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Das Manifest, nur 22 Zeilen lang, enthielt wenig Inhaltliches und war vor allem an einer Signalwirkung interessiert. Es war von einem Gefühl der Notwendigkeit und einer Aufbruchstimmung getragen und formulierte klare Absichten: "Wir erklären unseren Anspruch, den neuen deutschen Spielfilm zu schaffen." Obwohl die Unterzeichner keine genuin eigene ästhetische Sprache entwickelten, verband sie eine kritische Haltung gegenüber den satten Wirtschaftswunderjahren. Kulturpolitisch ebnete das Manifest den Weg für die Gründung des "Kuratoriums junger deutscher Film" 1965 und schuf die Grundlagen für den Neuen deutschen Film der späten 60er und 70er Jahre. Somit wurde das Manifest zu einem Symbol der Erneuerung des deutschen Films. Eine eklatante Diskrepanz besteht indes zwischen der Wirkung, die das Manifest hatte, und der Tatsache, dass die allermeisten der Unterzeichner keine kontinuierliche filmische Karriere machen konnten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, etwa Alexander Kluge und Edgar Reitz, die beide ihren Platz in der deutschen Filmgeschichte gefunden haben, sind die meisten der Unterzeichner heute völlig vergessen. Im Rahmen des Projekts "Provokation der Wirklichkeit – 50 Jahre Oberhausener Manifest" wurden in Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv-Filmarchiv und der Deutschen Kinemathek knapp 40 Kurzfilme der Unterzeichner restauriert und konservatorisch gesichert. Wir zeigen sieben lange Filme, entstanden zwischen 1961 und 1967, die ein Bild von den ersten Spielfilmen der Oberhausener geben. In sechs von Ralph Eue kuratierten, thematisch ausgerichteten Kurzfilmprogrammen werden den Filmen der Oberhausener solche von Gefährten und Zeitgenossen zur Seite gestellt. Hansjürgen Pohlands 1961 – also noch vor dem Manifest – entstandenes Langfilmdebüt TOBBY (11.5., mit einer Einführung von Ralph Eue und einem anschließenden Gespräch mit Christoph Hochhäusler & 19.5.) gleicht nichts, "was es bis dato im BRD-Kino gab." (Olaf Möller). Vom Rhythmus und dem Lebensgefühl des Jazz getränkt ist die Geschichte um den Musiker Tobby, der durch die Konzertkeller tingelt und lukrative Angebote von Konzertveranstaltern ausschlägt. Pohland ist fasziniert von der Bewegung, von der Stadt, vom Leben in der Kneipe, wie Tobby wird ihm alles zur Musik. Dabei ist der Film von einer Frische und Unmittelbarkeit, die zu der Zeit ihresgleichen suchte. Der Berliner Hansjürgen Pohland war der einzige Manifest-Unterzeichner, der nicht in München wohnte. Ein heute völlig zu unrecht fast vergessener Film ist PARALLELSTRASSE (Ferdinand Khittl/GBF-Produktion, BRD 1961, 12. & 24.5.), ein visionär-verquerer Solitär. Khittl landete nach zahlreichen anderen beruflichen Stationen erst über Umwege beim Film und drehte ab 1954 Werbe- und Industriefilme. 1959 und 1960 machte er mit seinem Kameramann Ronald Martini (ebenfalls Unterzeichner des Manifests) zwei Weltreisen und brachte ethnografische Aufnahmen aus Asien, Afrika und Südamerika mit. Diese sind eingebettet in eine Rahmenhandlung, in der fünf Männer unter Leitung eines Protokollführers Ordnung in 308 Dokumente – die Aufnahmen aus aller Welt – bringen sollen. Sie müssen, wie alle vor ihnen, scheitern, intellektuell wie existenziell. In einer 1963 erschienenen Rezension fasste Helmut Färber das Setting folgendermaßen zusammen: "In einem Kafka-Raum sitzen fünf Ionescu-Personen in einer Sartre-Situation und mühen sich mit einem Camus-Problem." Im Ausland wurde der Film gefeiert, in Deutschland stand man ihm ratlos bis ablehnend gegenüber. Für Khittl sollte es der einzige Spielfilm bleiben. Der in Cannes uraufgeführte DAS BROT DER FRÜHEN JAHRE (Herbert Vesely, BRD 1962, 17. & 28.5.) wurde zum "Erstlingsfilm" der Oberhausener, wenn auch eher zufällig, da sich der Film zum Zeitpunkt des Manifests schon in der Endproduktion befand. Herbert Vesely legte schon 1954 mit Nicht mehr fliehen den ersten experimentellen Spielfilm der Nachkriegs-BRD vor. Auch DAS BROT DER FRÜHEN JAHRE zeichnet sich mit ungewohnten Kamerapositionierungen, rasanter Montage und nicht-chronologischer Erzählweise durch eine formale Experimentierfreude aus. Der auf einer Erzählung von Heinrich Böll basierende Film erzählt von einem jungen Elektro-Monteur, der mit der Tochter des Chefs verlobt ist und sich auf dem besten Weg zur gesicherten Existenz befindet. Als er einer Jugendfreundin begegnet, bricht er aus diesem vorgegebenen Pfad aus. Der heute bekannteste der Oberhausener ist unbestreitbar Alexander Kluge, der zudem zum filmpolitischen Vordenker der Gruppe wurde. Sein fast schon programmatisch betiteltes Langfilmdebüt ABSCHIED VON GESTERN (BRD 1966, 18. & 31.5.) erzählt von einer jungen jüdischen Frau, Anita G., die aus der DDR in die Bundesrepublik kommt, sich nicht einzugliedern vermag, von Juristen und Bewährungshelfern zu erziehen versucht wird und sich wieder und wieder auf der Flucht befindet. Eine nüchtern-distanzierte und teils ironische Beschreibung bürgerlicher Verhaltensweisen und gesellschaftlicher Zustände. SCHONZEIT FÜR FÜCHSE(Peter Schamoni, BRD 1966, 23. & 31.5.)Ein junger Journalist schwankt zwischen der Welt seiner großbürgerlichen Herkunft und der seiner kleinbürgerlichen Freundin. Alle Ausbruchsversuche erweisen sich als halbherzig; die Verlockungen des Wohlstands sind zu übermächtig. Der Film "erzählt von einer Jugend, die aufbegehren möchte, aber nicht über unproduktive Verweigerungsgesten, ein symbolisches Dagegen-Sein hinauskommt – vor den Vätern sterben die Söhne, ließe sich mit Thomas Brasch sagen; was man von SCHONZEIT FÜR FÜCHSE mehr als alles andere erinnert, sind die Szenen herrschaftlicher Kultiviertheit, einer geordneten Ritualwelt, welche Zeiten, Regierungen, Regime überdauert hat und überdauern wird, so wie Schamoni sie zeigt." (Olaf Möller) MAHLZEITEN(Edgar Reitz, BRD 1967, 21. & 30.5.) Die Fotoschülerin Elisabeth lernt den idealistischen Medizinstudenten Rolf kennen. Sie findet alles interessant, was er macht, sie unternehmen gemeinsame Ausflüge und fühlen sich am Beginn einer großen, romantischen Liebesgeschichte. Bald kommen Kinder, eins nach dem anderen; Rolf gibt das Studium auf und versucht sich in verschiedenen Brotberufen. Es ist eine Ehe, die den Mann quasi "aufzehrt" – "Rolf trägt sein ganzes Leben zu Elisabeth und bekommt dafür Kinder und poetische Gedanken vom Glück", wie es in der Produktionsmitteilung hieß. "MAHLZEITEN führt beispielhaft vor, wie sehr die männlichen Regisseure des Neuen Deutschen Films von starken, vitalen, lebenshungrigen Frauenfiguren fasziniert waren, während die männlichen Charaktere meist in Nabelschau oder Larmoyanz steckenblieben." (Thomas Kramer) DER SANFTE LAUF (Haro Senft, BRD 1967, 22. & 26.5.) Der junge Elektroingenieur Bernhard (Bruno Ganz) verliebt sich in die Tochter eines reichen Bauunternehmers und wird ohne sein Wissen von diesem beruflich protegiert. Senft zeigt in seinem Erstlingsfilm eine Nachkriegsgeneration, die zwischen Ablehnung der Werte der Elterngeneration und einem Sich-Einfinden in die Wohlstandswelt zu erstarren droht. "Senfts Bilder und Worte sind karg, er sagt so wenig und artikuliert sich so lakonisch in Haltungen, Kamera-Haltungen, Montage-Haltungen, wie sein Held Bernhard." (Ernst Wendt)
Kurzfilmprogramm Städte und Menschen (13.5.): MENSCHEN IM ESPRESSO (H. Vesely, 1958), BAU 60 (D. Lemmel, 1961), NA UND (M. Bohm, 1966), DER STADTSTREICHER (R. W. Fassbinder, 1966). Kurzfilmprogramm Provinz (16.5.): NOTIZEN AUS DEM ALTMÜHLTAL (Strobel / Tichawsky, 1961), ÖDENWALDSTETTEN (P. Nestler, BRD 1964), KURZPORTRAIT EINER LANDSCHAFT (P. Koch, 1964), GRANSTEIN (C. Doermer, 1965). Kurzfilmprogramm Straßen und Autos (20.5.): AUTOBAHN (H. Vesely, 1957), RENNEN (A. Kluge, 1961), GESCHWINDIGKEIT. KINO EINS (E. Reitz, 1963), AUTORENNEN (V. Kristl, 1964), AUTO, AUTO (H. Senft, 1964), DER OSTERSPAZIERGANG (P. Schamoni, E. Patalas, 1959). Kurzfilmprogramm Arbeitswelten (22.5.): SALINAS (R.Ruehl, 1960), KAHL (H. Senft, 1961), DER HEISSE FRIEDEN (F. Khittl, 1964), ZWISCHEN 3 UND 7 UHR MORGENS (K. Wildenhahn, BRD 1965). Kurzfilmprogramm Deutsche Menschen (25.5.): GARTENZWERGE (W. Urchs, 1961), MACHORKA-MUFF (J.-M. Straub, 1962), ES MUSS EIN STÜCK VOM HITLER SEIN (W. Krüttner, 1963), ARME LEUTE (V. Kristl, 1963), MARIONETTEN (B. von Borresholm, 1964), PORTRAIT EINER BEWÄHRUNG (A. Kluge, 1965). Kurzfilmprogramm Medien (27.5.): DAS MAGISCHE BAND (F. Khittl, 1959), DAS MANNEQUIN (B. Dörries, 1960), MANNEQUINS (H. Pohland, 1961), KOMMUNIKATION (E. Reitz, 1961), JUGEND FOTOGRAFIERT (P. Schamoni, 1960), HOLLYWOOD IN DEBLATSCHKA PESCARA (U. Schamoni, 1964). Weitere Informationen zu den Kurzfilmen finden Sie unter www.oberhausener-manifest.com - external-link-new-window>www.oberhausener-manifest.com Gefördert aus Mitteln der Kulturstiftung des Bundes.

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