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Khaled Abdelwaheds erster Dokumentarfilm JELLYFISH sollte ursprünglich im Forum der Berlinale uraufgeführt werden, aber nach der Verhaftung eines der Protagonisten in Syrien entschieden sich Regisseur und Produzenten dagegen, um seine bereits unheilvolle Lage nicht noch zusätzlich zu gefährden. Der Film wird erst gezeigt, wenn der Inhaftierte wieder freigelassen und in Sicherheit ist. Die Herausgeber möchten mit diesem Gespräch ihrer Bewunderung und Unterstützung für Khaled Abdelwahed und seinen Film JELLYFISH Ausdruck verleihen.

„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ – das trifft insbesondere auf die Kriegsberichterstattung zu, wie schon einer der frühesten Nachweise der bekannten Redensart, eine Werbeanzeige für die Zeitung „San Antonio Light“ von 1918, bestätigt: „Einer der führenden Herausgeber unserer Nation meint: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte; das ‚San Antonio Light’s Pictorial Magazine of the War’ belegt beispielhaft die Gültigkeit dieser Aussage, davon zeugen nicht zuletzt die begeisterten Reaktionen unserer Leser.“ Sei es in der Populärkultur oder dem kollektiven Gedächtnis, wir verbinden Konflikte häufiger und intensiver mit Bildern als mit Worten, Texten oder gar Parolen. Das Erzeugen von Bildern und Darstellungen ist nicht mehr vom Schlachtfeld wegzudenken, denn sie lassen das Kriegsspektakel greifbar werden.

Demgegenüber stehen beobachtende Darstellungen von Fotojournalisten, die in Augenzeugenberichten das Schicksal und Leid der Menschen in Konfliktregionen festhalten. Sie verfolgen den Auftrag, beim Betrachter ein Bewusstsein zu schaffen und Verständnis und Mitgefühl auszulösen, egal ob sich die Ereignisse in der Nähe oder am anderen Ende der Welt abspielen. Ihre Bilder dienen in erster Linie dazu, die Wehrlosen zu schützen und die Würde des Menschen auch unter inhumanen Bedingungen zu wahren. Die zivilen Proteste in Syrien im Jahr 2011, die in einen bewaffneten Konflikt ausarteten, können als Meilenstein in der Geschichte der Kriegsberichterstattung angesehen werden, denn ein Großteil der Bilder und Videoaufnahmen stammt von Fotografen und Kameraleuten, die nicht professionell tätig oder akkreditiert sind. Diese gewaltige Menge an Aufnahmen bildet die einzige den Medien zugängliche, visuelle Dokumentation des Konflikts.

Der syrische Fotograf Khaled Abdelwahed befand sich zu Beginn der Aufstände in den USA und verfolgte gebannt am Fernseher und Computer die unvorstellbaren Ereignisse. 2012 hielt er es nicht länger aus und reiste nach Syrien, um sich ein eigenes Bild von den politischen Umwälzungen zu machen. Damals breitete sich die Gewalt im ganzen Land aus und Damaskus hatte sich in eine streng bewachte Festung verwandelt. Abdelwahed wollte das Geschehen eigentlich in Fotos und Videoaufnahmen festhalten, aber er tat es nicht. Schon kurz nach seiner Ankunft in Syrien war er gezwungen nach Beirut zu fliehen, wo er erneut von den Bildern in den Bann gezogen wurde und nicht mehr vom Bildschirm loskam. Er erinnert sich: „Diese Bilder jagten mich und ich jagte sie. Bei meiner Rückkehr nach Damaskus war ich so entmutigt , dass ich überhaupt keine Aufnahmen machen konnte.

Als ich Syrien verlassen musste und die gegenwärtige Realität des Landes wieder durch diese Bilder verfolgte, fing ich an, ihre Rolle und ihren Wert zu hinterfragen. Ihr tragisches Schicksal fiel mir ins Auge, diese Bilder brachten anfangs noch Hoffnung und feierten das Leben, aber nach kurzer Zeit war das Leben nur noch eine Bestätigung des Todes. Bilder, die einer Partei den „Sieg“ bescheinigten, rechtfertigten in Wirklichkeit das Morden und heizten die Kriegsmaschinerie noch an. Die ausgestrahlten Aufnahmen waren fast ausschließlich Teil des Konflikts. Es gab keine Objektivität mehr. Mir wurde außerdem bewusst, dass ein Ereignis aus verschiedenen Blickwinkeln eingefangen wird.“

In Beirut traf Abdelwahed auf einen Fotografen aus einer Kleinstadt, die Schauplatz heftiger Gefechte war. Zu dem Zeitpunkt beschloss er, einen Film über diese Bilder und ihre Urheber zu drehen und die Verbindung zwischen „Wahrheit“ und „Bild“ zu ergründen, um so den Bann der Bilder zu brechen. Das Ergebnis ist sein Dokumentarfilm JELLYFISH. „Mein Setting musste klar und einfach sein“, erklärt er. „Ich saß mit einer Kamera und meinem ‚Protagonisten’ in einem abgedunkelten Raum, auf dessen Wand seine/ihre Aufnahmen projiziert wurden, und stellte Fragen. Ich wählte vier Menschen aus, die alle in dieser Kleinstadt aktiv waren. Sie enthüllten und reflektierten erstaunlich offen ihre Absichten und Motivationen und stellten mir breitwillig ihre Bilder zur Verfügung.“

Die vier Porträtierten verkörpern die verschiedenen „devolutionären“ Phasen der politischen Krise, vom gewaltlosen Aufstand bis hin zum offenen Krieg, eine Struktur, die in den veränderten Inhalten und Bedeutungen der Bilder enthalten ist. Er filmte in Beirut, Istanbul und Paris, wohin die Protagonisten geflohen waren und verwendete systematisch das gleiche Setting. „Der einzige Unterschied zwischen den Städten war der Blick aus dem Fenster.“ Während er filmte und sich die einzelnen Geschichten anhörte, wurde zwar der Bann gebrochen, aber seine „Position“ geriet zusehends ins Wanken, wie er selbst ausdrückt: „Ich war gefangen zwischen den Bildern auf der Wand und dem Blick nach draußen. Die Bilder hatten ihre beschwörende emotionale Macht über mich verloren.“

Wäre Syrien besser dran ohne die Tausenden von Aufnahmen, die in den Medien und sozialen Netzwerken kursieren? „Auf keinen Fall. Die Bilder entstehen aus einer Notwendigkeit heraus, mögen ihre Motivation und Verwendung  auch stark voneinander abweichen, vielfältig und Teil des Konflikts sein. Mit dem Film wollte ich sichtbar machen, was sich neben und hinter dem Bildausschnitt abspielt. Einer der Protagonisten zum Beispiel, der in Gefängnissen des Regimes gesessen hatte, fuhr nach seiner Freilassung für Foto- und Filmaufnahmen in eine von Rebellen kontrollierte Kleinstadt. Schon nach kurzer Zeit machte er Fotos von einem Gefängnis und seinen Insassen. Sie stellten eine „vertraute“ Erfahrung dar, die er aus der Opferperspektive kannte, nur jetzt erlebte er sie aus der Sicht der Peiniger/Kämpfer.“

Warum Jellyfish? Abdelwahed seufzt schwer. „Ich habe in der Zeitung von einer Mutter gelesen, die mit ihren drei Töchtern übers Meer nach Italien fliehen wollte, um dort Asyl zu beantragen. Das Boot kenterte, die drei Töchter ertranken, nur die Mutter überlebte. In der Reportage stand, dass es keine Bilder von dem Unglück gab. Damals hatte ich das Gefühl in Bildern zu ertrinken und konnte nichts mehr sehen. Die Geschichte ließ mich nicht los. Ich fragte mich, was wohl das Schönste gewesen sein könnte, das die Mädchen beim Ertrinken im Mittelmeer sahen. Vielleicht eine Qualle, warum nicht. Sie sind wirklich sehr schön. Die ertrinkenden Mädchen haben mir mein Sehvermögen zurückgegeben, dieser Film ist auch mein Dank an sie.“

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