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Den dokumentarischen Ansatz vertritt die Österreicherin Anja Salomonowitz mit dem formvollendeten KURZ DAVOR IST ES PASSIERT, in dem ein Zöllner, ein Taxifahrer, eine Diplomatin, eine Dörflerin, ein Bordellkellner in den eigenen vier Wänden oder bei der Arbeit Leidensprotokolle des grenzübergreifenden Frauenhandels rezitieren. Ebenfalls österreichische Produktionen sind Ulrike Ottingers feuilletonistisches Porträt der Wiener Institution PRATER und Heinz Emigholz' SCHINDLERS HÄUSER, eine filmische Bestandsaufnahme vom Werk des Architekten Rudolph Schindler in L.A. und Umgebung. Spurensuche betreibt auch Philip Scheffners HALFMOON FILES, der mit Tondokumenten kolonialer Vergangenheit einen Bogen ins Jetzt spannt. Von Bollywood (Shah Rukh Khan und Priyanka Chopra sind in Farhan Akhtars Neuinszenierung des klassischen Gangsterfilms DON zu sehen) bis ins Fußballstadion (der französische Nationalspieler Vikash Dhorasoo und der Super8-Filmer Fred Poulet lassen die WM in SUBSTITUTE aus der Ersatzbankperspektive nacherleben) zeigt das 37. Forum eine Weltkinematografie der schroffen Gegensätze und verblüffenden Parallelen.
Aus 33 Ländern stammen die Filme unseres Programms; die Auswahl ist nicht ausgewogen, sondern setzt Schwerpunkte, sucht Kontraste. Der renommierte Dokumentarfilmer Frederick Wiseman richtet in dem 3,5-stündigen STATE LEGISLATURE seinen Blick auf praktizierte Demokratie im Staate Idaho; der Japaner Soda Kazuhiro beobachtet in CAMPAIGN den Wahlkampf eines jungen Kandidaten an der langen Leine eines übermächtigen Parteiapparats. Petr Nikolaevs ...A BUDE HUR ist die authentische Adaption eines Kultromans, dessen Protagonisten gesellschaftliche Randexistenzen im tschechoslowakischen Spätsozialismus sind, die gegen die repressive Staatsmacht aufbegehren; in Camila Guzmán Urzúas EL TELON DE AZUCAR hat der revolutionäre Eifer im Kuba der 70er und 80er Jahre einem desillusionierten Blick auf ein Land Platz gemacht, dessen Jugend die Flucht angetreten hat. Stadt und Land stellt die Kanadierin Catherine Martin in ihrem Spielfilm DANS LES VILLES, in dem Robert Lepage als blinder Fotograf im herbstlichen Montréal zu sehen ist, und ihrem Dokumentarfilm L'ESPRIT DES LIEUX gegenüber, einer im tiefen Québec gedrehten Hommage an den Fotografen Gabor Szilasi. Kanada ist in diesem Jahr besonders stark vertreten: Gariné Torossian unternimmt in dem experimentellen Film STONE TIME TOUCH eine Reise nach Armenien; Guy Maddin stellt seinen BRAND UPON THE BRAIN! in einer außergewöhnlichen Premiere in der Deutschen Oper vor. Der von Kindheitstraumata und Heimweh erzählende skurrile Stummfilm wird nicht nur vom VW-Orchester musikalisch begleitet, sondern auch von drei auf der Bühne agierenden Geräuschemachern live vertont. Als Kinoerzählerin führt die Schauspielerin Isabella Rossellini durch das Geschehen. Ergänzt wird das Programm durch neun Filme des außerhalb seiner Heimat kaum bekannten japanischen Meisters Okamoto Kihachi. Neben herausragenden Samurai-Epen wie SWORD OF DOOM und Gangsterfilmen wie THE LAST GUNFIGHT drehte er vor allem moderne Kriegsfilme. In dem monumentalen THE EMPEROR AND A GENERAL beleuchtete er die japanische Kapitulation aus Sicht der Herrschenden; der Underground-Film HUMAN BULLET erzählt dieselbe Geschichte satirisch aus der Perspektive eines einfachen Soldaten. Viele seiner Filme zeigt das Forum vier Jahrzehnte nach ihrer Entstehung als europäische Erstaufführungen. Unterstützt wird die Reihe, die im Anschluss ans Forum im Arsenal wiederholt wird, von der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, der Japan Foundation und dem National Film Center in Tokio. Eine weitere Wiederentdeckung ist Charles Burnetts KILLER OF SHEEP, der aus dem schwarzen Milieu von Los Angeles erzählt. Heute ein Klassiker des unabhängigen amerikanischen Kinos, verschwand der Spielfilm gleich nach seiner Entstehung 1977 in der Versenkung, ehe ihm das Forum 1981 zu Weltruhm verhalf. Zur Wiederaufführung mit einer neuen 35mm-Kopie kommt der Regisseur nach Berlin. Spielorte des Forums werden neben dem Arsenal wieder das Delphi, das CineStar am Potsdamer Platz und das Colosseum im Prenzlauer Berg sein. Das Cubix am Alexanderplatz kommt als neues Berlinale-Kino hinzu. (Christoph Terhechte)

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