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Deborah Stratman arbeitet als Künstlerin und Filmemacherin sowohl mit Film als auch mit Video. Ihr letzter abendfüllender Film, THE ILLINOIS PARABLES, ist auf 16mm gedreht und lief im Programm von Forum Expanded 2016.

Zahlreiche Filme im diesjährigen Programm von Forum und Forum Expanded arbeiten mit analogem Filmmaterial, mehrheitlich 16mm. Unter anderem sind dies: Ann Carolin Renningers und René Frölkes AUS EINEM JAHR DER NICHTEREIGNISSE, Daniel Borgmanns AT ELSKE PIA (LOVING PIA), EL MAR LA MAR von Joshua Bonnetta und J.P. Sniadecki, CASA ROSHELL von Camila José Donoso, GOLDEN EXITS von Alex Ross Perry, AAPOTHKALIN TRIKALIKA (THE KALI OF EMERGENCY) von Ashish Avikunthak sowie kurze Arbeiten von Peter Miller, Tomonari Nishikawa, Fern Silva, Anja Dornieden und Juan David González Monroy, Chris Gehman, Duncan Campbell und Bernd Lützeler.

Ich wurde gebeten, über Film zu sprechen, nicht bewegte Bilder an sich, sondern über jene fotomechanische Erfindung des späten 19. Jahrhunderts.

Wir meinen, dass diese Dinge der Vergangenheit angehören, aber jeder Epoche wohnt ein Anachronismus inne, abgesehen von der, in welcher er existiert, die gut und gerne auch die Zukunft sein könnte. Mich als Künstlerin, die in ihrem Werk bereits die Manipulation von Zeit thematisiert hat, reizt es, diesen Impuls zu verstärken, indem ich in einem Medium arbeite, das ein wenig aus seiner Ursprungsepoche herausgerückt ist. Wir bezeichnen uns als Filmemacher, aber vielleicht wäre „Zeitenmacher“ treffender. Es gibt natürlich heutzutage Künstler, die im wahrsten Sinne des Wortes Filmemacher sind. Sie mischen ihre eigenen Emulsionen zusammen und bemalen damit perforierte Plastikstreifen, die sie in rotierende Apparate einlegen und belichten und am Ende von Hand in Eimern und Behältern entwickeln. Ich selbst arbeite nicht auf diese Weise, aber bewundere alle Künstler, die durch dieses Vorgehen unabhängig von Laboren und Kopierwerken sind, denen gegenüber wir anderen uns behaupten müssen. Wie bei einem autarken Leben steckt hinter ihrer Eigenständigkeit auch der anarchische Drang, sich von kommerziellen Infrastrukturen loszusagen. Nimmt man noch die Magie der Chemie hinzu, der Neid der Alchemisten wäre ihnen gewiss gewesen, strebten diese doch einst nach der Transmutation von Formen.

Beim Arbeiten und Denken in einem Medium, das sich von seiner Ursprungsepoche entfernt hat, kommt mir Darko Suvins Formel für Science-Fiction von 1968 in den Sinn, wonach man in dem Genre einzig Wahrnehmung und Entfremdung brauche. Die anachronistische Aufgabe, eine Komposition auf 16mm zu erschaffen, mag vielleicht eine Erklärung dafür sein, dass sich so viele zeitgenössische Filmkünstler für Science-Fiction und die Arbeiten von JG Ballard und Robert Smithson interessieren. Ich muss zugeben, dass sie auch auf mich großen Einfluss hatten. Octavia Butler, Johanna Russ, Samuel Delaney, James Tiptree Jr., Edwin Abbot Abbot, JH Rosny aîné – diese Schriftsteller kritisieren gegenwärtige Bedingungen (soziale, wirtschaftliche, ökologische), indem sie den Schauplatz einer Geschichte in eine irgendwie vertraute oder abstrahierte Nichtgegenwart verlegen.

Ich drehe nicht aufgrund der Nähe des Mediums zur Science-Fiction auf Film, obwohl ich gegen dieses Merkmal nichts einzuwenden habe. Im Gegensatz zu vielen Filmemachern fehlt es mir an Hingabe zum Medium. Ich liebe Zelluloid, aber bin ihm nicht andächtig ergeben. Ich habe genauso oft in VHS, Hi-8, MiniDV und HD gedreht wie mit einer Aaton oder CP16 oder Bolex. Nicht nur hat jede Kamera ihre spezifische Ergonomie – das Gewicht auf der Schulter oder Ausbalancieren in der Hand schaffen eine jeweils einzigartige Folge von Filmaufnahmen – das gleiche trifft auch auf das Medium zu. Die verschiedenen Geschwindigkeiten, in denen der Filmprozess abläuft, haben auf mich eine verführerische Wirkung. Analogfilm ist in meinen Augen wahnsinnig langsam. Eine Langsamkeit, in der man sich verlieren kann. Eine Langsamkeit, die mich zu Bildern und Träumereien trägt, die weit entfernt sind von den digitalen Methoden mit ihrer schnellen, improvisierten, munteren und ziemlich lockeren Art.

Nicht wenige Künstler drehen analog und bearbeiten das Material digital, aber die Arbeit mit Filmmaterial kann weit über das Festhalten allein hinausreichen. Wir können auch mechanisch schneiden, den Rücklauf benutzen, an einem Schneidetisch arbeiten. Meine Augen leiden weniger, wenn ich vor einem Bildschirm sitze, dessen Rückwand von Licht, das durch das Filmmaterial auf einen Spiegel fällt, illuminiert wird als vor einem Computermonitor, auf den ich starre. Ich mag die Wärme und die Geräusche und den Puls eines Steenbeck. Mir gefällt, wenn die Filmbänder von den Haken in die Filmbehälter trudeln. Das Raumzeitliche wird so konkret. Allerdings nervt mich das Schneiden von Ton bei einem Magnetfilm. Nur mit zwei Tonspuren auskommen zu müssen ist furchtbar. Ich lagere daher einen Teil des Tons auf Magnetband aus, um ein wenig Material zum Skizzieren zu haben, aber erwecke den Soundtrack letztendlich mittels Software zum Leben.

In der Welt des Tastsinns liegt eine gewisse Sehnsucht, eine Intelligenz der Hand und der Wiederholung, in der Folge aus Gesten, die diese Plastikteile zusammenfügen. Ich fälle kein Urteil über die diskrete Arbeit des Schneidens und Zusammenfügens gegenüber dem Tippen von Befehlen auf einer Tastatur. Ich stelle nur einen Unterschied fest. Im Endeffekt fügt sich der automatisierte Prozess, ob analog oder digital, in das finale Werk ein und wird ebenso Teil der filmischen Genetik wie Schatten, Rhythmus, Farbe oder Handlung. Auslöser für mein Wechseln zwischen den Medien ist auch der Wunsch, die filmische Spezies zu erweitern. Manchmal ist dieser Drang reaktionär, einfach um gegen einen Prozess anzuarbeiten, durch den ich klassifiziert werde, dessen ich überdrüssig bin. Ein anderes Mal dient der Wechsel einer Dequalifizierung. Ich wähle eine Methode, von der ich keine Ahnung habe. Dabei halte ich es mit Emerson, der meinte, wir Menschen streben nach Bequemlichkeit, aber nur wenn wir unbequem leben, bestehe für uns Hoffnung. Oder Georges Perec, der darauf beharrte, das Gewohnte in Frage zu stellen.

Schlägt man Zelluloid im Lexikon nach, steht dort „ein durchsichtiger, entzündbarer Kunststoff“, was vielleicht besser als alles andere meine Zuneigung erklärt, denn in meinem Kino gab es immer schon eine unabsichtliche, aber ausgeprägte Vorliebe für Verbrennung.

Was kann der Film uns sonst noch bieten? Nun zum Beispiel Unvollkommenheit. Unvollkommenheit und Abwesenheit. Die Voraussetzungen für Begehren. Filmische Bilder, geformt aus einem uneinheitlichen Schwarm aus Filmkorn, sind per se atmosphärisch. Sie atmen. Film ist durchsetzt von Millionen unschlüssiger Punkte und übt eine magnetische Wirkung auf unseren Blick aus, der evolutionär bedingt dazu neigt, jeglicher Bewegung zu folgen. Film schafft Intermittenz. Dank der Nähmaschine haben wir das wunderschöne Malteserkreuzgetriebe erhalten, das andauernde Bewegung in zeitweise Ruhe und Antrieb überträgt. Das Kino gibt uns Lücken, es erinnert durch Subtraktion.

In der griechischen Antike stand Chronos für die vergehende Zeit, Kairos war die Zeit dazwischen, die bedeutungsvolle Pause, die Zeit mit Potential. Der japanische Ausdruck Ma beschreibt ebenfalls eine Pause oder einen negativen Raum, den Intervall zwischen den Teilen einer Struktur, die Leere. Ma entsteht nicht aus Kompositionselementen, sondern entspricht der Sache, die in unseren Köpfen vorgeht, wenn wir mit dem Nichts konfrontiert werden. Gleich dem, was ist, der Nutzen dessen, was nicht ist. Ein Intervall ohne Erwartung ist gar kein Intervall. Ma ist die Sache.

Es gibt Zeitintervalle vor und nach einer Szene oder Räume außerhalb des Rahmens, die ihn aufladen und animieren wie der Wind in Botticellis Venus. Betrachtet man den Intervall zwischen dem ersten und letzten Bildrahmen einer Aufnahme, kann die Entfernung zwischen diesen zwei Enden die Aufnahme in Schwingung versetzen wie zwei Noten eines Akkords oder die Knoten einer stehenden Welle. In der Stringtheorie bestimmt die Frequenz der Vibration die Aufladung und Masse eines Partikels.

Einige diese Phänomene sind natürlich nicht nur spezifisch kinematisch. Wir können ohne weiteres digitale Intervalle ebenso wahrnehmen wie analoge. Aber das Filmmaterial verfügt sozusagen über einen elementaren Zeugen. Der Weg, den ein mit Emulsion versehener Filmstreifen zurücklegt, aus seiner Dose in die Kamera, wo sich seine Silberhalogenidkristalle, nachdem sie mit Licht in Berührung gekommen sind, verändern, gleicht einer Pilgerfahrt. Die Belichtung ist physikalisch eingebettet. Es führt keine Abkürzung an diesem Akt der stillen Zeugenschaft vorbei, und in diesem Sinne ist das Filmen auf Film beharrlich materiell, strikt ortsgebunden und einzigartig politisch.

Die Künstlerin möchte Pat O’Neil, Nathaniel Dorsky, Charles Stankievech, Emily Wardill, Ben Rivers, Lucy Raven und Mike Gibisser danken, deren Gedanken zum Film und Intervall sich ihr eingeprägt haben.

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