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Mit einem "Keuschheitsgelübde" wartete das 1995 zum 100. Geburtstag des Kinos vorgestellte Manifest Dogma 95 auf. Zwei dänische Regisseure, Lars von Trier und Thomas Vinterberg kritisierten darin die Wirklichkeitsentfremdung und den Illusionscharakter des zeitgenössischen Kinos und stellten zehn Regeln auf, die einen neuen Bezug zur Wirklichkeit schaffen sollten. Der erste Dogma-Film, FESTEN (Das Fest, Thomas Vinterberg, DK 1998, 5.2.) zerlegt eine nur vordergründig intakte Familie an der 60. Geburtstagsfeier des Familienvaters. Hinter der großbürgerlichen Fassade tun sich Abgründe auf – der Festsaal wird zum Austragungsort einer schonungslosen Abrechnung.

André Bretons 1. Manifest des Surrealismus definierte den Surrealismus als "psychischen Automatismus", bei dem das freie Spiel der Gedanken nicht durch die Vernunft kontrolliert werden sollte. Der Schlüsselfilm des Surrealismus ist Luis Buñuels L'ÂGE D'OR (Das goldene Zeitalter, F 1930, 1. & 10.2.). Die Flut von Bildern, Metaphern und Symbolen war ein provokatives Pamphlet gegen die gesellschaftliche Ordnung und führte zu erbittertem Widerstand von Seiten der Kirche und des Staates.
Ebenfalls im Umfeld des Surrealismus angesiedelt ist LE SANG D'UN POÈTE (Das Blut eines Dichters, Jean Cocteau, F 1930, 1. & 10.2.). Cocteau sah seinen Film als "eine realistische Dokumentation irrealer Ereignisse". Der zu Beginn des Films berstende Schornstein steht sinnbildlich für das Aufbrechen aller filmischen Regeln von Raum und Zeit.

"Der Traum vom Tonfilm ist Wirklichkeit geworden", heißt es im von Sergej Eisenstein, Wsewolod Pudowkin und Grigori Alexandrow 1928 herausgegebenen Manifest zum Tonfilm, in dem sie sich in Weiterentwicklung der Montagetheorie mit Möglichkeiten und Problemen des Tonfilms auseinandersetzten. "Nur eine kontrapunktische Verwendung des Tons in Beziehung zum visuellen Montage-Bestandteil wird neue Möglichkeiten der Montage-Entwicklung und Montage-Perfektion erlauben." Ein überzeugendes Beispiel praktischer Umsetzung der kontrapunktischen Verwendung des Tons ist Pudowkins erster Tonfilm DESERTIR (UdSSR 1933, 2. & 3.2.), in dem die Tonspur einen eigenständigen, vom Bild unabhängigen Rhythmus entwickelt. DESERTIR handelt von einem Hafenarbeiter, der zum Streikbrecher wird, dann jedoch von seinen kommunistischen Kollegen eine zweite Chance erhält.

Zwei Texte von François Truffaut waren wichtige Wegbereiter der französischen Nouvelle Vague, die Ende der 50er Jahre im Umfeld einiger junger Kritiker und angehender Regisseure der Cahiers du cinéma entstand. Als Gegenreaktion auf die standardisierte Qualitäts-Produktion der Nachkriegszeit forderten sie die "politique des auteurs", die den Regisseur zum Autoren eines Filmes macht. Im 1954 entstandenen Artikel Eine gewisse Tendenz im französischen Film analysiert Truffaut sarkastisch die Schwächen des etablierten Films. Im 1957 geschriebenen Text Der französische Film krepiert an den falschen Legenden verteidigt er das Konzept des Autorenfilms: "Ich stelle mir den Film von morgen vor wie ein Bekenntnis oder wie ein Tagebuch."
BAISERS VOLÉS
(Geraubte Küsse, François Truffaut, F 1968, 6. & 8.2.) ist Teil des Antoine-Doinel-Zyklus (Der erste Film der Reihe, LES 400 COUPS, läuft am 6.2. in der Reihe "Klassiker nicht nur für Kinder"), der den von Jean-Pierre Léaud gespielten Antoine Doinel von seiner Jugend bis ins Erwachsenenleben begleitet. In BAISERS VOLÉS kommt Antoine aus der Armee entlassen nach Paris zurück, wo er sich in einer amourösen Dreiecksverwicklung und in diversen Jobs zurechtfinden muss.

Die New American Cinema Group positionierte sich 1962 mit einem Manifest, das mit den Worten schloss: "Wir wollen keine falschen, auf Hochglanz polierten, glatten Filme – wir wollen sie rau, ungeglättet, aber lebendig; wir wollen keine Filme in rosa – wir wollen sie rot wie das Blut." 23 unabhängige New Yorker Filmemacher, unter ihnen Jonas Mekas, Kenneth Anger, John Cassavetes und Jack Smith, schlossen sich zusammen, um eine Diskussions- und Verleihplattform für den avantgardistischen, unabhängigen und persönlichen Film zu schaffen. Lionel Rogosins ungeschminktes Porträt einer heruntergekommenen Straße in New York entstand bereits 1957. ON THE BOWERY (24. & 28.2.) zeigt, poetisch verdichtet, das Leben von Alkoholikern, Obdachlosen, Prostituierten und Drogenabhängigen auf der Lower East Side.

26 Unterzeichner stellten 1962 bei den Kurzfilmtagen Oberhausen das Oberhausener Manifest vor. "Papas Kino ist tot" war das Schlagwort, mit dem die Geburtsstunde des Neuen Deutschen Films eingeleitet wurde. "Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen." Hansjürgen Pohlands 1966 entstandener KATZ UND MAUS (23. & 26.2.) ist eine kabarettistisch zugespitzte Satire um einen jungen Mann, der seinen Komplex, einen überdurchschnittlich großen Adamsapfel, durch eine militärische Karriere auszugleichen versucht. Eine wütende Anklage gegen alten und neuen Militarismus, nach einer Erzählung von Günter Grass.

Das brasilianische Cinema Novo entstand in den frühen 60er Jahren als Bewegung gegen die Vormacht Hollywoods und für die Ausbildung einer eigenen, spezifisch brasilianischen Ausdrucksweise, unter Rückgriff auf traditionelle Erzählformen und Ästhetik. Ein zentraler Text des Cinema Novo ist die von Glauber Rocha 1965 verfasste Ästhetik des Hungers, in der er die brasilianische Kultur als eine Kultur des Hungers definierte und eine revolutionäre Ästhetik der Gewalt forderte. In TERRA EM TRANSE (Land in Trance, Brasilien 1967, 4. & 27.2.) zeichnet er ein komplexes Bild der Machtverhältnisse in seinem Land. Der Protagonist Paulo, ein dichtender Intellektueller, schließt sich erst einem rechtskonservativen Politiker, danach einem populistischen Reformer an. Enttäuscht muss er erkennen, dass es beiden nur um die Macht und nicht um gesellschaftliche Veränderung geht.
Die politische Aufbruchstimmung des Prager Frühlings und die Hoffnung auf einen menschlichen Sozialismus und die Etablierung demokratischer Strukturen schuf die Voraussetzung für die tschechoslowakische Neue Welle. Auch wenn kein zentrales Manifest formuliert wurde, setzte doch eine Reihe von jungen Regisseuren dem staatstragenden "sozialistischen Realismus" ein Kino der persönlichen Erfahrung, der Aufrichtigkeit und der formalen Erneuerung entgegen. Jiří Menzels Erstling OSTŘE SLEDOVANÉ VLAKY (Liebe nach Fahrplan, ČSSR 1966, 9. & 22.2.) entstand nach einem Buch von Bohumil Hrabal. Protagonist ist der junge Hrma, ein Bahnbeamtenanwärter auf einem Provinzbahnhof gegen Ende des 2. Weltkriegs.

Kaum bekannt ist das Manifest einer Gruppe taiwanesischer Filmschaffender und Journalisten um Hou Hsiao-Hsien und Edward Yang, die 1987 ihre Sorge um den taiwanesischen Film formulierten, dessen Identität sie durch eine einseitig kommerziell orientierte Filmpolitik bedroht sahen. Das Manifest wurde zum Grundstein der Taiwanesischen Neuen Welle. BEIQING CHENGSHI (A City of Sadness, Hou Hsiao-Hsien, Taiwan 1989, 21. & 25.2.) zeigt das Schicksal des Landes im Spiegel des Lebenswegs einer Familie. Die Söhne einer taiwanesischen Großfamilie, eine junge Krankenschwester, die den taubstummen jüngsten Sohn liebt, sowie ihr Bruder werden zwischen 1945 und 1949 in die Unruhen und Wirrnisse im Land verwickelt, als Taiwan zum Spielball im Machtkampf zwischen Nationalchinesen und Kommunisten wird. 1989 erhielt der Film den Hauptpreis in Venedig.

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