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Das Programm, das Ian White für das Arsenal kuratiert hat, ist ein Forschungsprojekt, benannt nach Rosa von Praunheims berühmtem Film von 1971. Es widmet sich dem Verhältnis zwischen künstlerischer und kuratorischer Praxis, zwischen einer Filmpräsentation und ihrem Kontext – bis zu dem Ausmaß, dass Kontext Inhalt wird und die Projektion eines Films zu einem manipulierten Performance-Event. Die Auswirkungen, die diese Forschungsarbeit auf die Praxis des Filmkurators hat, sind enorm, da sie auf die Geschichtlichkeit der Institution Kino verweisen und somit deren innere und äußere Grenzen aufzeigen.
Im Katalog des Internationalen Kurzfilmfestivals Oberhausen schrieb White über die einzigartige Natur jener Räume, welche vom expanded cinema bzw. other cinema besetzt werden: "Insbesondere durch die Gründung von Kooperativen in den späten 1960er Jahren als auch aufgrund der Tatsache, dass sie um andere Vermächtnisse wussten als nur um jene, die institutionell wahrgenommen wurden, operierten Kunstschaffende ästhetisch und physisch gesehen in einem Raum zwischen Kinosaal und Kunstgalerie und sahen beide oder keines von beiden nicht nur als Notwendigkeit an, um ihre Arbeiten zeigen zu können, sondern oftmals als untrennbaren, politischen oder theoretischen Bestandteil des Werkes selbst."
Vielleicht ist es gerade jener performative Umgang mit den räumlich wie ideell gegebenen Bedingungen von "Kino", der in dem vier Tage umfassenden Programm von Ian White in verschiedenen Facetten widergespiegelt wird. Seine eigene Praxis als Künstler spielte bei der Konzeption und Auswahl der Performances, Dia-Shows und Lesungen, die jede Filmprojektion begleiten, eine zentrale Rolle. In besonderer Weise wird dabei die Geschichte des Hauses thematisiert: bis auf wenige Ausnahmen liefen alle Filme, die im Programm gezeigt werden, 1971 beim 1. Internationalen Forum des jungen Films. Ihre Auswahl erfolgte streng konzeptuell, im Programm werden nur Filme von Frauen oder Kollektiven zu sehen sein. Das Verlassen des konventionellen Kinoraumes wird für den Zuschauer auch physisch spürbar: das Programm findet an drei Orten statt, dem Kino Arsenal, dem Veranstaltungsort lab.oratory und der Galerie Tanya Leighton, wo es mit Whites Performance IBIZA: A Reading For The Flicker eröffnet wird
THE FLICKER (Tony Conrad, USA 1965/66, 27.3.) ist eine Ikone des strukturellen Films. Der Film, der aus weißen und schwarzen Filmbildern besteht, evoziert durch stroboskopische Effekte beim Betrachter direkte neuronale Reaktionen und löst optische Eindrücke wie Farb- und Formsehen aus.
Im Arsenal wird ein Kurzfilmprogramm von parallelen Projektionen ergänzt: MONANGAMBEEE (Sarah Maldoror, Algerien 1996, 28.3.) heißt "Weißer Tod" und war der Schlachtruf der Bevölkerung Angolas bei der Ankunft der portugiesischen Sklavenhändler. Der Film erzählt von einer Frau, die ihren Mann im Gefängnis besucht und verspricht, ihm ein "Complet" zukommen zu lassen. Um die doppelte Bedeutung des Wortes herum entwirft die Regisseurin eine rhythmisierte Film-Collage über das Leben in einer kolonialisierten Gesellschaft. In D (Guido Lombardi, Anna Lajolo, I 1970) setzen die Filmemacher Bilder einer Paradiesvorstellung gegen die Dokumentation von Dörfern des östlichen Liguriens, deren Bewohner durch den Bau einer Autobahn ihrer Existenz beraubt werden. BLUE MONDAY/ WAR MACHINE (Duvet Brothers, GB 1984) ist ein zweiteiliger Experimentalfilm. Während WAR MACHINE einen Werbefilm paraphrasiert, indem er Ronald Reagans Stimme mit den Bildern von Kriegsopfern kombiniert, nimmt uns BLUE MONDAY mit auf eine visuelle Reise durch ein zerrüttetes Großbritannien, begleitet von einem Song der Band New Order
NICHT DER HOMOSEXUELLE IST PERVERS SONDERN DIE SITUATION IN DER ER LEBT (Rosa von Praunheim, BRD 1971, 28.3.) wird anhand einer zeitgleichen Projektion von Fotografien der Künstlerin Emily Roysdon aus einer zeitgenössischen queeren Perspektive beleuchtet. Der Film schlug bei seiner Erstausstrahlung 1972 im WDR Wellen der Empörung. Er kokettiert mit seiner schwulenfeindlichen Haltung: Die Geschichte von Daniel, der in die Großstadt kommt und alle Stationen im Leben eines schwulen Mannes der 1970er durchläuft, wird von einer mahnenden Stimme aus dem Off und Interviewausschnitten begleitet. Der "perfekte Dilettantismus", wie Christa Maerker es im Forumsprogramm von 1971 formuliert, der sowohl im Semi-Dokumentarischen des Films als auch in dessen Personenzeichnung und Situationsbeobachtung aufscheint, erzeugt beim Betrachter eine Verunsicherung, die bestenfalls zur Überprüfung der eigenen Haltung führt.
Am zweiten Tag des Programms im Arsenal wird der Film LES PASSAGERS gezeigt, begleitet von Tonaufnahmen aus dem algerischen Radio (über Kopfhörer). Die Performance-Gruppe Low in the Cave wird zudem den Film OTHON interpretieren.
LES PASSAGERS (Annie Tresgot, Algerien, 1971, 29.3.) begleitet den 18-jährigen Rachid, der 1968, sechs Jahre nach der algerischen Unabhängigkeit, nach Frankreich emigriert, bei seinem Reifeprozess.
OTHON (Danièle Huillet, Jean-Marie Straub, BRD/I 1970, 29.3.) wurde nach dem 1664 erstaufgeführten Stück von Pierre Corneille wortgetreu und an den Originalschauplätzen gedreht. Der Film erzählt in fünf Akten eine Geschichte von Liebe und Macht im alten Rom.
Den Abschluss bildet eine besondere Projektion von Richard Serras Hands im Veranstaltungsort lab.oratory (30.3.). Die Filmserie, die der amerikanische Künstler 1968 drehte, stellt seine Hände bei einfachen Tätigkeiten dar. Die Art, in der Serra sie in HAND CATCHING LEAD inszeniert, ist laut Rosalind Krauss zum einen direkte Referenz an das Medium Film, zum anderen handelt es sich um die filmische Betonung der eigenen künstlerischen Potenz. Gerade diese Komponente wird durch die Umgebung des lab.oratory auf eine besondere Weise hervorgehoben. (Anne Breimaier)
Eine Veranstaltung mit dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD.
Da das Programm letzten November aus unvorhersehbaren Gründen ausfallen musste, wird es nun wiederholt.

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