Marco Bellocchio (*1939) gehört zu den bedeutendsten und produktivsten Filmregisseuren Italiens. Seit seinem furiosen Debüt I PUGNI IN TASCA (Mit der Faust in der Tasche), mit dem er sich Mitte der 60er Jahre als führender Vertreter des zeitgenössischen italienischen Kinos posi-tionierte, hat er weit über 40 kurze und lange Spiel- und Dokumentarfilme gedreht. Sein überaus vielgestaltiges Œuvre beinhaltet vehemente Frontalangriffe auf die bürgerlichen Institutionen Familie, Staat und Kirche, kompromisslose Abrechnungen mit den Machtstrukturen und -verhältnissen in Politik, Medien und Gesellschaft, komplexe Introspektionen emotional Versehrter, filmische Auslotungen psychologischer Vorgänge, Aneignungen literarischer Vorlagen und präzise dokumentarische Arbeiten. Oft als unermüdlicher Flaneur zwischen den unterschiedlichsten Genres, Themen und Produktionsformen bezeichnet, als Experimentierender und Vermittler von Konzepten, konfrontiert uns Bellocchio in seinen Arbeiten mit Anarchie und Rebellion, Begehren und Leidenschaft, dem Unterbewussten, Traum- und Schattenwelten. Dabei setzt er den Zustand seiner Protagonisten – Rebellen, Träumer und Außenseiter, dargestellt von herausragenden Schauspielern wie Lou Castel, Laura Betti, Sergio Castellitto, Giovanna Mezzogiorno u.v.a. – unmittelbar in Verbindung mit ihrer Umgebung, verschränkt das Private mit dem Öffentlichen, das Persönliche mit den historischen oder politischen Zeitläuften. Doch Bellocchio überblendet und verbindet nicht nur die verschiedenen Narrative eines Films, sondern lässt darüber hinaus auch Figuren, Orte, Stimmungen und Ideen einzelner Filme über Jahrzehnte seines Schaffens hinweg miteinander in Kontakt treten. Auch zur Entdeckung dieser filigranen Verbindungslinien im beeindruckenden Œuvre von Marco Bellocchio laden das Italienische Kulturinstitut Berlin und wir im Oktober ein. Wir freuen uns ganz besonders, Marco Bellocchio am 5. und 6. Oktober mit seinem neusten, wenige Tage vor Drucklegung uraufgeführten Film BELLA ADDORMENTATA (2012) sowie seinem ersten abendfüllenden Werk I PUGNI IN TASCA im Arsenal begrüßen zu dürfen.
Öffentliche Sichtung am 18. Oktober
Rising Stars, Falling Stars – Five year anniversary!
Vaginal Davis, 2007 aus L.A. nach Berlin gekommen, lädt seither allmonatlich zu Filmabenden ein. Zur Jubiläumsfeier am 14. Oktober widmet sie das Programm wieder der Schauspielerin Louise Brooks, diesmal in TAGEBUCH EINER VERLORENEN (G.W. Pabst, D 1929). Thymian übt eine besondere Anziehung auf Männer aus. Und schnell "passiert" ihr ein Kind mit Folgen: Vom Vater verstoßen, des Kindes beraubt und im Heim gequält, wird sie von einem zwielichtigen Grafen ins Bordell gesteckt. "Und Louise Brooks geht in stummer Schönheit, erschrocken, trotzig, wartend, verwundert durch den Film, als das Mädchen, dem dies passiert. Fast wie ein schöner, tragischer Buster Keaton." (Berliner Tageblatt, 1929).
Das Projekt "Living Archive – Archivarbeit als künstlerische und kuratorische Praxis der Gegenwart" wird vom Goethe-Institut mit einem Stipendiatenprogramm unterstützt. Derzeit ist unser vierter Gastteilnehmer in Berlin: Joel Pizzini, Filmemacher und Kurator aus Rio de Janeiro. Im August haben wir eine Auswahl seiner Kurz- und Langfilme präsentiert, darunter Arbeiten, in denen er sich Werken aus unserer Sammlung zuwendet. Wir freuen uns, in unserer monatlich stattfindenden öffentlichen Sichtung am 18. Oktober gemeinsam mit ihm seinen Blick auf unser Archiv diskutieren zu können. Der Eintritt ist wie immer frei. Gesichtet werden ABEL GANCE: THE CHARM OF DYNAMITE von Kevin Brownlow (GB 1968, 52', OV) und Maya Derens THE VERY EYE OF NIGHT (USA 1959, 13', OV). Der Eintritt ist wie immer frei.
"Tepenin ardı - Beyond the Hill"
Wir gratulieren dem Team von "Tepenin ardı - Beyond the Hill" zum Best Feature Film award der 6. Asia Pacific Screen Awards, der höchsten filmischen Auszeichnung der Region. Mit der Begründung: „Ein Western aus der Türkei von heute!“ vergab die Caligari Filmpreis-Jury in diesem Jahr den Preis an Emin Alpers Spielfilmdebüt "Tepenin ardı - Beyond the Hill". Der pensionierte Forstverwalter Faik, der mit seinem jüngeren Sohn und dessen Familie ein abgeschiedenes Stück Land bewirtschaftet, bekommt Besuch von seinem älteren Sohn Nusret und den beiden Enkeln. Doch die Stimmung ist gedrückt. Faik hat Probleme mit Nomaden, die hinter dem Hügel leben, wo das Land nicht mehr ihm gehört. Sie wollen ihre Ziegen auch auf seinen Wiesen weiden lassen, Faik lehnt dies strikt ab. Auch innerhalb der Familie herrschen Spannungen. Nicht nur prallen unterschiedliche Temperamente aufeinander, sondern auch soziale Schichten. Doch Konflikte werden vermieden.
Think:Film – International Experimental Cinema Congress 2012
Vom 10. bis 14. Oktober organisiert das Arsenal, in Zusammenarbeit mit dem Filminstitut der Universität der Künste Berlin, erstmals einen internationalen Kongress. Think:Film, der International Experimental Cinema Congress 2012 findet in der Akademie der Künste am Hanseatenweg statt und setzt sich zum Ziel, die besondere Stellung des experimentellen Kinos in der zeitgenössischen künstlerischen und denkerischen Praxis philosophisch zu untersuchen und neu zu bestimmen. Fünfzehn Panels an fünf Tagen versammeln internationale FilmemacherInnen, KünstlerInnen, Film- und GeisteswissenschaftlerInnen, AutorInnen und KuratorInnen, die gemeinsam Fragen nach dem Einfluss des filmischen Bildes auf das Denken heute nachgehen und diskutieren, wie der Film selbst zu einer denkerischen Handlung werden kann. Der Kongress begreift Experimentalfilm dabei nicht als zu definierendes Genre, sondern stellt grundsätzliche Fragen, auch über Themen der gegenseitigen Beeinflussung von Denken und Film (etwa wie Film selbst als Theorie zu verstehen ist) hinaus: zur Institutionalisierung des filmischen Bildes, zur Beziehung von Schauspiel, Performance, Bühne und Film, zum Film als Mittel politischer Praxis, zu heutigen Produktions- und Distributionsbedingungen des experimentellen Kinos und zur Aktualität von Begriffen wie "Underground" und "Avantgarde".
Think:Film Warm-up Screenings
Im Vorfeld von Think:Film bieten wir die Möglichkeit, die Arbeit einiger Kongress-TeilnehmerInnen kennenzulernen. Am 7.10. präsentiert LaborBerlin e.V., das unabhängige Filmlabor im Stattbad Wedding, Ergebnisse des Workshops "Analogue Zone", dessen erster Teil in Kairo stattfand. Vier ägyptische TeilnehmerInnen des Workshops sind im Oktober in Berlin, um im hiesigen Labor mehr über die Arbeit mit analogem Filmmaterial zu erfahren. Partner von Labor-Berlin in Kairo ist Cimateque, ein Zentrum für unabhängiges Filmemachen, das von Tamer El-Said und Khalid Abdalla mitbegründet wurde, beide Panelisten im Think:Film-Kongress. Im Anschluss an die Workshop-Präsentation gibt es die seltene Gelegenheit, den ägyptisch-italienischen Experimentalfilm SUMMER 70 von Nagy Shaker und Paolo Isaja zu sehen, "eine Meditation über Freiheit zu Beginn der 1970er Jahre, die das volle Vokabular des experimentellen Kinos nutzt." (MoMA) Nagy Shaker wird zum Gespräch anwesend sein.
Living Archive
Zum Nachlesen: "Rising Stars, Falling Stars"
Seit nun mehr fünf Jahren lädt Vaginal Davis, Performerin und Kuratorin mit Schwerpunkt Frühes Kino und Queer Cinema, allmonatlich zu Filmabenden ins Arsenal. In ihrer Reihe "Rising Stars, Falling Stars" stellte sie Raritäten, Klassiker und Perlen aus der Stummfilmzeit auf ihre ganz eigene, unvergessliche Weise vor – stets begleitet von Live-Musik und Drinks im Anschluss. Zum fünften Jubiläum der Reihe ist nun ein Reader erschienen, der einen Großteil ihrer bezaubernden Einführungstexte auf Englisch enthält. Die Publikation kostet 5,– und kann ab sofort bestellt oder an der Abendkasse erworben werden.
"Beziehungsweisen"
Drei Paare in der Krise suchen Rat in einer Therapie. Sie tragen Kontroversen um Seitensprünge, Abtreibung und getrennte Schlafzimmer aus. Vorwürfe, Ängste und Verletzungen kommen zur Sprache. Die Option Trennung steht im Raum. Die Fallgeschichten lassen überindividuelle Konfliktlinien, Strukturen und Beziehungsmuster zutage treten. Ein Film über Liebes-Beziehungs-Arbeit in progress. Die Versuchsanordnung: Im nüchternen Ambiente eines Studios finden Therapiesitzungen statt. Die verhandelten Probleme sind gängige. Die Klienten werden von Schauspielern dargestellt, die Therapeuten sind tatsächlich in diesem Beruf tätig und nicht inszeniert. Hinzu kommen in der Tradition des epischen Theaters gestaltete Szenen aus dem Alltag der Paare, die mit minimalem Dekor auskommen, sowie Werkstattgespräche, in denen die Therapeuten dem Filmteam aus ihrer Praxis berichten. Dokumentarische Elemente und improvisiertes Schauspiel gehen eine ungewöhnliche Verbindung ein und ergeben eine Spiel-Art des Dokumentarischen, die mit Abstraktion und Fiktion arbeitet und sich um Authentizität nicht schert. In der offensichtlichen Laborsituation und ihrer Künstlichkeit entstehen berührende Momente voller Emotion.
Gefördert durch:
Arsenal on Location wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds
Die internationalen Programme von Arsenal on Location sind eine Kooperation mit dem Goethe-Institut.