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Die Klangwelt der Tonspuren verbunden mit einer Einladung zum Hinhören steht im Mittelpunkt der Magical History Tour. Ob On-screen- oder Off-screen-Töne, diegetisch oder nicht, ob komplexe Audio-Arrangements, Überwältigungs-Sound oder atemlose Stille: Die Tonspur – bestehend aus Sprache, Musik und Geräuschen – ist integraler Bestandteil der Filmerfahrung. Sie produziert Atmosphäre oder Irritation, greift den Bildern vor oder widerspricht ihnen, verstärkt oder erdrückt. Seit Mitte der 70er Jahre ermöglichen zahlreiche tontechnische Innovationen das Gestalten hochkomplexer Klangarchitekturen. Doch auch jenseits der großen Produktionen entstehen und entstanden vielschichtige, souveräne Tonspuren, die unsere Aufmerksamkeit verdienen und wichtige Fragen zum Verhältnis von Bild und Ton aufwerfen.

BERBERIAN SOUND STUDIO (Peter Strickland, GB/I 2012, 1. & 5.3.) Italien 1976: Der schüchterne Brite Gilderoy hat einen Job als Sounddesigner in einem italienischen Tonstudio angenommen. Als „foley artist“ zerschneidet er Kohlköpfe, reißt Radieschen auseinander, zerhackt Wassermelonen und wird dabei immer tiefer in die Welt des Horrorfilms hineingezogen, für den er Töne produziert – bis sich Wirklichkeit und Wahn nicht mehr klar unterscheiden lassen.

RAN (Akira Kurosawa, Japan/Frankreich 1985, 2. & 8.3.) Kurosawas Adaptation der Shakespeare-Tragödie „King Lear“ ist endgültiger Abgesang auf die Ära der Krieger-Fürsten Japans, zugleich das pessimistische Bild einer modernen Welt, in der das Schlachten und Sterben kein Ende nimmt. Der greise Fürst Hidetora setzt seinen ältesten Sohn als Nachfolger ein, was einen erbarmungslosen Kampf innerhalb der Familie auslöst. „Ran“ bedeutet Chaos, und zwischen Kontemplation und Blutbad, zwischen Schweigen und Chaos oszillieren Bild, Ton und Musik. Die schlimmsten Gemetzel passieren in absoluter Stille, begleitet nur von einer elegischen Musik von Takemitsu Toru, einem der wichtigsten japanischen Komponisten, der die Filmmusik zu über 100 Filmen schrieb.

ERASERHEAD (David Lynch, USA 1977, 3. & 9.3.) ist ein surrealistischer schwarzweißer Albtraum mit Sequenzen, die das filmische Spiel um Realität und subjektive Wahrnehmungsverzerrung verstärken: Der in einer schmutzig-düsteren Hinterhofwelt lebende Henry Spencer wird Vater eines monsterähnlichen Babys, das bald ein Eigenleben entwickelt und die Mutter aus dem Haus treibt. Der Eindruck des Unheimlich-Gespenstischen wird verstärkt durch das beständige Rauschen, Gluckern und Dröhnen der Tonspur, die Lynch zusammen mit seinem Sounddesigner Alan Splet monatelang erarbeitete.

LES VACANCES DE MONSIEUR HULOT (Die Ferien des Monsieur Hulot, Jacques Tati, F 1953, 12. & 16.3.) Monsieur Hulot verbringt seine Ferien in einem Badeort und verursacht in aller Unschuld um sich herum ein Chaos. Die Filme Jacques Tatis gehören zu den schönsten Beispielen für einen künstlerischen Umgang mit Geräuschen. Die Tonspur besteht aus einem komplexen Geflecht aus verschiedenartigsten Einfällen, musikalischen Späßen und Geräuscheffekten. Die wenigen Dialoge spielen nur eine geringe Rolle, die zumeist unverständlichen Sprachfetzen werden als Akzentgeräusche eingesetzt.

D’EST (Aus dem Osten, Chantal Akerman, F/Belgien 1993, 14. & 18.3.) Eine Reise von Ostdeutschland nach Moskau, ins geografisch und auch historisch Unbekannte. Statische Einstellungen wechseln sich ab mit Kamerafahrten vorbei an Landschaften, Menschen und Gesichtern. Ein Strom von Bildern gibt die Eindrücke der subjektiven Fahrt wieder, Wartehallen, Bahnhöfe, Straßenfluchten, Tanzhallen, Küchen, Landschaften, Kartoffelernte, Gesichter – die Orte bleiben unbenannt, kein ordnender Kommentar, kaum ein Wort, aber eine Ordnung der Dinge und der Blicke und ein Widerhall von Tönen: das Geräusch des Windes, das Dröhnen von Autos, eine Musik.

REAR WINDOW (Alfred Hitchcock, USA 1954, 15. & 20.3.) Der deutsche Verleihtitel DAS FENSTER ZUM HOF ist einer der wenigen Glücksgriffe der deutschen Synchronbranche. Er verweist auf einen zentralen Ton-Ort des Films: den Hof. Hier trifft eine Vielzahl von Geräuschen und Stimmen aufeinander, die das Leben in den Wohnungen hörbar machen. Nur eine Wohnung bleibt tonlos – die des Modeschmuckverkäufers Thorwald, dessen verdächtige Machenschaften die Aufmerksamkeit eines temporär an einen Rollstuhl gefesselten Fotojournalisten (James Stewart) erregt. Gemeinsam mit seiner Verlobten (Grace Kelly) geht er den verschiedenen Verdachtsmomenten nach.

KANAŁ (Andrzej Wajda, Polen 1956, 17. & 21.3.) Der Film schildert den Kampf einer polnischen Widerstandgruppe in den letzten Tagen des Warschauer Aufstands 1944. Als ihre Position in der Vorstadt nicht mehr zu halten ist, steigen sie in die weitverzweigte Warschauer Kanalisation ab. Ein Irrweg durch expressionistisch ausgeleuchtete Kanalgänge beginnt, die Ausmaße des Danteschen Infernos annehmen. Während oberirdisch Gewehrschüsse akustisch dominieren, ist die unterirdische Geräuschkulisse vielschichtig, wechselt zwischen gespenstischer Stille und den verzweifelten Lauten der Sterbenden.

MEEK’S CUTOFF (Kelly Reichardt, USA 2010, 19. & 27.3.) Der Sound der klassischen Western ist von Krieg und Eroberungen bestimmt, durchzogen von Kugelhagel und Kampfgeschrei, Saloongetöse und Streitereien. Kelly Reichardt setzt diesem Sound-Mythos einen stillen Weste(r)n entgegen und geht dem Klang dieser Stille in der mittelamerikanischen Prärie nach, in der sich Mitte des 19. Jahrhunderts ein Trapper und drei Familien auf der Suche nach einer Abkürzung nach Oregon verirren. Die aufwendig aufgenommenen Umweltgeräusche – das Rauschen des Windes, das Knarren der Räder, das Knistern des Feuers – evozieren einen noch nie vernommenen Klangraum des amerikanischen Westens.

THE HURT LOCKER (Tödliches Kommando, Kath-ryn Bigelow, USA 2008, 22. & 28.3.) Ein Bombenräumkommando der US-Armee im Irak. Noch 38 Tage hat eine Einheit Dienst zu leisten, als Sergeant William James zur Truppe stößt, ein Adrenalinjunkie, den der Krieg längst süchtig und fürs zivile Leben untauglich gemacht hat. Konsequent aus der Sicht der Protagonisten erzählt und ihre Orientierungslosigkeit übernehmend, verstärkt Bigelow die atemlose Spannung des Actionkinos virtuos mit einem Akzente setzenden Soundtrack.

THE NIGHT OF THE HUNTER (Charles Laughton, USA 1955, 23. & 30.3.) Vom deutschen Expressionismus beeinflusst, arbeitet Laughtons einzige Regiearbeit mit suggestiven Ton- sowie Lichteffekten und schafft so eine irreale, beklemmende Atmosphäre. Der Wanderprediger Harry Powell (Robert Mitchum) weiß um die 10.000 Dollar, die im Haus einer Witwe versteckt sind und beginnt um sie zu werben. Nachdem Powell die Frau auf der vergeblichen Suche nach dem Schatz umgebracht hat, müssen ihre Kinder fliehen. Eine Odys-see auf dem Floß den Fluss hinab beginnt. Nur wenigen Erwachsenen können sie trauen, unter anderem einer märchenhaften alten Frau, die in ihrem Haus verstoßene Kinder um sich schart.

KING KONG (Merian C. Cooper, Ernest B. Schoedsack, USA 1933, 24. & 29.3.) Der für die Soundeffekte in diesem frühen Monster-/Ton-Film verantwortliche Murray Spivack gilt als einer der „ersten Sounddesigner“ der Filmgeschichte. Seine auf unkonventionellste Weise entstandenen Toneffekte und die Kompositionen Max Steiners, denen sie in einer frühen Form des Mixens zugespielt wurden, erweisen sich bei genauem Hinhören als essentielle Informationen für das sich entspannende Drama um den König einer Insel mit urtümlicher Flora und Fauna, den Riesengorilla Kong. Von einem Abenteuerfilmteam entdeckt und gefangen, wird er als Attraktion nach New York verschifft.

ENTUSIASM (SIMFONIJA DONBASSA) (Dsiga Wertow, UdSSR 1930, 26. & 31.3., Aus der Sammlung des Österreichischen Filmmuseums) Wertow sah im Tonfilm die Vervollkommnung des Mediums. „ENTUSIASM demonstriert die Möglichkeiten von Geräusch und Musik mit solch programmatischer Brillanz, dass der Film noch heute wie ein unüberholtes Lehrstück in Sachen Bild-Ton-Montage erscheint. Der Beginn, in dem die Gesänge des alten orthodoxen Russlands mit Einstellungen von Kirchen, Betenden und Alkoholikern gekoppelt sind, und die darauffolgenden ‚Gesänge‘ von Hochöfen, Kolben und Erntemaschinen zählen zum Faszinierendsten in Wertows Schaffen.“ (Harry Tomicek) (al/mg)

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