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Zunächst zeigen wir noch einige Beispiele aus der Vor-Nazi-Zeit, so Fritz Langs meisterliches und unheimliches TESTAMENT DES DR. MABUSE (1933), einen Film, der den Unwillen von Goebbels erregte und Lang, seinem eigenen Zeugnis zufolge, bewog, Deutschland zu verlassen. Es folgt KUHLE WAMPE (1932), ein Meilenstein der deutschen Filmgeschichte (Drehbuch Bert Brecht, Musik Hanns Eisler, mit Ernst Busch), nach Kracauer der einzige kommunistische Film der Weimarer Republik. Der Film kulminiert in einer wunderbaren Diskussionsszene in der Berliner S-Bahn ("Ja, wer wird denn nun die Welt verändern?" – "Die, denen sie nicht gefällt!" antwortet eine junge Frau). Max Ophüls entwirft in seinem stilistisch vollendeten Film LIEBELEI (1932/33) anhand einer Novelle von Schnitzler ein Bild der österreichischen k.u.k.-Monarchie, das auf unvergleichliche Weise Melancholie und Tragik vermischt. VIKTOR UND VIKTORIA (1933) von Reinhold Schünzel ist eine witzige und filmisch einfallsreiche Komödie und zugleich ein Musical um Verhaltensnormen und Geschlechterrollenklischees; und Carl Valentins Kurzfilm-Komödien aus den 30er Jahren sind Grotesken, die Absurditäten und Paradoxien des Alltags auf die Spitze treiben und daraus einen abgründigen Humor und Sprachwitz entwickeln. Diese Filme sind kleine Inkunabeln, sie gehören zum Besten, was der deutsche Film in dieser Zeit hervorgebracht hat. Nach 1933 breitete sich im deutschen Film das Unterhaltungskino der UFA-Perfektion aus, ein Kino, das den Massen der Zuschauer in und außerhalb Deutschlands eine heile Welt vorgaukeln sollte. Da diese Filme aber sehr viel Lob erfuhren (und bis heute noch erfahren) und den Kino-Alltag in Deutschland bestimmten, sollte man eine Reihe von ihnen doch gesehen haben. Zu diesen Filmen gehören beispielsweise MASKERADE (Willy Forst, 1934 – eine Liebesgeschichte im Alt-Wiener Gesellschaftsmilieu), aber auch die Melodramen, die der Regisseur Detlef Sierck bei der UFA drehte, ehe er 1937 Deutschland verließ, nach Hollywood ging und dort in den 50er Jahren als Douglas Sirk zum Meister des "Melos" avancierte. Fassbinder bewunderte die amerikanischen Douglas-Sirk-Filme. Wir zeigen einen frühen Film von Sierck, SCHLUSSAKKORD (1936), ein "schauspielerisch kultiviertes Melodram" um einen Generalmusikdirektor (Willy Birgel) und eine Erzieherin (Lil Dagover). Leni-Riefenstahl-Filme gehören natürlich auch zu dieser Epoche. Wir zeigen OLYMPIA (1936/38). Die beiden Olympia-Filme sind filmisch raffiniert, mit großem Aufwand gemacht, sie setzen alle Mittel der Kinematografie ein und transportieren damit gleichwohl eine heroische Verehrung der Sportler als Heldenfiguren, die direkt in die Verehrung der obersten Heldenfigur des Führers mündet, was die Filme auch ganz unverhohlen demonstrieren. Sie sind aber bis heute ein interessantes Studienobjekt geblieben. Später, in den 40er Jahren, entstanden einige Filme in den UFA-Ateliers, die sich von Propaganda freihielten und an Vorlagen der Literatur arbeiteten, so die Filme von Gustaf Gründgens (DER SCHRITT VOM WEGE, 1939, nach Fontanes "Effi Briest") und Helmut Käutner (ROMANZE IN MOLL, 1942/43, nach Maupassant); während DIE FRAU MEINER TRÄUME (Georg Jacoby, 1944, mit Marika Rökk) wieder den Triumph des dekorativen UFA-Stils darstellte. Dieser Film hatte eine außerordentliche Karriere, er wurde nach 1945 von den Sowjets als "Beute-Film" auf dem Territorium der UdSSR mit russischer Overvoice gezeigt, er lief sogar im sowjetischen Gulag. Helmut Käutners Film UNTER DEN BRÜCKEN (1945), sonst ein "Muss" in der Filmgeschichtsreihe, zeigen wir diesmal nicht, da er erst kürzlich in der Hildegard-Knef-Retro im Arsenal zu sehen war. Dafür präsentieren wir KOLBERG von Veit Harlan, einen der schlimmsten Propagandafilme des NS Regimes, der noch gegen Ende des Krieges den Durchhaltewillen der Bevölkerung anstacheln sollte. Mit gewaltigem Aufwand wurde hier ein Aufstand der Volksmassen gegen den napoleonischen Feind 1806/07 inszeniert, der durch wundersame Fügung plötzlich den Frieden von Tilsit herbeibringt. KOLBERG ist ein "monumentales Dokument der Geschichtsverfälschung" (film-dienst). Zum Abschluss dieses Kapitels zeigen wir den Film DEUTSCHLAND, ERWACHE! (1967/68) von Erwin Leiser, der die Filme des NS-Regimes, die politischen ebenso wie die scheinbar unpolitischen, analysiert und kritisch demontiert. Ein zweites Kapitel in diesem Monat ist dem französischen Tonfilm der Zeit bis 1945 gewidmet. In dieser Zeit war in Frankreich zunächst die filmische Avantgarde noch sehr lebendig. Die dominierende Strömung war der Surrealismus. Diesem Stil steht Cocteaus LE SANG D'UN POETE (Das Blut eines Dichters, 1930) nahe, obwohl Cocteau von einigen Vertretern der surrealistischen Schule wegen angeblichem "Ästhetizismus" scharf verurteilt wurde; aber dieser Film trägt die unverwechselbare Handschrift Cocteaus und ist ein Schlüssel für sein späteres Schaffen; er fasziniert auch wegen der originellen Verwendung des Tons. Luis Buñuels UN CHIEN ANDALOU und L'AGE D'OR (Der andalusische Hund, 1928, und Das Goldene Zeitalter, 1930) sind dagegen Manifest-Filme der surrealistischen Bewegung, sie zeigen eine traumhaft durcheinandergeratene Wirklichkeit, arbeiten mit Schockbildern und filmischen Assoziationen (berühmt: das durchschnittene Auge und der Flügel mit Eselskadavern); sie vermitteln gleichzeitig eine subversive Kritik an den Werten und Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft. L'AGE D'OR war deshalb lange Zeit von allen Leinwänden verbannt. In den Umkreis der Avantgarde gehören auch Carl Theodor Dreyers in Frankreich entstandener traumhaft-unheimlicher VAMPYR (1932) sowie die Filme Jean Vigos: ZERO DE CONDUITE, 1933, von dem sich Truffaut für LES QUATRES CENTS COUPS inspirierte, und der immer wieder zitierte L'ATALANTE, 1934, ein poetischer Filmroman aus dem Milieu der Flussschiffer. Die drei großen französischen Regisseure der 30er Jahre waren René Clair, Marcel Carné und Jean Renoir. Clair brillierte mit rasant geschnittenen Komödien (LE MILLION, 1932) und poetischen Studien aus dem Paris der "kleinen Leute" (SOUS LES TOITS DE PARIS, Unter den Dächern von Paris, 1930), in denen auch Musik und Gesang eine zentrale Rolle spielen. Bemerkenswert sind diese Filme wegen ihrer poetisch-realistischen Dekors (Lazare Meerson) und der originellen Typenzeichnung sowie ihrer neuartigen Bild-Ton-Montagen (wie man überhaupt Anfang der 30er Jahre in der Kinematografie verschiedener Länder einen schöpferischen Umgang mit dem neuen Medium des Tons konstatieren kann). Marcel Carné entwickelte in Zusammenarbeit mit dem Dichter und Szenaristen Jacques Prévert einen düsteren Stil des "Poetischen Realismus", der oft hoffnungslose Situationen sarkastisch und stimmungsvoll ausmalte, so in QUAI DES BRUMES und LE JOUR SE LEVE (Hafen im Nebel und Der Tag bricht an, 1938 und 1939, beide mit Jean Gabin). Zuvor drehte Carné aber mit DROLE DE DRAME (Ein sonderbarer Fall, 1937) eine der genialsten Satiren, die je auf die Leinwand gebracht wurden (zitatwürdig sind die Szenen mit Louis Jouvet als Bischof in schottischer Verkleidung, Michel Simon als Mimosenzüchter und Jean Louis Barrault als mordwütigem Schlachter). Vielleicht der größte französische Filmregisseur der 30er Jahre war Jean Renoir. Wir können nicht anders, als ihm mit fünf Filmen eine kleine Hommage darzubringen. Wir zeigen: BOUDU SAUVE DES EAUX (1932), das Drama eines Clochards; UNE PARTIE DE CAMPAGNE (1936), die Fragment gebliebene, impressionistische Maupassant-Verfilmung; LA GRANDE ILLUSION (1937), ein pazifistisches Plädoyer aus der Zeit des 1. Weltkriegs; LA MARSEILLAISE (1938), eine Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution, mit Monarchie, Jakobinertum und Volksfront; und schließlich als Kulmination LA REGLE DU JEU (Die Spielregel, 1939), eine schneidend scharfe und subtile Gesellschaftsanalyse und großartige Regieleistung. Um das Kapitel abzuschließen, zeigen wir André Malraux' Spanien-Film ESPOIR (Hoffnung, 1939–45), ein Werk zwischen Dokument und Fiktion, Realismus und poetischer Stilisierung, begonnen in der letzten Phase des Spanischen Bürgerkriegs, den der Film dokumentiert, aber aufgeführt erst nach Ende des 2. Weltkriegs; und Marcel Carnés großes Opus LES ENFANTS DU PARADIS (Kinder des Olymp, 1939–45), ein Film, mit großem Aufwand in südfranzösischen Studios gedreht und lange hinausgezögert, damit das Filmteam den Krieg überstehen konnte, ein Werk, das alle Elemente des klassischen französischen Films – literarisches Drehbuch, vorzügliche Schauspieler, schwelgerische Dekors, Kostüme und Massenszenen, Pantomimen und stilisierte Dialoge, Düsterkeit, Tragik und Fatalismus – zu einer meisterlichen Synthese verschmolz und dadurch für lange Zeit als Verkörperung der französischen Filmkunst schlechthin erschien.

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