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Zu diesen glücklicherweise noch existierenden Filmen gehört der berühmte Klassiker JIDL MITN FIDL (Polen 1936, vielleicht der populärste aller jiddischen Filme) von Joseph Green und Jan Nowina-Przybylski mit Molly Picon, Star der Second Avenue in New York, in der Hauptrolle. Sie spielt eine junge Frau, die sich in der Verkleidung als Mann einer Gruppe von Klezmer-Musikern anschließt. "JIDL MITN FIDL belegt vielleicht am eindrucksvollsten die Liaison zwischen jiddischer Tradition und amerikanischer Broadway- und Musicaldramaturgie" (Gertrud Koch). FREJLICHE KABZONIM (Die fröhlichen Armen, Leon Joannot, Zygmund Turkow, Polen 1937) ist besonders bemerkenswert durch seinen bizarren Humor – zwei arme Handwerker glauben, auf eine Ölquelle gestossen zu sein und setzen dadurch eine Komödie der Irrungen in Gang. Zu diesem Film zeigen wir den Dokumentarfilm JEWISH LIFE IN VILNA (Polen 1938/39), Teil einer Serie über die städtischen jüdischen Gemeinden Polens. GRINE FELDER/GREEN FIELDS (Edgar Ulmer, USA 1937) basiert auf einem Bühnenstück von Peretz Hirschbein, einem Theaterpionier aus Odessa, das auch auf der Second Avenue zum Erfolg wurde. Der Film wurde in fünf Tagen für 8.000 Dollar auf einer abgelegenen Farm in New Jersey gedreht. Er erzählt eine "romantische Pastorale" von einem jungen Talmud-Studenten, in dem der Sinn für die Schönheiten des Lebens erwacht. Aus den Niederlanden zeigen wir zwei Werke deutscher Emigranten, die Deutschland nach 1933 verlassen mußten: Max Ophüls' KOMÖDIE UM GELD (1936) und PYGMALION (Ludwig Berger, 1936-37), sowie ein Programm mit Werken des großen holländischen Dokumentaristen Joris Ivens. Als nächster Abschnitt unserer Reihe folgt ein Kapitel Großbritannien. Hier gab es in den 30er (und 40er) Jahren bereits eine prosperierende und vielseitige Filmkultur. Wir zeigen ein Programm mit Werken der britischen Dokumentarfilmschule von John Grierson, Basil Wright und Alberto Cavalcanti, die in ihrer Zeit weltweites Echo fanden und einen neuen Trend zum Realismus begründeten; ferner zwei frühe Werke von Alfred Hitchcock, der seine Karriere bekanntlich in England begann: BLACKMAIL (ein früher Tonfilm, 1929-30, mit Anny Ondra) und THE THIRTY NINE STEPS (1935). THINGS TO COME (1936) von William Cameron Menzies ist ein Science-Fiction-Klassiker, der einen Weltkrieg vorhersagte und futuristische Dekors (von Moholy-Nagy) verwendete. Schließlich folgen ein Beispiel aus der Produktion von Michael Powell und Emeric Pressburger, die eine ganze Epoche des britischen Films dominierten, A CANTERBURY TALE (1944), sowie Werke des Dokumentaristen Humphrey Jennings, der realistische und gegenwartsnahe Filme in der Zeit des 2. Weltkriegs drehte. REMBRANDT von Alexander Korda (1936, mit Charles Laughton) ist ein Beispiel des historisch-biografischen Genres, in welchem sich Korda als Produzent und Regisseur in den 30er Jahren profilierte und das er zum internationalen Erfolg führte. Am Ende dieses Kapitels steht ein interessanter Vergleich zweier Verfilmungen des gleichen Stoffes von Paul Czinner - DER TRÄUMENDE MUND (D 1932, mit Elisabeth Bergner und Rudolf Forster, nach einem Bühnenstück von Henri Bernstein), und DREAMING LIPS, ein Remake des gleichen Stoffs, das Czinner nach seiner Emigration 1937 in England drehte, wiederum mit Elisabeth Bergner; am Drehbuch war – in beiden Fassungen – der expressionistische Autor Carl Mayer beteiligt. Das Kino der UdSSR geriet in den dreißiger Jahren in Schwierigkeiten. Die vielfältigen Innovationen und Experimente der Stummfilmzeit wurden nunmehr im Zeichen des offiziell dekretierten "Sozialistischen Realismus" zurückgedrängt und mit dem Verdacht des "Formalismus" belegt. Die Filme sollten "positive Helden" in den Mittelpunkt stellen und für ein breites Publikum verständlich sein. Filmschaffende, die sich diesem Trend nicht anpassen wollten, verloren die Arbeitsmöglichkeiten oder wurden verfolgt. Gleichwohl kamen immer noch interessante Filme zustande, die sich nicht gänzlich dem Schematismus unterwarfen. So gab es in der beginnenden Tonfilmzeit Experimente mit neuer Erzähltechnik, so in DER WEG INS LEBEN (Nikolai Ekk 1931, einem Film über den Pädagogen Makarenko, erster Tonfilm in der UdSSR) und Versuche, den Bild-Ton-Kontrapunkt einzuführen. Das versuchten auch Kosinzew und Trauberg in ihrem Film ALLEIN (1931). Großartig in seiner Milieuschilderung einer kleinen Stadt in der Zeit des 1. Weltkriegs sowie in seiner Typenzeichnung ist Boris Barnets OKRAINA (1933); von Barnet, einem Regisseur, dessen wirkliche Bedeutung man erst vor kurzem wieder entdeckt hat, zeigen wir auch den späteren Film AM BLAUEN, BLAUEN MEER (1935/36), der bei Kennern des Sowjetkinos inzwischen Kult-Status besitzt. Alexander Medwedkins DAS GLÜCK (1935, noch als Stummfilm gedreht) ist eine exzentrische Satire über Verhältnisse auf dem Dorf, die sich origineller Stilmittel bedient. Interessant war die Tätigkeit der deutschen Emigranten in der UdSSR, als Beispiel zeigen wir Piscators DER AUFSTAND DER FISCHER VON ST. BARBARA (1934, nach dem Roman von Anna Seghers, produziert vom Studio Meshrabpomfilm). TSCHAPAJEW (1934) von den Brüdern Wassiljew, eine Erzählung von zwei gegensätzlichen Helden (Kommandeur und Kommissar) aus dem Bürgerkrieg, und MAXIMS JUGEND (1934, 1. Teil der Maxim-Trilogie) von Kosinzew/Trauberg, in den 20er Jahren Begründer der "Fabrik des exzentrischen Schauspielers" (FEKS), waren revolutionäre Epen mit lebendigem Hintergrund und differenzierter Charakterzeichnung. Interessant ist der Rückgriff auf die musikalische Folklore Petersburgs in MAXIMS JUGEND. Eher schon zum Märchen und zur Vision tendierte Dowshenkos AEROGRAD (1935), eine Erzählung vom Bau einer Flieger-Stadt durch die Jugendorganisation Komsomol. Sergej Eisenstein, der Ende der 20er Jahre nach Europa und in die USA reiste, konnte seinen QUE VIVA MEXICO nicht beenden, von dem Film existieren nur Fragmente und verschiedene Bearbeitungen des gedrehten Materials (das in den USA verblieb und das Eisenstein nicht mehr zu sehen bekam). Eisenstein musste in die UdSSR zurückkehren, wo der Filmminister Boris Schumjatski alle Projekte Eisensteins blockierte. Seine BESHIN-WIESE (1935-37) wurde zweimal gedreht, zweimal verboten und dann abgebrochen; das Material ist verschollen, heute existiert der Film nur noch in der Rekonstruktion als Foto-Film anhand einzelner Bildkader, die von dem Eisenstein-Forscher Naum Kleeman in einer Büchse aufgefunden wurden. Eine interessante Wiederentdeckung ist schliesslich Michail Romms DER TRAUM (1943), ein subtiles, ironisch erzähltes Kammerspiel in fast unwirklichem Dekor, angesiedelt in einer Stadt im ukrainisch-polnischen Grenzgebiet.
Natürlich dürfen in diesem Zusammenhang die beiden Teile von Eisensteins monumentalem IWAN DER SCHRECKLICHE nicht fehlen (1944-45, der 2. Teil wurde von Stalin verboten und kam erst 1958 zur Aufführung). Dieser Film legte den Grund zu einer neuen Ästhetik der Bildgestaltung und des Umgangs mit der Farbe; er entwickelte auch die Prinzipien eines neuartigen Bild-Ton-Kontrapunktes. Zugleich war er ein mutiger Versuch zur kritischen Analyse der Macht. Im großen und ganzen standen die 30er Jahre in der UdSSR aber im Zeichen der populären Filmgenres, die Filme sollten die Massen unterhalten und gleichzeitig erziehen, belehren oder indoktrinieren (in Deutschland der Nazizeit hatte der Film, von einigen Propagandawerken abgesehen, dagegen nur die Funktion der Unterhaltung). Für die populären Genres des sowjetischen Films dieser Epoche steht der Film LUSTIGE BURSCHEN von Grigori Alexandrow (1934) – Alexandrow, ein einstiger Assistent Eisensteins, trennte sich von diesem und wurde zum Spezialisten für Komödien. Ein eher propagandistischer Film war Michail Romms LENIN IM OKTOBER (1937) – es war der erste Teil einer Lenin gewidmeten Trilogie, die Berühmtheit erlangte; Lenin wurde von dem Schauspieler Boris Schtschukin verkörpert (die Figur Stalins wurde nach dem 20. Parteitag der KPdSU wieder aus dem Film herausoperiert).

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