Im Alter von gut 30 Jahren zog Hanns Brodnitz 1933 ein Resümee seiner Karriere und verarbeitete seine Erinnerungen zu einem Buch, das unter dem Titel „Kino intim“ im Erich Reiss Verlag erscheinen sollte. Die politischen Ereignisse verhinderten, dass es erschien. Doch die Druckfahnen haben überlebt und werden nun in der Reihe „Jüdische Memoiren“ des Centrum Judaicum veröffentlicht.
Öffentliche Sichtungen
In diesem Monat sichten wir gemeinsam mit dem Publikum einen Teilbereich unserer Archivfilme, den man grob als politisch-feministisch-experimentell umschreiben könnte. Neben den vielen Klassikern aus den 70er und 80er Jahren gibt es zahlreiche Filme von Frauen, die entweder nie wirklich Beachtung fanden oder längst wieder in Vergessenheit geraten sind, Filme, an die wir uns selbst nur dunkel erinnern, deren Titel uns vielleicht noch vertraut sind, aber keine visuellen Assoziationen mehr hervorrufen, Filme, die das subversive Kino, das nicht weniger männlich dominiert war als das kommerzielle, mit neuen Inhalten und Formen ein weiteres Mal subvertierten. Es geht um Körper und Lust, die Arbeit, das Heim und das Reisen. Es geht um Blicke, Berührungen und Texte. Um Widerstand, Umwege und Grenzen. Um Theorie und Praxis. Und immer wieder um die grundlegenden Fragen, welches politische Potential in der ästhetischen Erfahrung des Kinos liegt und welche Auswirkung das auf die Tatsache hat, dass einige Filme in den Tiefen der Archive verschwinden.
Japanischer Filmclub
Zwei ungewöhnliche Porträts sind im Japanischen Filmclub dieses Monats zu sehen. Sogo Ishii, der Regisseur von so wilden Filmen wie Die Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb, filmte die Einstürzenden Neubauten während ihrer Japantournee 1985. HANBUN NINGEN (1¼2 Mensch, Japan 1985) zeigt sie inmitten futuristisch blinkender Stadtlandschaften, menschenfressender Würmer und einer Butoh-Tanzgruppe. Blixa Bargeld: „Sein erstes Skript war noch viel wilder, da gab es Riesenmagneten, die Autos anziehen, und solche Sachen …“ Der legendäre Regisseur Shûji Terayama steht in Michi Tanakas SHITSUMON (Fragen, Japan 1979) vor der Kamera – und beantwortet Fragen. (19.12.)
Finnischer Filmclub
Aku Louhimies’ preisgekrönter Spielfilm Paha Maa (Frozen Land, Finnland 2004) basiert auf einer Novelle von Leo Tolstoi, die der finnische Regisseur kunstvoll in das heutige Helsinki transportiert. In drei ineinander verwobenen Episoden kreuzen sich die Wege unterschiedlicher Personen, durch deren Hände ein gefälschter 500-Euro-Schein wandert. Hergestellt hat ihn der Student Niko, der sich eine neue Stereoanlage kaufen will, nachdem sein alkoholkranker Vater die alte versetzt hat. Mit ihm nimmt das Unglück seinen Lauf. Unter anderem trifft es Nikos Freund Tuomas, einen Hacker, der kurz vor der Hochzeit mit seiner schwangeren Freundin steht; einen Kleinkriminellen hinter Gittern; einen Gebrauchtwagenhändler sowie die Polizistin Hannele und ihren Mann. In Zusammenarbeit mit dem Finnland-Institut (21.12.)
Reed - Mexiko im Aufruhr
In diesem Bücherherbst ist ein Klassiker der Revolutionsliteratur wieder aufgelegt worden: John Reeds „Eine Revolutionsballade“ – wie Herausgeber Hans-Magnus Enzensberger das berühmte Werk in der überarbeiteten Fassung nennt. Aus diesem Anlass zeigen wir die vielfach ausgezeichnete Verfilmung des mexikanischen Regisseurs Paul Leduc REED – MEXICO INSURGENTE, den das Internationale Forum 1972 uraufführte. Sie beschreibt den Bewusstwerdungsprozess eines US-amerikanischen Reporters, der in den Wirren der Mexikanischen Revolution sein Engagement mit den Unterdrückten entdeckt. Der Film ist ein Meilenstein im politischen Kino Lateinamerikas und hat damals entscheidend zu einer kritischen Aufarbeitung der ersten Revolution in Lateinamerika beigetragen.
Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Eichborn-Verlag, der Mexikanischen Botschaft und den Freunden des Ibero-Amerikanischen Instituts. (1.12., Einf.: Peter B. Schumann)
Am Flügel: Willy Sommerfeld
Zwei Tage vor Nikolaus und 20 Tage vor Weihnachten dürfen wir Kapellmeister und „weltältesten“ Stummfilmpianisten Willy Sommerfeld wieder im Arsenal begrüßen! Am 4.12. möchten wir an die schönen Lubitsch-Abende im Sommer anknüpfen und zeigen den berühmten Film SCHUHPALAST PINKUS (1916), in dem Lubitsch wie immer nicht nur hinter der Kamera steht. Salomon „Sally“ Pinkus (Ernst Lubitsch) ist wegen ungebührlichen Verhaltens von der Schule verwiesen worden. Er beginnt eine Lehre im Schuhgeschäft, wo Frauenschwarm Sally mit der Tochter des Chefs und den Kundinnen flirtet. Nach zahlreichen Kapriolen gewinnt er das Herz einer Dame, die ihm einen Kredit gewährt. So kann Sally sein eigenes Geschäft aufbauen und obendrein heiratet er seine Wohltäterin. (4.12., am Flügel: Willy Sommerfeld)
FilmDokument 77
In mehreren Kurzfilmen dokumentierte die Reichsbahn-Filmstelle Mitte der 1930er Jahre den Bau der Nord-Süd-Verbindung der Berliner S-Bahn. Diese Strecke entstand von 1934 bis 1939 zwischen dem heutigen Nordbahnhof (Mitte) und dem Anhalter Bahnhof.
P wie Prima Schweizer Filme
DAS SCHWEIGEN DER MÄNNER (1997): „Polo Hofer und Max Rüdlinger wandern debattierend und philosophierend durch die Schweiz, über die Berge, ins Ausland, weit weg bis in die Wüste. Der eine leidet am Schweizer-Sein, am Mann-Sein, am älter werden, ist „heimatmüde“, jedoch durch seinen Pessimismus auch anregend, ja letztlich sogar positiv. Der andere hat diese Probleme nicht: er liebt die Welt, die Schweiz inklusive, die Menschen, die Musik, bleibt letztlich gerne in der Schweiz zuhause, wo er mit mundartlich-heimatlichem Rock’n’Roll die Frauen besingt.“ (4.12.)
Deutscher Expeditions- und Kolonialfilm
Noch bis zum 15. Januar 2006 ist im Deutsche Guggenheim die Ausstellung des südafrikanischen Künstlers William Kentridge „Black Box/Chambre Noire“ zu sehen, die sich mit der Geschichte des deutschen Kolonialismus in Afrika, insbesondere des 1904 von den Deutschen verübten Massakers an den Hereros in Deutsch-Südwest, dem heutigen Namibia, auseinander setzt. Kern der Ausstellung ist ein Theater en miniature, das im 40-Minuten-Turnus eine Vorführung mit mechanischen Figuren und animierten Filmen des Künstlers präsentiert. Kentridge bezieht sich dabei u.a. auf Kolonialfilme aus jener Zeit und nutzt Filmfragmente für seine eigene Arbeit. Anlässlich dieser Ausstellung präsentieren wir eine Reihe mit Kolonial- und Expeditionsfilmen. Obwohl Deutschland nur eine kurze Zeit Kolonien in Übersee besaß, war die Kolonial- und Expeditionsfilmproduktion äußerst virulent. Vielleicht gerade deshalb. Deutschland hatte den Krieg verloren und mit dem Friedensvertrag von Versaille (1919) auch seine Kolonien. Zwischen den Weltkriegen erreichten die Kolonial- und Expeditionsfilme ihren Höhepunkt, und im Dritten Reich wurde die Produktion erneut intensiviert. Die Filmreihe soll einen kleinen Einblick in das populäre Genre der 1910er bis 1930er Jahre geben.