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EN ATTENDANT LES HIRONDELLES (Until the Birds Return, Karim Moussaoui, F/Algerien/D/Katar 2017, 3.5., in Anwesenheit von Karim Moussaoui) Ein wohlhabender Bauunternehmer mit bildungsbürgerlicher Familie lässt private Probleme an sich abgleiten und unternimmt auch nichts, als er Zeuge einer brutalen Schlägerei in einem Vorort von Algier wird. Eine junge Frau hat sich entschieden, einen älteren Mann zu heiraten, auf der Fahrt ans andere Ende des Landes kommen ihr eine alte Liebe und verdrängte Gefühle in die Quere. Ein aufstrebender Neurologe wird kurz vor der Hochzeit mit seiner Cousine von einem Vorfall im Bürgerkrieg der 90er Jahre eingeholt, in den er verstrickt war. Alle stecken in einem Dilemma und stellen sich die Frage nach der richtigen Entscheidung – zwischen Pragmatismus und Begehren, Tradition und Wandel, Verdrängung und Verantwortung. Die Vergangenheit lastet genauso schwer auf ihnen wie die Stagnation der Gegenwart sie hemmt. Die durch eine wiederkehrende Kantate von Bach lose verbundenen Episoden, die sich schöne kleine Abschweifungen erlauben, beschreiben eindrücklich Facetten des algerischen Alltags. Nur in den Tanzszenen kommt individuelle Freiheit zum Ausdruck.

EL OUED, EL OUED (The River, Abdenour Zahzah, Algerien/VAE 2013, 4.5., Einführung: Judith Scheele, ZMO) Der Fluss Oued El Kebir hat seine Quelle im Atlas-Gebirge auf 1.525 Meter Höhe; 40 Kilometer weiter mündet er westlich von Algier ins Mittelmeer. Seinem Lauf folgend ergeben zahlreiche Eindrücke ein vielstimmiges Bild von Algerien: Ein Mann ist verärgert über den Konzern Nestlé Waters, der die Dorfbewohner teuer für ihr Wasser bezahlen lässt. Ein anderer erzählt, dass in dieser Gegend das erste große Massaker der 90er Jahre stattfand. Eine Mühle musste wegen der „dunklen Dekade“ schließen. Junge Männer leben zwischen Ratten und Müll, in einem Brückenpfeiler hausende Obdachlose trinken Rasierwasser, ein Imker macht Honig, eine prächtige Villa ist im Bau. In der Schule geht es um Ernährung, bei einer politischen Veranstaltung um die Einheit Algeriens. Die Rede ist auch von Umweltverschmutzung, Überschwemmungen und davon, dass die Verantwortlichen sich entziehen. „Zeig das nicht!“ ruft jemand dem Filmemacher zu: „Die Franzosen werden sagen: Seht nur, was aus Algerien geworden
ist!“

ATLAL (Djamel Kerkar, Algerien/F 2016, 4.5., in Anwesenheit von Djamel Kerkar) Unscharfe VHS-Aufnahmen einer Ruinenlandschaft aus dem Jahr 1998 als Prolog. Sie zeigen ein von Gras überwuchertes Trümmerfeld aus Schrott und Beton – die Reste von Ouled Allal, einer kleinen Ortschaft südlich von Algier, die 1997 im Krieg zwischen islamistischen Gruppen und dem Militär komplett zerstört wurde. Trotz Wiederaufbau-Versuchen sind die Spuren des Terrors der 90er Jahre und die Narben des Krieges heute noch vorhanden. Die stille Kontemplation von Ruinen und Natur geht allmählich über in Gespräche mit drei Männern und deren Erinnerungen an die Katastrophe. Obwohl sie aus unterschiedlichen Generationen stammen, erlebten sie als Zwanzigjährige alle Krieg, Armut und Leid. Der Alte bekräftigt seine Liebe zum Vaterland, der Jüngste sieht hier keine Zukunft und will unbedingt weg. Die Zeit verrinnt. Am nächtlichen Feuer spendet nur die Raï-Musik von Cheb Hasni ein wenig Trost. Ein wunderbar fotografierter, traurig-schöner Film, in dem Poesie und Schmerz nah beieinander liegen.

FI RASSI ROND-POINT (A Roundabout in My Head, Hassen Ferhani, Algerien/F/Katar/Libanon/NL 2015, 5.5., Einführung: Nora Lafi, ZMO) Das Schlachthaus in Algier. Alte und junge Männer haben sich in den Hallen einquartiert und werden bei der Verrichtung ihrer Arbeit gezeigt, aber auch vor dem Fernseher und bei Dominospiel, Sport und Zeitungslektüre, beim Musik hören und Diskutieren über Fußball und Politik. Das Töten der Tiere geschieht im Off, im Mittelpunkt stehen die Menschen. Während Youssef und sein Kumpel, ein Berber, Rinderhäute auf Karren laden, unterhalten sie sich schwärmerisch über die Liebe. Auch Sorgen, Ängste und Nöte der Arbeiter kommen zur Sprache. Die Jüngeren fühlen sich in einer Sackgasse angesichts der Situation im Land. Suizid oder Flucht? „In meinem Kopf ist ein Kreisverkehr mit tausend Ausfahrten, aber ich habe meine noch nicht gefunden“, so Youssef. In präzise kadrierten Einstellungen voll unvermuteter Poesie wird der Mikrokosmos des Schlachthauses zur Allegorie auf die algerische Gesellschaft.

LOUBIA HAMRA (Bloody Beans, Narimane Mari, Algerien/F 2013, 5.5., in Anwesenheit von Narimane Mari) Eine Gruppe von Kindern tollt ausgelassen am Strand von Algier herum, sie baden, lachen, singen und streiten. Und sie spielen Krieg: Ihrer eintönigen Bohnenkost überdrüssig, stehlen sie Nahrungsmittel vom französischen Militär und nehmen dabei einen jungen Soldaten gefangen. Zu ihrer Ausstattung als Kämpfer gehören auch bunte Luftballons. In einem fantastischen nächtlichen Tanz mit ihren eigenen Schatten zur elektronischen Musik des Duos Zombie Zombie bewegen sie sich wie junge Katzen. Die Dämonen der Vergangenheit bekommen es hier mit der Vitalität und Freiheit von Kindern zu tun, die sich die Geschichte aneignen und sie neu erfinden. Unbändig wie die Kinder ist auch der Film, der die Kolonialzeit, den algerischen Unabhängigkeitskrieg und den Kampf gegen die französische Besatzung als Spiel inszeniert. So wird Energie freigesetzt, die den Käfig der tragischen Vergangenheit sprengt. „What is worth more, to be or to obey?“ (Artaud)

LE JARDIN D’ESSAI (The Trial Garden, Dania Reymond, F/Algerien 2016, 6.5.) In einem während der Kolonialzeit in Algier angelegten Park mit tropischen Pflanzen finden das Casting und die Proben für einen Film statt. Der Regisseur (Samir El Hakim) arbeitet mit einem Märchen, in dem es um die Belagerung einer Stadt geht. Die Bewohner jener grünen Oase schwanken zwischen Wut, Resignation und Fluchtgedanken. Bleiben oder gehen? Die jungen Schauspieler*innen sind bald mit den gleichen Fragen konfrontiert wie die von ihnen verkörperten Figuren. Die exotische Atmosphäre, die langsamen Kameraschwenks und die Filmmusik evozieren das Universum des klassischen Hollywoodkinos – während zugleich eine Verflechtung des Stoffs mit aktuellen Realitäten und dem konkreten sozialen Kontext anklingt. Die Interaktion von inszenierten und dokumentarischen Elementen, die Überlagerung von Kino und Geschichte bleiben latent. Für das Filmteam kommt Aufgeben trotz aller Schwierigkeiten nicht in Frage.

BLA CINIMA (Straight from the Street, Lamine Ammar-Khodja, F/Algerien 2014, 6.5.) Das frisch renovierte „Sierra Maestra“ im Zentrum von Algier stammt aus einer vergangenen Zeit, in der es Hunderte von Lichtspielhäusern im Land gab und das Kino eine große Rolle spielte. Heute ist es eher spärlich besucht. Der Filmemacher platziert sich mit seinem Mikrofon auf dem belebten Vorplatz und spricht mit Passanten über ihre Vorstellungen von Film und Kino. Doch die sich daraus ergebenden Gespräche machen nicht bei einem Abgesang auf die siebte Kunst halt, sondern zeigen, was die Menschen bewegt. Die Alten politisieren, die Jüngeren machen sich über ihre Zukunftsaussichten keine Illusionen. Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption und der Mangel an Sozialwohnungen werden beklagt, die Rolle der Religion diskutiert. Vom Kino ausgehend und die algerische Filmgeschichte zitierend entsteht unversehens eine Gesellschafts-Skizze – und eine Reflexion über Aufgabe und Stellenwert des Kinos im heutigen Algerien. (bik)

Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum Moderner Orient (Berlin) und dem Goethe-Institut Algerien.

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