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“Zur Ansicht: Peter Weiss“ and “Zur Ansicht: Peter Weiss. Dreharbeiten in Stockholm“ von Harun Farocki

Seinen allerersten Film, einen kurzen Beitrag mit dem Titel Zwei Wege (1966), drehte Harun Farocki für das Berliner Fenster des SFB. In den darauffolgenden viereinhalb Dekaden, zwischen Nicht löschbares Feuer (1969) und Sauerbruch Hutton Architekten (2013) sind etliche von Farockis Filmen unter maßgeblicher Beteiligung öffentlich-rechtlicher Sender entstanden. Redakteur*innen wie Werner Dütsch, Ebbo Demant und Inge Classen förderten die Arbeit des Filmemachers.
Schon zu Farockis Lebzeiten begann in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen und dem Arsenal – Institut für Film und Videokunst die Recherche nach den TV-Filmen unterschiedlichster Länge. Zur großen Berliner Retrospektive 2017/18 wurde das Projekt der dauerhaften Sicherung und Zugänglichmachung von Farockis Werk abgeschlossen. Möglich wurde dies durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Farockis Produktionsfirma, dem Goethe-Institut und den beteiligten Sendern, die auf dem Symposium „Recht auf Öffentlichkeit“ diskutiert werden soll.

Im virtuellen Kino Arsenal 3 ist begleitend ZUR ANSICHT: PETER WEISS von 1979 zu sehen. Das detaillierte Gespräch mit Peter Weiss über „Die Ästhetik des Widerstands“, deren zweiter Band gerade erschienen war, wurde von der Redaktion „Literatur und Sprache“ (Christhart Burgmann und Annelen Kranefuss) beim WDR betreut und am 19. Oktober 1979 gesendet. Im Februar 1980 war der Film im „Informationsprogramm TV“ des Internationalen Forum des Jungen Films zu sehen. Farocki im Programmtext dazu: „Weiss hat unvorstellbare Materialforschungen gemacht, das Leben einer Person, die als Modell dient, bis ins kleinste studiert und, was für ihn sehr wichtig ist, fast immer den Schauplatz der Handlung aufgesucht. Der Film gibt eine Vorstellung von dieser Arbeit.“
Eine Vorstellung von Farockis Arbeitsweise vermittelt etwa eine Stunde nicht verwendetes Interviewmaterial, das sich im filmischen Nachlass befand, der seit 2015 gemeinsam mit Antje Ehmann vom Harun Farocki Institut betreut wird. 2016 wurde es anlässlich des 100. Geburtstags von Peter Weiss digitalisiert. Wir zeigen das Material so, wie es gefunden wurde: als Reste der Arbeitskopie in schwarz-weiß, roh, teils ohne Ton, mit Klappen, Aussetzern und anderen Spuren der Schnittarbeit. In der zweiten Hälfte fehlen über weite Strecken entweder Ton oder Bild. Zudem ließen sich Gesprächston und gefilmtes Material an vielen Stellen nicht miteinander synchronisieren, sodass Dialog und Bild stark voneinander abweichen.

„Ordnung“

Ein Mann in schwarzem Rollkragenpullover tritt auf die Straße, blickt die Häuserschlucht hinauf. Mit beiden Händen formt er einen Trichter um seinen Mund, der sogleich seinen Ruf verstärken soll, der ein langgezogenes „Aufstehen“ ertönen lassen. Dieses Ritual des Weckrufs tätigt Herbert jeden Sonntag. Während die Arbeitenden sich von der wöchentlichen Arbeitsmühe erholen, will er aktivieren. Obgleich er selbst wochentags kaum zu aktivieren ist: Er lebt in Alltagsmonotonie versunken, während seine Frau arbeitet, ziehen die Tage ohne Struktur der Berufstätigkeit an ihm vorbei.
Saless skizziert Herberts Leben in der BRD dumpf, wie eine moderne Elegie der Depression. Ein Leben ohne Gefühl, in der die Liebesbeziehung zur Pflicht gepresst, nicht aber gelebt wird: Sexualität ist Akt, der vollzogen, nicht aber gespürt wird; Zigaretten sind Genussmittel, die töten, nicht aber schmecken; Menschliche Begegnungen sind nur in der Funktion als Konsument*in möglich. Identifikation ist nie individuell, sondern immer ausgerichtet an der einer homogenen Gesellschaft, deren Regeln und Pflichten befolgt werden müssen, aber nicht mehr sinnlich wahrnehmbar sind. Der Film skizziert eine Angst vor anderen Menschen und somit vor andersartigem Verhalten. Saless gibt sich dabei in ORDNUNG nicht nur Metaphorik hin, sondern lässt das Bild zum Wort werden: Schonungslos bildet er eine Verdrängungsgeschichte der BRD ab.

ORDNUNG wurde 1980 beim Filmfestival von Cannes in der Reihe Quinzaine des Réalisateurs uraufgeführt. Er ist einer von sechs Filmen, die Saless mit dem ZDF produzierte. In der Frankfurter Rundschau schrieb Thomas Thieringer, was mit ORDNUNG einen passenden Stoff finden sollte: „Saless will eine Gesellschaft zeigen, ‚die schon längst vergessen ist, eine Gesellschaft, die trotz ihrer scheinbaren Existenz eigentlich nicht mehr existiert, (...) Menschen, die von Anfang an kapitulieren, weil es ihnen vorgeschrieben ist.‘ Er will niemanden anklagen, allein wichtig und fraglich wäre es, so meint er ‚welche Wirkungen einst von [seinen Figuren; Anm. d. Autorin] ausgehen werden. Denn nichts ist bedeutungslos, und es geht auch nichts unwiderruflich zu Ende.‘“ Mit dem Ende seiner Schaffenszeit in Deutschlang sollte jedoch die öffentliche Diskussion um seine Filme unwiderruflich zu Ende gehen und viele seiner Arbeiten für lange Zeit, verstreut in verschiedenen Fernsehanstalten, nicht mehr sichtbar werden.

Ehe mit Ausländern: Panorama vom 13.4.1982
Bericht von Navina Sundaram

„Ehe mit Ausländern“ ist ein Beitrag zu einer Panorama-Sendung von 1982. Das Klingeln der anonymen Anrufe dringt in die Privaträume von Familie Almanasreh und bildet den Hintergrundton der Erzählungen und Berichte über den tagtäglichen Rassismus, dem binationale Familien in Deutschland ausgesetzt sind. Aus der Perspektive von Frauen, die mit irakischen, portugiesischen und nigerianischen Männern verheiratet sind, zeichnet sich das Bild einer Gesellschaft, die Liebe und transkulturelle Bindung als Verrat an einer imaginären Nationalgemeinschaft versteht und in der anonyme Briefe, offene Beschimpfungen und gelöste Radmuttern, als auch Kämpfe um Rechte und Anerkennung zum Familienleben dazugehören.

Als Zeitdokument ist die Panoramasendung Teil des Online-Archivs „Welt-Spiegel: Innenansichten einer Außerseiterin oder Außenansichten einer Innenseiterin“, das im Juni 2021 online gehen wird. Dieses Archiv versammelt Filme, Reportagen, Moderationen und Korrespondenzen der NDR-Redakteurin, Moderatorin und Auslandskorrespondentin Navina Sundaram, die mehr als 40 Jahre für das deutsche Fernsehen arbeitete. Extrahiert sowohl aus bisher verschlossenen Beständen der ARD als auch dem Privatarchiv Sundarams, ist das Archiv als kuratierter Blick auf bundesdeutsche Fernsehgeschichte zu verstehen. Navina Sundaram steht dabei im Zentrum dieses Archiv als Persönlichkeit, in der sich journalistische Positionen ihrer Zeit, Migrations-, Mediengeschichte, Kalter Krieg, Klassenfrage und Feminismus miteinander verschränken.