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Zu Gast: Enzo Staiola
Innerhalb der italienischen Reihe haben wir zwei Ereignisse plaziert: da ist zunächst die Aufführung des neorealistischen Klassikers LADRI DI BICICLETTE (Fahrraddiebe, 1948, Regie: Vittorio de Sica, Drehbuch: Cesare Zavattini) als Gemeinschaftsveranstaltung mit dem Istituto Italiano di Cultura in Anwesenheit des Schauspielers Enzo Staiola – er spielte im Alter von 7 Jahren die Rolle des kleinen Bruno Ricci, der seinem Vater dabei hilft, das gestohlene Fahrrad zu suchen. Enzo Staiola spielte nach den FAHRRADDIEBEN noch weitere Rollen, wurde dann aber Mathematiklehrer. Die Diskussion mit ihm eröffnet Einblicke in die Herstellung, die Zeitumstände und die spätere Rezeption der FAHRRADDIEBE, eines Films, der zu Recht als das Meisterwerk des italienischen Neorealismus schlechthin gilt. Die Fabel vom Arbeitslosen, der endlich eine Anstellung erhält, diese aber nach dem Verlust seines Fahrrades wieder einbüßt, wird in diesem epochalen Film zum Gleichnis von der Situation des Einzelnen in der Gesellschaft. (7.6.) Giuseppe De Santis
Als weiterer italienischer Schwerpunkt in diesem Monat folgt eine Hommage auf den neorealistischen Regisseur Giuseppe De Santis (1917–97) mit RISO AMARO (Bitterer Reis, 1949, mit Silvana Mangano; 20. & 23.6.), NON C'E PACE TRA GLI ULIVI (Kein Friede unter den Olivenbäumen, 1950; 21.6.) und ROMA ORE UNDICI (Rom, 11 Uhr, 1952; 22.6.). Diese drei Filme markieren durch ihre Fabel und ihre realistische Alltagsbeschreibung ebenfalls Grundpositionen des italienischen Neorealismus. Zur Einführung und Diskussion kommen – wieder in Zusammenarbeit mit dem Istituto Italiano di Cultura – die italienischen Filmwissenschaftler und De-Santis-Kenner Franco Sepe und Marco Grossi, letzterer vertritt auch die Associazione Giuseppe De Santis, die das Erbe des Filmregisseurs pflegt und der wir für Mithilfe bei unserer Veranstaltung danken. Jean Rouch
Schließlich zeigen wir am Ende des Monats in Zusammenarbeit mit dem Seminar für Filmwissenschaft der FU Berlin zwei Filme von Jean Rouch: MOI UN NOIR (Ich, ein Schwarzer, 1958)(29.6.) und BOULEVARDS D'AFRIQUE (1988)(30.6.). Es sind Momentaufnahmen und Zustandsbeschreibungen der afrikanischen Gesellschaft in den Großstädten, die durch ihre Beobachtungsgabe, ihre Sensibilität und ihr Einfühlungsvermögen faszinieren, es sind Filme, geschrieben "in der ersten Person" von einem Regisseur, der die französische Nouvelle Vague anregte, aber als filmender Ethnologe in Afrika seine zweite Heimat fand. Max Ophüls
Im Juni haben wir in unserer Filmgeschichtsreihe einen besonderen Schwerpunkt "Max Ophüls" eingebaut und geben damit Gelegenheit, das Werk dieses Regisseurs kennen zu lernen, der als einer der größten Stilkünstler der Filmgeschichte gilt. "Max Ophüls, 1902 in Saarbrücken geboren, 1957 in Hamburg gestorben, emigrierte 1933 nach Frankreich, 1941 in die USA. Ab 1950 wieder in Europa, drehte er in Frankreich seine großen Filme LA RONDE (nach Schnitzler), Le Plaisir (nach Maupassant), MADAME DE und, als deutsch-französische Koproduktion, LOLA MONTEZ, in dessen Zirkuskuppel der Kritiker Claude Beylie 'das Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle' der modernen Kinematografie erblickte. (...) Ophüls' Filme lassen Vergangenheiten wieder auferstehen, die erfüllt sind von der sie erweckenden Fantasie. Sie haben das, was man Stil nennt: ein bestimmter Moll-Ton, gebrochen durch Ironie, wie er schon für den Romantizismus von LIEBELEI (1932), dessen Zartheit und Bitternis, bestimmend war. Nach außen hin sind Ophüls' Filme liebenswürdig und leicht, elegant. Aber unter der Oberfläche verbirgt sich Tragik, und in der ironisierenden Abweichung jener komödiantischen Ebene von diesem tragischen Unterton haben die Franzosen etwas Grausames und Eisiges wahrgenommen." (Peter Nau) Wir beginnen mit vier Filmen, die Ophüls Anfang der 30er Jahre in Deutschland realisierte. DIE VERLIEBTE FIRMA (1931) spielt mit Gesang und Tanz hinter den Kulissen, in den Büros und Laboratorien eines Studios und nimmt so das eigene Metier unter die Lupe. Bei den Dreharbeiten einer Berliner Filmproduktion in der bayerischen Provinz entbrennt ein Streit unter den Hauptdarstellern. Als dann auch noch eine junge Postbeamtin in die Dreharbeiten platzt, scheint das Chaos perfekt. (13.6.) Für ein heilloses Chaos sorgt auch ein ausgebrochener Bär in Ophüls' Lustspiel DIE VERKAUFTE BRAUT (1932) nach der gleichnamigen Oper von Smetana. Zu Beginn der Turbulenzen steht die Frage, ob die Tochter des Dorfbürgermeisters, Marie, Hans oder Wenzel heiraten soll. Der geschäftstüchtige Heiratsvermittler Kezal favorisiert den reichen Bauernsohn Wenzel, der sich wiederum in die durchreisende Zirkustänzerin Esmeralda verliebt hat. Auch Zirkusdirektor Brummer und seine Frau – Karl Valentin und Liesl Karlstadt – können die Verwirrungen nicht auflösen. (14.6.) Die Arbeitstitel "Champagnerkrieg" und "Teddy bleibt trocken" für Ophüls Film LACHENDE ERBEN (1932) verweisen bereits auf den Ort der Handlung: eine Sektfabrik, die nach dem Tod des kauzigen Besitzers an dessen Neffen gehen soll. Die Bedingung ist, dieser darf vier Wochen lang keinen Tropfen Alkohol trinken. Ophüls' Film voller rheinischem Lokalkolorit und Sprachwitz wurde 1937 von der NS-Filmprüfstelle verboten. (16.6.) Ophüls' gelungenstes Werk vor seiner Emigration ist zweifellos LIEBELEI (1932) nach Arthur Schnitzlers gleichnamigem Schauspiel. Im kaiserlichen Wien entspinnt sich die tragisch endende Liebesgeschichte zwischen der Tochter eines Orchestergeigers und einem Gardeleutnant. Entgegen den Wünschen der Produktion besetzte Ophüls die Hauptrollen seines leise und melancholisch inszenierten Films vorwiegend mit jungen, noch unbekannten Schauspielern. (17.6.) Nach Filmen in Frankreich und Italien dreht Max Ophüls einen Film im niederländischen Exil: KOMEDIE OM GELD (1936). Die einzelnen von einem Sprechen eingeleiteten Szenen handeln von einem soliden Bankboten, der in den Verdacht gerät, 50.000 Gulden, die er verloren hat, unterschlagen zu haben. Ganz im Gegensatz zur erwarteten Strafe bietet man ihm eine leitende Position in einer Bank an, was nicht nur ihn, sondern seine gesamte Familie in ungeahnte Schwierigkeiten bringt. Für Ophüls waren die Erfahrungen in den Niederlanden und die Arbeit an KOMEDIE OM Geld eher enttäuschend: "Immerhin habe ich während dieser Monate das Rijksmuseum sehr genau kennengelernt ... und eine neue Sprache ... und einen neuen Schauspielertyp." (20.6.) er in Frankreich gedrehte DE MAYERLING A SARAJEVO (1939/40) konnte wegen der französischen Generalmobilmachung erst kurz vor Einmarsch der deutschen Truppen Anfang 1940 fertiggestellt werden. Nach historischen Fakten erzählt Ophüls die letzten Jahre Franz Ferdinands von Österreich: von dem Tag an, wo er Thronfolger wird, bis zu seiner Ermordung in Sarajewo. Seine Liebe zu Gräfin Chotek wird von der Weltpolitik überschattet. (19.6.) Mit LETTER FROM AN UNKNOWN WOMAN (1948) verfilmte Ophüls eine Novelle von Stefan Zweig zu einem funkelnden Melodram um eine versagte Liebe. Eine junge Frau wird in leidenschaftliche Liebe zu ihrem Nachbarn, einen leichtlebigen Pianisten, mitgerissen. Als sie nach Jahren erkennen muss, dass er sich nicht einmal an sie erinnert und sie für ihn eine Frau unter vielen ist, geht sie mit dem gemeinsamen Kind in den Tod. (21. & 22.6.) In LA RONDE (Der Reigen, 1950) bezieht sich Ophüls wieder auf eine Vorlage von Schnitzler. Eingerahmt von den Auftritten eines "Spielführers", vollzieht sich ein Kreislauf von Liebesepisoden. Den Film durchzieht eine satirische Note, aber auch Melancholie; das sich drehende Karussell am Anfang und Schluss scheint anzudeuten, dass die Menschen, vom Schicksal geführt, sich im Kreise bewegen. (22.6.) MADAME DE (1953) erzählt die unwahrscheinliche Geschichte eines Paars kostbarer Ohrringe, die die Untreue einer Frau verraten, indem sie durch verschiedene Hände an ihren Ausgangsort zurückkehren. Durch den kalten Glanz, den eine virtuose Kameraführung und subtile Licht- und Spiegeleffekte allen Gegenständen verleihen, scheint merklich Trauer über die Veräußerlichung der erotischen Beziehungen durch. (23. & 25.6.) In Ophüls' meisterhaftem Film LOLA MONTEZ (1955) lässt die gleichnamige "Kurtisane und Geliebte von Königen" als Attraktionsnummer in einem Zirkus ihr Leben als Rückblende noch einmal Wirklichkeit werden. Die Episoden sind auf mehreren Stil- und Handlungsebenen kunstvoll zu einer großen Moritat sowie zur ironischen und boshaften Attacke gegen ein Publikum zusammengefügt, das sensationslüstern und wirklichkeitsblind ist. "Auf alles, was es an Gutem gibt in LOLA, bin ich vielleicht durch meine fehlende Erfahrung mit Farbe und Cinemascope gekommen." (Max Ophüls) (24.6.)

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