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THE MORTAL STORM (USA 1940, 1.9., mit einem einführenden Vortrag von Lukas Foerster & 26.9.) München, im Januar 1933: Das harmonische Festessen im engen Familienkreis zum 60. Geburtstag des Universitätsprofessors Viktor Roth (Frank Morgan) wird von der Meldung über die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler unterbrochen. Während Roths Stiefsöhne und der Geliebte seiner Tochter die Nachricht enthusiastisch begrüßen, reagieren der „nicht-arische“ Professor, seine Tochter Freya (Margaret Sullavan) und ihr Verehrer, der Veterinärmedizinstudent Martin (James Stewart), geschockt. THE MORTAL STORM war der erste Hollywoodfilm, der den Rassismus des NS-Regimes offen anklagte und zog – eineinhalb Jahre vor Kriegseintritt der USA – das Verbot aller amerikanischen Filme in Deutschland und im besetzen Europa nach sich. Borzage hat den Film zurückhaltend inszeniert. Obwohl zum ersten Mal ein Konzentrationslager gezeigt wird, sind keine sadistischen Szenen und keine plakativ gezeichneten Bösewichte zu sehen. Der Horror liegt nicht im Gezeigten. Vielmehr führt Borzage, ausgehend von einem familiären Mikrokosmos, mit atmosphärischer Präzision und großer Sensitivität eindringlich vor Augen, wie sich innerhalb des ersten Jahrs der NS-Diktatur das Miteinander verändert, die Menschlichkeit verloren geht, das gesellschaftliche Klima zunehmend bedrohlich und von Anpassungsdruck, Ausgrenzung und Aggressivität geprägt wird.

MAN’S CASTLE (USA 1933, 2. & 13.9.) Eine Obdachlosen-Siedlung in New York während der Großen Depression als unwahrscheinlicher Schauplatz einer traumgleichen Liebesgeschichte: Trina (Loretta Young) und Bill (Spencer Tracy) lernen sich im Park kennen, wo Bill Tauben füttert, was die danebensitzende Trina, die seit Tagen nicht mehr gegessen hat, zur Verzweiflung treibt. Bill nimmt sie mit in das improvisierte Hüttendorf, wo sich unter den Armen und Ausgestoßenen der Stadt ein fast utopischer Ort gebildet hat – „When people have nothing, they act like human beings“. Die Ambivalenz ihrer Beziehung indes verhindert ein schnelles Happy End. Während durch die Hand der pragmatischen Trina aus der winzigen Hütte mit Herd, Gardine und gedecktem Tisch ein behagliches Heim wird, lässt sich der vordergründig ungehobelte Bill nur widerwillig und in kleinen Schritten auf das partnerschaftliche Glück ein – hin- und hergerissen zwischen Liebe und Verantwortungsgefühl einerseits und einem Fluchtimpuls andererseits.

DESIRE (Sehnsucht, USA 1936, 3. & 19.9.) Die elegante Juwelendiebin Madeleine de Beaupré (Marlene Dietrich) stiehlt in Paris eine 2-Millionen-Francs-Perlenkette, die sie ihrem Komplizen in San Sebastián bringen will. Um das Col-lier über die Grenze zu schmuggeln, lässt sie es dem unbedarften Urlauber Tom Bradley (Gary Cooper), der ihr bei einer Autopanne weiterhilft, in die Jackentasche gleiten. Beim Versuch, die Perlenkette zurückzuholen, kommt es zu unvermeidlichen Annäherungen. Marlene Dietrichs erster Film nach ihrer Trennung von Josef von Sternberg und die zweite Zusammenarbeit mit Gary Cooper nach "Morocco" (1930) ist die gelungene Synthese einer sarkastischen Gaunerkomödie von Ernst Lubitsch – der an der Drehbuchentwicklung beteiligt war und als künstlerischer Leiter des Films fungierte – mit einer romantischen Liebesgeschichte, die von Frank Borzage mit der ihm eigenen Zartheit in Szene gesetzt wurde.

7TH HEAVEN (USA 1927, 4.9.) Ein erster Höhepunkt in Borzages Schaffen, gedreht in einem imaginierten Studio-Paris, in dem mit zarter Empfindsamkeit sein zentrales Thema in voller Pracht aufleuchtet: die Kraft der Liebe, die die Realität transzendiert. Chico (Charles Farrell), dessen Arbeitsort die Abwasserkanäle der Stadt sind, und die von ihrer Familie verstoßene Diane (Janet Gaynor) begegnen sich auf der Straße, von der Chico sie aus Mitleid rettet. Ihr Streben nach Höherem findet seine Entsprechung in Chicos Kammer hoch oben unter dem Dach, aus der sie einen Ort der Träume schaffen. Diesem kann auch der Krieg nichts anhaben, in den Chico eingezogen wird, die spirituelle Verbindung bleibt bestehen.

A FAREWELL TO ARMS (USA 1932, 5. & 21.9.) Der vielleicht bekannteste Tonfilm Frank Borzages erzählt frei nach Ernest Hemingways autobiografisch gefärbtem Roman von einer großen Liebe im Schatten des Krieges: Der US-amerikanische Lieutenant Fred Henry (Gary Cooper), der 1917 in Nordostitalien als Sanitätsoffizier an der italienisch-österreichischen Front dient, verliebt sich in die britische Rotkreuzschwester Catherine Barkley (Helen Hayes) und tritt damit in Konkurrenz zu seinem Freund Major Rinaldi (Adolphe Menjou). Nach einer nicht genehmigten Trauung durch einen Militärgeistlichen, Verwundung, Trennung, Desertion und einer Reise in die Schweiz führt Frank Borzage den Film zu einem unnachahmlichen Borzage-Ende, das die Möglichkeit aufscheinen lässt, den Tod durch die Kraft der Liebe zu transzendieren – zum Missfallen Hemingways, der Borzages Akzentuierungen ablehnte und sich von dem oscarprämierten Film distanzierte.

LITTLE MAN, WHAT NOW? (USA 1934, 6.9.) Im Mittelpunkt der Verfilmung von Hans Falladas Roman steht ein so sanftmütiges wie unpolitisches Paar der unteren Mittelklasse, Hans (Douglass Montgomery) und Lämmchen (Margaret Sullavan), das versucht, in einer Welt voller Zweifel und Unsicherheit seine Würde zu bewahren. Von Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Demütigungen und politischer Propaganda bedroht, ringen sie um sich und ihre Familie. In der Interaktion mit der Welt erfährt das ganz auf sich bezogene Paar hauptsächlich Verunsicherung; Hans droht zu verzweifeln, doch die seelisch stärkere Lämmchen findet durch ihre Schwangerschaft zu einer Bejahung des Lebens: „We created life, so why should we be afraid of it?“ Der aufkommende Faschismus wird hauptsächlich als Bedrohung des privaten Glücks und der persönlichen Integrität wahrgenommen. Während ein immer wieder auftauchendes älteres Paar Orientierung in politischen Lösungen sucht, sieht Borzage Hoffnung in den Gesten der Zärtlichkeit und in der tiefen Verbundenheit der sich Liebenden.

THREE COMRADES (USA 1938, 6. & 21.9.) Nach LITTLE MAN, WHAT NOW? setzte sich Borzage ein zweites Mal mit den Wirren und seelischen Nöten in der Weimarer Republik auseinander und griff auf eine Romanvorlage von Erich Maria Remarque zurück, die von F. Scott Fitzgerald als Drehbuch adaptiert wurde. Die drei Freunde Erich, Otto und Gottfried kehren desillusioniert und perspektivlos aus dem Krieg nach Hause zurück. Langsam versuchen sie sich neue Existenzen aufzubauen; als sie die ebenso heimatlose Pat (Margaret Sullavan) treffen und Erich sich in sie verliebt, entsteht die Möglichkeit einer Heilung der seelischen Wunden aller Beteiligten. Inmitten des sie umgebenden Chaos’ erschaffen sie sich eine eigene, heile Welt, in der Liebende auch durch den Tod nicht getrennt werden können.

THE RIVER (USA 1929, 7.9., am Flügel: Eunice Martins) Die am Ufer eines Flusses situierte Geschichte um die Liebesinitiation des Naturburschen Allen John (Charles Farrell) durch die geheimnisvolle, verführerische Städterin Rosalee (Mary Duncan), deren Geliebter wegen Mordes im Gefängnis sitzt, gehört zum Sinnlichsten, was in der Stummfilmzeit ins Kino gelangte. „Der erotischste Film des stummen Kinos“ (Hervé Dumont) wurde in mehreren US-Staaten verboten, der Vertrieb des Films wurde durch eine stillschweigende Übereinkunft eingeschränkt, die Berichterstattung und Bewerbung von vielen Zeitungen boykottiert. Trotz der fragmentierten Überlieferung – die mithilfe von Standfotos und Texttafeln erfolgte Rekonstruktion kommt auf eine Länge von 55 Minuten bei einer ursprünglichen Laufzeit von 84 Minuten – darf THE RIVER als einer der wichtigsten Filme Borzages und einer „der verkannten Höhepunkte des Stummfilms“ (Hervé Dumont) betrachtet werden.

HISTORY IS MADE AT NIGHT (USA 1937, 7. & 23.9.) Für den Filmkritiker Andrew Sarris war HISTORY IS MADE AT NIGHT der romantischste Filmtitel in der Geschichte des Kinos. Die Romantik stellt sich leicht und sofort ein in der schicksalhaften Begegnung zwischen Irene (Jean Arthur), die sich von ihrem schwerreichen und krankhaft eifersüchtigen Mann Bruce trennen möchte, und dem eleganten Kellner Paul (Charles Boyer), der sie aus einer misslichen Lage befreien kann. Nach einer gemeinsam verbrachten magischen Nacht in einem Luxusrestaurant mit Champagner und Musik steht als Widersacher nur noch der skrupellose Bruce und seine Intrigen zwischen ihnen. Entstanden nach einem Drehbuch, das noch während der Dreharbeiten geändert wurde, ist der Film abwechselnd Melodram und romantische Komödie, mit einem Plot, der sich um Wahrscheinlichkeit wenig kümmert, dafür hemmungslos eine Liebe zelebriert, die nicht einmal ein Eisberg zu verhindern vermag.

MANNEQUIN (USA 1938, 8. & 13.9., mit einer Einführung von Esther Buss) Jessie (Joan Crawford) kommt aus kleinen Verhältnissen. Nach der beschwerlichen Arbeit in der Fabrik warten im Elternhaus die häuslichen Pflichten. Die beengten Wohnverhältnisse in New Yorks Lower East Side, die allgemeine Resignation und bedrückende Lieblosigkeit lassen wenig Raum für ihre Sehnsüchte. Ein Ausbruchsversuch erfolgt durch die Heirat mit ihrem Freund Eddie, der sich jedoch bald als Enttäuschung herausstellt und sie zum Betrug anstiften möchte. Gleichzeitig wirbt der reiche Hennessy (Spencer Tracy) um sie, der von ihrem Sinn für Romantik und Schönheit berührt wird. Aus eigener Kraft bewahrt sie sich ihre Freiheit und Integrität und kehrt so die Verhältnisse um, in denen Männer als stark und Frauen als schwach gelten.

STRANGE CARGO (USA 1940, 9. & 28.9.) Die achte und letzte Zusammenarbeit des Traumpaars Joan Crawford und Clark Gable schildert die dramatische Flucht des zynischen Verne (Gable), der Prostituierten Julie (Crawford), des Spitzels „M’sieu Pig“ (Peter Lorre) und fünf weiterer Gefangener aus einer Strafkolonie in Französisch-Guayana. Unter der Leitung des Mörders Moll (Albert Dekker) fliehen sie durch Sümpfe, den Dschungel und aufs offene Meer. Teil der Gruppe ist der Zuversicht verbreitende geheimnisvolle Cambreau (Ian Hunter), der sie wiederholt aus scheinbar ausweglosen Situationen rettet und ihnen den Weg aus dem Dschungel und zu sich selbst weist. „Ein Schlüsselfilm in Borzages Karriere: Hier erweitert er seine Beschäftigung mit der spirituellen Seite menschlicher Beziehungen zu einer umfassenderen, mystischeren Vision transzendenter Harmonie zwischen Mensch und Natur.“ (Dave Kehr) Wegen der Figur des Cambreau und der Darstellung von Sexualität wurde der Film von der „Catholic Legion of Decency“ verurteilt und erhielt in mehreren Großstädten der USA Aufführungsverbot.

LILIOM (USA 1930, 10. & 22.9.) In einem artifiziell-märchenhaften Budapest ist der großspurige Liliom der Held des Jahrmarktskarussells. Das Dienstmädchen Julie, schon längst aus der -Ferne in ihn verliebt, lässt ihr bisheriges Leben hinter sich, als er sie endlich wahrnimmt. Die Avancen des Tischlers, der ihr Stabilität und Sicherheit bieten würde, schlägt sie regelmäßig aus, um sich ganz und gar Liliom zu verschreiben, der ihre Liebe aber mit Unwillen und Grobheit quittiert. Unbeirrt und bis zur Selbstaufgabe liebt sie den zur Liebe kaum Fähigen. Das sich hypnotisch im Kreis drehende Karussell steht nicht nur für den Liebestaumel, der Julie erfasst, sondern auch für das unstete Wesen Lilioms. Stilistisch von großer Originalität, tragen die expressionistischen, bewusst künstlichen Sets zur entrückten Stimmung ebenso bei wie die Handlung, die sich bis in die Nachwelt erstreckt.

HUMORESQUE (USA 1920, 12.9., am Flügel: Eunice Martins) Die vor den Pogromen in Russland geflohene jüdische Familie Kantor lebt in der New Yorker Lower East Side in ghettoähnlichen Verhältnissen. Gegen den Widerstand seines Vaters, der lieber einen Geschäftsmann aus ihm machen möchte, widmet der neunjährige Sohn seine ganze Energie und freie Zeit dem Violinspiel. HUMORESQUE brachte Frank Borzage frühen Ruhm. Der Film wurde von zwei Millionen Lesern der Zeitschrift „Photoplay“ zum besten Film des Jahres 1920 gewählt und erhielt mit der Medal of Honor die allererste künstlerische Filmauszeichnung. Die Medaille gilt als Vorläufer der ab 1929 verliehenen Oscars. Das gefühlsbetonte Drama zeigt eine bemerkenswert plastische Milieuschilderung und enthält bereits zahlreiche Motive, die in Borzages Filmen wiederkehren sollten: Armut, Krieg, Verwundung oder Verkrüppelung, die Aufmerksamkeit gegenüber Tieren, die Kraft der Musik, der Liebe und des Glaubens. Sergej Eisenstein, der Borzage neben Chaplin und Stroheim für einen der drei größten Filmemacher Amerikas hielt, bezeichnete den Film als „seltenes Beispiel für Sensibilität und Können“.

LUCKY STAR (USA 1929, 14.9., am Flügel: Hannes Selig) Borzages letzter Stummfilm bringt erneut das Erfolgspaar Janet Gaynor und Charles Farrell zusammen. Die zerzauste Mary ist die älteste Tochter einer armen Bauernwitwe. Tim, der hinter ihrer ungehobelten Fassade den empfindsamen Menschen sieht, wirbt nach seiner Rückkehr aus dem 1. Weltkrieg, der ihm eine Verletzung seiner Beine eingebracht hat, um sie. Marys Mutter allerdings möchte ihre Tochter mit dem hochstaplerischen Wrenn verheiraten, der eine glänzende Zukunft in der großen Stadt verspricht. In einer märchenhaften Schneelandschaft kommt es in einer Parallelmontage zum spannungsgeladenen Showdown, in der die Liebe das Unmögliche möglich macht.

THE VANISHING VIRGINIAN (USA 1942, 16. & 28.9.) Basierend auf Rebecca Yancey Williams’ Memoiren erzählt der Film vom Leben des populären Staatsanwalts und Politikers Robert Yancey (Frank Morgan) aus der Kleinstadt Lynchburg in Virginia. Die nostalgische Familienchronik setzt 1913 ein und endet mit einem Epilog im Jahr 1929. Dazwischen entwirft Borzage das Bild eines Menschenfreundes, der keinen Unterschied zwischen Schwarz und Weiß macht – ohne daraus ein Heldenepos zu stilisieren. THE VANISHING VIRGINIAN ist ein unspektakulärer, herz-erwärmender Film ohne große Spannungsbögen und Handlungsverwicklungen. Im Mittelpunkt stehen die Dinge des Lebens, der menschliche, respektvolle Umgang miteinander. Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eheleuten Yancey sowie den Eltern und ihren vier heranwachsenden Kindern über deren Berufswahl erhalten mehr Aufmerksamkeit als das Für und Wider zur Prohibition.

SECRETS (USA 1924, 17.9., am Flügel: Joachim Bärenz) Eine alte Frau erinnert sich angesichts der schweren Krankheit ihres Mannes an das gemeinsame Leben und die Anfänge ihrer Liebe. Voller leiser Zwischentöne und mit einer feinen Beobachtungsgabe erzählt Borzage in Form mehrerer Rückblenden von der jungen Lady Mary, die sich über Standesgrenzen hinweg in John, einen Angestellten ihres Vaters verliebt und für ihn die Familie verlässt. Den ob ihrer Opferbereitschaft verständnislosen Kindern erklärt Mary das Geheimnis der Liebe, die bewahrt werden will wie ein Schatz und das darin besteht, sich über gesellschaftliche Konventionen und Widerstände hinwegzusetzen und trotz zahlreicher innerer wie äußerer Prüfungen ein Leben lang füreinander einzustehen. Ein dramaturgischer Höhepunkt voller Raffinesse und Witz ist die lange Szene des Ankleidens eines aufwendigen Ballkleids, jäh beendet durch die väterliche Entdeckung der Liebesbriefe zwischen Mary und John, und des späteren, nicht weniger trickreichen und von Unterbrechungen begleiteten Ausziehens. Borzage drehte 1933 ein Tonfilmremake des Film, das jedoch nicht an die Leichtigkeit und den Charme der Stummfilmversion herankommt.

UNTIL THEY GET ME (USA 1917, 20.9., am Flügel: Eunice Martins) Farmer Kirby kommt, aufgehalten durch einen Troublemaker, den er im Verlauf eines Streits in Notwehr erschießt, am 7. September 1885 im kanadischen Alberta zu spät zur Ranch zurück, wo seine Frau kurz vor seinem Eintreffen bei der Geburt ihres Kindes verstorben ist. Mit Hilfe einer 16-Jährigen flieht Kirby vor dem berittenen Polizisten Selwyn, der ihm dicht auf den Fersen ist, und verspricht den indianischen Hausangestellten, an jedem Geburtstag des Kindes zur Ranch zurückzukehren. Ein ungewöhnlicher, poetischer und sinnlicher Western mit einer unabhängigen Frauenfigur und ein herausragendes Werk des Genres der 10er Jahre, in dem die gesamte Thematik von Borzages Universum bereits im Ansatz vorhanden ist: „Statt den Kampf zwischen Gut und Böse mit Reiterhorden und Schießereien zu illustrieren, konzentriert Borzage seine Geschichten auf das Aufbrechen und Heranwachsen eines Gefühls. Er gibt kein Urteil ab, sondern entwickelt seine Figuren durch eine natürliche, sensible und überraschend moderne Führung seiner Darsteller.“ (Hervé Dumont)

MOONRISE (USA 1948, 20.9., mit einer Einführung von Hannes Brühwiler & 30.9.) Borzages letzter großer Erfolg ist ein dunkles Melodram, eine Kleinstadtsaga voller Schrecken und Schönheit. Noch als Erwachsener wird Danny vom Bild seines kriminellen Vaters am Galgen verfolgt. Im Affekt tötet er den Mann, der ihn schon als Kind gehänselt und schikaniert hat. Auf seiner Flucht vor der Polizei sucht er die Nähe zu Menschen, die Verständnis für seine gequälte Seele aufbringen und schafft schließlich den Ausweg aus dem Teufelskreis von Gewalt und Einsamkeit. Die suggestiven Aufnahmen der nächtlich-nebligen Sumpflandschaft, die Danny als Rückzugsort dient, die harten Kontraste und an den Bildrand gerückten Körper und Gesichter widerspiegeln seine seelische Verfasstheit; die zum Schluss hervorbrechende Sonne wird zum Hoffnungsschimmer.

I’VE ALWAYS LOVED YOU (USA 1946, 24.9., Einführung: Stephan Ahrens & 29.9.) 1925 entdeckt der Musik-Maestro, Pianist und Dirigent Leopold Goronoff (Philip Dorn) das Talent der jungen Pianistin Myra Hassman (Catherine McLeod) und führt die Tochter seines alten Freundes Frederick (Felix Bressart) aus der Provinz Philadelphias in die Carnegie Hall und in die Hauptstädte Europas. Myra schwankt zwischen der Liebe zu ihrem Lehrer, der sich, je besser sie spielt, zunehmend abweisender verhält, und ihrem Kindheitsfreund George, der ergeben auf seinem Bauernhof in Philadelphia auf sie wartet: „I’ve always loved her.“ Die Hauptrollen neben der omnipräsenten Liebe spielen in der kostspieligsten Produktion des „Mini-Major Studios“ Republic die Farbe – opulente Settings, aufgenommen in 3-Streifen-Technicolor –, und die Musik, genauer: Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 2 c-Moll op. 18. Die 14-minütige Solo-Konzertszene wird von Arthur Rubinstein gespielt, der die Darstellerinnen bei den Playbacks anleitete.

STREET ANGEL (USA 1928, 27.9.) „Souls made great by love and adversity“ heißt es über die Protagonist*innen in einem Zwischentitel, der als programmatisch für Borzages gesamtes Werk gelten kann. In Zentrum steht nach dem sensationellen Erfolg von 7TH HEAVEN erneut ein von Janet Gaynor und Charles Farrell gespieltes Liebespaar, in einem mal düster-nebligen, mal heiter-romantischen Neapel. Aus Not wird Angela zur Diebin, ein Versuch der Prostitution scheitert kläglich. Von der Polizei verfolgt, findet sie in einem Straßenzirkus Unterschlupf und lernt den Maler Gino kennen. Ein von ihm gemaltes Porträt vermag sie in ihrem Innersten zu erschüttern – noch nie hat jemand ihr Wesen so genau wahrgenommen – und gibt ihr die Kraft, trotz aller Widerstände auch im Gefängnis an ihrer Liebe festzuhalten. Die Bildsprache, beeinflusst vom Expressionismus, evoziert mit langen Kamerafahrten und geometrisch gebauten Straßenszenen die emotionalen Zustände seiner Helden. Gedreht während der Übergangszeit vom Stumm- zum Tonfilm, hat der Film Zwischentitel ebenso wie eine Tonspur, die keine Dialoge, aber Lieder und Effekte enthält. (hjf/al)

Die Retrospektive wurde ermöglicht durch eine Förderung des Hauptstadtkulturfonds.

Deutsche Untertitel: Mikesch Rohmer

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