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36 Min. Englisch.

Eine Konfrontation und die Gegenüberstellung zweier Kirchenbauten, wie sie unterschiedlicher kaum sein können, aber auch ein Dialog zwischen verschiedenen Konzepten von Kirche und Gemeinde: die protestantische Grundtvigskirche in Kopenhagen und der katholische Dom zu Orvieto. Der Dom mit seinen Bildgeschichten im Inneren und auf der Fassade liegt auf dem zentralen Platz in der Mitte der Stadt Orvieto. Der imposante Backsteinbau der Grundtvigskirche am Rande von Kopenhagen bildet das Zentrum einer Wohnanlage von Gleichgesinnten. Beide strahlen in ihre Umgebung ab, der Dom von großer Höhe in die bergige Umgebung, die Kirche selbst wie ein Felsen in das flache Land. Der Dom als Gemeinschaftsleistung größter Handwerkskunst und die Kirche wie ein streng errichtetes Dogma. Horizontal trifft auf Vertikal, Norden auf Süden, Mystik auf Lebensfreude, Protestantismus auf Katholizismus, Klarheit auf Komplexität, und wie auch immer verteilt, wenn es um die Ideologie heiliger Orte und die darin ermöglichte Besinnung und Kontemplation geht: handwerkliche Schönheit auf politische Absichten.

Heinz Emigholz wurde 1948 in Achim bei Bremen geboren. Seit 1973 ist er als freischaffender Filmemacher, bildender Künstler, Kameramann, Autor, Publizist und Produzent tätig. 1974 begann er mit der enzyklopädischen Zeichenserie Die Basis des Make-Up, der 2007/08 im Berliner Museum Hamburger Bahnhof eine große Einzelausstellung gewidmet war. 1978 gründete er die Produktionsfirma Pym Films. 1984 war der Auftakt der Filmserie Photographie und jenseits. Von 1993 bis 2013 hatte er den Lehrstuhl für Experimentelle Filmgestaltung an der Universität der Künste Berlin inne. Er ist Mitbegründer des dortigen Instituts für zeitbasierte Medien und des Studiengangs Kunst und Medien. Seit 2012 ist er Mitglied in der Sektion Bildende Kunst der Akademie der Künste in Berlin.

Producer’s Statement

Im Jahr 1263 geschah angeblich ein Wunder in der Kirche Santa Cristina in Bolsena in der Provinz Viterbo in Italien. Eine Hostie blutete auf das Korporale, das Altartuch, auf dem die Hostienschale und der Kelch stehen. Die Erscheinung von Blut auf dem Korporale, die sogar an das Profil von Jesus Christus erinnerte, wurde als Wunder angesehen und bekräftigte die römisch-katholische Wandlungslehre. Für die Unterbringung des heiligen Tuchs sollte auf Befehl Papst Urbans IV. eine Basilika im nahegelegenen Orvieto errichtet werden. Das Städtchen liegt auf einer vulkanischen Erhebung und bot somit sowohl Prominenz als auch einen natürlichen Schutz. Unter der Leitung des Baumeisters Fra Bevignate da Perugia wurden Blöcke aus weißem Travertin und schwarzem Basalt zu der Erhebung gebracht und abwechselnd Schicht für Schicht gestapelt. 300 Jahre ununterbrochener Anstrengung vergingen, in denen das gotische Muster aus Siena, das von Fra Bevignates Nachfolgern Giovanni di Uguccione und Lorenzo Maitani Anfang des 14. Jahrhunderts entworfen worden war, akribisch von den nachfolgenden Generationen weiter ausgeführt wurde. Aus Florenz und Siena kamen hervorragende Baumeister, Steinmetze, Holzschnitzer und Maler, die der Basilika Santa Maria Assunta eine Fülle wunderbarer Kunst schenkten, wie die Holzarbeiten von Giovanni Ammannati, den Freskenzyklus Luca Signorellis über die Geschichte des Antichristen, die mysteriös leuchtenden Alabasterfenster oder die spektakuläre Westfassade mit ihren unzähligen Skulpturen, Flachreliefs und glasierten Mosaiken, die wie ein kristallklarer Ozean von unglaublicher Tiefe glitzern.

Im Jahr 1913 schwebte dem Ingenieur und Baumeister P. V. Jensen-Klint eine große Kathedrale vor, gänzlich aus einem Material: gelbem Backstein. Millionen von Backsteinen. Die Kirche ist offiziell eine Hommage an den Dichter und Geistlichen N. F. S. Grundtvig, tatsächlich aber eine späte Ehrung des Geistes der gotischen Architektur. P. V. Jensen-Klint beschreibt die Grundtvigskirche als vergrößerte Version einer typischen dänischen Dorfkirche und als eine Ansammlung alter Kirchtürme, die wie ein riesiger „Kristallknoten“ zusammengefügt wurde. Jensen-Klint war fasziniert von den imposanten Kathedralen Zentraleuropas und träumte davon, eines Tages solch ein Bauwerk in Dänemark errichten zu können. Aber hier oben, so überlegte er, haben wir keine Steine, keinen Marmor, nur Kalk und Ton. Folglich wurden ab 1921 Tausende kleine gelbe Backsteine in den Stadtteil Bispebjerg am Rande von Kopenhagen geliefert. Über sechs Jahre hinweg arbeiteten nur sechs ausgebildete Maurer am dreiteiligen Westturm. Über 700 Backsteine wuchsen – sorgfältig zu den Nischen, Konsolen und Winkeln, die Jensen-Klint entworfen hatte, aufeinandergeschichtet – wie ein Fels aus gebranntem Ton in die Höhe. Von außen wild und grimmig, fast bedrohlich, von innen glatt wie eine sorgfältig ausgeschabte Höhle. Oder wie eine sanft rauschende Muschel, die geheime Botschaften aus längst vergangenen Zeiten sendet, Stimmen, die immer noch unter den zahllosen aneinandergereihten Gewölben widerhallen.

Die beiden Basiliken sind sich in der Typologie ähnlich, unterscheiden sich aber stark in der Atmosphäre. Sie gehen geschichtlich gesehen auf die gleiche architektonische Urform zurück, aber die Assoziationen und Vorstellungen, die sie jeweils anstoßen, gehen in unterschiedliche Richtungen: Süden und Norden, Katholizismus und Protestantismus, farbenprächtig und enthaltsam, warm und kühl. Wir wissen um diese Unterschiede, aber in diesen überwältigenden Räumen werden unsere Gedanken in endlose unvorhergesehene Richtungen geführt, hervorgerufen durch ein kleines Detail, das aufwendige Material oder die räumliche Vielschichtigkeit, die uns in Staunen versetzt.

(Thomas Bo Jensen)

Produktion Heinz Emigholz, Thomas Bo Jensen. Produktionsfirma Heinz Emigholz Filmproduktion (Berlin, Deutschland). Regie Heinz Emigholz. Buch Heinz Emigholz, Thomas Bo Jensen. Kamera Heinz Emigholz, Till Beckmann. Montage Heinz Emigholz, Till Beckmann. Ton Till Beckmann. Tongestaltung Jochen Jezussek, Christian Obermaier. Postproduktion Till Beckmann.

Filme

1973: Schenec-Tady I (27 Min., Forum 1975). 1974: Arrowplane (24 Min., Forum 1974), Tide (33 Min., Forum 1976). 1976: Hotel (27 Min., Forum 1976). 1981: Normalsatz (105 Min., Forum 1982). 1985: Die Basis des Make-Up (85 Min.). 1987: Die Wiese der Sachen / The Meadow of Things (87 Min., Panorama 1988). 1999: Maillarts Brücken (Photographie und jenseits – Teil 3) / Maillart's Bridges (24 Min., Forum 2001). 2003: Goff in der Wüste (Photographie und jenseits – Teil 7) / Goff in the Desert (110 Min., Forum 2003). 2005: D’Annunzios Höhle (Photographie und jenseits – Teil 8) / D'Annunzio's Cave (60 Min., Forum 2005). 2008: Loos ornamental (Photographie und jenseits – Teil 13) (72 Min., Forum 2008). 2012: Parabeton – Pier Luigi Nervi und römischer Beton / Parabeton – Pier Luigi Nervi and Roman Concrete
 (100 Min., Forum 2012), Perret in Frankreich and Algerien / Perret in France and Algeria (110 Min.). 2014: The Airstrip – Aufbruch der Moderne, Teil III / The Airstrip – Decampment of Modernism, Part III (108 Min., Forum 2014). 2015: Le Corbusier [IIIII] Asger Jorn [Relief] (29 Min., Forum Expanded 2016). 2017: 2+2=22 [The Alphabet] (88 Min., Forum 2017), Bickels [Socialism] (92 Min., Forum 2017), Streetscapes [Dialogue] (132 Min., Forum 2017), Dieste [Uruguay] (95 Min., Forum 2017). 2018: Two Basilicas.

Foto: © Heinz Emigholz

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