die Analyse. Sachs erstellte eine Begleitbroschüre , die das Publikum über die Grundlinien der psychoanalytischen Therapie aufklären sollte. (www.freud-museum.at.) (22.9.)
Mit dem letzten Beitrag im September ermöglichen wir ein erstes unmittelbares Eintauchen in die surrealen Traumwelten selbst: Dreams that money can buy (USA 1947) ist eine Anthologie disparater Episoden, die Hans Richter nach Entwürfen und unter Mitarbeit seiner alten Freunde aus der Avantgarde drehte: Duchamp lässt einen Akt die Treppe hinabsteigen, nur bekleidet mit Roto-Reliefs; Max Ernst verfilmt seine Collagen über das Triebleben junger Mädchen; Man Ray verspottet Kinozuschauer, die sich mit Filmhelden identifizieren; Alexander Calder steuert seine abstrakten Mobiles und Zirkusdrahtpuppen bei und Fernand Léger eine Satire auf Erotik zwischen Schaufensterpuppen. Richters eigene Episode handelt von einem Menschen mit blauer Haut, der schlicht anders ist. Surrealistische Phantasien stehen neben abstrakten Konstruktionen, die Musik von John Cage neben der von Edgar Varèse. (24.9.)
Kino im Kopf. Psychologie und Film seit Sigmund Freud. Ausstellung vom 14.9.06–7.1.07. www.filmmuseum-berlin.de. Filmprogramm im Arsenal vom 20.9.06–7.1.07. Noch bis zum 22.9. zeigt das Jüdische Museum eine Freud-Ausstellung zum 15o. Geburtstag. Veranstaltungen der Psychoanalytischen Fachgesellschaften: www.dpg-psa.de/150freud/. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes.

Gefördert durch:

  • Logo des BKM (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)
  • Logo des Programms NeuStart Kultur