Portugal hat eine sehr reiche Filmkultur – man denke nur an Manoel de Oliveira, Paulo Rocha, João César Monteiro, Pedro Costa, João Pedro Rodrigues, Miguel Gomes. Ein weiterer Name gehört unbedingt dazu: António Reis (1927–1991), der als Kollege, Lehrer und Mentor für alle Genannten wichtig war und großen Einfluss auf die Entwicklung des portugiesischen Kinos nach der Nelkenrevolution und auf die folgende junge Generation von Filmemachern hatte. In seiner Heimat hoch verehrt, außerhalb Portugals hingegen kaum bekannt sind Reis' Filme, die in Zusammenarbeit mit seiner Frau Margarida Cordeiro (*1939) in den 70er und 80er Jahren entstanden und als Meilensteine der portugiesischen und internationalen Filmgeschichte gelten. Wir freuen uns sehr, die vier zu Unrecht in Vergessenheit geratenen, inhaltlich und formal außergewöhnlichen Arbeiten von António Reis und Margarida Cordeiro in restaurierten Kopien präsentieren zu können. Darüber hinaus zeigen wir einen Film von Manoel de Oliveira, bei dem Reis assistierte. Vítor Gonçalves, Filmemacher und Professor an der Escola Superior de Teatro e Cinema in Lissabon, wo er selbst einst bei António Reis studierte, wird am Eröffnungswochenende zu Gast sein und ins Werk von Reis/Cordeiro einführen.
Zentral für die Filme von António Reis und Margarida Cordeiro sind eine Landschaft und ihre Menschen: Trás-os-Montes (übersetzt "hinter den Bergen"), eine arme Gegend im Nordosten Portugals. Ihr ethnografischer Ansatz, über mehrere Jahre hinweg an einem Film zu arbeiten, die Menschen vor Ort gut zu kennen und im Verschwinden begriffene Traditionen und Lebensweisen in einer abgelegenen Region festzuhalten, geht jedoch über Beobachtung und Abbildrealismus weit hinaus, indem inszenierte Szenen Mythisches und Imaginäres aus Vergangenheit und Zukunft integrieren. Was von heute aus gesehen wie eine Vorwegnahme zeitgenössischer Praktiken aussieht, war damals ein ganz ungewöhnliches Vorgehen. Die Ästhetik der Filme, von Jean Rouch als "neue kinematografische Sprache" bezeichnet, verblüfft auch jetzt noch: Dokument und Fiktion, Ethnografie und Poesie, Realität und Fantasie gehen ineinander über. Vergangenheit und Gegenwart werden nicht linear gedacht, sondern stattdessen in ein Zeit-Kontinuum überführt: Verschiedene gleichzeitig vorhandene und wirksame Zeitschichten ergeben ein Ganzes, wobei die Gegenwart nicht dominiert.