Direkt zum Seiteninhalt springen
ELTÁVOZOTT NAP(Das Mädchen,Ungarn 1968, 13.5., Einführung: Sabine Schöbel & 20.5.) Zurückhaltend und feinfühlig schildert Márta Mészáros in ihrem ersten Spielfilm den Emanzipationsprozess der 24-jährigen Fabrikarbeiterin Erzsi, die ruhelos durch ihr Leben streift. Im Kinderheim aufgewachsen, macht sie sich auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter, die sie nach der Geburt weggegeben hat. Als sie im Dorf der Mutter angekommen ist, bereut diese schon wieder, einem Treffen zugestimmt zu haben, und gibt die Tochter vor ihrer Familie als Nichte aus Budapest aus. Die sprachlose Distanz zwischen Mutter und Tochter lässt sich nicht aufheben, und Erzsi bleibt in der mütterlichen Familie ein Fremdkörper. Auf der Zugfahrt lässt sie sich widerstrebend auf die Avancen eines jungen Mannes ein, bleibt emotional aber abwesend. Erst zum Schluss scheint die Möglichkeit einer zukünftigen Bindung auf. A LÖRINCI FONÓBAN(At the Lörinc Spinnery, Ungarn 1971, 13. & 20.5.) Ein kurzer Dokumentarfilm, der drei Arbeiterinnen einer Textilfabrik außerhalb Budapests porträtiert. Neben Szenen bei der Arbeit und zuhause berichten die Frauen von ihrem Leben: Beziehungen zu Männern, familiäre Pflichten, die emotionale Bindung an die Fabrik. Dazu eine Musik, die Sehnsucht verheißt und Leichtigkeit verspricht. SZÉP LÁYOK, NE SÍRJATOK!(Schöne Mädchen, weinet nicht!, Ungarn 1970, 14. & 26.5.) Ausgelassene Beatmusik, eine Gruppe übermütiger junger Menschen auf Fahrrädern: Schon die ersten Szenen von Mészáros' drittem Spielfilm geben den Tonfall vor und sind von einer jugendlichen Aufbruchsstimmung infiziert. Dennoch leben die jungen Menschen ein strukturiertes Leben mit täglicher, monotoner Fabrikarbeit. Erst nach Feierabend lässt sich auf Konzerten und Partys feiern. Die stille Juli, die eigentlich mit einem jungen Arbeiter verlobt ist, verliebt sich in den Cellisten einer Band und folgt ihm auf seiner Tournee. Es bleibt ein kurzer Ausbruch: Ihr Verlobter spürt sie auf und bringt sie dazu, mit ihm zurückzukehren – ob es ein Happy End ist oder nicht, bleibt offen. ÖRÖKBEFOGADÁS(Adoption, Ungarn 1975, 16. & 27.5.) Zwei Frauen, zwei Generationen, der Wunsch nach Bindung und Mutterschaft. Kata ist Anfang 40, Arbeiterin, verwitwet, und wünscht sich von ihrem Liebhaber ein Kind. Anna ist 17, wurde von ihren Eltern verlassen, wächst im Waisenhaus auf und möchte so schnell wie möglich ihren Freund heiraten. Zaghaft entsteht zwischen den Frauen ein Vertrauensverhältnis und eine Freundschaft, in der beide zu sich selber finden können. Sensibel, mit einem feinen Gespür für Zwischentöne und enorm konzentriert schildert Mészáros komplexe Gefühlswelten. In langen Einstellungen auf die Gesichter der Frauen lotet sie deren Entwicklung zu einem selbstbestimmten Leben aus, in dem aber auch das vermeintliche Glück keine Erlösung darstellt. In der genauen Beobachtung von Alltäglichem gelingt Mészáros eine Geschichte von großer Eindringlichkeit. KILENC HONAP (Nine Months, Ungarn 1976, 17. & 27.5.) Juli kommt als Arbeiterin in einer Stahlfabrik in eine neue Stadt. Ihren kleinen Sohn aus einer früheren Beziehung mit einem verheirateten Professor, der bei ihren Eltern auf dem Land lebt, sieht sie nur am Wochenende. Nach anfänglichem Zögern lässt sie sich auf eine Liebschaft mit dem Werkmeister János ein. Bald wird sie schwanger. Die von Beginn an belastete Verbindung scheitert schließlich an seinem kleinbürgerlichen Rollenverständnis. Juli wählt den Weg der Kompromisslosigkeit um den Preis des Alleinseins. Der Film endet mit der Geburt von Julis Kind, das sie allein aufziehen wird. Márta Mészáros filmte die echte Geburt der Schauspielerin Lili Monori, die während der Dreharbeiten schwanger war. NAPLÓ GYERMEKEIMNEK(Diary for My Children, Ungarn 1982, 18.5., Einführung: Borjana Gaković & 24.5.) 1947 kehrt die junge, elternlose Juli Kovács mit einer Gruppe ungarischer Kommunisten aus der Sowjetunion nach Budapest zurück, wo sie von der kinderlosen Parteifunktionärin Magda aufgenommen wird. Juli fühlt sich von der strengen Magda und ihrer Welt voller Privilegien eingeengt. Lieber geht sie ins Kino und träumt sich in eine schönere Welt, die wie die Flashbacks von Erinnerungen an die idealisierten Eltern im scharfen Kontrast zur Gegenwart steht. In der Freundschaft mit dem kommunistischen Widerstandskämpfer und Regimegegner János findet sie eine Vaterfigur. Während Magda die Wahrheit um den verschwundenen Vater, der in der Sowjetunion dem stalinistischen Terror zum Opfer gefallen ist, zu verschweigen versucht, will János die Vergangenheit nicht vergessen. Im Erkunden der Geschichte und ihrer Auswirkung auf ein persönliches Schicksal gelingt Márta Mészáros eine fein austarierte Balance zwischen Individuellem und Kollektivem. NAPLÓ SZERELMEIMNEK (Diary for My Loves, Ungarn 1987, 20. & 25.5.) Einige Jahre später: Juli bewirbt sich an der Budapester Filmakademie, wird aber abgelehnt. Schließlich akzeptiert sie Magdas Hilfe, ein Stipendium für ein Studium in Moskau zu bekommen. In Moskau fühlt sie sich wohl, und besucht mit Hilfe einer Freundin das Haus, in dem sie als Kind gewohnt hat. Dennoch spürt sie eine innere Zerrissenheit zwischen ihrem Leben in der Sowjetunion und in Ungarn. Ein Dokumentarfilm über die ländliche Armut wird von ihren Professoren abgelehnt: "Eine Regisseurin sollte hinter die Realität blicken können." Wiederholt zeigt Mészáros die Widersprüche zwischen der offiziellen Politik und dem Leben der einfachen Leute und entlarvt damit die Scheinheiligkeit des Parteiapparates. Als János freikommt, der jahrelang wegen "Volksverrat" im Gefängnis saß, beschließt sie, die ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen und eines Tages einen Film zu machen, der an diese Zeiten erinnern wird. NAPLÓ APÁMNAK ÉS ANYÁMNAK(Diary for My Father and My Mother, Ungarn 1990, 21. & 26.5.) "Warum müssen wir lügen? Warum können wir nicht denken? Warum habt ihr Angst?" Mit diesen Worten konfrontiert Juli ihre Moskauer Freundinnen, die den ungarischen Volksaufstand von 1956 der sowjetischen Propaganda gemäß für eine Konterrevolution halten. Als ihr die Rückreise nach Budapest endlich erlaubt wird, erkennt sie ihre Stadt und die Bewohner kaum wieder. Häuser sind zerstört, um die Toten wird getrauert, es herrscht ein Klima von Angst und Misstrauen. In dieser extrem aufgeladenen Situation nimmt Juli die Rolle der Beobachterin ein, die mit ihrer Kamera die Geschehnisse festhält: Bildermachen wider das Vergessen. Wieder werden Menschen Opfer der politischen Umstände, und ebenso wie die Bilder des von der Polizei abgeholten Vaters in Julis Gedächtnis fest eingebrannt sind, lässt im dritten Teil der Tagebuch-Trilogie die Kamera nicht ab von den Augen des gehenkten János. KISVILMA – AZ UTOLSÓ NAPLÓ (Little Vilma – The Last Diary, Ungarn/D/Polen 1999, 22. & 28.5.) Das titelgebende "letzte Tagebuch" kehrt zurück zu Márta Mészáros' Kindheit in Kirgisien. Es beginnt in der Gegenwart: Eine Frau fährt mit dem Zug in die kirgisische Hauptstadt Bischkek, um die Wahrheit über ihren Vater herauszufinden, der während des stalinistischen Terrors ums Leben kam. Wie Mészáros selbst, die erst Ende 1999 erfuhr, dass ihr Vater hingerichtet wurde, bekommt sie Einsicht in die offiziellen Akten und kann eine gedankliche Reise in die Kindheit und in die Verbindungen zwischen Ungarn und Kirgisien antreten. A TEMETETLEN HALOTT (The Unburied Man, Ungarn/Slowakei/Polen 2004, 23. & 30.5.) Ein lange verdrängtes Kapitel ungarischer Geschichte war die sowjetische Niederschlagung des Volksaufstandes 1956 und dessen Opfer, darunter der damalige Ministerpräsident Imre Nagy, der 1958 hingerichtet und 1989 rehabilitiert wurde. In ihrem Spielfilm konzentriert sich Márta Mészáros auf die letzen zwei Jahre im Leben Nagys (gespielt von Jan Nowicki, der schon in der Tagebuch-Trilogie die zentrale Vaterfigur darstellte), zeigt ihn als Politiker und nach seiner Verhaftung, zwischen Erinnerungen an seine Kindheit und dem Leben in der dunklen Gefängniszelle. Gerahmt wird der Film von einem Besuch an Imre Nagys Grab – ein aktiver Akt des Erinnerns. (al) Mit herzlichem Dank an Gaby Babić, Catherine Portuges (University of Massachusetts Amherst), Petra Palmer und goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films.

Gefördert durch:

  • Logo des BKM (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)
  • Logo des Programms NeuStart Kultur