Einen regionalen Schwerpunkt des diesjährigen Programms bilden Filme aus dem arabischen Raum. Zwischen Ägypten und Saudi-Arabien befragen die oft jungen Regisseur_innen den Zustand ihrer Heimat.
In A MAGICAL SUBSTANCE FLOWS INTO ME spürt Jumana Manna Vergangenheit und Gegenwart der musikalischen Vielfalt der Region Palästina nach. Tamer El Said lässt in seinem Spielfilm AKHER AYAM EL MADINA (In the Last Days of the City) sein Alter Ego Khaled durch seine Heimatstadt Kairo wandern, die sich in Aufruhr befindet. Maher Abi Samra dokumentiert in MAKHDOUMIN (A Maid for Each) das im Libanon allgegenwärtige Phänomen von Dienstmädchen aus Ländern des globalen Südens, die unsichtbar sind und unsichtbar bleiben sollen. BARAKAH YOQABIL BARAKAH (Barakah Meets Barakah) des Regisseurs Mahmoud Sabbagh zeigt in bemerkenswert freimütiger Weise eine saudi-arabische Liebesgeschichte, die den Widrigkeiten, mit dem das Paar zu kämpfen hat, viel Humor entgegensetzt.
11. Forum Expanded
Ein Architekt, der im Auftrag der Hisbollah eine entlegene Gegend mit Monumenten versieht. Ein Künstler, dessen Skulpturen in den 80er Jahren explodierten oder auf mysteriöse Weise verschwanden. Ein Magier, der Kindheitsträume weckt und Tiere und Menschen, demnächst vielleicht sich selbst, verschwinden lässt. Illusion und Aberglaube formen kollektive Vorstellungswelten. In seinem Film AL MARHALA AL RABIAA (The Fourth Stage) und seiner Lecture Performance "When the Ventriloquist Came and Spoke to Me" reist Ahmad Ghossein in den Süden Libanons, der seit dem Krieg 2006 nicht mehr der gleiche ist. Er durchquert das Land seiner Kindheit, das aus Phantasmen, Mythen und Konsumwelten besteht, um Monumente zu erforschen, die plötzlich die Landschaft beherrschen. Aus Forschung wird Produktion: "The fourth stage" meint den Zustand der Hypnose, die durch Rückführung in die Kindheit helfen soll, Heilungsansätze für psychische Krankheiten zu finden. Das erklärt ihm der Bauchredner, den er als Kind bewunderte.
The Hitchcock 9
Ein Teil von Alfred Hitchcocks Filmen ist relativ unbekannt geblieben. Dabei handelt es sich um die zehn Stummfilme, die Hitchcock zwischen 1925 und 1929 drehte. Neun von ihnen sind erhalten, als verschollen gilt einzig sein zweiter Film "The Mountain Eagle". Unter dem Titel "The Hitchcock 9" wurden die neun Stummfilme vom British Film Institute restauriert und sind nun wieder in neuen 35-mm-Kopien verfügbar. Wir zeigen alle neun Filme live am Flügel begleitet von Eunice Martins.
Dass Hitchcock seine Karriere im Stummfilm begann, war für ihn prägend. Hier lernte er, eine Geschichte visuell zu erzählen, dem Bild eine Vormachtstellung vor dem Dialog zu geben, genuin filmische Mittel zu benutzen, um Emotionen darzustellen. Seine Experimentierfreude und ein stupender Einfallsreichtum sind schon in den frühen Filmen klar erkennbar. Obwohl seine Stummfilme in den unterschiedlichsten Genres angesiedelt sind – Thriller, Komödien und Melodramen – weisen sie verblüffend viele Themen und Motive auf, die charakteristisch für Hitchcock werden sollten: Neben der Ambiguität von Schuld, moralischen Ambivalenzen und dem Motiv des unschuldig Verfolgten sind das sein ironischer Humor und die kühle Blondine als Objekt der Begierde.
Lyrisch, aufmerksam, kämpferisch – Die Filme Cecilia Manginis
Während die Spielfilme von Regisseuren wie Michelangelo Antonioni oder Pier Paolo Pasolini unterdessen kanonisch sind, ist der italienische Dokumentarfilm der Nachkriegszeit hierzulande nahezu unbekannt. Cecilia Mangini war die erste Frau, die im Italien der Nachkriegszeit ästhetisch anspruchsvolle, politische Dokumentarfilme gedreht hat. Mangini gehört zu einer Generation von Filmemacher_innen, für die das italienische Kino in den Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit kein Begleitmedium war, sondern Akteur. Bevor Cecilia Mangini ab 1959 eigene Filme realisierte, später auch in Zusammenarbeit mit ihrem Mann Lino del Fra, schrieb sie für Filmzeitschriften wie Cinema Nuovo oder Cinema '60. Die Reihe "Lyrisch, aufmerksam, kämpferisch" präsentiert erstmals in Deutschland eine größere Auswahl aus ihrem Werk. Cecilia Mangini und der Filmemacher und Festivalleiter des Cinema del Reale, Paolo Pisanelli, werden am 4. und 5.2. zu Gast sein.
Wiederholung von Forum-Filmen
Wie jedes Jahr wiederholt das Arsenal in der kommenden Woche einige Filme aus dem Programm des Forums: FEI CUI ZHI CHENG (CITY OF JADE) von Midi Z, HOMO SAPIENS von Nikolaus Geyrhalter, TOZ BEZI (DUST CLOTH) von Ahu Öztürk, ELDORADO XXI von Salomé Lamas, A MAGICAL SUBSTANCE FLOWS INTO ME von Jumana Manna, AKHER AYAM EL MADINA (IN THE LAST DAYS OF CITY) von Tamer El Said, MAKHDOUMIN (A MAID FOR EACH) von Maher Abi Samra und MAQUINARIA PANAMERICANA (PANAMERICAN MACHINERY) von Joaquín del Paso.
Weltreisen (3)
"Weltreise. Forster – Humboldt – Chamisso – Ottinger" lautet der Titel der Ausstellung von Ulrike Ottinger, die noch bis zum 27. Februar 2016 in der Staatsbibliothek zu Berlin zu sehen ist. "Weltreise(n)" könnte aber auch eines der Leitmotive der filmischen Arbeit Ottingers sein. Als "Expediteurin zu den Rändern der Wahrnehmung unserer Welt" (Christina Tilmann), Grenzgängerin zwischen Genres und Gattungen, als filmische Kartografin ferner und näherer Regionen sowie realer und imaginierter Räume hat sie sich für ihr jüngstes Ausstellungsprojekt auf Adelbert von Chamissos Spuren in das pazifische Nordmeer begeben. Die Bilderwelten dieser Expedition fließen in ihre Weltreise-Ausstellung ein wie Reisetagebücher, Notizsammlungen und Artefakte europäischer Forschungsreisen des 18. und 19. Jahrhunderts. Ausstellungsbegleitend präsentieren wir Werke von Ulrike Ottinger sowie Entdeckungsreisen anderer Regisseur_innen.
Preise der unabhängigen Jurys
Die unabhängigen Jurys der Berlinale vergaben Preise an insgesamt sechs Filme aus dem Programm des Forums. Der Preis des internationalen Verbands der Filmkritik (FIPRESCI) ging an THE REVOLUTION WON'T BE TELEVISED von Rama Thiaw. Der Internationale Verband der Filmkunsttheater, die Conféderation Internationale des Cinémas D'Art et Essai (C.I.C.A.E.), prämierte ILEGITIM von Adrian Sitaru. BARAKAH YOQUABIL BARAKAH (BARAKAH MEETS BARAKAH) von Mahmoud Sabbagh und LES SAUTEURS von Moritz Siebert, Estephan Wagner und Abou Bakar Sidibé erhielten ex aequo den mit 2.500 dotierten Preis der Ökumenischen Jury. Der mit 5.000 Euro dotierte, sektionsübergreifende Friedensfilmpreis ging an MAKHDOUMIN von Maher Abi Samra und die Tagesspiegel Leserjury kürte NIKDY NEJSME SAMI (WE ARE NEVER ALONE) von Petr Vaclav.
Magical History Tour: Schrift in Bewegung
Fließende Zeichenkaskaden, rotierende Worte, tänzelnde Buchstaben, gekratzt, gestanzt, doppelbelichtet, einkopiert, animiert – seit Beginn des Kinos werden Schriftzeichen im Film von ihrer ursprünglichen starr-statischen Zeichenhaftigkeit befreit und in unterschiedlichster Weise in Dynamik versetzt. Die in Bewegung geratenen Lettern übernehmen im neuen System höchst unterschiedliche Funktionen: Sie eröffnen oder beschließen Filme, sie fungieren als Kommentar oder als Metapher (des Erzählens), als Informationsträger oder grafisches Element, als dramaturgisches Mittel oder als emotionalisierender Faktor. Schrift im Film eröffnet neue Assozia-tionsfelder, wirft Fragen nach Sichtbarkeit und Struktur, Wahrnehmung und Materialität, Inszenierung und Innovation auf. Dem wollen wir im Exkurs der Magical History Tour in die bewegte Welt der Buchstaben nachgehen und präsentieren im Februar Beispiele des frühen Umgangs mit Schrift in Spiel-, Avantgarde- und Experimentalfilmen, "klassischen" Schrift- und lettristischen Filmen, aber auch in zeitgenössischen Spielfilmen mit verschriftlichten Leitmotiven.
Caligari-Preis für "Akher ayam el madina" ("In the Last Days of the City")
AKHER AYAM EL MADINA (IN THE LAST DAYS OF THE CITY) von Tamer El Said erhält den diesjährigen Caligari-Preis. Die Begründung der drei Juroren Rüdiger Suchsland (FILMDIENST), Christine Müh (Kommunales Kino Pforzheim) und Wolfgang Dittrich-Windhüfel (Kommunales Kino Freiburg) lautet: "Eine märchenhafte Suche nach der verlorenen Zeit und dabei ganz gegenwärtiges, hellwaches Kino. Ein Film der essayistisch ist, fiktional und dokumentarisch, ein Film über das Filmemachen, ein intimes Selbstportrait und eine Betrachtung des letzten Sommers vor der Revolution – nostalgisch, sinnlich, klug. Wie erzählt man im Kino das Universum einer Stadt? Diese Frage beantwortet dieser Film aufs Überzeugendste: nämlich fragmentarisch, mit wachem Auge sich dem Zufall hingebend und zugleich mit ausgefeilter Inszenierungskunst. Dies ist ein Film, der große Vorbilder kennt, ob sie nun Rossellini heißen, Godard, Chris Marker oder vielleicht auch Dominik Graf – der sich aber nie sklavisch von ihnen abhängig macht. Er stellt uns indirekt und voller stilistischer List unter der Hand eine ganze Region vor, die viel zu Unrecht lange im Schatten lag, und jetzt zwar im Fokus liegt, aber von den Wolken der Dummheit und der Vorurteile wieder verdunkelt wird. Dieser Film ist ein Paradebeispiel dafür, dass es im Kino nicht darum geht, "politische Filme zu machen, sondern politisch Filme zu machen" (Godard). Das ist: Engagement und künstlerischer Aktivismus jenseits des allzu-Erwartbaren."
Sichtungsmöglichkeit im silent green Kulturquartier
"Meet me at the bottom of the pool" (in Anlehnung an Jack Smiths "Wait for me at the bottom of the pool") ist der Titel einer Liste mit analogen Filmkopien aus dem Archiv des Arsenal, die Bezüge zu den Filmen des diesjährigen Programms von Forum und Forum Expanded aufweisen. Diese Filme können während des Festivals täglich von 10–18 Uhr in den neu eingerichteten Sichtungsräumen des Arsenal im silent green Kulturquartier an Schneidetischen angesehen werden. Die Liste wird fortwährend aktualisiert und erweitert. Das Arsenal Archiv umfasst ca. 10.000 Filme, viele davon entstammen früheren Festivalprogrammen.
Gefördert durch:
Arsenal on Location wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds
Die internationalen Programme von Arsenal on Location sind eine Kooperation mit dem Goethe-Institut.