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Demys Filme sind populäres, emotionales Kino, romantisch und märchenhaft. Sie handeln von den Möglichkeiten des Glücks, dem Vergehen der Zeit und von der Liebe. Zumeist wird die Liebe bei Demy durch die Lebensumstände verhindert. Der Kriegsdienst, die Arbeitswelt, soziale Gegensätze, verpasste Gelegenheiten und die Nicht-Gleichzeitigkeit von Gefühlen stehen ihr im Weg. Menschen verlieren sich und hoffen sich wiederzufinden, träumen – bevorzugt in einer Hafenstadt – vom Heimkommen und Weggehen, leben wie Tschechow-Figuren nostalgisch in ihren Erinnerungen. Eine melancholische Welt, in fröhliche Farben getaucht, mit Musik, Tanz und Gesang beschwingt in Szene gesetzt. "Pleure qui peut, rit qui veut" (Weine wer kann, lache wer will) hat Jacques Demy seinem Debüt LOLA auf Druck der Produktion als Orientierung für den Zuschauer vorangestellt. Das fiktive chinesische Sprichwort hat Gültigkeit für sein gesamtes Werk. Zwischen diesem und dem wohl bekanntesten Demy-Zitat aus dem gleichen Film, "Vouloir le bonheur, c'est déjà un peu le bonheur" (Das Glück zu wollen, ist bereits ein Stück Glück), ist das Geheimnis von Jacques Demys Kunst zu suchen, melancholische Filme zu schaffen, die man leicht und verzaubert verlässt.

Das Arsenal zeigt bis 4. Mai in einer integralen Retrospektive alle Filme Jacques Demys. Ergänzt wird das Programm durch drei Arbeiten von Agnès Varda über ihren langjährigen Lebenspartner. Wir eröffnen die Reihe mit Demys letztem Film, TROIS PLACES POUR LE 26, F 1988, 8.4. mit einem einführenden Vortrag von Jörg Becker & 4.5.), eine Hommage an Yves Montand und an das Kino von Vincente Minnelli. Montand ist nach Marseille, die Stadt seiner Kindheit und Jugend zurückgekehrt, um in einer Bühnenshow Stationen seines Lebens darzustellen. Zwischen den Proben macht er sich auf die Suche nach seiner ersten großen Liebe, Mylène (Françoise Fabian). Beim Wiedersehen nach mehr als 20 Jahren erfährt er von der gemeinsamen Tochter Marion (Mathilda May), einer Tänzerin. "Nummernrevue und cinéma enchanté nebeneinander. Sein französischer Band Wagon sozusagen. Yves Montand spielt, wie einst Fred Astaire, das Märchen, das sein Leben war. Am Ende gibt es jenen Traum, der seit den DEMOISELLES DE ROCHEFORT im Werk von Demy herumspukt – die Aufhebung aller Ordnungen, die Missachtung der Generationenfolge, die Zerstörung der patriarchalischen Ordnung." (Fritz Göttler)
LOLA (F 1960, 9. & 16.4.) Die Tänzerin Lola (Anouk Aimée) trifft bei einem Engagement in Nantes auf Roland, einen Freund aus Kindertagen. Für ihn war sie die erste – unausgesprochene – Liebe, die er nun als Erwachsener hofft leben zu können. Doch Lolas Herz hängt immer noch an Michel, dem Vater ihres siebenjährigen Sohnes, der sie während der Schwangerschaft verließ, um in Amerika Glück und Reichtum zu suchen. Demys Langfilmdebüt enthält bereits die großen Themen, die sein Werk prägen sollten: Tanz und Gesang, das Motiv des Sich-Verpassens, das nostalgische Verhältnis zur Zeit und, natürlich, die Liebe. "Mein Wunsch ist, dass ein Zuschauer, der niedergeschlagen und verstimmt in diesen Film geht, lächelnd aus dem Saal herauskommt, und dass es LOLA gelingt, zumindest für einen Augenblick, seine Geistesverfassung und seine Sicht des Lebens zu verändern." (JD)
LA BAIE DES ANGES (Die blonde Sünderin, F 1962, 9. & 12.4.) Eine Geschichte um Leidenschaft und Abhängigkeit: Ein junger Bankangestellter begegnet der Spielerin Jackie (Jeanne Moreau) und begleitet sie fasziniert an die Roulette-Tische der Côte d'Azur. "Die Idee zu diesem Film wurde aus Eindrücken geboren, die ich in Spielcasinos gewann, wo ich eine seltsame Gesellschaft entdeckte: eine abwesende Menschenmenge, wie verstört und besessen, deren Ausdruck von Angst und moralischem Verfall zeugt." (JD)
LES PARAPLUIES DE CHERBOURG (Die Regenschirme von Cherbourg, F 1963, 10. & 30.4.) Cherbourg, November 1957: Die 18-jährige Geneviève (Catherine Deneuve), die Regenschirme im Geschäft ihrer Mutter verkauft, liebt den Automechaniker Guy. Die erste Liebesnacht bedeutet gleichzeitig den Abschied von ihrem zum Kriegsdienst in Algerien einberufenen Liebhaber. Von ihrer Mutter wird die schwangere Geneviève zur Heirat mit einem wohlhabenden Juwelier gedrängt. "Die erste Volksoper, die für den Film geschrieben wurde" (JD), mit gesungenen, gut verständlichen, Dialogen, machte durch die Farbdramaturgie aus Cherbourg einen märchenhaften Ort. Der Film wurde 1964 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet und verhalf der 19-jährigen Catherine Deneuve zu internationaler Berühmtheit.
PEAU D'ÂNE (Eselshaut, F 1970, 13. & 24.4.) Jacques Demys eigenwillige Interpretation des Märchens von Charles Perrault aus dem Jahr 1715, in dem der Herrscher über das blaue Königreich (Jean Marais) um die Hand seiner Tochter (Catherine Deneuve) anhält, weil er der sterbenden Königin versprochen hatte, sich nur mit einer Frau wiederzuverheiraten, die ebenso schön sei wie sie. Um dem Wunsch ihres Vaters nicht entsprechen zu müssen, stellt die Tochter, beraten von der Flieder-Fee (Delphine Seyrig), scheinbar unerfüllbare Bedingungen: Kleider in den Farben der Sonne, des Mondes und der Zeit sowie die Haut des Königs Goldesel. Als der König selbst den letzten Wunsch erfüllt, flieht sie, gehüllt in die Eselshaut, in das benachbarte rote Königreich. Ein zeitloser Film für Kinder wie Erwachsene, der dank einer aufwendigen Farbrekonstruktion wieder in den atemberaubendsten Farben der Psychedelic-Ära erstrahlt.
THE PIED PIPER (Der Rattenfänger von Hameln, GB 1971, 24.4. & 2.5.) 1349 befreit ein geheimnisvoller Flötenspieler die von der Pest bedrohte Stadt Hameln von der Rattenplage. Als man ihm die versprochene Entlohnung vorenthält, nimmt er furchtbare Rache. Jacques Demy hat die von den Brüdern Grimm überlieferte Sage modifiziert und mit englischen Darstellern (Donald Pleasance, John Hurt sowie in der Titelrolle der Folksänger Donovan) im fränkischen Rothenburg ob der Tauber eine Fabel über religiösen Obskurantismus, Rassismus und Intoleranz gedreht. Jacques Demys Kurzfilme aus den Jahren 1955 bis 1961 zusammengefasst in einem Programm:
LE SABOTIER DU VAL DE LOIRE (F 1955, 14.4.) Ein Dokumentarfilm über einen Holzschuhmacher und seine Frau im Loire-Tal. Ausgehend von einer Kindheitserinnerung – Demy wurde dort während der Bombardierung von Nantes 1943/44 untergebracht – schildert er den Alltag des Paares "als eine Art Betrachtung über das Alter. Der Grundgedanke des Films war folgender: eine Art Glückseligkeit, die man in sich selbst findet, nach einem wohl ausgefüllten und sehr besonnenen Leben." (JD)
LE BEL INDIFFÉRENT (F 1957, 14.4.) In einem Hotelzimmer erwartet eine Frau ihren Geliebten. Er tritt ein, legt sich aufs Bett und liest Zeitung. Ein langer Monolog der Frau offenbart ihr Abhängigkeitsverhältnis zu ihm. Nach einem Einakter von Jean Cocteau aus dem Jahr 1940 realisierte Jacques Demy seinen ersten Farbfilm in langen, fixen Einstellungen – dominiert vom tiefen Rot des Hotelinterieurs.
ARS (F 1959,14.4.) Der Film erinnert an Jean-Marie Baptiste Vianney (1786–1859), den Pfarrer der Ortschaft Ars, dessen Leben bereits Georges Bernanos (1936) und Robert Bresson (1950) zum Journal d'un curé de campagne inspiriert hatte. Ein von Demy verfasster und gesprochener Off-Text berichtet von Vianneys Demut, ebenso wie von seinem Rigorismus. Zwischen dem zu Anfang und Ende gezeigtem Reliquienschrein, in dem der unverweste Leichnam aufbewahrt wird, stehen Bilder der winterlichen Land- und Ortschaften um Ars.
LA LUXURE (F 1961, 14.4.) Zehn Jahre nach dem von Yves Allégret, Claude Autant-Lara u.a. realisierten Episodenfilm Les sept péchés capitaux drehte die Generation der Nouvelle Vague ihre Version der "Sieben Todsünden". Demy wählte die "Wollust". Zwei junge Künstler (Jean-Louis Trintignant, Laurent Terzieff) begegnen sich im Quartier Latin. Ihr Gespräch assoziiert Kindheitserinnerungen mit Hieronymus Boschs "Garten der Lüste" und den anwesenden Frauen im Café.
MODEL SHOP (Das Fotomodell, USA/F 1968, 16. & 22.4.) Der Architekturstudent George Matthews (Gary Lockwood) lässt sich, den Einberufungsbefehl zum Kriegsdienst in Vietnam vor Augen, in seinem Cabriolet durch die Straßen von Los Angeles treiben. Er begegnet einer Frau, der er bis zu einem "Model Shop" folgt. Lola (Anouk Aimée) arbeitet dort als Fotomodell, um ihre Heimreise nach Frankreich bezahlen zu können, wo ihr 15-jähriger Sohn auf sie wartet. Demys einzige in Hollywood gedrehte Arbeit ist der Demy-Film, der am wenigsten an Hollywood erinnert. Ein beinahe dokumentarisches Los-Angeles-Porträt des Jahres 1968 und eine melancholische Fortsetzung von LOLA in einem. "Demy hat das Amerika Minnellis nicht gefunden (vor allem auch nicht gesucht); vielmehr hat er das Amerika aus Easy Rider und die amerikanische Gegenkultur beobachtet, eingefangen und wunderbar wiedergegeben." (Jean-Marc Lalanne)
LADY OSCAR (Japan/F 1978, 17. & 25.4.) Frankreich, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: General de Jarjayes gibt seiner sechsten Tochter den Namen "Oscar" und lässt sie wie einen Jungen erziehen. Oscar wird als begabte Soldatin zum Capitaine der königlichen Leibgarde ernannt und zur engen Vertrauten Marie Antoinettes. Als sie den Befehl erhält, die Nationalgarde auf die rebellierenden Massen schießen zu lassen, bricht Lady Oscar mit ihrer Klasse. Mit japanischem Geld und englischen Darstellern verfilmte Jacques Demy in Versailles Ikeda Riyokos Comic über Geschlechter- und Rollentausch vor dem Hintergrund der Französischen Revolution. Obwohl eine Auftragsarbeit nach der populären Manga-Vorlage Rose of Versailles (1973), greift LADY OSCAR Themen auf, die im Werk Demys wiederholt eine zentrale Rolle spielen: Travestie, Identitäts-Verwirrung sowie der Kampf der Klassen.

LA NAISSANCE DU JOUR
(Break of Day, F 1980, 21.4.) Demys einzige Arbeit für das Fernsehen hält sich eng an die gleichnamige Romanvorlage von Colette (1928), in deren Villa in Saint-Tropez der Film gedreht wurde. In ihrer Abgeschiedenheit blickt Colette (Danièle Delorme) auf die Intensität eines Lebens zurück, das langsam zur Ruhe kommt. Im Alter von 54 Jahren gibt sie ihren 35-jährigen Liebhaber für eine junge Frau (Dominique Sanda) frei und bleibt allein mit ihren Erinnerungen. "Bestechend durch die Präzision, mit der dieser fast handlungslose, melancholisch getönte Stoff zu einer atmosphärischen Zustandsbeschreibung verdichtet und mit der Literatur in Film überführt wird, somit alles andere als marginal im Werk von Demy". (Winfried Günther)

L'ÉVÉNEMENT LE PLUS IMPORTANT DEPUIS QUE L'HOMMME A MARCHÉ SUR LA LUNE
(Die Umstandshose, F/I 1973, 21. & 26.4.) Der Pariser Fahrschullehrer Marco Mazetti (Marcello Mastroianni) ist schwanger. 2Das bedeutendste Ereignis, seitdem der Mensch den Mond betreten hat2, wird von namhaften Gynäkologen mit dem Verweis auf hormonelle Veränderungen durch die moderne Ernährung zu erklären versucht und erfährt die entsprechende mediale Aufmerksamkeit. Marco wird im Fernsehen herumgereicht, bekommt Werbeverträge angeboten, und der Frisiersalon seiner Partnerin Irène (Catherine Deneuve) wird zum bekanntesten der Stadt. Demy hat seine einzige echte Komödie in Anlehnung an die Screwball-Comedy inszeniert. Nebenbei ist "der einfachste Film, den ich je gedreht habe" (JD) ein Porträt seines Viertels, des Quartier populaire im 14. Arrondissement, in dessen Straßen Marcello Mastroianni im orangefarbenen Renault 5 seinen Fahrschülern versucht, das Autofahren beizubringen.

LES DEMOISELLES DE ROCHEFORT
(Die Mädchen von Rochefort, F 1966/67, 23. & 30.4.) Eine Schausteller-Karawane zieht in Rochefort ein, wo anlässlich der 300-Jahr-Feier der Stadt ein Jahrmarkt mit Attraktionen vorbereitet wird. Auch die Tanzlehrerin Delphine (Catherine Deneuve) und ihre Zwillingsschwester Solange (Françoise Dorléac), eine Komponistin, werden mit einer choreografierten Gesangsnummer auftreten – und im Verlauf der festlichen Tage den Männern ihres Lebens begegnen. Nie war Demys Kino fröhlicher, bunter, euphorischer und heiterer. Seine Hommage an das amerikanische Filmmusical ist ein gesungener und getanzter Reigen der glücklichen Vereinigungen – der Filmfiguren ebenso wie der französischen und amerikanischen Darsteller: Neben Catherine Deneuve und ihrer wenige Monate nach den Dreharbeiten verstorbenen Schwester spielen Gene Kelly, George Chakiris, Michel Piccoli und Danielle Darrieux in einem pastellfarben angestrichenen Rochefort.

LES DEMOISELLES ONT EU 25 ANS
(Die Demoiselles sind 25 Jahre alt geworden, Agnès Varda, F 1993, 23.4.) Die Stadt Rochefort beging das 25-jährige Jubiläum der Dreharbeiten zu LES DEMOISELLES DE ROCHEFORT mit einem großen Fest. Agnès Varda filmte die Feierlichkeiten. Catherine Deneuve und Michel Legrand sind gekommen, Straßen werden nach Jacques Demy und Françoise Dorléac benannt, Beteiligte erinnern sich. Varda verbindet die Aufnahmen mit unveröffentlichtem Material, das sie 1966 in Rochefort gedreht hatte.

UNE CHAMBRE EN VILLE
(Ein Zimmer in der Stadt, F 1982, 22.4. & 1.5.) Während des Werftarbeiterstreiks in Nantes 1955 verlieben sich ein junger Arbeiter und die verheiratete Tochter einer mittellosen Baronin ineinander. Demy knüpft mit dieser "musikalischen Tragikomödie" (JD), in der alle Dialoge rezitativähnlich gesungen werden, an LES PARAPLUIES DE CHERBOURG an. Die Pastelltöne und die sanfte Melancholie sind jedoch einer Atmosphäre der Gewalt gewichen. So wie der Film mit einer Konfrontation zwischen Streikenden und Polizisten beginnt und schließt, so blutig endet die unstandesgemäße Liebesbeziehung.

PARKING
(F 1985, 27.4. & 3.5.) Demy hat den Mythos von Orpheus und Eurydike in die 1980er Jahre überführt: Orpheus als bisexueller Pop-Star, der in die Unterwelt eines Parkhauses hinabsteigt, um die an einer Überdosis gestorbene Eurydike, eine japanische Bildhauerin, von Hades zurückzufordern. Eine Hommage an Jean Cocteau und an Jean Marais, der zum ersten Mal seit PEAU D'ÂNE wieder in einem Kinofilm mitwirkte.

JACQUOT DE NANTES
(Agnès Varda, F 1991, 28.4.) Agnès Varda verfilmte die Erinnerungen ihres Mannes an die Jahre 1939 bis 1949, aus denen sich Jacques Demys Kino maßgeblich nährte: die Chronik einer glücklichen Kindheit zwischen Vaters Hinterhof-Autowerkstatt, in der jeder gern singt, der Begeisterung fürs Marionettentheater und der Entdeckung der Liebe zum Kino im Alter von 13 Jahren. JACQUOT ist sowohl eine Liebeserklärung an Jacques Demy, als auch eine Liebeserklärung an den Beruf des Filmemachers.

L'UNIVERS DE JAQUES DEMY
(Die Welt ist ein Chanson – Das Universum des Jacques Demy, Agnès Varda, F 1995, 29.4.) Der Abschluss von Agnès Vardas Trilogie über Leben und Werk ihres verstorbenen Mannes enthält neben zahlreichen Ausschnitten aus seinen Filmen Archivmaterial zu Demy sowie Interviews mit Anouk -Aimée, Catherine Deneuve, Bernard Evein, Harrison Ford, Michel Legrand, Jeanne Moreau, Michel Piccoli, Dominique Sanda u.v.a. Eine Veranstaltung mit freundlicher Unterstützung der Botschaft der Republik Frankreich.

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