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Das Kino von Claire Denis verhandelt immer wieder Erfahrungen des Fremdseins. In Afrika, in Paris, im Jura, in New York, in der Südsee. Es umkreist Figuren, die am Rande stehen, wortkarge Einzelgänger, Außenseiter, Neuankömmlinge, Heimatlose, Menschen, die sich nicht reibungslos anpassen – Fremde in vielerlei Hinsicht. Ihre Filme erforschen verschiedene Kodierungen von Fremdheit, die Grenze zwischen Eigenem und Fremdem in einer postkolonialen Welt. Doch werden die damit verbundenen Phänomene und Diskurse um Migration, Rassismus, Identitätspolitik, Abhängigkeitsverhältnisse und Überlebenskämpfe bei Claire Denis nie als Thema ausgestellt und plakativ formuliert, sondern sie sind den Körpern der Figuren, die sich in ihren Geschichten bewegen, immanent. Die Verhältnisse werden an den Körpern manifest. Der physische Einsatz in den Filmen von Claire Denis ist hoch – ein Kino der Körper. Ihre Figuren agieren nicht als psychologisch motivierte Subjekte, sondern als "Körper, die mit vertrauten oder fremden Umgebungen reagieren" (Martine Beugnet). Nichts wird erklärt, Orte und Menschen behalten ihr Geheimnis. Nur wenig wird über Dialoge ausgehandelt – statt dessen erzählen Blicke, Bewegungen, Gesten und Körpersprache. Das Geschehen ist in lose verbundenen Strängen organisiert, verschiedene Geschichten laufen nebeneinander her, kreuzen sich manchmal, um bisweilen nie wieder aufzutauchen. Die Bindungen zwischen den Bildern sind oft sehr locker, die Ebenen von Wirklichkeit und Traum nicht klar voneinander geschieden. Aus Fragmenten, Rückblenden, Fantasien, Auslassungen und Andeutungen entsteht ein komplexes Gewebe, das nicht in Handlungsökonomie und kausaler Konstruktion aufgeht. Das hat manchmal verstörende Qualität, ist enigmatisch und faszinierend zugleich.
Die Privilegierung des Physischen zeigt sich auch in der Taktilität des visuellen Stils von Claire Denis und ihrer Kamerafrau Agnès Godard. Ihr Blick auf Körper, Gegenstände und Landschaften tastet sich an der Textur von Oberflächen entlang, provoziert Synästhesien und bindet die Zu-schauer über vielfältige Sinneseindrücke ein. Zugleich beziehen sich viele Filme von Claire Denis auf literarische und theoretische Texte: Jean-Luc Nancy, Frantz Fanon, Chester Himes, Herman Melville, Benjamin Britten, Marie NDiaye, Emmanuèle Bernheim, William Faulkner u. a. fungieren als Referenzen und Inspirationen.
Ein für Claire Denis zentrales Bindeglied zwischen Körpern und Diskursen ist die Popkultur. Der spezifische und auf den Punkt genaue Einsatz von Musik prägt ihre Filme entscheidend: Songs von Bob Marley, Corona, Neil Young, Otis Redding, Nico, Tarkan, den Commodores, Yardbirds, Animals, Beach Boys, u. v. a. m., genauso wie der Sound der Tindersticks, der gesamte Filme erfasst. Die Tindersticks gehören zu den Verbündeten von Claire Denis, mit denen sie immer wieder zusammenarbeitet, wie mit den Schauspielern Isaach de Bankolé, Alex Descas, Vincent Gallo, Katerina Golubeva, Béatrice Dalle, Alice Houri, Grégoire Colin und Michel Subor, mit der Cutterin Nelly Quettier, ihrem langjährigen Ko-Drehbuchautor Jean-Pol Fargeau und der Kamerafrau Agnès Godard.
WHITE MATERIAL (F / Kamerun 2009, 1.10., Eröffnung in Anwesenheit von Claire Denis & 6.10.) Irgendwo in Afrika. Ein Bürgerkrieg tobt, Rebellen und Soldaten kämpfen um die Vormacht. Auch Kindersoldaten machen die Gegend unsicher. Die meisten Menschen haben die Flucht ergriffen, nur Maria Vial (Isabelle Huppert) harrt stur auf ihrer Kaffeeplantage aus und will partout die Ernte einbringen. Wie besessen verschließt sie die Augen vor den Realitäten und der Gefahr. Die Plantage wird zum Schauplatz eines schleichenden Zerfalls, der auch ihre Familie betrifft: Der Sohn ist auf einem Wahnsinns-Trip. Ihr Ex-Mann will seine Haut durch Geschäfte mit dem Bürgermeister retten, der Vater (Michel Subor) ist sterbenskrank. Wie immer sind die Beziehungen bei Denis nicht einfach zu durchschauen. Rückblenden, Ellipsen, Visionen und die Gegenwarts-ebene ergeben eine vielschichtige Struktur. Eine faszinierende Reflexion über postkoloniale Fragen und die Widersprüche einer postkolonialen Identität mit Szenen von (alp-)traumähnlicher Intensität.
L'INTRUS (The Intruder, F 2004, 2.10., in Anwesenheit von Claire Denis & 8.10., Einführung: Kathrin Peters) Gejagt von den Gespenstern der Vergangenheit lebt ein alter Mann (Michel Subor) mit seinen Hunden im Wald an der Grenze zur Schweiz, wo viele Schmuggler und Flüchtlinge umherstreifen. Er kauft ein fremdes Herz, um sich einer Transplantation zu unterziehen, und auf der Suche nach seinem verlorenen Sohn reist er aus dem winterlichen französischen Jura in die Südsee. Die elliptische Erzählung ist fern von narrativer Geschlossenheit. Vieles bleibt unvermittelt. Nie weiß man wirklich, wie real das Geschehen ist, was Imaginationen, Ahnungen, Erinnerungen, Heimsuchungen sind. Eine Reflexion über innere und äußere Grenzen. Ein vielfältig vibrierender Film, inspiriert vom gleichnamigen Text des Philosophen Jean-Luc Nancy und den Südsee-Romanen von Robert Louis Stevenson, komponiert aus Fragmenten, die geradezu haptisch erfahrbar sind. Bilder, die man nicht vergisst.
VERS NANCY (GB / D / F 2002, 8.10., Einführung: Kathrin Peters & 17. & 28.10.) Dieser Beitrag zum Kompilationsfilm Ten Minutes Older: The Cello zeigt ein während einer Zugfahrt aufgenommenes Gespräch des in produktiver Nähe zu Denis’ Arbeit stehenden Philosophen Jean-Luc Nancy mit einer Studentin, die zu Frankreich in einem Verhältnis der Fremdheit steht. Es kreist um die Frage, wie und warum ein Fremder zum Fremden wird, was ihn zum Eindringling macht. Auf dem Gang vor dem Abteil steht ein Schwarzer (Alex Descas) und setzt sich zu ihnen.
CHOCOLAT (F / BRD / Kamerun 1988, 3. & 17.10.) Der Debütfilm von Claire Denis blickt durch die Augen eines weißen Mädchens auf den Kolonialismus: France (!) wächst Ende der 1950er Jahre als Kind eines französischen Kolonialbeamten in Kamerun auf. Mit ihrer Mutter bleibt sie in Abwesenheit des Vaters häufig in der Obhut des schwarzen Dieners Protée (Isaach de Bankolé) auf der abgelegenen Farm zurück. Die Beziehung der drei steht im Zentrum der Erzählung, die mit einer Rückblende einsetzt. France verbindet eine Vertrautheit mit Protée – sie verbündet sich mit seinem Blick. Zwischen ihrer Mutter und Protée gibt es ein untergründiges Begehren. Die Hierarchien sind (noch) intakt – doch in manchen Gesten manifestieren sich bereits feine Risse im Gefüge kolonialer Selbstverständlichkeiten, Anzeichen einer Unruhe. Ein (autobiografisch grundierter) Film der Blicke und Gesten, des Staunens und Schweigens, der latenten Stimmungen.
S'EN FOUT LA MORT (Scheiß auf den Tod, F / BRD 1990, 3. & 13.10.) Fighting on arrival, fighting for survival: Ein junger Schwarzer von den Antillen (Alex Descas) und sein Freund aus Afrika (Isaach de Bankolé) werden von einem Restaurantbesitzer engagiert, der illegale Schaukämpfe mit Hähnen und Wettgeschäfte in einem Gewerbegebiet am Rande von Paris veranstaltet. In einem engen Keller trainiert und präpariert der eine wortkarg die Hähne (mit Spezialnahrung und Hip-Hop-Musik), der andere figuriert als Erzähler aus dem Off und kümmert sich um seinen Freund, den unausgesprochenes Begehren und das klaustrophobische Immigranten-Dasein an den Rand des Wahnsinns treiben. Einerseits mit beweglicher Handkamera aufgenommene realistische Milieuzeichnung, andererseits Post-Film-noir mit melodramatischer Konstellation, vermag der Film in Bildern und über die Körpersprache der Figuren das zu vermitteln, was er nicht in Worte fasst.
POUR USHARI AHMED MAHMOUD, SOUDAN (F 1991, 3. & 13.10.) Claire Denis' Beitrag zu dem von Amnesty International in Auftrag gegebenen Gemeinschaftsfilm Contre l'oubli ist dem sudanesischen Menschenrechtsaktivisten Mahmoud gewidmet. Ein filmischer Brief in Form eines Chansons von Alain Souchon und Aufnahmen von zwei schwarzen Männern, die durch das Pariser Viertel Belleville gehen.
MAN NO RUN (F 1989, 5. & 26.10.) Der Dokumentarfilm begleitet die aus Kamerun stammende Band Les Têtes brûlées auf ihrer ersten Frankreich-Tournee. Die Band spielt traditionelle Bikutsi-Musik in einer wilden, rasanten, punkigen Rock-Variante mit elektrischen Gitarren. Die fünf Musiker treten mit kahlrasierten Schädeln, weißer Körperbemalung und bunten Rucksäcken auf. Man sieht mitreißende Konzerte mit tobendem Publikum, aber auch die Langeweile zwischen den Auftritten, alltägliche Verrichtungen, öde Fahrten auf der Autobahn und die Konfrontation mit der fremden, kühlen französischen Umgebung, die skurrile Szenen zur Folge hat.
CLAIRE DENIS – LA VAGABONDE (Die Vagabundin, Sébastien Lifshitz, F 1995, 7. & 25.10.) Ein aufschlussreiches Gespräch mit Claire Denis, in Nahaufnahme gefilmt. Sie spricht über ihre Filme, ihre Laufbahn, von ihr verehrte Regisseure wie Renoir und Ozu, über die Schriften von Frantz Fanon, dem Vordenker der Entkolonialisierung, und über ihre grundlegenden Überzeugungen in Bezug auf Licht, Ton, Montage, Plansequenzen und die dem Bild untergeordnete Rolle der Dialoge in ihren Filmen. Ihre Aussagen werden flankiert von sorgfältig gewählten Filmausschnitten aus CHOCOLAT, S'EN FOUT LA MORT, J'AI PAS SOMMEIL und U.S. GO HOME.
LE 15 MAI (F 1969, 7. & 25.10.) Ein lange Zeit verloren geglaubter Science-Fiction-Film, inspiriert von einer Kurzgeschichte von Philip K. Dick, den Claire Denis zusammen mit anderen Studierenden der Filmhochschule IDHEC realisiert hat. Ein junges Paar erwacht, beide haben schlecht geträumt. Der Tag verläuft seltsam. Am nächsten Morgen ist immer noch der 15. Mai. Der Mann versucht, der Sache auf den Grund zu gehen.
TROUBLE EVERY DAY (F / D / Japan 2001, 9.10., Einführung: Daniel Eschkötter & 14.10.) Ein Paar aus den USA kommt auf Hochzeitsreise nach Paris. Er, ein Wissenschaftler (Vincent Gallo), hat schon während des Flugs blutige sexuelle Fantasien, die er mit Medikamenten zu kontrollieren sucht. Zu deren Bekämpfung ist er auf einen ehemaligen Kollegen (Alex Descas) angewiesen, dessen Frau (Béatrice Dalle) ihre Opfer zu Tode liebt. Küsse und Bisse. Lust und Schmerz. Sex und Gewalt. Tödliches Begehren, das im Sex in blutigen Vampirismus und Kannibalismus umschlägt. In den klinischen Laboren der Wissenschaft herrscht Ratlosigkeit. Versetzt mit Fragmenten des Vampirfilm-Genres und melancholischer Musik der Tindersticks ist dies ein Film über Lust und Tod, der buchstäblich unter die Haut geht.
VERS MATHILDE (F 2005, 10.10., Einführung: Birgit Kohler & 17.10.) VERS MATHILDE ist nicht nur das Porträt einer außergewöhnlichen Künstlerin, sondern auch eine Arbeit über Körper, Bewegung, Raum und Worte – eine gemeinsame Recherche zweier Künstlerinnen mit den Mitteln des Tanzes und des Kinos. Der Film zeigt nicht die Aufführung, sondern konzentriert sich auf den Tanz in der Entstehung, auf die Recherchen, die Arbeit mit Texten, das Training, die Proben, Work in progress. Die Kamera sucht dabei immer wieder die Nähe der Körper, als würde sie diese mit dem Auge berühren wollen. Die Taktilität der Kamera wird durch die Super-8-Aufnahmen unterstrichen, die das Korn des Films sichtbar machen. VERS MATHILDE ist, im wörtlichen Sinne, eine nicht abgeschlossene Bewegung auf die Choreografin und Tänzerin Mathilde Monnier zu, der Prozess einer filmischen Annäherung.
BEAU TRAVAIL (F 1999, 10. & 22.10., Einführung: Christine N. Brinckmann) Eine im Rückblick erzählte Geschichte aus der Fremdenlegion, frei inspiriert von Melvilles Billy Budd, unterlegt mit Passagen aus Brittens gleichnamiger Oper und einem Song von Neil Young, choreografiert von Bernardo Montet, aber auch von der virtuosen Kamerafrau Agnès Godard. Auf einem abgelegenen Außenposten am Horn von Afrika: Galoup (Denis Lavant) empfindet den neuen Rekruten (Grégoire Colin) als Konkurrenten um die Gunst des Kommandanten (Michel Subor) und beschließt, ihn aus dem Weg zu räumen. Eine Aneinanderreihung flirrender Szenen und eine Choreografie trainierender, kämpfender und bügelnder Körper – Fremdkörper in der afrikanischen Wüstenlandschaft. Der Gegensatz zum domestiziert-disziplinierten Kampfkörper dann in einer grandiosen Szene am Schluss: Rhythm of the Night – ein ekstatischer Tanz.
JACQUES RIVETTE, LE VEILLEUR (Der Wächter, Claire Denis mit Serge Daney, F 1990, 12. & 24.10.) Im Rahmen der legendären Serie Cinéma, de notre temps porträtiert Claire Denis den eher medienscheuen Regisseur und Filmkritiker Jacques Rivette, dessen Assistentin sie einst war, im Gespräch mit einem anderen Kritiker und Cinéphilen: Serge Daney. Die beiden beschäftigen sich in den zwei Teilen des Films (Le jour / La nuit) mit den Debüts der "Viererbande" Godard, Rivette, Rohmer, Truffaut, mit den Cahiers du cinéma, mit André Bazin und – in Wort und Bild – mit fünf zentralen Werken aus Rivettes Filmografie: Paris nous appartient, L'Amour fou, Out 1, Duelle und Le Pont du nord.
U.S. GO HOME (F 1995, 15. & 19.10.) Ein Neubau in einem Vorort von Paris, 1965. Alain (Grégoire Colin) tanzt, die Kippe im Mundwinkel, zur kompletten Länge eines Stücks der Yardbirds. Er zappelt, springt und lacht zwischen Bett und Boden seines kleinen Zimmers, vor Postern der Animals und großgemusterter Tapete. Er schafft sich einen Freiraum über die Musik. Seine Schwester (Alice Houri) plant pragmatisch ihre Entjungferung. Auf der dafür vorgesehenen Party, umgeben von umschlungenen Körpern im nächtlichen Halbdunkel, ändert sie ihre Absichten. Wenig später fällt ihre Wahl auf einen in der Nähe stationierten amerikanischen Soldaten (Vincent Gallo). In Claire Denis' Beitrag zur Arte-Reihe Tous les garçons et les filles de leur âge zeigt sich einmal mehr, wie sie komplexe Vorgänge durch rein filmische Mittel – Licht, Rhythmus, Gesten, Choreografie, Blicke und Klänge – vermittelt.
KEEP IT FOR YOURSELF (USA / F / NL 1991, 19. & 28.10.) Eine nur gebrochen englisch-sprechende Französin kommt in New York an, doch statt wie verabredet von ihrem Freund in Empfang genommen zu werden, erwartet sie nur dessen leere Wohnung. Sie streift durch die Stadt, bis der Auftritt eines verrückten Autodiebs (Vincent Gallo) für eine überraschende Wendung sorgt. Ein heiterer New-York-in-the-early-90s-Film in blendendem Schwarzweiß, der an Jim Jar-musch denken lässt – nicht nur wegen der Musik von John Lurie.
NÉNETTE ET BONI (F 1996, 15.10., Einführung: Chris Tedjasukmana & 23.10.) Man erfährt es beiläufig: Nenétte (Alice Houri) und Boni (Grégore Colin) sind Geschwister, die seit dem Tod der Mutter nichts mehr miteinander zu tun haben. Er arbeitet als Pizzabäcker im Hafen der Immigrantentstadt Marseille und hat die Bäckersfrau (Valeria Bruni Tedeschi) zum Zentrum seiner sexuellen Fantasien auserkoren – die jedoch in einer wunderbar verliebten Szene zu einem Song von den Beach Boys mit ihrem amerikanischen Bäckergatten (Vincent Gallo) flirtet. Als Nénette plötzlich schwanger vor Bonis Tür steht, weist er sie ab und will sie nicht in seine Welt eindringen lassen – zwei Körper, die sich in der Folge zugleich anziehen und abstoßen. Den desillusionierenden Realitäten steht die Flucht in Tagträume und Sehnsüchte gegenüber. Die Kamera agiert wie ein tastendes Organ an den Oberflächentexturen entlang: den Härchen eines rosa Pullovers, einem weißen Kaninchen und duftenden Brioches.
NICE, VERY NICE (F 1995, 23. & 28.10.) Claire Denis' Beitrag zum Episodenfilm À propos de Nice, la suite, der als Hommage an Jean Vigos À propos de Nice (1930) entstand. Der fast wortlose Film spielt während des Karnevals in Nizza und folgt den Streifzügen eines jungen Mannes (Grégoire Colin), der einen Revolver und einen Auftrag erhalten hat.
J'AI PAS SOMMEIL (Ich kann nicht schlafen, F / CH 1994, 16.10., Einführung: Dominique Bluher & 20.10.) Eine junge Immigrantin aus Litauen hofft, dass es in Paris eine Zukunft für sie gibt. Théo, ein Jazz-Musiker, der sein Geld mit Schwarzarbeit verdient, hat die Hoffnung verloren und will mit seinem Sohn zurück nach Martinique. Sein schwuler Bruder Camille singt nachts in Bars, geht auf den Strich, dealt und überfällt und ermordet zusammen mit seinem Freund alte Frauen. Der Film stellt den Serienmörder nicht ins Zentrum, reiht Menschen und Handlungen antidramatisch nebeneinander, ein loses Beziehungsgeflecht mit harten Schnitten. Die Geschichten berühren sich nur an den Rändern und durch den Schauplatz: das 18. Arrondissement in Paris. Inspiriert von einem spektakulären Kriminalfall, interessiert sich Denis nicht für Ursachenforschung oder einen um die Morde zentrierten Spannungsaufbau. Ein Großstadtmosaik voller Rastlosigkeit, anonym und intim zugleich.
DUO (GB 1995, 16. & 20.10.) ist die Betrachtung der gleichnamigen Zeichnung von Jacques de Loustal. Ein schwarzer Mann blickt auf eine weiße Frau, die sich auf dem Bett räkelt. Langsam schwenkt die Kamera an ihrem nackten Körper entlang. Dann ein Schnitt und der Blick eines schwarzen Mannes (Alex Descas), der neben dem Bild sitzt. Auf der Tonspur ein jazziger Mambo.
À PROPOS D'UNE DÉCLARATION (F 1996, 16. & 20.10.) Eine Auftragsarbeit der Fondation Cartier zum Thema Liebe. Ein schwarzer Mann im Bett. Das Schamhaar einer weißen Frau in der Badewanne. Ein Plastikfisch. Sie beginnt, sich zu rasieren.
35 RHUMS (35 Rum, F / D 2008, 16. & 30.10.) Lionel (Alex Descas), der als Zugführer bei der RER arbeitet, hat seine Tochter alleine groß gezogen. Beide wissen, dass ihre gemeinsame Zeit zu Ende geht, weil sie erwachsen geworden ist. Nun heißt es, einander loszulassen. Die Vertrautheit ihres Miteinanders braucht keine Worte. Auf der Fahrt zu einem Konzert landen sie wegen einer Autopanne in einer Bar mit Jukebox und fangen an, zu "Nightshift" von den Commodores zu tanzen. Mit diesem Tanz eröffnen sich neue Perspektiven und das Vater-Tochter-Verhältnis verschiebt sich unmerklich. Ausgetragen wird all das allein mit Bewegungen und Blicken. Mit diesem zärtlichen Film über das Abschiednehmen – eine Variation auf Ozus Banshun – kehrt Claire Denis in die Pariser Banlieue zurück.
LA ROBE À CERCEAU (Der Reifrock, F 1992, 25. & 28.10.) In einem leeren Café sitzt nur noch ein einziger Gast. Es ist Nacht. Die Wirtin macht sich einen letzten Kaffee und das Radio leiser. Dann beginnt der Mann aus dem vor ihm liegenden Heft vorzulesen. Ein autobiografischer Monolog des Schauspielers Jacques Nolot.
VENDREDI SOIR (Friday Night, F 2002, 29. & 31.10.) Eine Frau packt am Abend vor dem Umzug in die Wohnung ihres Verlobten ihre Sachen in Kartons. Dann steigt sie ins Auto, bleibt auf dem Weg zu Freunden im Pariser Verkehrschaos stecken, nimmt einen schweigsamen Beifahrer mit und verbringt die Nacht mit ihm. Fast keine Geschichte, aber unglaublich viel Atmosphäre und Intensität. Momentaufnahmen der regennassen Straße, Bewegungsstudien, Gesichter von Menschen hinter Scheiben. Die Dialoge sind rar, der Fokus liegt darauf, wie die Körper aufeinander reagieren. Ein Verkehrsstau als sinnliches Erlebnis.
Die von Isabella Reicher und Michael Omasta herausgegebene Monografie über Claire Denis (FilmmuseumSynemaPublikationen) ist an der Kasse zum Preis von 18 Euro erhältlich.
Eine Veranstaltung mit freundlicher Unterstützung der Botschaft von Frankreich.

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