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O THIASSOS (Die Wanderschauspieler, Theo Angelopoulos, Griechenland 1975, 1. & 12.12.) Sich auflösende Zeiten und Orte: Eine Schauspieltruppe reist durch das Griechenland der Jahre 1939 bis 1952. Immer wieder führen sie die Pastorale „Golfo, die Schäferin“ auf, immer wieder drängt die Geschichte auf die Theaterbühne. So sehr sich das Stück auf den antiken Atriden-Mythos bezieht, so sehr öffnet es sich in die jeweilige politische, persönliche und soziale Gegenwart, lässt Parallelen, Verbindungen und Zusammenhänge zu. O Thiassos ist gleichermaßen Odyssee wie Chronik, in der sich – eingebettet in eine überreiche Fülle filmischer Ausdrucksmittel – Mythos, Theater, Allegorie und Wirklichkeit durchdringen.

DIE SCHAUSPIELERIN (Siegfried Kühn, DDR 1988, 2. & 9.12.) Deutschland in den 30er Jahren: Die titelgebende Schauspielerin Maria Rheine (Corinna Harfouch) verliebt sich in ihren jüdischen Kollegen Mark Löwenthal (André Hennicke). Sie wird zum Star, er findet Unterschlupf am jüdischen Theater in Berlin. Aus Liebe folgt sie ihm und gibt sich als Jüdin aus, bis sie an die Gestapo verraten wird. Die Bühnenwelt, die Proben, Aufführungen und Kostümwechsel stehen für das Spiel mit verschiedenen Realitäten und Identitäten, Spiegelszenen werden zur eindringlichen Selbstbefragung zwischen Maria und den von ihr dargestellten Rollen.

WOYZECK (Werner Herzog, BRD 1979, 4. & 7.12.) Überaus vorlagengetreue Verfilmung von Büchners Dramenfragment: In einer kleinen Garnisonsstadt zwischen Idylle und Klaustrophobie kümmert sich der Soldat Woyzeck um seine Freundin Marie (Eva Mattes) und sein uneheliches Kind. Um den mageren Sold aufzubessern, stellt er sich für medizinische Versuche zur Verfügung, bis er erfährt, dass sich Marie mit einem anderen Mann eingelassen hat. In langen Einstellungen und wenigen Schnitten, stilistisch nahe am Theater, entwirft Herzog ein Tableau der Unterdrückung, Erstarrung und der Gewalt.

VARIETÉ (E.A. Dupont, D 1925, 5. & 18.12., am Klavier: Eunice Martins) Varietébühnen und Zirkusarenen als Sehnsuchtsorte entwirft Dupont in diesem Übergangsfilm zwischen expressionistischer Ästhetik und Neuer Sachlichkeit. Trapezkünstler Boss (Emil Jannings) verlässt Frau (Maly Delschaft) und Kind, um mit seiner neuen Partnerin, der geheimnisvoll-verführerischen Berta-Marie (Lya de Putti), auf und hinter der Bühne des Wintergarten-Varietés ein neues Leben anzufangen. Als der berühmte und weltgewandte Artist Artinelli ein Auge auf Berta wirft, wird der Salto mortale, den die drei allabendlich vorführen, zu einem Schauspiel auf Leben und Tod. Karl Freunds „entfesselte Kamera“ lässt den Zuschauer in luftiger Höhe an den schwindelerregenden Nummern in der Zirkuskuppel teilnehmen, um kurze Zeit später quasi im Gegenschuss anhand von zahlreichen Aufnahmen von Operngläsern, Brillen und Monokeln die Position des Zuschauers vor der Bühne des Lebens zu konstituieren.

MUEDA: MEMORIA E MASSACRE (Mueda: Erinnerung und Massaker, Ruy Guerra, Mosambik 1979, 6. & 20.12.) Antikoloniale Erinnerungsarbeit: Gezeigt wird ein öffentliches, von Laien in Szene gesetztes Reenactment des von den Portugiesen verübten Massakers von Mueda, bei dem am 16. Juni 1960 portugiesische Soldaten das Feuer auf eine protestierende Menge eröffneten und hunderte Menschen töteten. Das Massaker ging als Auslöser des antikolonialen Kampfes in die Geschichte Mosambiks ein und wurde bereits seit 1968, noch während des Befreiungskrieges (1964–74), in populären Theaterinszenierungen erinnert. Repräsentiert werden nicht nur die Brutalität der Kolonialmacht, sondern auch die Ignoranz und Lächerlichkeit ihres Personals sowie die schmähliche Rolle ihrer Kollaborateure.

DOGVILLE (Lars von Trier, Dänemark 2003, 8. & 15.12.) Mit Kreidestrichen auf den Boden gezeichnete Umrisse und einige vereinzelte Requisiten markieren den Raum von DOGVILLE – eine nackte Bühne, eine stilisierte Theaterkulisse. Lediglich behauptet ist dieser Ort, gleichsam Modellwelt und Versuchsanordnung, in der Lars von Trier ein Lehrstück in neun Akten entfaltet. Grace (Nicole Kidman) ist auf der Flucht und findet in der Kleinstadt Dogville in den Rocky Mountains Unterschlupf. Die Haltung der Bewohner ihr gegenüber ändert sich im Lauf der Zeit: Die Duldung ihrer Anwesenheit zu Beginn des Films weicht offener Erniedrigung und Ausbeutung. Durch das radikale Entblättern aller Kulissen wird der Illusionscharakter des Kinos sichtbar gemacht und die Täuschung des Zuschauers offengelegt.

GORI, GORI, MOJA SWESDA (Leuchte, mein Stern, leuchte, Alexander Mitta, UdSSR 1969, 11. & 14.12.) Programmatischer könnte der Künstlername dieses Theaterenthusiasten in der jungen Sowjetunion kaum gewählt sein: Der Wanderschauspieler, der mit Pferd und Wagen durch die UdSSR zieht, um Shakespeares Dramen aufzuführen, nennt sich Iskremas, kurz für „Iskusstwo revoluzii massam“, übersetzt „Kunst der Revolution für die Massen“. Iskremas träumt vom revolutionären Massentheater und ist gewillt, für die Umsetzung seiner Ideen gegen seinen schärfsten Konkurrenten Pascha, den Besitzer eines Kinematografen, anzutreten. Eine berührende Tragikomödie, die, durchdrungen von unbändiger Spielfreude und einer naiv-fantastischen Bilderwelt, dem Verhältnis zwischen revolutionärer Kunst und den Massen nachgeht.

UNTER SCHNEE (Ulrike Ottinger, D 2011, 23. & 27.12.) Im japanischen Echigo liegt der Schnee oft bis in den Mai hinein meterhoch und bedeckt Landschaft und Dörfer. Seit Jahrhunderten haben sich die Bewohner darauf eingerichtet. Um ihre ganz eigenen Formen des Alltags, der Feste und religiösen Rituale festzuhalten, hat sich Ulrike Ottinger ins mythische Schneeland begeben – und mit ihr zwei Kabuki-Theater-Darsteller. In den Rollen der Studenten Takeo und Mako folgen sie den Spuren Bokushi Suzukis, der Mitte des 19. Jahrhunderts sein außergewöhnliches Buch „Schneeland Symphonie“ verfasste. Kabuki-Theater, Poesie und die raue Wirklichkeit in dieser mitteljapanischen Region verbinden sich zum kontemplativen, semi-fiktionalen Porträt einer magischen Landschaft.

VANYA ON 42ND STREET (Louis Malle, USA 1994, 16. & 29.12.) Nahezu übergangslos gehen Leben und Theater in Louis Malles Kammerspiel ineinander über: Eine Gruppe von Theaterleuten trifft im heruntergekommenen New Amsterdam zusammen, einem alten Vaudeville- und Lichtspieltheater. Hier sollen die Proben zu Anton Tschechows Stück „Onkel Wanja“ stattfinden. Ohne Zäsur, ohne Schminke, Kostümwechsel oder andere sichtbare Vorbereitungen tauchen die Schauspieler (darunter Wallace Shawn und Julianne Moore) in ihre Rollen ein und wechseln von einer Sphäre in die andere.

TO BE OR NOT TO BE (Ernst Lubitsch, USA 1942, 19. & 25.12.) Eine Schauspieltruppe probt 1939 in Warschau das Anti-Nazi-Stück „Gestapo“ mit Hitler als Hauptfigur. Als die Deutschen in Polen einmarschieren, wird die Fiktion von der Realität eingeholt. Die Schauspieler schließen sich dem Widerstand an, wobei ihnen ihre Kostüme wunderbar zupass kommen. Lubitschs Verwechslungskomödie, die die Nazis der Lächerlichkeit preisgibt, ist ein Film der Auftritte und Abgänge, der vielfältigen Kostümierungen und Maskeraden, des Rollenspiels und des Rollentauschs. Die „Welt“ dringt ins Theater, wie auch außerhalb des Theaters viele kleine und große Bühnen entstehen.

VOUS N'AVEZ ENCORE RIEN VU (Ihr werdet euch noch wundern, Alain Resnais, F/D 2012, 22. & 26.12.) Eine illustre Schar französischer Schauspieler kommt – dem letzten Willen eines soeben verstorbenen Dramatikers folgend – in einem Landhaus zusammen. Dort wird ihnen ein Film präsentiert: Aufnahmen von Proben zu einer Inszenierung von Jean Anouilhs „Eurydice“ – ein Stück, das sie selbst unter der Regie des toten Autors schon gespielt haben. Sie beginnen kurzerhand, in ihre Rollen von einst zu schlüpfen. Zwischen Bühnenillusion und digitalen Effekten, Irisblenden und Splitscreen nimmt in betont künstlicher Kulisse ein selbstreflexives Spiel um Variation und Wiederholung, Vergangenheit und Gegenwart, Liebe und Tod, Theater und Film seinen Lauf.

MOULIN ROUGE! (Baz Luhrmann, USA 2001, 28. & 30.12.) Zwischen Melodrama und Musical, „theatralisiertem Kino“ (BL) und Postmoderne: Luhrmanns furios gesampelter Zitatenschatz spannt sich musikalisch zwischen Jacques Offenbach und Elton John, John Lennon und Madonna, Sting und Freddie Mercury auf, verarbeitet narrative Elemente verschiedener klassischer Oper(ette)n und umkreist die berüchtigte Pariser Varieté-Bühne Moulin Rouge, die Luhrmann als schrille, reizüberflutete, synthetisch-schimmernde Oberfläche inszeniert. Ein optisches und akustisches Feuerwerk, innerhalb dessen sich die Liebesgeschichte zwischen dem mittellosen Schriftsteller Christian (Ewan McGregor) und der Startänzerin und Kurtisane Satine (Nicole Kidman) entspannt. (mg)

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