"Erinnern. Vergessen – Individuelle Erinnerung in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts" heißt eine aktuelle Veranstaltungsreihe der Guardini-Stiftung, die in Gesprächen, einer Ausstellung und in Filmvorführungen Positionen des individuellen Rückblicks auf gesellschaftliche und kulturelle Fragestellungen aufzeigt. Film und Video kommt hierbei eine besondere Rolle zu gelten sie auch heute noch weit verbreitet als untrügerisches Medium zur Aufzeichnung, Sicherung und Archivierung von bewegten Bildern und goldener Schlüssel zur Dunkelkammer Vergangenheit. Unsere Erinnerungen bestehen aus Kombinationen untereinander vernetzter Nervenzellen. Das Gehirn projiziert lediglich ein Vorstellungsbild dieser Vernetzungen – dem Film auf der Leinwand also nicht unähnlich. Doch wie kann ein Film den Prozess des Erinnerns darstellen, das Aufflackern eines vergangenen Augenblicks, das Ringen um ein Erinnerungsbild, bevor das Vergessen es mit sich reißt? Wie kann individuelles Erinnern stattfinden, wenn uns täglich dieselben Informationen und Bilder überfluten und unsere Vorstellungskraft zu großen Teilen von den Massenmedien gespeist wird? Wie also individuelles Erinnern visuell sichtbar machen, welche Bilder wählen, damit individuelle Erinnerung im kollektiven Gedächtnis nicht untergeht? Welche Strategien Filmemacher über die Jahre hinweg entwickelten, können die Auswahl der hier vorgestellten Filme sowie die drei begleitenden Vorträge nur in einem Ausblick verdeutlichen.
Ella Bergmann-Michel
Noch bis zum 19.11. präsentiert das Verborgene Museum (Schlüterstr. 70) das fotografische OEuvre der Malerin, Fotografin und Filmemacherin Ella Bergmann-Michel (1895–1971), die sich Anfang der 30er Jahre dem Dokumentarfilm widmete: Unter ihrer Regie entstanden in dieser Zeit fünf Kurzdokumentarfilme, die konstruktivistische Elemente aus Film, Architektur, Fotografie und Malerei mit dem sozialen Engagement eines kompromisslosen dokumentarischen Blicks verbinden. Im Mittelpunkt der einzelnen Filme steht immer wieder die Konfrontation des Individuums mit Situationen des sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchs jener Jahre. Anlässlich der Ausstellung zeigen wir am 20.11. folgende Filme der Künstlerin: WO WOHNEN ALTE LEUTE? (1931) über ein jüdisches Altersheim in Frankfurt, ERWERBSLOSE KOCHEN FÜR ERWERBSLOSE (1932), der die Situation von Arbeitslosen thematisiert, FLIEGENDE HÄNDLER (1932) über Straßen- und Jahrmarktshändler, den poetisch experimentellen FISCHFANG IN DER RHÖN (1932) und ihren letzten, unvollendet gebliebenen Film LETZTE WAHL über die Wahlpropaganda der Nationalsozialisten im Reichstagswahlkampf 1932/33. Im Anschluss an die Filme von Ella Bergmann-Michel zeigen wir Jutta Herchers und Maria Hemmlebs eindrucksvolles Porträt über Ella Bergman-Michel MEIN HERZ SCHLÄGT BLAU (1989). (20.11., in Anwesenheit von Jutta Hercher und Sünke Michel) In Zusammenarbeit mit dem Verborgenen Museum.
Geschichte(n) erzählen: Nach-Bilder der RAF
Wir setzen die seminarbegleitende Filmveranstaltung der Humboldt-Universität, geleitet von Prof. Dr. Inge Stephan und Alexandra Tacke fort: In ihrem semi-autobiografischen Film DER SUBJEKTIVE FAKTOR (1981) thematisiert Helke Sander die Anfänge der neuen Frauenbewegung in Westdeutschland 1967 bis 1970. Der Film konzentriert sich auf die Protagonistin Anni, die mit ihrem Sohn in eine Studentenkommune zieht. Dort wird sie in theoretische Debatten und politische Aktivitäten der studentischen Linken verwickelt. Währenddessen beginnt sie, ihre eigene Unterdrückung zu erforschen. Die vierminütige SUBJEKTITÜDE (Helke Sander, 1966) zeigt in subjektiven Einstellungen und inneren Monologen zwei Männer und eine Frau an einer Bushaltestelle, die sich gegenseitig taxieren. (7.11., in Anwesenheit von Helke Sander)
Margarethe von Trotta erzählt in DIE BLEIERNE ZEIT (1981) von zwei Schwestern, die sich um 1968 beide gesellschaftspolitisch engagieren und dabei grundsätzlich verschiedene Wege einschlagen. Juliane wählt als Journalistin in einer feministischen Zeitschrift den Weg der Aufklärung, Marianne wendet sich dem Terrorismus und damit der Gewalt zu. (14.11.)
In DIE INNERE SICHERHEIT (Christian Petzold, 2000) ist der Terrorismus eine längst vergangene – und nie angesprochene – Episode im Leben eines Paares und seiner 15-jährigen Tochter. Seit Jahren sind sie auf der Flucht und der Wunsch der Tochter nach Normalität führt langsam zur Implosion der sorgfältig aufgebauten Existenz im Untergrund. (28.11., in Anwesenheit von Christian Petzold)
Zu jedem Film gibt es eine Einführung.
Louise in Berlin
"Diese einzigartige Frau hat unter so verschiedenen Regisseuren wie Howard Hawks, William Wellman, G.W. Pabst und Augusto Genina gespielt. Überall findet man die gleiche Präsenz, den gleichen Magnetismus, die gleiche skandalöse Schönheit wieder. Wenn sie erscheint, zerreißt die Leinwand, das weiße Tuch wird zur Leinwand des Wahnsinns. Sie hat blendenden Glanz." (Ado Kyrou) Die Elogen dieser Art, mit denen die große amerikanischen Schauspielerin seit Jahrzehnten bedacht wird, stehen im krassen Gegensatz zur Haltung der Filmkritiker der 20er Jahre. Auch die beiden Filme, die die 1906 in einem amerikanischen Provinznest geborene Louise Brooks unter der Regie von G.W. Pabst drehte, wurden von der deutschen Filmkritik nicht immer favorabel bedacht. Ihren Kultstatus als herausragende Filmikone der späten 20er Jahre erkannte – knapp 30 Jahre später – als einer der ersten Henri Langlois und widmete ihr eine umfangreiche Retrospektive in der Cinémathèque Française in Paris. Anlässlich ihres 100. Geburtstages (am 14.11.) widmen wir ihr, wenn auch keine große Retrospektive (obwohl es angemessen wäre), so doch zwei Abende.
FilmDokument
1963/64 entstand in der DDR ein ungewöhnlicher Dokumentarfilm: DEUTSCHLAND – ENDSTATION OST (1964). Der belgische Dokumentarist Frans Buyens interviewte Straßenpassanten in Ost-Berlin und Dresden, Fabrikarbeiterinnen und Technische Zeichnerinnen der Warnow-Werft in Stralsund, Kleinunternehmer in Chemnitz, LPG-Bauern auf dem Lande, ausländische Studenten am Gottfried-Herder-Institut in Leipzig und Industriearbeiter in Magdeburg und Eisenhüttenstadt. "Die DDR, mit den Augen eines Ausländers gesehen", so lautete der ursprüngliche Filmtitel. Wenige Jahre nach dem Bau der Mauer dokumentierte Buyens Zustimmung, ablehnende Stimmen, auch Ängste der Befragten. Er befragte Grenzsoldaten nach dem Schießbefehl, hielt Zögern und forsche Haltungen fest (Kamera: Hans Eberhard Leupold). Gleichwohl ist es der Film eines Sympathisierenden mit der DDR. Anfänglich von Spitzenfunktionären der SED, des Kulturministeriums und des FDGB gefördert, geriet die Produktion ins Ränkespiel im Vorfeld des so genannten "Kahlschlag"-Plenums 1965. Nur mit Mühe gelang es Buyens, den Film am Rande des Leipziger Dokumentarfilmfestivals zu zeigen. Danach fiel er bis zum Ende der DDR dem Vergessen anheim. – Eine Veranstaltung von CineGraph Babelsberg mit dem Bundesarchiv-Filmarchiv. (24.11., Einführung: Thomas Heimann, Medienhistoriker)
Fernando Pérez und der kubanische Film
Im Wintersemester 2006/07 wird Fernando Pérez, der renommierteste und bekannteste Regisseur Kubas, als Samuel-Fischer-Gastprofessor an der FU Berlin eine Reihe von Veranstaltungen und Seminaren geben. Wir freuen uns, dass er im (fast) wöchentlichen Turnus immer donnerstags im Arsenal eine Reihe seiner eigenen, aber auch andere kubanische Filme präsentieren wird. Pérez wurde 1944 in Havanna geboren und begann bereits 1962 während seines Sprach- und Literaturstudiums an der Universität von Havanna als Produktionsassistent und Übersetzer im kubanischen Filminstitut ICAIC (Instituto Cubano de Arte e Industria Cinematográficos) zu arbeiten. Pérez drehte zahlreiche Dokumentarfilme, bevor 1987 sein erster Spielfilm entstand. Seine beiden letzten Filme LA VIDA ES SILBAR (Das Leben, ein Pfeifen, 1998) und Suite Habana (2003) zählen zu den Meilensteinen des kubanischen Kinos. Neben seiner Tätigkeit als Regisseur lehrt er an der kubanischen Filmhochschule und an der Universidad de la Habana.
Buchpräsentation
Jörg Schweinitz stellt sein im Akademie-Verlag erschienenes Buch "Film und Stereotyp. Eine Herausforderung für das Kino und die Filmtheorie. Zur Geschichte eines Mediendiskurses" vor. Das Stereotype – die Neigung zum Formelhaften und zu wiederkehrenden Erzählmustern – des Films war seit den 1920er Jahren Gegenstand von Filmkritik und -theorie. Jörg Schweinitz zeichnet die Geschichte dieses Diskurses nach und beschreibt in detaillierten Filmanalysen, wie Filmemacher mit dem Stereotyp umgehen – von früher ironischer Reflexion (bei Alexander Granowski), bewusster Abwendung (bei Roberto Rossellini), kritischer Dekonstruktion (bei Robert Altman in den 70er Jahren) bis zur Verklärung (bei Sergio Leone oder den Coen Brüdern). Im Anschluss zeigen wir DIE KOFFER DES HERRN O.F. (Alexander Granowski, D 1931), in dem 13 geheimnisvolle Koffer ohne Besitzer, nur mit den Initialen O. F. versehen, dem verschlafenen Städtchen Ostend zu einem beispiellosen Aufschwung verhelfen. (21.11.)
Japanischer Filmclub
GEKASHITSU (Das Operationszimmer, Tamasaburo Bando, 1992) basiert auf einem Roman von Kyoka Izumi, einem herausragenden Schriftsteller der Meiji-Zeit und erzählt die Geschichte einer ungelebten Liebe, die in einem dramatischen Moment in einem Operationszimmer kulminiert. Der berühmte japanische Kabuki-Darsteller Bando schafft in seinem Regiedebüt mit minutiös langsamen, konzentrierten Bewegungen eine Atmosphäre, die Raum und Zeit auszulöschen scheint. "Alles bleibt Andeutung in diesem Film. In der meditativen Erinnerung eines Künstlers, der Zeuge beider Ereignisse war, wird ein Zusammenhang impliziert, aber nicht von filmischer Logik erzwungen. Die üppige Pracht des bunten Gartens steht im Kontrast zur kühlen, fahlen Strenge des Operationsraumes, wie die Liebe zum Tod. Der lyrisch schweifende Blick durch die blühende Krone eines Kirschbaumes, das Geheimnis einer weißen Schlange, die musikalischen Töne von Wasserrauschen und Vogelzwitschern, die naturhaften Klänge von Harfe, Violine und Piano: alles scheint zu verharren in traumhafter Imagination." (Anke Sterneborg) Dazu zeigen wir den kurzen HOSO-TAN (Die Geschichte von den Pocken, Shuji Terayama, 1975), der versucht, das Bild als ein Stück Haut zu begreifen. (27.11., mit Einführung)
Kinostarts für Forumsfilme 2006 (Update)
Zahlreiche Filme aus dem Forumsprogramm 2006 hatten im Laufe des Jahres ihren Start in deutschen Kinos, zuletzt Montag kommen die Fenster. Gegenwärtig bringt der Verleih der Freunde der Deutschen Kinemathek weitere Filme in die Kinos: John & Jane und Lenz starten demnächst.
Preise für Forumsfilme auf internationalen Festivals
Die beim Forum 2006 ausgezeichneten Filme 37 Uses for a Dead Sheep und Babooska haben weitere Preise auf internationalen und nationalen Filmfestivals gewonnen. Darüber hinaus erzielten auch die Forumsfilme Là-bas und John & Jane wichtige Auszeichnungen.
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