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Die Lebensbedingungen in Mafrouza sind hart, der Alltag der Bewohner mühsam und voller Entbehrungen: Sie wohnen in großer Armut in verfallenen Häusern, ohne fließendes Wasser, Müllabfuhr und Kanalisation. Doch sie reagieren mit unglaublicher Energie und Fantasie auf die Gegebenheiten und erfinden verblüffende Strategien, den Widrigkeiten zu trotzen und dem Überlebenskampf Momente des Glücks abzuringen. Nach ersten Begegnungen mit Bewohnern des Viertels zu Anfang des Films bilden sich allmählich Protagonisten heraus, die in allen Episoden wiederkehren: ein Paar auf der Suche nach dem Glück, ein Lebensmittelhändler, der zugleich Imam ist, ein singender Deserteur, ein alter Mann, der Sisyphos gleicht, eine Bäuerin und ihr Backofen und eine Familie von Müllsammlern.

MAFROUZA entwickelt sich im Lauf der Zeit zu einer vielstimmigen Chronik und zu einer Hommage auf die Menschlichkeit, den Mut und die Lebenskraft seiner Bewohner. Doch der Film erzählt nicht nur ihre Geschichte, sondern auch die Geschichte ihrer Begegnung mit der Filmemacherin und ihrer Beziehung zueinander. Im Zuge dessen reflektieren die Bewohner in Reaktion auf die Dreharbeiten fundamentale Fragen des Filmemachens und des dokumentarischen Ethos wie z. B. die Repräsentation von Armut, die Position der Filmemacherin und den Blick einer Fremden. Der Status der Kamera als Akteurin spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die ausdrückliche und direkte Bezugnahme auf die Kamera als Subjekt des Austauschs macht den Blick frei für eine Begegnung mit den Menschen aus Mafrouza jenseits von generalisierenden Zuschreibungen und verbreiteten Klischeevorstellungen. Sie repräsentieren nicht "Ägypter", "Araber", "Muslime" oder "Opfer der Globalisierung". Sie sind Frauen und Männer, die arbeiten, lieben, Probleme haben, sich gegenseitig helfen, Gedichte schreiben, singen, feiern, diskutieren und Geschichten erzählen. Vor den Augen der Filmemacherin und im Dialog mit ihrer Kamera erweist sich der Slum als vielschichtiges Universum und seine Bewohner als versierte Lebenskünstler.

Die fünf Teile des MAFROUZA-Zyklus (à jeweils ca. 2,5 Stunden Dauer) folgen chronologisch aufeinander, doch jeder Film funktioniert auch eigenständig und jenseits der Chronologie.
MAFROUZA 1: MAFROUZA – OH LA NUIT! (Mafrouza – Oh Night!, Emmanuelle Demoris, F 2007, 18.3., Eröffnung in Anwesenheit von Emmanuelle Demoris & 22.3.) Der erste Besuch in Mafrouza ist eher archäologischer Natur und zunächst vor allem an den antiken Grabstätten der Vergangenheit interessiert. Doch durch eine Hochzeitsfeier voller Freude, Vitalität und viel Musik wird man in die Gegenwart des Viertels katapultiert. Danach macht man Bekanntschaft mit mehreren Personen und ihrem schwierigen Alltag: ein alter Mann, der sein überschwemmtes Haus leer schöpft. Eine Frau, die ihr Brot unter freiem Himmel im winterlichen Regen bäckt. Eine muslimische Müllsammlerfamilie, die den Heiligen Georg um Schutz ersucht. Ein junges Paar, das mit erstaunlicher Offenheit über seine Beziehung und die Liebe spricht.
MAFROUZA 2: MAFROUZA / CŒUR (Mafrouza / Heart, Emmanuelle Demoris, F 2007–2010, 19.3., in Anwesenheit von Emmanuelle Demoris & 23.3.) Ein junger Mann stellt in einem Sprechgesang die Stadt vor. Eine Frau verbringt Stunden damit, aus Steinen einen neuen Backofen zu bauen, auf einem Müllplatz – den sie zu ihrer Bühne macht. Im Lebensmittelladen diskutiert man, ob der entstehende Film auf Festivals gezeigt wird. Es gibt lange Gespräche über die Liebe, Scheidung, Versöhnung, Gott und die Welt. Immer wieder werden die Dreharbeiten kommentiert, das Gefilmtwerden sowie die Position der Filmemacherin hinterfragt bzw. verteidigt. Die Menschen von Mafrouza leben und arbeiten in der sommerlichen Hitze und wenden sich direkt an die Kamera. Diese wird selbst zur Akteurin – und ihr Blick zu dem einer teilnehmenden Beobachterin.
MAFROUZA 3: QUE FAIRE? (What Is to Be Done?, Emmanuelle Demoris, F 2010, 19.3., Einführung: Dr. Samuli Schielke (Zentrum Moderner Orient), in Anwesenheit von Emmanuelle Demoris & 24.3.) Der Sommer geht dem Ende zu. Man verbringt die letzten warmen Tage mit den Bewohnern des Viertels, die einem mittlerweile vertraut geworden sind und folgt ihrem Tun und Treiben, das immer spontan aus dem Moment heraus entsteht. Jeder findet immer wieder einen Anlass, sich zu freuen. Abu Hosny repariert wieder einmal sein überschwemmtes Haus, eine wahre Sisyphosarbeit. Hassan, Sänger und Filou, treibt sich im Labyrinth der engen Gassen des Viertels herum. Der Lebensmittelhändler und Imam Mohamed Khattab rezitiert das Freitagsgebet in der Moschee. Adel und Ghada erwarten ein Kind. Alle ergreifen das Wort, um sich zum Leben im Allgemeinen und zum gemeinsamen Zusammenleben im Besonderen zu äußern.
MAFROUZA 4: LA MAIN DU PAPILLON (The Hand of the Butterfly, Emmanuelle Demoris, F 2010, 20.3., in Anwesenheit von Emmanuelle Demoris & 25.3.) Zwei große Ereignisse bahnen sich zu Beginn des Winters an: die sehnlich erwartete Geburt eines kleinen Jungen und die Verlobung einer jungen Frau. Im Innern der Behausungen herrscht gespannte Erwartung. Mütter, Schwestern und kleine Mädchen bieten ihre Unterstützung an, dauernde Ansammlungen vieler Personen sind an der Tagesordnung. Aufgehoben in der Geschäftigkeit der Familie, aber auch ausgestattet mit der Fähigkeit, dem Trubel zu entgehen, findet trotz der allgemeinen Aufregung jeder seinen Platz. Es wird bisweilen eine imaginäre Welt beschworen, um die Realität lebenswert zu machen. Und man spricht über das Leben, den Tod und den Unterschied zwischen den Geschlechtern.
MAFROUZA 5: PARABOLES (The Art of Speaking, Emmanuelle Demoris, F 2010, 20.3., in Anwesenheit von Emmanuelle Demoris & 26.3.) Mohamed Khattab führt den Lebensmittelladen des Viertels. Als Imam hält er normalerweise freitags auch die Predigt in der Moschee – doch jetzt, kurz vor dem islamischen Opferfest, haben die Fundamentalisten die Moschee übernommen. Die Menschen von Mafrouza nehmen diese Machtübernahme gelassen. So meint etwa Mohameds treuer Freund: "Die Muslimbrüder versuchen, die Menschen anzulocken. Wenn du jemanden liebst, versuchst du nicht, ihn anzulocken – du sprichst ohne Umschweife mit ihm." Mohamed ist gekränkt ob des Platzverweises, doch er verliert weder die Fassung noch seine Ironie. Schließlich findet er die Worte, um seinen Zorn und seinen Dissens mit den Fundamentalisten zum Ausdruck zu bringen. Und er schenkt der Kamera ein umwerfendes Lächeln.

Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Zentrum Moderner Orient (Berlin).

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