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The most important question – Where is the experimental film movement? – is the one which I wish someone could answer for me“, schrieb Maya Deren im August 1946 an den Filmemacher Frank Stauffacher. Dieser hatte gerade begonnen, eine Filmreihe für das San Francisco Museum of Art mit dem Titel „Art in Cinema“ zusammenzustellen. Die damals 29-jährige Maya Deren war dafür eine Referenz, denn sie hatte bereits 1943 begonnen, ihre gemeinsam mit Alexander Hammid realisierten Experimentalfilme vor handverlesenem Publikum zu zeigen. In New York hatte sich um das Paar ein Kreis von Künstler*innen, Galerist*innen und Filmleuten gebildet, als Deren im Februar 1946 das Provincetown Playhouse in Greenwich Village mietete, um ihr bis dahin entstandenes Gesamtwerk zu zeigen. Mehrere hundert Zuschauer*innen wurden Zeug*innen eines Ereignisses, das heute als Geburtsstunde der amerikanischen Experimentalfilm-Bewegung gilt. Im Publikum saßen auch Amos und Marcia Vogel, ein frisch verheiratetes Paar mit einem liberalen, jüdischen Hintergrund, sie eine gebürtige New Yorkerin, er ein österreichischer Emigrant, der 1939 auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus in die USA gekommen war. „Es hat mich umgehauen“, erinnerte sich Vogel später an diesen Abend. „Die Filme waren großartig, die Projektion war exzellent, die Programmzettel hatten Hand und Fuß – man merkte, dass es hier um etwas Wichtiges ging.“

Derens Pionierarbeit in New York und auch Stauffachers „Art in Cinema“-Programme gaben Amos und Marcia Vogel Impulse für ein Vorhaben, das gerade Gestalt annahm: eine feste Struktur zu schaffen, in der experimentelle und nicht-kommerzielle Filme eine größere Sichtbarkeit bekämen. Als die Vogels im November 1947 begannen, unter dem Namen Cinema 16 „outstanding documentary and sociological films of all nations, superior educational as well as experimental and avant-garde films“ auf 16-mm-Projektoren zu zeigen, mieteten sie dafür dasselbe Provincetown Playhouse und schrieben sich somit bewusst in eine Bewegung ein, die gerade begonnen hatte. Cinema 16 wurde zum größten und folgenreichsten Filmclub der Kinogeschichte und bestand als regelmäßige Programmreihe für Mitglieder und nicht-kommerzieller Filmverleih von 1947 bis 1963.

Amos Vogel (1921–2012) wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden, was vielerorts zum Anlass genommen wird, ihn als Wegbereiter des unabhängigen Films und Pionier der Kinokultur- und Filmclubbewegung zu würdigen. Auch die Reihe „The gatekeepers exist to be overthrown.“ – Amos Vogel – Reprisen und Repliken geht von dieser Motivation aus, bestärkt noch durch die Tatsache, dass das Arsenal mit Amos und Marcia Vogel eine Freundschaft verbindet, die bis in die Gründungsjahre Mitte der 60er Jahre zurückreicht.

Der Titel des Programms zitiert eine Bemerkung, die Vogel 1983 in einem Gespräch mit Bill Nichols über sich selbst gemacht hat. Die beiden diskutieren dort den Bruch zwischen Vogel und der Gruppe unabhängiger Filmemacher*innen, die sich 1962 zur New York Film-Makers’ Cooperative zusammenschlossen und streng vom Establishment abgrenzten, zu dem sie auch Cinema 16 zählten. In den Folgejahren verschärfte sich dieser Konflikt um verschiedene Modelle des Kuratierens und der Filmvermittlung und um den von den Wortführern der Coop, P. Adams Sitney und Jonas Mekas, leidenschaftlich geführten Kreuzzug für den eigenen Kanon des „New American Cinema“. Auch nach der Auflösung von Cinema 16 blieb Amos Vogel als erster Leiter des 1963 gegründeten New York Film Festivals und international gefragter Kurator eine Autorität, an der man sich abarbeiten konnte.
War Vogel von dem oft polemisch formulierten Abgrenzungsbedürfnis seinerzeit bitter enttäuscht – immerhin war Cinema 16 für viele Protagonist*innen des New American Cinema ihre „university“ (Jonas Mekas) – so machte er im Gespräch mit Nichols rückblickend klar, dass die Rebellion der Jüngeren gegen ihn auch eine historische Berechtigung hatte: „Der ‚Gatekeeper‘ – in diesem Fall also ich – ist ein historisches Produkt. Er drückt nicht nur sich selbst aus, sondern auch seine Zeit. […] Ich habe einen kleinen Proviant an Zitaten, mit dem ich durchs Leben gehe, und eines meiner liebsten ist von Rosa Luxemburg. Sie sagt, die historische Aufgabe von Anführern sei es, sich überflüssig zu machen. Das gefällt mir sehr. Wahrscheinlich trifft das hier zu in dem Sinn, dass die Gatekeeper dazu da sind, gestürzt zu werden.“

Die Hommage an Amos Vogel wird eine der bedeutendsten Filmpersönlichkeiten der Nachkriegszeit ehren, indem sie ihn genau dort beim Wort nimmt, wo sich seine Integrität am stärksten zeigt: bei dieser Fähigkeit, sich selbst in einem Kontext zu sehen. Der erste Teil des Programms widmet sich der Ära Cinema 16, die Vogel als ein kollektives emanzipatorisches Abenteuer verstand. Der zweite Teil findet vom 8. bis 15. November statt. Die von Tobias Hering kuratierte Reihe wird ins nächste Jahr fortgesetzt.

Cinema 16 – Am Anfang (23.9.) Das Auftaktprogramm gibt eine Skizze des filmischen Umfelds, in dem Cinema 16 begann. Es stellt Arbeiten, die schon da waren, aber noch als wundersame Solitäre betrachtet wurden – Willard Maas’ erotische Studie GEOGRAPHY OF THE BODY (USA 1943), Maya Derens und Alexander Hammids das Unterbewusste beschwörender Erstling MESHES OF THE AFTERNOON (USA 1943) und Douglass Crockwells handgemalte Kaskaden in GLENS FALLS SEQUENCE (USA 1946) – neben Filme, die gerade im Entstehen waren wie IN THE STREET (Helen Levitt, James Agee, USA 1948), eine Hommage an den unbändigen Lebensdurst der Kinder auf New Yorks Straßen, und solche, die erst in der Luft lagen, aber wenig später der Hoffnung auf ein neues, leidenschaftliches Kino Recht gaben: Stan Brakhages mit flatternder Kamera gedrehtes Gruppenporträt unter Freunden, DESISTFILM (USA 1954), und Jean Genets erotische Gefängnis-Fantasie UN CHANT D’AMOUR (F 1950), ein Kultfilm dieser Generation, nicht nur, weil er die Zensoren in Rage brachte.

Filme von Gregory Markopoulos (24.9.) Mit dem Experimentalfilmer Gregory Markopoulos führte Amos Vogel eine langjährige Korrespondenz, die 1947 begann, als der noch nicht 20-jährige gerade seine ersten Filme drehte – ein dicht verwobenes Frühwerk, in dem erotisches Erwachen, literarische Referenzen und das familiäre Umfeld in Toledo, Ohio, einen sehr persönlichen Kosmos bilden, und das den amerikanischen Experimentalfilm entscheidend geprägt hat. Der regelmäßige Briefwechsel mit Vogel war von gegenseitigem Respekt getragen, spiegelt aber auch das ungleiche Interessengeflecht zwischen einem Kurator, der Kino als soziales Experiment versteht, und einem Filmemacher, der sich künstlerische Unabhängigkeit bewahren will, dafür aber auf einen monetären Verdienst aus seinen Filmen angewiesen ist. Cinema 16 wurde eines der ersten Foren für Markopoulos’ „visual poems“, die Parker Tyler zu der treffenden Bemerkung inspirierten: „We should not forget: ‚amateur‘ means ‚lover‘.“ In zwei aufeinander folgenden Programmen sind alle Filme zu sehen, die Markopoulos zwischen seinem 18. und 24. Lebensjahr realisierte, darunter DU SANG, DE LA VOLUPTÉ ET DE LA MORT (USA 1947–48), bestehend aus den drei Filmen PSYCHE, LYSIS und CHARMIDES, die Vogel trotz Markopoulos’ Insistieren nie als Trilogie gezeigt hat, und der unvollendet gebliebene und selten gezeigte THE DEAD ONES (1949), der Jean Cocteau gewidmet ist. Das Programm wurde zusammengestellt und wird begleitet von dem Filmemacher Robert Beavers, in dessen Verantwortung Gregory Markopoulos seinen Nachlass gab.

Filme von Herbert Vesely (25.9.) Ein herausragendes Ereignis der Cinema-16-Saison 1957 war die amerikanische Uraufführung von Herbert Veselys NICHT MEHR FLIEHEN (BRD 1955), einem Vorboten des „neuen deutschen Films“, von dem noch kaum jemand zu träumen wagte. Der Film löste einhellige Begeisterung aus und Amos Vogel nahm für sich in Anspruch, dem amerikanischen Publikum „einen der herausragenden Experimentalfilme der Nachkriegsära“ erschlossen zu haben. Veselys noch heute faszinierende Erzählung um ein Paar auf der Flucht, das in einer post-apokalyptischen Landschaft an einem „Ground Zero“ strandet, verband in Vogels Augen womöglich das, was er verloren glaubte – den ästhetischen Neuerungsdrang der Vorkriegsavantgarden –, mit einem existenziellen Unbehagen, das er der Nachkriegszeit für angemessen hielt: „When life itself has become absurd, crime seems without consequence“, wie es in der von Enno Patalas übernommenen Filmbeschreibung heißt, die Vogel seinem Publikum an die Hand gab. Ein Jahr später lief bei Cinema 16 auch Herbert Veselys früher, auf einem Gedicht Georg Trakls basierender Kurzfilm AN DIESEN ABENDEN (Österreich 1951).

Reprise: „An Evening of Damned Films“ (25.9.) Auch der damals zwischen Paris und Kalifornien lebende Kenneth Anger gehörte zu den vielen, mit denen Vogel schon über ihre ersten Filme korrespondierte, weil er in ihnen ein neues Kino anbrechen sah und weil Cinema 16 ein Ort für Erstbegegnungen und heilsame Schocks sein sollte. Angers explosiver, den männlichen Körper feiernder FIREWORKS (USA 1948) gilt als der erste fiktionale US-Film mit explizit homoerotischem Inhalt und wurde von Amos Vogel über Cinema 16 verliehen. „Dieser Streifen ist alles, was ich über das Siebzehnsein, die US Navy, die amerikanische Weihnacht und den Fourth of July zu sagen habe“, sagte Anger später einmal über FIREWORKS. Bei Cinema 16 lief der Film am 8. April 1953 unter dem Titel „An Evening of Damned Films“ zum Auftakt einer gewagten und auch heute noch exquisiten cineastischen Tour de Force: gefolgt von Georges Franjus Schlachthaus-Ode LE SANG DES BÊTES (F 1949) und Carl Theodor Dreyers schon damals klassischem Horrorfilm VAMPYR (D 1930/32), von dem es auf dem Programmzettel hieß: „Sowohl in der Geschichte, als auch im Stil gibt uns Dreyer das beständige Gefühl, dass im Nebenraum eine Leiche liegt.“ Es mag eines der Programme gewesen sein, von denen Stan Brakhage einmal sagte, sie hätten Vogels Gespür für den „Freakshow-Aspekt“ des Kinos bewiesen.

Reprise: The Children’s Cinema #1 (26.9.) Vogel bezeichnete Cinema 16 als eine „film society for the adult moviegoer“. Erwachsensein war für ihn jedoch keine Sache des Alters. Cinema 16 war ein kollektiver Aufbruch, der von allen Beteiligten verlangte, sich mittels Filmen aus der vom kommerziellen Kino verschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Je früher man damit anfing, desto besser. Und so war es nur folgerichtig, dass Vogel bereits Anfang der 50er Jahre nach Filmen recherchierte, die sich für ein geplantes „Cinema 16 Children’s Cinema“ eignen würden. Er las Fachliteratur, sammelte Presse-spiegel zum Thema und korrespondierte mit Museen und Bildungszentren in den USA und Kanada. Als Vogel schließlich im Februar 1958 „The Children’s Cinema – A Special Project of Cinema 16“ startete, konnten er und der Ko-Kurator Peretz Johnnes vom City Museum of New York auf einen bewährten Katalog von Filmen zurückgreifen, aus dem sie sich jedoch sehr selektiv bedienten. „Das meiste, was gemeinhin als kindestauglich galt, haben wir beiseitegelassen“, erinnerte sich Vogel später. „Wir haben Filme genommen, die gar nicht als Filme für Kinder angesehen wurden, und haben sie zu solchen gemacht.“ Eine ähnliche Haltung steht auch hinter dem Projekt „Großes Kino, kleines Kino“, das seit 2016 im Arsenal präsentiert wird. Am 26.9. wird als #43 dieser fortlaufenden Reihe das erste Cinema 16 Children’s Cinema Programm nachgespielt mit Filmen von Lotte Reiniger, Charles und Ray Eames, Shirley Clarke, Len Lye und Buster Keaton.

DREAMS THAT MONEY CAN BUY (Hans Richter, USA 1947, 26.9.) Auch wenn sich Amos Vogel keineswegs über seine Emigrationsgeschichte definierte, spielten Emigranten wie Siegfried Kracauer, Rudolf Arnheim oder Julius Bab in seinem Umfeld eine wichtige Rolle. Auch mit dem Experimentalfilm-Pionier Hans Richter verband Vogel eine jahrelange Korrespondenz und Zusammenarbeit. Als Leiter des Institute of Film Technique am New York City College war Richter ein Mentor für die sich entwickelnde experimentelle Filmszene. Er stand auch auf der eindrucksvollen Liste von „Sponsoren“, die ab etwa 1950 den Briefkopf von Cinema 16 zierte, und Richters Filme liefen wiederholt bei Cinema 16, oft eingeführt von ihm selbst. Sein wohl bekanntester Film, DREAMS THAT MONEY CAN BUY, war am 22. April 1948 der erste abendfüllende Film, der bei Cinema 16 gezeigt wurde. Als ein Omnibus-Projekt prominenter Surrealisten wie Max Ernst, Marcel Duchamp, Man Ray, Alexander Calder, Darius Milhaud und Fernand Léger reflektiert der Film mit Spielfreude und Selbstironie die psychoanalytischen Tropen im kommerziellen Kino: Träume, Eros, Todestrieb.

„The censor always loses.“ (Amos Vogel, New York Times, 1968) (27.9.) In ihrem dritten gemeinsamen Film, THE PRIVATE LIFE OF A CAT (USA 1945), dokumentieren Alexander Hammid und Maya Deren in ihrer New Yorker Wohnung das Werden einer neuen Katzengeneration. Die naturalistisch gefilmte Geburt der Katzenbabies brachte dem Film eine Altersbegrenzung der Zensurbehörde ein, was Amos Vogel gegen die Bigotterie der amerikanischen Kulturindustrie auf die Barrikaden trieb. Eine Gesellschaft, in der Sexualität, Erotik und Fortpflanzung als obszön zensiert werden, während Bilder von Krieg und Gewalt als unterhaltsam gelten, war für Vogel in einer tiefen Verwirrung gefangen. Der „Katzenfilm“ avancierte zu einem Publikumsliebling bei Cinema 16 und Vogel zeigte ihn wiederholt in verschiedenen Konstellationen, unter anderem in einem Programm über Sexualerziehung und im Children’s Cinema. Die Kombination mit Luis Buñuels pseudo-dokumentarischer Armutsstudie LAS HURDES (Spanien 1933) und James Broughtons und Frank Stauffachers Groteske MOTHER’S DAY (USA 1948) ist zwar nicht Original Cinema 16, greift aber typische Verbindungs-linien auf, die Vogel in seinen Programmen zog: In LAS HURDES sind es vor allem die verwaisten Kinder, deren Armut den Zynismus der Gesellschaft anklagt. In MOTHER’S DAY gebärden sich Erwachsene als Kinder und agieren das rebellische Potenzial eines noch nicht deformierten Lebens aus.

Peter Weiss: The Beats and the Outs (28. & 29.9.) Auf Peter Weiss wurde Amos Vogel erstmals 1956 durch einen Brief von Arne Lindgren von der „Arbetsgruppen för Film Stockholm“ aufmerksam. Vogel war sofort begeistert von Weiss’ ersten Filmen und zeigte die erotisch-halluzinatorische Szenenfolge STUDIE II (HALLUZINATIONEN) (Schweden 1952, 28.9.) noch im Herbstprogramm 1956. „Die Aufrichtigkeit dieses Films werden einige zweifellos anstößig finden, während andere ihn gerade deshalb schätzen werden,“ schrieb Vogel auf dem Programmzettel. Es entwickelte sich eine intensive, jahrelange Korrespondenz, in der Weiss ihn über seine Filmprojekte auf dem Laufenden hielt, aber auch seine prekären Arbeitsbedingungen und das Gefühl, künstlerisch isoliert zu sein, zur Sprache brachte. Während Vogel weitere seiner Filme bei Cinema 16 zeigte und auch Verleihkopien herstellte, kam ein mehrfach angebahnter Besuch von Weiss in New York nie zustande.
Martin Grennberger hat ein Programm zusammengestellt, das die Spannungen, Übergänge und Ambivalenzen in Peter Weiss’ Filmarbeit mit fünf seiner Kurzfilme und „Skizzen“ nachzeichnet, darunter sein einziger Farbfilm, ATELJÉINTERIÖR (The studio of Dr Faust) (S 1956, 28.9.) und NARKOMANER (S 1961, 28.9.), das kurze Porträt eines Drogenabhängigen, das Weiss gegenüber Vogel als „das Beste“ bezeichnete, das er bis dahin gemacht habe. Das Programm enthält zudem zwei Filme, die Weiss wichtig waren: Sidney Petersons THE LEAD SHOES (USA 1949, 28.9.), eine virtuose Melange von ödipalen Motiven, konkaven und konvexen Zerrbildern und dem kontrapunktischen Einsatz von „Noise Jazz“. Und Jean-Claude Sées AUBE (F 1950/51, 28.9.), dessen von Pierre Henry komponierter musique concrète-Soundtrack Weiss bei STUDIE II inspirierte, in dem er aber auch die harten Kontraste liebte zwischen spielenden Kindern, „gleichsam von Elektrizität umhüllt“, und Kriegsbildern, „die bewirken, dass man sich in den Stuhlreihen zusammenkauert und den Kopf einzieht“, wie Weiss in seinem Buch Avantgarde Film (1955) schrieb.
Dieses erst 1995 auf deutsch erschienene Buch weist Weiss als einen informierteren Kenner der zeitgenössischen Filmwelt aus, als es seine gefühlte Isolation vermuten ließ. So war er auch mit der fruchtbaren Nähe von Beatkultur und Experimentalfilm an der amerikanischen Westküste vertraut und wird Vogels Entscheidung geschätzt haben, unter dem Titel „The Beats and the Outs“ seinen einzigen Langfilm HÄGRINGEN (S 1959, 29.9.) im Doppel mit THE FLOWER THIEF (Ron Rice, USA 1960, 29.9.) zu zeigen, einer Hommage an die unbekannten Helden von Hollywood, die Substitutes und die „Wild Men“. Um Hägringen hatte sich zuvor ein bemerkenswerter Austausch entwickelt, an dem auch der Filmkritiker Parker Tyler, einer der engsten Vertrauten Vogels, beteiligt war. Die Geschichte eines Mannes, der aus einer nicht näher bezeichneten Fremde in die Stadt kommt und sie nach einer Reihe kurzer, mit absurden Elementen durchsetzten Begegnungen wieder verlässt, faszinierte Vogel und Tyler. Gleichwohl legten sie Weiss einschneidende Kürzungen nahe und erstellten ihm sogar eine detaillierte Schnittliste. Es scheint, dass Weiss diesen Wünschen teilweise nachgekommen ist, obwohl er den Film in der vorliegenden Form bereits vielerorts zeigte. Bei Cinema 16 lief HÄGRINGEN jedenfalls erst am 25. April 1962 in einer um etwa zehn Minuten gekürzten Fassung.

Reprise: „A Memorial Evening for Maya Deren“ (30.9.) Den Abschluss dieses ersten Teils einer Hommage an Amos Vogel bildet ein Programm mit Filmen von Maya Deren. Zwar wird damit die Chronologie der eingangs beschriebenen Ereignisse scheinbar auf den Kopf gestellt, doch in gewisser Weise schließt sich mit diesem Programm auch ein Kreis. Maya Derens unerwarteter Tod im Oktober 1961 war für Viele eine Erschütterung und markiert für einige Filmhistoriker*innen eine Zeitenwende, mit der auch die Gründung der Film-Makers’ Cooperative (1962) und die Auflösung von Cinema 16 (1963) in einen impliziten Zusammenhang gebracht wird. Für Amos und Marcia Vogel war Maya Derens Tod ein tief empfundener persönlicher Verlust. Im Februar 1962 zeigte Cinema 16 unter dem Titel „A Memorial Evening for Maya Deren“ noch einmal ihr filmisches Oeuvre von MESHES OF THE AFTERNOON (1943) bis THE VERY EYE OF NIGHT (1958). Das längst kanonische und in seinem entschieden experimentellen Gestus noch immer fesselnde Programm wird hier in der nicht-chronologischen Folge wiederholt, in der Vogel es zusammenstellte, allerdings zusätzlich mit MEDITATION ON VIOLENCE (1948), eine mit dem Tänzer Chao-Li Chi entwickelte Choreographie zur Musik des Komponisten Teiji Ito, Derens langjährigem Lebenspartner. Es fehlt lediglich, wie damals, der 1954 realisierte Divine Horsemen – The Living Gods of Haiti.

Vor diesem vorerst letzten Programm sind alle Interessierten eingeladen zu einem Austausch über die Filme der vorangehenden Tage. Solche etwa einstündigen „Repliken“ sollen auch im weiteren Verlauf der Reihe stattfinden und werden jeweils von einem eingeladenen Gast mit einem kurzen Input eingeleitet. Den Auftakt für dieses Format macht am 30.9. um 19 Uhr die Filmhistorikerin Masha Matzke, die Amos Vogels und Maya Derens kuratorische Praxis vergleichend in den Blick nehmen wird. (th)

Mit Dank an Steven und Loring Vogel, Scott MacDonald, Rare Books and Manuscripts Library (Columbia University), Mary Huelsbeck (Wisconsin Historical Society), Azat Bilalutdinov, Erika und Ulrich Gregor, Internationale Kurzfilmtage Oberhausen.

Das Programm wurde ermöglicht durch eine Förderung des Hauptstadtkulturfonds.

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