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F. EST UN SALAUD (Fögi ist ein Sauhund, Marcel Gisler, F/CH 1998, 17.4., in Anwesenheit von Sophie Maintigneux & 30.4.) Zürich, Anfang der 70er Jahre. Der 16-jährige Benni hat sich in Fögi verliebt, einen drogensüchtigen Rockmusiker. Er lebt seine erste große Liebe mit bedingungsloser Hingabe, lässt sich von seinem Freund zum Hund erniedrigen und geht auf den Strich, um das gemeinsame Leben zu finanzieren. Als sein Geliebter die Band auflöst und zusehends apathischer wird, versucht er dennoch, an seiner Liebe festzuhalten – bis hin zu der Entscheidung, mit ihm aus dem Leben zu scheiden. Der Film, der auf einem Schweizer Kult-Roman basiert, ist als lange, von Benni selbst erzählte Rückblende gestaltet. Die Kamera arbeitet vor allem in den Drogenrausch-Szenen mit Überbelichtungen, Nahaufnahmen und Schwenks, die für Intensität und psychedelische Qualität sorgen.

DIE DÜNNEN MÄDCHEN (Maria Teresa Camoglio, D 2009, 18.4., in Anwesenheit von Sophie Maintigneux) Acht junge Frauen versuchen, in einer Spezial-Klinik von ihren Essstörungen loszukommen. Sie leiden an Anorexia nervosa, besser bekannt unter dem Namen Magersucht. Einige sind zum wiederholten Male da. Der Film zeigt sie bei Gruppengesprächen, im Speisesaal, bei der Berechnung von Kalorien, dem gemeinsamen Kochen und Wiegen, der Auseinandersetzung mit Gemälden von Edvard Munch und beim Flamenco-Unterricht – einer Einübung des stolzen Blicks, der aufrechten Haltung, der selbstsicheren Präsenz und eine Konfrontation mit dem eigenen Spiegelbild. Ihre individuellen Fallgeschichten präsentieren sie reflektiert und abgeklärt. Sophie Maintigneuxs Kamera setzt sie in ein weiches Licht, blickt sensibel in ihre Gesichter (und lässt sie strahlen), unterstreicht ihre Schönheit und Würde. Es entstehen eindrucksvolle Bilder ihrer berührenden Auseinandersetzung mit sich und der Krankheit.

ROSIE (Marcel Gisler, CH 2013, 18.4., in Anwesenheit von Sophie Maintigneux & 26.4.) Rosie ist gestürzt. So kann es nicht weitergehen, beschließt die Tochter und bestellt zur Verstärkung ihren Bruder Lorenz, einen Schriftsteller, der seit langem in Berlin lebt. Zurück in seiner ostschweizerischen Heimat stellt er fest, dass seine lebenslustige Mutter gar nicht daran denkt, sich in ein Heim abschieben zu lassen. Eigensinnig und störrisch verteidigt sie ihr eigenes Leben, raucht Kette, spricht ausgiebig dem Alkohol zu, reißt schmutzige Witze und vergrault das zu Besuch kommende Pflegepersonal. Neben der konfliktreichen, aber auch zärtlichen Beziehung zu seiner Mutter muss Lorenz sich auch mit seinem Liebesleben auseinandersetzen. -Regisseur Marcel Gisler webt ein dichtes und subtiles Netz von Beziehungen innerhalb und außerhalb der Familie. Die Enge in der mütterlichen Wohnung kontrastiert mit den Panoramaaufnahmen des St. Galler Rheintals, während Lorenz' Autofahrten von Berlin in die Schweiz den Erzählfluss strukturieren.

LE RAYON VERT (Das grüne Leuchten, Eric Rohmer, F 1986, 19. & 25.4.) Es ist Sommer in Paris, doch Delphines Urlaubspläne haben sich zerschlagen. Unentschlossen reist sie hin und her: Sie besucht Freunde auf dem Land, fährt in die Berge, und dann allein nach Biarritz. Immer nimmt sie ihre Sehnsüchte mit: Dass etwas Großes, Schönes sich erfüllen, die Liebe sie in Besitz nehmen möge. Doch immer wieder wird sie enttäuscht. Zum Schluss widerfährt ihr aber doch noch ein Wunder. An der Küste, in einem Ort mit dem verheißungsvollen Namen Saint Jean de Luz, wird sie Zeugin des grünen Leuchtens über dem Meer. LE RAYON VERT war für Sophie Maintigneux mit 23 Jahren ihre erste große Arbeit. Eric Rohmer drehte den Film, eine Art Reise mit der Schauspielerin Marie Rivière, ohne Drehbuch und mit einem kleinen, nur aus Frauen bestehenden Team.

BALORDI (Mirjam Kubescha, D/I 2005, 21. & 30.4.) Schauplatz von Mirjam Kubeschas Dokumentarfilm ist ein Hochsicherheitsgefängnis 
in der Toskana, in dem die Häftlinge Bertolt Brechts "Dreigroschenoper" inszenieren. Neben den oft fröhlichen Theaterproben steht der harte Gefängnisalltag, der geprägt ist von Isolation und erdrückender Routine. Zwischen der Realität in der Zelle und der Fiktion auf der Bühne gibt es einen Bruch, der sich im Verlauf des Films langsam schließt: dann nämlich, wenn die Ebenen sich vermischen, das Theater nicht mehr getrennt vom Leben erscheint, die eigene Biografie sich auch in der Verkleidung zeigt. So wird der Film zur Reflexion darüber, wie das Individuum sich unter den Bedingungen des Eingesperrt-Seins behaupten kann.

VENUS BOY'Z (Gabriel Baur, CH/USA/D 2002, 23.4.) Eine Untersuchung von Männlichkeit, Transformationen und dem Überschreiten von Geschlechtergrenzen: Gabriel Baurs Reise führt von der Drag-King-Szene in New York, in der verschiedene Drag Kings lustvoll ihre männlichen Alter Egos gestalten und männliche Erotik und Machtstrategien ausprobieren, nach London, wo ihre Protagonist/innen mit Hormonen experimentieren und so die Grenze zwischen Mann und Frau aufheben. Der intime Dokumentarfilm in schön komponierten Bildern über Menschen, die soziale Normen von Geschlecht erweitern und unterwandern, wird zur Erkundung der Frage, wie innere und äußere Freiheit aussieht.

OSTKREUZ (Michael Klier, D 1991, 25. & 28.4.) Der erste Spielfilm, der im neuen Deutschland spielte: Die 15-jährige Elfie (Laura Tonke in ihrer ersten Rolle) kommt mit ihrer Mutter über Ungarn aus der DDR nach West-Berlin, wo sie in einem Containerlager leben. Die Mutter ist arbeitslos und hat kein Geld für die Kaution, die sie für eine Wohnung aufbringen müsste. Also beschließt Elfie, das Geld aufzutreiben. Bald trifft sie auf einen jungen kleinkriminellen Polen, dem sie sich anschließt. Diese zweite Zusammenarbeit von Sophie Maintigneux mit Michael Klier, gedreht im Super16-Format, zeigt ein tristes Berlin im Winter in entsättigten Farben, sparsam unterlegt mit Klängen des Musikers Fred Frith. Maintigneuxs Kamera arbeitet mit subtilen Lichteffekten, in der die von Sprachlosigkeit geprägte Beziehung Lauras nicht nur zu ihrer Mutter kalt und klar zum Tragen kommt.

DAMEN UND HERREN AB 65 (Lilo Mangelsdorff, D 2002, 26.4.) Pina Bausch besetzte die Neuinszenierung des 1978 mit ihrer Tanztheatertruppe uraufgeführten Stücks "Kontakthof" über Paarbeziehungen und Geschlechtermuster 20 Jahre später ausschließlich mit Menschen im Alter von 60 bis 80 Jahren, allesamt Tanz-Laien – ohne Bühnen-, aber mit viel Lebenserfahrung. Der Film begleitet ein Jahr lang die Proben, zeigt die Seniorinnen und Senioren beim gemeinsamen Lernen, bei Begeisterung und Frust, dem Kampf mit körperlichen Grenzen, inneren Barrieren und der Herausforderung, noch einmal Anfänger zu sein und Kritik aushalten zu müssen. In kurzen Interviews kommen einzelne Protagonisten auch mit ihren privaten Erfahrungen zu Wort. Unauffällig ist Sophie Maintigneux hinter den Kulissen präsent und hält mit ihrer Handkamera wunderbar genau und unspektakulär die Balance zwischen Nähe und Distanz zu den Tanzenden.

GOTTESZELL – EIN FRAUENGEFÄNGNIS (Helga Reidemeister, D 2001, 27.4.) In der Justizvollzugsanstalt Gotteszell, dem einzigen Frauengefängnis Baden-Württembergs, porträtiert Helga Reidemeister sechs inhaftierte Frauen, denen Totschlag, Mord, Drogendealerei, Brandstiftung und andere Delikte zur Last gelegt werden. Durch ihre Biografien zieht sich ein roter Faden von erlittener Gewalt und Verletzungen. Die schmerzhaften Erfahrungen der verurteilten Frauen entschuldigen nicht die Tat, aber sie machen einen Lebensweg einsichtig, der in die Katastrophe mündete. Die Kamera fokussiert ihre Gesichter aus der Nähe, die darin eingegrabenen Spuren der Zeit, die Folgen des Entzugs von Licht. In den Diskurs über Gut und Böse, Recht und Unrecht, Schuld und Sühne werden auch die Schließerinnen einbezogen. Am Anfang steht ein Zitat von Marguerite Duras: "Niemand ist sicher vor einem Gedanken, der ihn durchzuckt. Niemand kann sagen, das werde ich nie tun." (bik/al)

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