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Die Einführung des Farbfilms Mitte der 30er Jahre und die folgenden Entwicklungen auf diesem Gebiet gehören zu den bedeutendsten ästhetischen Innovationen der Kinematografie. Die Farbe im Film ist ein wichtiger Bestandteil der Bildorganisation sowie der filmischen Dramaturgie und darüber hinaus ein grundlegendes Element der Filmwahrnehmung. Mit acht abendfüllenden und sieben kurzen Filmen, Beispielen viragierter oder digital farbbearbeiteter Filme, gedreht auf unterschiedlichem Material von Technicolor bis Kodachrome, geben wir einen kleinen Einblick in die große Bandbreite des filmischen Umgangs und der Verwendung von Farbe im Film zwischen narrativer Bindung und Farb-Autonomie.
ALL THAT HEAVEN ALLOWS (Douglas Sirk, USA 1955, 1., 8. & 12.10.) Monochrome Farblichteffekte und die Industriefarben der amerikanischen Popkultur beherrschen Sirks Technicolor-Melodram um eine Witwe, die sich entgegen der Konventionen in einen jüngeren Mann verliebt. Exzessive Farbgebung als Ventil der emotionalen Übersteigerungen der Charaktere verweisen auf die beginnende Distanzierung der Farbe vom filmischen Text. Vorfilm: DIE URSZENE (Christine Noll Brinckmann, BRD 1981) – eine Untersuchung der Beziehung zwischen Film und Voyeurismus, smaragdgrün viragiert.
LOLA (R. W. Fassbinder, BRD 1981, 2. & 10.10.) Der dritte grell-parodistische Teil einer Untersuchung der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft gleicht einem Dialog zwischen den Farben Rot und Blau (Mann / Frau, Leidenschaft/Ordnung, innen/außen), die zunächst unversöhnlich aufeinandertreffen. Erst mit der aufkeimenden Beziehung zwischen einem integren Baudezernenten und der Prostituierten Lola wird die Farbordnung aufgelöst. Vorfilm: MOTHLIGHT (Stan Brakhage, USA 1963) Bunte Blütenblätter und Schmetterlingsflügel auf Blankfilm: kaleidoskopartige Bilder von abstrakter Schönheit.
LE MÉPRIS (Die Verachtung, Jean-Luc Godard, F 1963, 3.10., Einführung: Marc Glöde & 9.10.) Godards Film über das Filmemachen, die Welt des Films und das Zerbrechen der Ehe eines Drehbuchautors folgt einer konsequenten Farbdramaturgie: Braun, Gelb und Grün dominieren bei den Außenaufnahmen, Rot, Blau und Weiß in den Innenräumen. Die Vielzahl von (Farb-)Zitaten und Anspielungen, Dopplungen und -Brechungen machen den Film zu einem Dokument unermüdlicher (Selbst-)Reflexion. Vorfilm: Oskar Fischingers KOMPOSITION IN BLAU (D 1935).
VERTIGO (Alfred Hitchcock, USA 1958, 4. & 5.10.) Hitchcocks komplexe Farbregie ist erst durch die aufwendige Farbrekonstruktion 1998 nachvollziehbar geworden. Den farblichen Grundstock des Seelendramas eines zwischen Höhenangst, Liebe und Obsession gefangenen Ex-Polizisten bilden die Farben Rot, Grün und ihre Synthese Grau. Dabei spielt Hitchcock gekonnt mit der Oberfläche der Farben, die Figurenkonstellationen andeuten oder Szenen verbinden, und ihren emotionalen Untertönen, die das Innenleben der Figuren ausleuchten. Vorfilm: HEAT SHIMMER (Arthur & Corinne Cantrill, Australien 1978) zeigt ein beeindruckendes, in der Hitze Australiens flirrendes Farbspektrum.
FAR FROM HEAVEN (Todd Haynes, USA 2002, 6. & 7.10.) Subtile Hommage auf Douglas Sirk und ideale Symbiose äu-ßerlicher Bildschönheit und inhaltlicher Konfrontationslust: Das Eheleben eines amerikanischen Ehepaars gerät ins Wanken, als der Ehemann seiner homosexuellen Veranlagung nachgibt und die Frau ein Verhältnis mit einem anderen Mann eingeht. Die emotionale Wucht des Films entsteht u.a. aus der Farbopulenz des Films und der daraus resultierenden Künstlichkeit.
NOSFERATU, EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (F. W. Murnau, D 1921, 11.10. Einführung und am Klavier: Eunice Martins & 14.10., am Klavier: Eunice Martins) Bereits lange vor Einführung des Farbfilms experimentierten die Pioniere des Kinos mit Farben im Film: Hand- und Schablonenkolorierungen, Virage (monochrome Einfärbung) und Tonung (chemische Umwandlung des Filmmaterials) brachten Farben in das frühe Kino. Murnaus Dracula-Verfilmung läuft in einer viragierten Fassung, deren Farbdramaturgie den damaligen Usancen entsprach: Blau viragierte Szenen deuteten nächtliche oder Außen-Szenen an, gelbe Virage stand für Innen-aufnahmen, Rot symbolisierte Gefahr, Feuer oder auch Liebe, während die grüne Farbe auf Natur verwies. Eunice Martins wird beide Vorführungen am Klavier begleiten. Am 11.10. spricht sie über ihre Arbeit sowie den Einfluss der Farben auf ihre Art der musikalischen Begleitung. Vorfilm am 14.10.: Mary Ellen Butes COLOR RHAPSODIE (1939/48).
BLUE (Derek Jarman, GB 1993, 13., 20. & 23.10.) 72 Minuten Blue Screen: Die monochrome Leinwand zieht den Blick des Zuschauers in das Nichts der Farbe Blau. Nachhaltig zeigt Jarman in seiner Auseinanderset-zung mit dem Tod, dass sich die Existenz der Krankheit nicht im Bild be-weisen muss. Zu hören sind Meeresrauschen, Stimmen, darunter vorwiegend die Jarmans, Geschichten, Gedichte und Dialoge aus seinem Leben nach seiner AIDS-Infektion. Ein Vermächtnis, die letzten Worte eines großen Bildererzählers, der seine Sehkraft verloren hat.
THE RIVER (Jean Renoir, F/Indien/USA 1951, 15. & 25.10.) Renoirs erstes Ausloten der ästhetischen Möglichkeiten der Farbe im Film: „Der Film behandelt eine Farbfusion. Die indischen Lan-desfarben Grün und Rot reagieren auf Technicolor. Der bewegte Bezug zwischen zwei Kulturen schlägt sich nieder in Farbverhältnissen." (Frieda Grafe) An den Ufern des Ganges erleben drei britische Mädchen die erste Liebe. Vorfilm: STILL LIFE (Jenny Okun, GB 1976)
BLUE VELVET (David Lynch, USA 1986, 24. & 26.10.) In Lynchs verstörendem Thriller trifft eine farblich übersättigte und dadurch in ihrer Künstlichkeit entlarvte Vorstadtidylle auf eine dunkel-mysteriöse Welt des Verbrechens. Dabei liegt in der Überbetonung der Farbsymbolik bereits ihre Dekonstruktion. Vorfilm: BACK TO NATURE (George Kuchar, USA 1976) – Liebe und Verrat vor dem Hintergrund der überwältigenden Naturkulisse des Death Valleys.

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