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Es sind die ruhigen, durchkomponierten Stillleben in nuanciertem Schwarzweiß, die vielen in den Sinn kommen, wenn es um die Filme von Yasujiro Ozu (1903–1963) geht, einem der berühmtesten japanischen Regisseure. Andere führen die berührenden, allgemeingültigen Themen seiner Filme an, die Ozu mal still und präzise, mal mit Ironie oder Humor auffächert: Generationskonflikte, eine sich wandelnde Welt, Abschied, Trauer, Einsamkeit. Bei den Spezifika des Ozu’schen Œuvres geht es selten – und das zu Unrecht – um das Element der Farbe, der er sich erst spät und zögernd zuwandte. Der Blick auf Ozus sechs Farbfilme und damit auf den letzten Abschnitt seines Schaffens zeigt indes die wichtige Erweiterung seines Instrumentariums um ein Stilmittel, mit dem er nicht nur Geschehen und Stimmungen unterstreicht und kommentiert, sondern uns nicht zuletzt vor Augen führt, dass auch Melancholie eine Farbe hat.

HIGANBANA (Equinox Flower, Japan 1958, 21. & 26.12.) Ozus Filme tragen nicht selten Jahreszeiten im Titel oder auch Pflanzennamen. So im Fall seines ersten Farbfilms, der nach der japanischen Spinnenlilie benannt ist, die tiefrot im Spätsommer und Herbst blüht. Als Ozus proklamierte Lieblingsfarbe, Grund für seine Vorliebe für Agfacolor, zieht sich ein strahlendes Rot durch den gesamten Film, angefangen von den Credits bis zum roten Teekessel, den Ozu in zahlreichen Szenen im Haus der Familie Hirayama platziert. Hier entwickelt sich der zentrale Konflikt des Films: Der Vater ist gegen die Liebesheirat seiner ältesten Tochter. Nach außen gibt er sich tolerant, zu Hause ist er ein dickköpfiger Traditionalist. Mit der Hochzeit der Tochter gegen seinen Willen manifestiert sich nicht nur sein schwindender Einfluss, sondern auch der Niedergang der Werte seiner Generation. Es ist Herbst – die Zeit der Spinnenlilie.

OHAYO (Good Morning, Japan 1959, 22. & 25. 12.) In Ozus Spätwerk finden sich viele Verbindungslinien zu früheren Filmen, zu deren Themen und Figuren. Einige Filme sind Pendants, andere freie Remakes, so OHAYO, der zum Teil auf Uma-rete wa mita keredo (Ich wurde geboren, aber …, 1932) basiert. Deutlich komödiantischer als sein Vorläufer verwebt Ozu eine Vielzahl von Erzählsträngen um ein Brüderpaar, das beschließt, solange nicht mehr zu sprechen, bis die Eltern einen Fernseher anschaffen. Das Schweigegelübde befeuert sowohl die Gerüchteküche in der Siedlung, in der der Film spielt, als auch die Beziehung zwischen der Schwester der Streikenden und dem Nachhilfelehrer. Wiederum sind es eine Reihe farbiger Einzelobjekte, die ins Auge fallen, wobei der rote Kessel aus HIGANBANA hier baugleich in grün auftaucht. Ein weiterer roter Faden des Films ist akustischer Natur.

AKIBIYORI (Late Autumn, Japan 1960, 23. & 29.12.) Gedeckte Herbstfarben – braun, entsättigte Grün-, Rot- und Blautöne – bestimmen Ozus ruhige Betrachtung eines Abschieds. Die Witwe Akiko (Setsuko Hara) und ihre erwachsene Tochter Ayako leben glücklich zusammen, bis drei Freunde von Akikos verstorbenem Mann den Versuch starten, zuerst die Tochter und dann die Mutter zu verheiraten. Beide Pläne scheitern zunächst, bis ein Missverständnis die innige Beziehung zwischen Mutter und Tochter belastet. Eingerahmt zwischen einer Gedenkfeier und einer Hochzeit (mit einem berührenden Epilog) entfaltet sich der Konflikt zwischen Tradition und Moderne, zwischen Eltern und Kindern. Wie so oft bildet Ozu ein weiteres Paar: Wehmut und Humor. In AKIBIYORI stellt er seinen ironischen Spitzen und komödiantischen Passagen bunte Alltagsgegenstände an die Seite – Schilder, Geschirr, Kleidungsstücke: Die Zukunft ist bunt.

UKIGUSA (Floating Weeds, Japan 1959, 25. & 28.12.) Drückende Hitze liegt über einem verschlafenen, aus der Zeit gefallenen Hafenstädtchen. Mit der Ankunft einer Truppe von Wanderschauspielern kommt Bewegung in das Provinznest: Abends laden die Mimen zu farbenfrohen Kabuki-Aufführungen, die bald nur noch ein kleines Publikum finden; tagsüber knüpfen sie im Ort neue Verbindungen oder versuchen, alte Beziehungen wieder aufzunehmen. So führt der erste Weg des Chefs der Truppe, Komajuro, zu seiner ehemaligen Geliebten und ihrem gemeinsamen erwachsenen Sohn, der ihn für seinen Onkel hält und mit kritischen Anmerkungen über ihn und seine Theatertruppe nicht spart. Mit dem unausweichlichen finanziellen Ruin des Theaters realisiert der Schauspieler, dass er auch menschlich gescheitert ist. Ob Garderobe, Zuschauerraum, Friseurladen, Gasse oder Café – zusammen mit Kameramann Kazuo Miyagawa gestaltet Ozu farblich akzentuierte und präzise komponierte Bühnen, auf denen mitunter drastisch eine sich wandelnde Welt sichtbar wird.

KOHAYAGAWA-KE NO AKI (The End of Summer, Japan 1961, 26.12.) „New Japan“: Wie ein Fanal setzt sich über einer Straßenflucht mit grellen Neonreklamen der leuchtende Schriftzug vom nächtlichen Himmel ab. Auf die Programmatik des Anfangs folgt unaufhaltsam die langsame Auflösung einer Familie. Bei den Kohayagawas gehen nicht nur die Geschäfte schlecht – der seit Generationen von der Familie betriebenen Sake-Brennerei droht der Konkurs –, auch zwei Töchter der Familie wehren sich gegen die für sie vorgesehenen arrangierten Ehen. Als sich auch noch das Oberhaupt der Familie erneut mit seiner ehemaligen Geliebten einlässt, ist die Indignation groß, wenn auch nur für kurze Zeit. Wie so oft verzichtet Ozu selbst bei existentiellen Krisen seiner Figuren auf äußere Dramatik, lässt stille Beobachtungen an die Stelle großer Gesten treten und schafft damit Bilder größter Melancholie, Intensität und Tiefe.

SAMMA NO AJI (An Autumn Afternoon, Japan 1962, 27. & 30.12.) Ozu hat immer wieder mit denselben Schauspielern gearbeitet, allen voran mit Chishu Ryu, der entlang der Filme mit und in ihnen altert. Mehr als 20 Jahre nach der ersten Zusammenarbeit spielt Ryu in SAMMA NO AJI einen Witwer, der mit seiner erwachsenen Tochter zusammenlebt und erkennt, dass er sie an sich bindet, sie aber ihr eigenes Leben leben muss. Wie Setsuko Hara – einer weiteren Stammschauspielerin Ozus – in AKIBIYORI muss auch er sich nach dem Abschied von der Tochter dem eigenen Alter und der Einsamkeit stellen. Donald Richie schreibt: „Es ist wieder Herbst, tiefer Herbst diesmal. Der Winter war immer nahe, aber jetzt wird er morgen sein.“ (mg)

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