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Quer durch die Filmgeschichte haben Regisseure in einer breiten Vielfalt von Stilen und Genres die Real-Fiktion der Tropen bearbeitet, gingen tradierten Metaphern auf den Grund, verfolgten gängige Vorstellungen affirmativ oder kritisch zurück und setzten sich dabei auch mit den zivilisatorischen und ideologischen Hintergründen dieses Terminus auseinander. Die Reihe wird eröffnet mit dem nur äußerst selten gezeigten Film COBRA WOMAN von Robert Siodmak. COBRA WOMAN (1944) ist ein Südsee-Melodram in exotischem (Studio-)Setting und in loderndem Technicolor – es geht um archaische Bräuche und eine lange zurückliegende Geschichte um zwei Zwillingsschwestern, die die Cobra-Königin gebar. Eine junge Frau wird am Tag ihrer Hochzeit geraubt. Die Nachforschungen des Bräutigams führen zur geheimnisvollen und von den gewöhnlichen Menschen panisch gemiedenen Cobra-Insel. Dort will die grausame Hohepriesterin des Cobra-Kultes Naja ihre herzensgute Zwillingsschwester Tollea dem Schlangengott opfern. Die Ureinwohner des Eilands, eigentlich friedfertige Zeitgenossen, werden als Kanonenfutter für die Intrigen der regierenden Kaste instrumentalisiert. Beide Schwestern werden von Maria Montez gespielt. (12. & 16.9.) SERRAS DA DESORDEM (The Hills of Disorder, Andrea Tonacci, Brasilien 2006) entfaltet die Geschichte der unvermittelten Begegnung eines Regenwaldbewohners mit der Zivilisation. In einer virtuosen Mischung aus Formen, Formaten und Farben wird die reale Lebensgeschichte des Indianers Carapiru aus Maranhão erzählt. Er, der gezwungen wurde, aus dem verlorenen Paradies zu ziehen und am Leben der Zivilisierten zu schnuppern (so wie er seinerseits auch beschnuppert wird), unternimmt seine Zeitreise quer durch die traumatische brasilianische Siedlungsgeschichte, um schließlich wieder bei den Ursprüngen zu enden (die keine mehr sind). Zwei Welten, die neben- und daher auch miteinander existieren (müssen). Menschsein – nackt und direkt. (13.9.) THE PLEASURE GARDEN (Irrgarten der Leidenschaft, GB 1925) ist Alfred Hitchcocks Debütfilm als Regisseur: Ein furioses Beziehungsverwirrspiel um zwei Revue-Girls, Jill und Patsy. Die amourösen Abenteuer führen aus dem Bühnenausgang hinaus über eine Reihe von Umwegen in die Hölle des Dschungels. Wer sich mit den „Wilden“ einlässt, begibt sich in die Gefahr von Fieber, Wahnsinn und Tod. Jill ist mit Hugh verlobt, der England verlässt, um in die Tropen zu gehen. Patsy heiratet Levett. Sie machen ihre Hochzeitsreise an den Comer See. Danach reist auch Levett in die Kolonien ab. Jill schiebt es immer wieder hinaus, ihrem Verlobten nachzureisen und führt ein lockeres Leben. Patsy dagegen fährt ihrem Ehemann Levett nach, den sie in den Armen einer Eingeborenen findet … (14. & 18.9.) CHANG: A DRAMA OF THE WILDERNESS (USA 1927) spielt im Dschungel von Nord-Siam. Der Film, ein Frühwerk der KING KONG-Regisseure Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack, zeigt den Kampf des Jungen Kru und seiner Familie gegen die Natur. Sie haben ihr Territorium verlassen, trotzen dem Urwald eine Lichtung ab, kämpfen gegen Leoparden und Tiger und zähmen einen jungen Elefanten. Die aufregende und sorgsam strukturierte Geschichte mündet in eine (zum Teil nachgestellte) Zerstörung eines ganzen Dorfes durch eine Herde von Elefantenkühen. Mit diesem Film haben Cooper und Schoedsack ästhetische Standards für sämtliche Dschungelabenteuerfilme gesetzt. CHANG zeigt beeindruckende dokumentarische Tieraufnahmen, wie sie heute kaum noch möglich sind, da das Land kultiviert wurde und viele Tierarten ausgestorben sind. (19.9., am Flügel: Eunice Martins) THE RIVER (USA/GB/Indien, 1951) von Jean Renoir ist ein gelassenes Meisterwerk in Technicolor: Ein kriegsversehrter junger Amerikaner will bei seinem Cousin in Bengalen, am Ufer des Ganges sein seelisches Gleichgewicht wiederfinden. Drei junge Frauen konkurrieren um seine Gunst. Wie der Regisseur die Geschichte der siebenköpfigen Familie, ihrer Nachbarn, Freunde und Dienstboten in seine halbdokumentarischen Beobachtungen der indischen Kultur integriert, die Berührungspunkte und die Unterschiede herausarbeitet, geschieht so beiläufig, dass man die Virtuosität schnell übersehen kann (eigentlich auch soll). Schlicht und zart beobachtend, mäandert der Film von Episode zu Episode, ohne je in Gefahr zu geraten, auseinanderzufallen. (20.9.) AGUIRRE, DER ZORN GOTTES (BRD 1972) war die erste große Zusammenarbeit zwischen Werner Herzog und Klaus Kinski. AGUIRRE spielt in Peru, Ende des 16. Jahrhunderts: Von den spanischen Eroberern ins Elend getrieben, erfinden die Inkas die Legende von El Dorado, einem Land unermesslichen Reichtums. Sie hoffen, so der Gier der Besatzer Anreiz zu geben, um sie ins unwegsame Landesinnere zu treiben. Einige Hundert Spanier, darunter Vertreter des Adels, des Klerus, und Dutzende indigener Sklaven, ziehen in den Dschungel. Dieser entpuppt sich bald als undurchdringlich für die Europäer mit ihren Kanonen. Angriffe von Indianern und die reißenden Stromschnellen dezimieren die Truppe. Trotzdem geht die Suche nach dem goldenen Land weiter: tiefer in den Dschungel, tiefer in den alles verzehrenden Wahnsinn – unter der Führung von Aguirre, der mit Ruhmgier geladen ist wie mit Dynamit. (21.9.) DER DSCHUNGEL RUFT (D 1936) ist ein Klassiker des "deutschen Jagd- und Abenteuerfilms", gedreht von jenem Mann, der dieses Genre eigentlich erst geschaffen hatte und während der 30er und 40er Jahre praktisch im Alleingang verkörperte: Harry Piel. Eine mondäne Amerikanerin, deren Luxusjacht mit Maschinenschaden liegengeblieben ist, unternimmt Landausflüge in das Urwaldgebiet eines malaiischen Archipels und bringt Unruhe in das Leben eines Farmers, der dort freundschaftlich mit wilden Tieren zusammenlebt. Die aufgebrachten Tiere überfallen das Lager der Eindringlinge und vertreiben sie, während der Farmer endlich die Tochter des benachbarten Schmetterlingsforschers lieben lernt. Erneut vergab Harry Piel die Hauptrollen an die Tiere: an einen indischen Elefanten, einen Schimpansen, einen Kakadu und eine ihn liebkosende Tigerkatze. Der Film wurde auf Rügen gedreht. (22.9.) KING KONG (Merian C. Cooper, Ernest B. Schoedsack, USA 1932) handelt von der Begegnung zweier Kulturen, erzählt im Gewand eines Monster-Märchens. Film im Film: Als der Regisseur Carl Denham (Robert Armstrong) auf einer Südsee-Insel einen Film drehen möchte, entführen die Eingeborenen die Schauspielerin Ann und bringen sie dem Riesenaffen King Kong als Opfer dar. Das Monster verliebt sich jedoch in die zierliche blonde Frau und beschützt sie. Schließlich gelingt es den Filmemachern, Ann zurückzuholen, King Kong zu betäuben und nach New York zu verfrachten, um ihn als Teil einer Broadway-Show zu vermarkten. Dort wird er vom Blitzlichtgewitter der Fotografen so wild, dass er seine Fesseln sprengt und auf der Suche nach Ann durch New York zieht. Er löst eine Massenhysterie aus und wirft mit Autos und U-Bahnen um sich. (24.9.) BESCHREIBUNG EINER INSEL (BRD 1977/79) von Rudolf Thome handelt von einer Expedition fünf junger Ethnologen auf die Südsee-Insel Ureparapara. In der heterogenen Gruppe sind die Aufgaben klar und traditionsbewusst verteilt. Neben den wissenschaftlich und/oder technischen Zuständigkeiten wie Vermessung, Botanik und dem Aufnehmen inkl. Erschließen von Sprachen und Gebräuchen ist eine der Expeditionsteilnehmerinnen mit der Anfertigung von Zeichnungen betraut – denn, so wird gesagt, "auch Captain Cook und die anderen Entdeckungsreisenden in der Südsee" hatten immer einen Zeichner dabei. Innerhalb der Gruppe, zu der ein Eingeborener stößt, kommt es zu Streitigkeiten, doch ebenso zu Momenten von Lust und Glück. Ein Zentrum bleibt dabei immer die Idee der Forschung selbst: "Ein ethnografischer Spielfilm", schrieb die Filmkritikerin Frieda Grafe, "ist ein Film, in dem Ethnografie mitspielt – beiläufig werden die fiktiven Triebfedern, die Abenteuerlust, die Träume an den verwobenen Wurzeln von Wissenschaft mit bloßgelegt." (25.9.) SUD PRALAD (Tropical Malady, Thailand 2004) von Apichatpong Weerasethakul ist eine Mischung aus Fiebertraum und spiritueller Selbstfindung im thailändischen Dschungel: Der junge Soldat Keng und sein Freund Tong vertreiben sich unbeschwert die Tage, mal auf dem Dorf, mal in der Stadt in Karaoke-Bars oder im Kino. Eines Tages ist Tong jedoch verschwunden, und hier beginnt nach einer langen Schwarzblende der zweite Teil des Films: Schwitzende Körper, Insektengeflirre und Urwaldgeräusche bilden die Textur der zweiten Erzählung. Man überlässt sich dem hypnotischen Sog einer Tonspur, die jedes Ästeknacken, jedes Käferkrabbeln und Vogelgurren registriert. Man spiegelt sich im Auge einer riesigen Wildkatze und starrt gebannt auf einen von Glühwürmchen illuminierten Baum. In einem Film wie SUD PRALAT stößt unser Bilderverständnis an seine Grenzen. Eine physische Art der Wahrnehmung hat einen ergriffen. (27.9.) LA MORT EN CE JARDIN (Pesthauch des Dschungels, F/Mexiko, 1956) erzählt (oberflächlich betrachtet) von einer Diamantschürfer-Rebellion gegen die Distrikt-Verwaltung eines fiktiven faschistischen Landes in Lateinamerika. Nach Niederschlagung des Aufstandes flieht eine Gruppe zufällig zusammengeführter Menschen durch den Urwald. Buñuels Film ist eine pessimistische Variation des Themas der "geschlossenen Gesellschaft". Die die Personen bestimmenden Charakterzüge und Wertvorstellungen enthüllen sich in Form von seelischen und mentalen Häutungen: Unter der Oberfläche 'zivilisierter' Verhaltensweisen lauert die Anarchie. Was 1958, als der Film in die deutschen Kinos kam, Kürzungen zum Opfer fiel: Während einer langen Dschungelwanderung verfangen sich die Haare des taubstummen Mädchens in den Lianen. Eine Schlangenhaut scheint von Leben erfüllt durch die Ameisen, die in ihr herumwimmeln. Unvermittelt tauchen im Dschungel die nächtlichen Champs-Elysées im Lichterglanz auf, erstarren zur Fotografie, die sogleich von Flammen verzehrt wird: Es war eine Postkarte, die einer der Verirrten ins Feuer geworfen hat. (28.9.) TARZAN, THE APE MAN (Tarzan, der Affenmensch, USA 1932) könnte auch gesehen werden als eine Boy-meets-Girl-Story vor exotischem Hintergrund: Tarzan (Johnny Weissmüller) trifft Jane (Maureen O'Sullivan), die mit ihrem Vater eine Expedition im afrikanischen Urwald unternimmt. Tödliche Gefahr geht von einheimischen Kriegern aus. Der Affenmensch mit seinen Elefanten aber rettet die Reisenden, und Jane gibt ihrer Liebe zum edlen Wilden nach. Diese erste Tonfilmversion des Romans von E.R. Burroughs operiert ganz im Zeichen alter Schauerromantik: Er beschwört die wilde Natur und den zähen, in sie vordringenden Mann. Über die bezaubernde Jane lernen wir Tarzan und die Vielfalt des Dschungels kennen. Darin gespiegelt: unsere Faszination für den unverbogenen Helden und seine grüne, abenteuerliche Heimat. Der Entstehungszeit (vor dem puritanisch-reaktionären Production-Code von 1934) verdanken wir einerseits die in freizügiger Schönheit strahlende Jane, andererseits aber auch den heftigen rassistischen Unterton gegen Schwarze und Kleinwüchsige. (30.9.) (Ralph Eue)

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