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Die wichtigste Konstante in der relativ jungen Filmgeschichte des Landes bildet der Dokumentarfilm. Er hat über die langen Phasen der kinematografischen Flaute hinweggeholfen, sich in politische und soziale Konflikte eingemischt und immer wieder die kulturelle Identität der indigenen Völker festgehalten. Sein bedeutendster Vertreter ist Pocho Álvarez. Er hat in den 70er Jahren das militante Kino in Ecuador entwickelt und sich im letzten Jahrzehnt besonders mit der Verseuchung des Urwalds und des indigenen Lebensraums durch internationale Multis beschäftigt, z.B. in A CIELO ABIERTO: DERECHOS MINADOS. Er wagt es auch als Einziger, sich in seinen Videos mit Fehlentwicklungen der Re-gierungspolitik auseinanderzusetzen. Ganz entscheidend ist der Beitrag der Dokumentaristen zur Aufarbeitung der Vergangenheit in den 80er Jahren: über die Ermordung von Präsident Roldós, einem überzeugten Demokraten (La muerte de Jaime Roldós von Manolo Sarmiento und Lisandra I. Rivera, 2013), über den hoffnungslosen Guerillakampf (Alfaro vive, carajo! von Isabel Dávalos, 2007), über einen Willkürakt der Polizei in CON MI CORAZÓN EN YAMBO, der die Ecuadorianer derart interessierte, dass das Werk zum erfolgreichsten Dokumentarfilm des Landes wurde. Sorgfältig recherchiert wird die jüngste Geschichte ausgebreitet. Dagegen zeigen sich die Filmemacher im Dokumentar- und Spielfilm-Bereich bei der Darstellung aktueller Probleme seltsam zurückhaltend. Gesellschaftliche Missstände wie Drogenprobleme, Klassenjustiz, Arbeitslosigkeit, Ausbeutung, Gewalt oder mangelnde Solidarität werden zwar ausführlich dargestellt, doch zumeist in die Vergangenheit, in die Zeit vor 2006 verwiesen, obwohl sie trotz der sozialpolitischen Anstrengungen der Regierung nach wie vor vorhanden sind. Allmählich entsteht auch ein indigenes Kino. Bisher wurden die einzelnen Völker, ihre Kulturen und Probleme durch Filmemacher, die von außen kamen, dargestellt. Doch der filmische Auftrieb hat auch indigene Regisseure hervorgebracht und motiviert, etwas Eigenständiges zu schaffen. Ecuador hat endlich Anschluss an die traditionsreichen lateinamerikanischen Kinematografien gefunden. Wir freuen uns, im März sieben aktuelle Filme aus Ecuador präsentieren zu können und zu Beginn der Filmreihe die Regisseure Javier Andrade und Darío Aguirre begrüßen zu dürfen. MEJOR NO HABLAR DE CIERTAS COSAS (Besser nicht über gewisse Sachen reden, Javier Andrade, 2012, 20.3., in Anwesenheit von Javier Andrade & 27.3.) Paco und sein jüngerer Brüder Luis, ein Punker, glauben, der Sinn ihres Lebens bestünde im Drogenrausch. Als sie versuchen, ihre Eltern zu bestehlen, um durch den Verkauf des Diebesguts an neuen Stoff zu gelangen, werden sie von ihrem Vater erwischt. In seinem ersten Spielfilm wirft Javier Andrade einen kritischen Blick auf die obere Mittelschicht: eine drogenverseuchte und mit Verboten belegte Gesellschaft, in der junge Menschen erst durch existentielle Erschütterungen ihren Weg zu finden scheinen. NO ROBARÁS A MENOS QUE SEA NECESARIO (Stiehl nur, wenn es nötig ist, Viviana Cordero, 2012, 21. & 25.3.) Lucía, eine 16-jährige Schülerin, muss sich um ihre drei jüngeren Geschwister kümmern, als die Mutter verhaftet wird, weil sie ihren gewalttätigen Lebensgefährten die Treppe hinuntergestoßen hat. Doch eigentlich möchte sie nur ihrer Leidenschaft als Rockerin nachgehen. Da sie keinerlei soziale Unterstützung erhält, beginnt sie zu stehlen. Viviana Cordero zeigt in ihrem dritten Spielfilm eine mitleidlose Gesellschaft der Gewalt und Klassenjustiz, in der jeder auf sich selbst gestellt ist. EL GRILL DE CÉSAR (Césars Grill, Darío Aguirre, 2013, 21.3.) Seit 1999 lebt Darío Aguirre in Deutschland. Hier hat er Kunst und Film studiert, wurde zum Vegetarier und zum Regisseur. Jahrelang hatte er kaum Kontakt zu seinen Eltern. Da teilt ihm der Vater mit, dass sein Grill-Restaurant kurz vor der Pleite steht. Er will es retten. So kommt es zum ersten gemeinsamen Lebensprojekt der beiden und zu diesem Dokumentarfilm: der Reise des längst in Deutschland beheimateten Ecuadorianers zurück zu seinen Wurzeln. Darío Aguirre ist eine sensible Studie zweier Menschen ganz unterschiedlicher Generationen und Denkweisen voller kurioser, absurder und bewegender Momente gelungen. A CIELO ABIERTO: DERECHOS MINADOS (Unter freiem Himmel: Verminte Rechte, Pocho Álvarez, 2009, 22. & 27.3.) Seit den 70er Jahren beschäftigt sich Pocho Álvarez, Ecuadors facettenreichster und engagiertester Dokumentarist, zunehmend mit Aspekten der Menschenrechte, des Naturschutzes und der Situation der indigenen Völker. Er ist vielfach ausgezeichnet und mehrfach zensiert worden. Die Ausbeutung der Bodenschätze sieht er als eines der größten Probleme seines Landes. In A CIELO ABIERTO dokumentiert er die dramatischen Folgen eines rücksichtslosen Erzabbaus, die damit verbundene Umweltverschmutzung und den Widerstand der indigenen Bevölkerung gegen die fortgesetzte Enteignung. QUITO 2023 (Juan Fernando Moscoso, César Izurieta, 2014, 22.3.) Diktator Ponte hat die Hauptstadt Quito in eine nach außen völlig abgeschottete Festung verwandelt, um sich an der Macht zu halten. Eine Gruppe von Revolutionären versucht den Aufstand. Dabei brechen politische und persönliche Konflikte unter ihnen aus, Zweifel an der Richtigkeit der Revolution werden laut. An einem aufwendigen Actionfilm waren die beiden Regisseure in ihrem Erstling nicht interessiert, wohl aber an den inneren Prozessen dieser Gruppe von Aufständischen und an der Sinnhaftigkeit dieser Art revolutionärer Aktionen. RUTA DE LA LUNA (Mondroute, Juan Sebastián Jácome, 2012, 25. & 29.3.) Tito, ein 32-jähriger Albino, unternimmt eine Reise zu einem 1000 Kilometer entfernten Bowling-Turnier. Sein Vater, mit dem er jahrelang kein Wort gewechselt hat, will ihn unbedingt begleiten. Dabei entdecken sie zum ersten Mal gemeinsame Interessen und Werte. Eine junge Frau, die bei ihnen strandet, bringt eine weitere Dynamik in die Geschichte. Juan Sebastián Jácome erzählt sie in seinem Spielfilmdebüt in eindringlichen Bildern voller landschaftlicher Schönheiten. CON MI CORAZÓN EN YAMBO (Mit meinem Herzen im Yambo, María Fernanda Restrepo, 2011, 29.3.) Im Januar 1988 verschwanden zwei Brüder, der 14-jährige Andrés und der 17-jährige Santiago. Erst ein Jahr später stellte sich heraus, dass sie von der ecuadorianischen Polizei verhaftet, gefoltert, ermordet und ihre Leichen im Yambo-See versenkt worden waren. Jahrzehnte später hat María Fernanda Restrepo, ihre Schwester, diesen unglaublichen Skandal in ihrem ersten Dokumentarfilm minutiös rekonstruiert. Es ist eine sehr persönliche Reise durch die ecuadorianische Geschichte der letzten Jahrzehnte und ein erschreckender Einblick in den Polizei- und Justizapparat. (pbs) Wir danken für die großzügige Unterstützung der Reihe dem Consejo Nacional de Cinematografía in Quito und der Botschaft von Ecuador in Berlin sowie den Freunden des Ibero-Amerikanischen Instituts e.V.

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