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Unser herzlicher Dank geht an die Fundação Calouste Gulbenkian (Lissabon), ohne deren großzügige Unterstützung diese Filmreihe nicht hätte realisiert werden können. Sie machte es unter anderem möglich, Pedro Costa nach Berlin einzuladen, worüber wir uns ganz besonders freuen. Darüber hinaus stellte sie uns den anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens bei sechs Filmemachern in Auftrag gegebenen Omnibus-Film O ESTADO DO MUNDO (The State of the World; Apichatpong Weerasethakul, Vicente Ferraz, Ayisha Abraham, Wang Bing, Pedro Costa, Chantal Akerman, Portugal 2007) zur Verfügung, den wir als Deutschlandpremiere präsentieren. Auch bei der Botschaft von Portugal (Berlin) bedanken wir uns für die freundliche Unterstützung unseres Filmprogramms. Wir eröffnen, in Anwesenheit des Regisseurs, mit der Berliner Premiere von JUVENTUDE EM MARCHA (Colossal Youth, Portugal/ F/CH 2006), dem neuesten Film von Pedro Costa, einem der radikalsten und eigenwilligsten Filmemacher seiner Generation, dem wir bereits im März 2002 eine komplette Werkschau gewidmet haben. JUVENTUDE EM MARCHA setzt seine mit Ossos und No quarto da Vanda begonnene Auseinandersetzung mit den Ausgestoßenen und Marginalisierten der Gesellschaft im Lissaboner Armenviertel Fontainhas fort und ermöglicht eine Wiederbegegnung mit den Laiendarstellern Vanda Duarte und Ventura. Ventura ist ein älterer Einwanderer von den Kapverdischen Inseln, der bereits seit vielen Jahren in Fontainhas lebt. Als ihn seine Frau Clotilde (an die er einen poetischen Liebesbrief adressiert) unvermittelt verlässt und die Stadtverwaltung sein Viertel zum Abriss freigibt, wird er mit seinen früheren Nachbarn umgesiedelt. Verloren streift er zwischen den Straßen seines alten Viertels und dem neuen anonymen Sozialwohnungsbau mit den frisch gekalkten weißen Fassaden umher. Er wird zur Vaterfigur für die anderen und kümmert sich um sie, als seien es seine Kinder. Die einst heroinabhängige Vanda hat mittlerweile tatsächlich ein Kind – als sie, sichtlich von der Methadoneinnahme gezeichnet, in ihrem engen Zimmer sitzend von der Geburt erzählt, "weiß man genau, warum kein Schnitt das Mäandern ihrer Sätze unterbricht: Die Dauer der Einstellung ist das Einzige, was Vandas Schmerzen gerecht werden kann." (Cristina Nord) Mit einer DV-Kamera hat Costa 15 Monate lang gedreht, die Geschichten der Protagonisten angehört und mit ihnen an ihren Texten gearbeitet. Gefilmt wurde ohne künstliches Licht, in langen, statischen, klar komponierten Einstellungen und ohne jede Kamerabewegung. So entstand ein dichter, reicher, faszinierender Film – ein Solitär. (2.11, in Anwesenheit von Pedro Costa, & 7.11.) Auch in dem von der Gulbenkian-Stiftung initiierten Projekt O ESTADO DO MUNDO (The State of the World, Portugal 2007), das sechs kurze Filme zum Zustand dieser Welt versammelt, war Pedro Costa beteiligt. Für seinen Beitrag TARRAFAL richtet er seinen Blick auf das 1936 gebaute Gefängnis Tarrafal auf den Kapverdischen Inseln, wo während des Regimes des Diktators Salazar politische Gefangene gefoltert und getötet wurden. Apichatpong Weerasethakul zeigt in LUMINOUS PEOPLE die Re-Inszenierung eines traditionellen Bestattungsrituals auf dem Mekong, währenddessen die Asche eines Verstorbenen in den Fluss gestreut wird. Vicente Ferraz lässt in GERMANO einen brasilianischen Fischer zu Wort kommen, der sich, nachdem er jahrelang in einer verschmutzten Bucht fischte, in die Tiefsee aufmacht, wo er von einem russischen Öltanker bedrängt wird. ONE WAY von Ayisha Abraham porträtiert einen Sicherheitsbeamten, der im Exil lebt und seine Geschichte in einem Keller sitzend erzählt. Wang Bing zeigt in BRUTALITY FACTORY Folterszenen, die während der chinesischen Kulturrevolution in den Hallen einer Fabrik stattgefunden haben mögen. Chantal Akermans TOMBÉE DE NUIT SUR SHANGHAI (AVRIL 2007) zeigt in langen Einstellungen riesige Videowände an Hochhäusern in Shanghai mit Werbung für Waren, Cartoons, der Mona Lisa – eine Welt der bunten Bilder. (4.11., in Anwesenheit von Pedro Costa, & 12.11.) Eine weitere Deutschlandpremiere komplettiert das Eröffnungswochenende, der letzte Film der international bereits bekannten Regisseurin Teresa Villaverde: TRANSE (Trance, Portugal/F/I 2006) – eine Reise in die Hölle, ein Alptraum, eine Passionsgeschichte, eine Stellungnahme zum Europa am Beginn des 21. Jahrhunderts als Ort von Elend und Ausbeutung. Sonia (Ana Moreira), eine junge Russin, beschließt, Familie und Freunde in St. Petersburg zu verlassen, mit dem Ziel, im Westen eine bessere Zukunft zu finden. Die Hoffnung auf ein neues Leben stellt sich allerdings schnell als Illusion heraus. Sie wird zur Prostitution gezwungen und über Deutschland und Italien quer durch Europa nach Portugal geschmuggelt und muss Elend, Erniedrigung und Ausbeutung ertragen. Weit entfernt von simpler Sozialkritik, überzeugt TRANSE durch eine sehr eigene, extreme filmische Form. (3. & 9.11.) ODETE (Two Drifters, Portugal 2005) von João Pedro Rodrigues verbindet eine irrwitzige Geschichte über Identität und Obsession mit einer ungewöhnlichen Ästhetik, die beide von einer unbändigen Lust am Kino und am Erzählen zeugen: ein Spiel mit den Regeln des Melodrams, verschiedenen Erzählebenen und Bewusstseinszuständen. Pedro und Rui sind ein schwules Paar und sehr verliebt. Als Pedro plötzlich stirbt, ist Rui nicht in der Lage, das traumatische Ereignis zu verarbeiten. Odete, eine Verkäuferin im Supermarkt, wird von ihrem Verlobten verlassen, weil sie sich sehnlichst ein Kind von ihm wünscht. Sie lässt sich anstecken von der Trauer über den Tod des ihr völlig unbekannten Nachbarn Pedro und behauptet schließlich nicht nur, von ihm schwanger zu sein, sondern beginnt auch, dessen Identität anzunehmen und Rui zu verführen … Als Vorfilm zeigen wir CHINA, CHINA (J. P. Rodrigues, João Rui Guerra da Mata, 2007), in dem eine coole, junge Chinesin im Lissaboner Stadtteil Martim Moniz alles tut, um glücklich zu sein. (6. & 8.11.) Mit einem dunklen Kapitel der Geschichte Portugals, der Diktatur von 1926 bis zur Nelkenrevolution im Jahr 1974, setzt sich Susana de Sousa Dias in NATUREZA MORTA / STILL LIFE (Portugal/F 2006) auseinander. Sie kombiniert Archivmaterial aus der Salazar-Ära (Fernsehnachrichten, Kriegsreportagen, Polizeifotos von politischen Gefangenen) mit einer eigens komponierten Musik, die den Film rhythmisiert und dramatisiert. Auf einen Kommentar wird verzichtet. Die Archivbilder sind stark verlangsamt, einzelne Einstellungen werden wiederholt oder Details aus den Bildern herausgegriffen. So wird eine Reflexion über die Bedeutung der Bilder jenseits ihres propagandistischen Kontexts initiiert, dem scheinbar Unwichtigen Beachtung geschenkt und die Frage nach den (versteckten) Bildern hinter den Bildern aufgeworfen. (5. & 16.11.) Die Vergangenheit Portugals als kriegführende Kolonialmacht bildet den Hintergrund von Margarida Cardosos nach der Romanvorlage von Lídia Jorge entstandenem Film A COSTA DOS MURMÚRIOS (The Murmuring Coast, P/F/D 2004). Ende der 60er Jahre kommt Evita (Beatriz Batarda) in die portugiesische Kolonie Moçambique, um ihren Jugendfreund Luís zu heiraten, der dort beim Militär dient. Doch der Krieg hat ihn verändert und bringt dunkle Seiten an ihm zutage. Den Befehl ihres Mannes missachtend, das Haus nie zu verlassen, freundet Evita sich mit der Ehefrau des kommandierenden Offiziers an, erkundet die Stadt auf eigene Faust und bildet sich ihre eigene Meinung bezüglich des Kampfes der Rebellen für die Unabhängigkeit von Moçambique. In der Atmosphäre einer Welt, die auf Gewalt, Unterdrückung und Machismo basiert, fühlt sich die junge Frau immer fremder. (8. & 11.11.) Zum Ende der 80er-/Anfang der 90er Jahre zurück führt Hugo Vieira da Silvas in mehrfacher Hinsicht mit Berlin verbundener Film BODY RICE (Portugal 2006): Er beginnt mit körnigen schwarzweißen Bildern aus Christoph Dörings Film 3302, einer Taxifahrt durchs nächtliche Berlin aus dem Jahr 1979, und der Soundtrack versammelt neben Joy Division auch X-Mal Deutschland und Einstürzende Neubauten. Die No-Future-Mentalität der 80er Jahre prägt den Film: Katrin ist in Deutschland straffällig geworden und wird im Rahmen eines Wiedereingliederungsprogramms von Berlin in ein Camp nach Portugal geschickt. In der Wüstenlandschaft des Alentejo begegnet sie Julia und Pedro, die beide ebenso verloren und orientierungslos scheinen wie sie selbst. Die drei bilden eine Art Enklave im Niemandsland, Worte werden kaum gewechselt, nur bei Techno-Raves scheinen sie aufzuleben, sich wohl zu fühlen und lassen ihre Körper sprechen. Ohne seine Figuren psychologisch zu motivieren, arbeitet Vieira da Silva vielmehr mit atmosphärischen Stimmungen und Kompositionen von Körpern und Landschaft, in deren Kargheit sich die Resignation der Figuren spiegelt. (10.11., in Anwesenheit von Hugo Vieira da Silva & 15.11.) Den aktuellen Diskurs um den Sinn und Nutzen von Überwachungsbildern und -kameras lässt Marco Martins in seinen intimen Film ALICE (Portugal 2005) einfließen, die Geschichte einer Obsession, aber auch eine Liebesgeschichte zwischen einem Vater und seiner Tochter. 193 Tage sind vergangen, seit die zwei Jahre alte ALICE auf mysteriöse Weise verschwand. Jeden Tag geht Mário die Strecke ab, die er zuletzt mit Alice ging. Um sie zu finden, installiert er Videokameras in der Stadt, die die Menschenmenge auf den Straßen aufnehmen. Verzweifelt sucht er in den Mädchengesichtern auf den Videos eine Spur. Der durch die Abwesenheit von Alice verursachte Schmerz verwandelt ihn in einen anderen Menschen. (13. & 18.11.) In einem Bordell in der portugiesischen Provinz nimmt in João Canijos Film NOITE ESCURA (In the Darkness of the Night, Portugal 2004) ein antikes Drama à la "Iphigenie in Aulis" seinen Lauf. Die Nacht ist der Beginn eines Arbeitstages für die Frauen, die die Gäste unterhalten und verführen und für die Familie, die das Bordell betreibt: Vater, Mutter und zwei sehr unterschiedliche Töchter. Carla ist der Prügelknabe, während die jüngere Sonia verwöhnt wird. Doch der Vater, dem ein Geschäft misslungen ist, wird gezwungen, seine jüngste Tochter zu opfern und sie der russischen Mafia zu übergeben. Alle scheinen dies als schicksalhaft hinzunehmen, nur Carla versucht, das Opfer abzuwenden… (14. & 17.11.) Eine unkonventionelle Hommage an Carlos Paredes, den berühmten Meister der portugiesischen Gitarre, ist Edgar Pêras Film MOVIMENTOS PERPÉTUOS – UM TRIBUTO A CARLOS PAREDES (Portugal 2006): ein Dialog zwischen der Gitarre von Paredes und der Super8-Kamera von Pêra. Neben Konzertaufnahmen sind Interviewpassagen mit Paredes zu hören, zu sehen sind Impressionen aus dem Alltag in Portugal: Straßenszenen, Demonstrationen, Nachtaufnahmen, Passagen mit farbig bemaltem Rohfilm, rhythmisch verlangsamt oder beschleunigt. Der Filmemacher Edgar Pêra improvisiert sozusagen Bilder zur Musik von Paredes. Darüber hinaus erfährt man anhand von Paredes' Biografie (er saß als politischer Gefangener im Gefängnis) viel über die Geschichte Portugals. (13. & 14.11.) Eine Veranstaltung der Freunde der Deutschen Kinemathek mit großzügiger Unterstützung der Fundação Calouste Gulbenkian (Lissabon). Mit freundlicher Unterstützung des ICAM (Instituto do Cinema, Audiovisual e Multimedia) und der Botschaft von Portugal / Vertretung des Instituto Camões in Deutschland.

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