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Naruses Protagonisten wissen um ihr Unglück, sie akzeptieren ihr Schicksal nicht und müssen beim Dagegen-Ankämpfen doch scheitern. Hauptsächlich die Lebenserfahrungen von Frauen stellt Naruse in den Mittelpunkt seiner Werke; speziell von Frauen, die außerhalb traditioneller Familienstrukturen stehen wie Witwen, Geishas und Frauen, die nach einer unabhängigen Lebensform suchen. Naruses Filme werden oft als "fließend" beschrieben: seine Dramaturgie setzt keine Höhepunkte, sondern lässt die Geschehnisse sich nacheinander entfalten – ein filmischer Ausdruck für das Leben seiner Protagonisten. Das Unglück entfaltet sich wie nebenbei, ohne vorherige Ankündigung, als "normaler" Gang des Lebens. Gezeigt wird das Drama ohne Ausbrüche, unter der Oberfläche, in nebensächlichen Andeutungen, kleinen Bewegungen, Mimik und Gestik sichtbar gemacht. Diskret und konzentriert, in kleinen Schritten erzählt Naruse von Menschen, die dem Sog des Lebens schutzlos ausgeliefert sind. "In meinen Filmen geschieht sehr wenig, und sie enden ohne Ergebnis – wie das Leben." (Mikio Naruse) Über 20 Jahre nach der letzten Retrospektive von Naruses Filmen in Berlin gibt es dank der Japan Foundation und dem Japanischen Kulturinstitut in Köln endlich wieder die Gelegenheit, die Filme in restaurierten 35mm-Kopien mit englischen Untertiteln zu sehen. Wir zeigen eine Auswahl von zehn Filmen. OTOME GOKORO SANNIN SHIMAI (Three Sisters With Maiden Hearts, 1935) war Naruses erster Tonfilm. Er erzählt von drei Schwestern – Oren, Osome und Chieko –, die mit ihrer Mutter, die in Tokios Vergnügungsviertel Asakusa eine Shamisen-Musikschule betreibt, zusammenleben. Nur die mittlere Tochter folgt der Mutter nach, während ihre Schwestern sich nach einem anderen Leben umsehen. Oren verliebt sich in einen zwielichtigen Musiker und Chieko beginnt eine Laufbahn als Tänzerin. Als Orens Freund krank wird, kehrt sie in der Hoffnung auf finanzielle Unterstützung nach Hause zurück und wird von der Mutter zurückgewiesen. Sie überfällt einen Mann, nicht ahnend, dass er der Freund ihrer Schwester Chieko ist. (7. & 10.4.) FUTARIZUMA. TSUMA YO BARA NO YÔ NI (Wife! Be Like a Rose, 1935) dreht sich um die junge Büroangestellte Kimiko und ihre scheiternden Versuche, ihre Eltern wieder zusammenzuführen. Kimiko lebt allein mit ihrer Mutter, einer eigensinnigen Lyrikerin. Ihr Vater soll sich in den Bergen befinden und nach Gold suchen. Als Kimiko ihn eines Tages zufällig in der Stadt sieht, glaubt sie, er sei ihrer Mutter wegen gekommen. In Wahrheit aber lebt er mit einer anderen Frau zusammen. Als sich Mutter und Vater dennoch treffen, bleibt die Begegnung kühl: sie haben sich nichts mehr zu sagen. (8. & 12.4.) HATARAKU IKKA (The Whole Family Works, 1939) schildert den Alltag einer elfköpfigen Familie, die nur durch den Arbeitseinsatz aller überleben kann. Der älteste Sohn Kiichi ist ein begabter Schüler und würde gerne studieren. Die Mutter ist aus finanziellen Gründen dagegen, der Vater will, dass aus seinem Sohn etwas Besseres wird. Doch weiß auch er nicht, wie die Familie ohne die Hilfe des ältesten Sohnes überleben kann. Kiichi verlässt die Familie, um sein eigenes Leben zu leben, wissend, dass sie dadurch auseinanderbrechen wird. (11. & 13.4.) "Eines der sublimsten Werke Naruses und des japanischen Films" (Harry Tomicek) ist MESHI (Repast, 1951). Michiyo und Hatsunosuke sind ein kinderloses Ehepaar, deren Ehe vom eintönigen Alltag und von im Lauf der Zeit erlebten Enttäuschungen geprägt ist. Als die lebensfrohe Nichte Satoko auftaucht, gerät das Gefüge ins Wanken. Michiyo wird mit ihrer Situation immer unzufriedener und verlässt ihren Mann. Sie geht nach Tokio, wo sie glücklich neue Möglichkeiten entdeckt, aber von ihrer Mutter immer wieder auf ihre Beschränkungen hingewiesen wird. Michiyo erkennt, dass sie ihrem Leben nicht entfliehen kann, und kehrt zu Hatsunosuke zurück. (2. & 3.4.) OKASAN (Mother, 1952) beschreibt die Anstrengungen einer Frau, ihre Sorgen ums Geschäft und um die Familie. Masako muss wie ihr Mann und ihre drei Kinder hart arbeiten, um sich ihre Existenz wieder aufzubauen, nachdem die Wäscherei der Familie während des Krieges zerstört wurde. Als ihr Mann stirbt, muss sie sich allein um alle Belange der Familie kümmern. "Für mich ist dies die vertrauteste Welt, in der ich drehen kann." (Naruse) (5. & 6.4.) BANGIKU (Late Chrysanthemums, 1954) erzählt von Kin, einer ehemaligen Geisha. Sie bestreitet ihren Lebensunterhalt als Geldverleiherin – hauptsächlich an andere ehemalige Geishas – und erlaubt sich in ihrem geschäftlichen Alltag keinerlei Gefühle. Illusionslos lebt sie ihr eintöniges Leben. Als sich ihr früherer Liebhaber Tabe bei ihr meldet, regen sich erstmals ihre Gefühle wieder. Bei einem Treffen erfährt sie jedoch, dass auch er nur Geld von ihr will. Ruhig geht sie nach Hause und verbrennt sein Foto und damit ihre letzte Verbindung zu ihrem früheren Leben. (17. & 19.4.) UKIGUMO (Floating Clouds, 1955), oftmals als Naruses größtes Meisterwerk bezeichnet, erzählt von einer hoffnungslosen und zerstörerischen Liebe. Yukiko und der verheiratete Tomioka haben sich während des Krieges kennen gelernt und ineinander verliebt. Als Yukiko ihren Liebhaber nach dem Krieg aufsucht, muss sie feststellen, dass er ein ruhiges Leben mit seiner Frau lebt. Unfähig, wieder zusammenzukommen und miteinander zu kommunizieren, trennen sich die Wege der beiden. Als Tomioka später in Geldnot ist, stiehlt die betrogene Yukiko für ihn. (24. & 25.4.) "Das Leben einer Geisha mag von außen glamourös erscheinen, aber es ist nicht immer so." Diese Bilanz zieht die Chefin eines Geisha-Hauses in NAGARERU (Flowing, 1956). Welche Möglichkeiten haben alleinstehende Frauen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ein würdiges und selbstbestimmtes Leben zu führen? Diese Frage wird im Film ständig diskutiert: Von der Witwe, die eine Anstellung im Geisha-Haus gefunden hat, von der Tochter der Chefin, die sich ein anderes Leben erhofft, von der Chefin, die ständig ums finanzielle Überleben kämpfen muss und auf demütigende Hilfe angewiesen ist. Trotz der widrigen Umstände versuchen die Protagonistinnen, ihre Würde zu bewahren. (26. & 27.4.) ONNA GA KAIDAN OAGARU TOKI (When A Woman Ascends The Stairs, 1960) beschreibt wiederum das Leben einer Frau, die nach dem Tod ihres Mannes zum Geldverdienen gezwungen wird. Die Witwe Keiko muss eine Stelle in einer Bar in Tokios Ginza-Bezirk annehmen, um nicht nur für sich, sondern auch für ihren arbeitslosen Bruder und dessen krankes Kind aufzukommen. Nach einer Weile versucht sie mit Hilfe von Gönnern, eine eigene Bar zu eröffnen, ohne sich dafür von einem Mann benutzen zu lassen. Sie scheitert: nicht nur am ständigen Kampf ums Geld, auch an den Männern und an der Liebe. Desillusioniert kehrt sie zurück in den Ginza-Bezirk und steigt die steilen Treppen zur Bar hoch. (28. & 30.4.) HOROKI (Drifting/A Wanderer’s Notebook, 1962) beruht auf der Autobiographie der Schriftstellerin Fumiko Hayashi, von der Naruse sämtliche Werke adaptierte. Die junge Fumiko verlässt ihre Familie und zieht nach Tokio, wo sie zunächst als Kellnerin arbeitet. Sie kommt in Kontakt mit einem Kreis junger Autoren und kann dadurch ihre eigenen literarischen Ambitionen vorantreiben. Sie heiratet einen jungen Schriftsteller und hat bald mehr Erfolg als er. Er beschuldigt sie, seiner Karriere im Weg zu stehen, verfällt dem Alkohol und versinkt in einer Depression. Als sie einen Literaturpreis gewinnt, ist es ein bittersüßer Erfolg für sie. (21. & 22.4.) Die Filmreihe wurde vom Japanischen Kulturinstitut Köln organisiert, in Zusammenarbeit mit der Japan Foundation Tokio, dem National Film Center/National Museum of Modern Art Tokio, dem Filmmuseum München und dem Österreichischen Filmmuseum. Dank an Regina Schlagnitweit, Klaus Volkmer und Angela Ziegenbein. Fotoquelle: Japan Foundation.

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