Direkt zum Seiteninhalt springen

29 Min. Englisch, Spanisch.

Inspiriert von Derek Jarmans queerem Punk-Film Jubilee von 1978, erzählt Contra-Internet: Jubilee 2033 die Geschichte um Ayn Rand und Mitglieder ihres Kollektivs – darunter u.a. Alan Greenspan – die sich im Jahr 1955 auf einen LSD-Trip begeben. Zach Blas erschafft, mit Susanne Sachsse in der Rolle der Ayn Rand, einen psychedelischen Fiebertraum, in dem die Philosophin und ihre Anhänger*innen in das dystopische Silicon Valley der Zukunft versetzt werden. Während die Campusse von Apple, Facebook und Google brennen, verrät ihnen ihre Reiseleiterin – die künstliche Intelligenz Azuma –, dass Ayn als Philosophin für Tech-Manager*innen eine gewisse Berühmtheit erlangt hat, da ihre Schriften den Unternehmergeist fördern. Inmitten der Trümmer erfahren Rand und das Kollektiv von der Existenz des Internets und werden Zeugen von Kämpfen zwischen Techies und Anti-Campus-Groupies. Sie treffen auf die contra-sexuelle Internetgegner*in Nootropix, die das Ende des Internets predigt. Rand und das Kollektiv brauchen eine Verschnaufpause und finden sich am Silicon Beach wieder, wo sich Stücke aus polykristallinem Silizium mit Sand und Ozean vermischen.

Zach Blas, geboren 1981 in Point Pleasant, West Virginia, USA, ist Künstler und Autor. Er lehrt derzeit am Department of Visual Cultures am Goldsmiths-College, University of London. Blas stellt seine Werke weltweit aus und ist international als Dozent tätig. Seine Texte wurden in „Documentary Across Disciplines“, „Queer: Documents of Contemporary Art” und „e-flux journal“ veröffentlicht und seine Arbeiten wurden in zahlreichen Magazinen und Zeitungen besprochen. Seine Einzelausstellung „Contra-Internet“, aus der der Film Contra-Internet: Jubilee 2033 hervorging, war von September bis Dezember 2017 bei Gasworks, London zu sehen.

In London spricht Zach Blas darüber, wie man die techno-deterministischen Dämonen des Silicon Valley mit dem queeren Mystizismus des „Contra-Internet“ austreibt

„Am Anfang [von CONTRA-INTERNET: JUBILEE 2033] standen eigentlich zwei Fragen: Zum einen die Frage, wie und warum sich das Internet von einem Ort politischer Möglichkeiten weiterentwickelt hat, der es zur Zeit seiner Entstehung in den 1990er-Jahren war, ein Ort, an dem Cyberpunk und Cyberfeminismus gedeihen konnten, ein Ort der möglichen Befreiung. Es dürfte wohl klar sein, dass das Netz heute ein anderes ist.“ Blas rollt mit den Augen. „Zum anderen hat es mich interessiert, warum es derart schwer ist, sich ein Jenseits oder Außerhalb des Internets vorzustellen. Warum spuckt Google für eine Bildersuche nach dem Begriff ‚Internet‘ Bilder von der Welt aus?“

Das Internet und der Kapitalismus ähneln sich in Hinsicht auf ihre gefühlte Totalität. Die Möglichkeit, dass es ein Außerhalb gäbe, wird immer unvorstellbarer. „Auf dem World Economic Forum 2015 wurde der damalige CEO von Google, Eric Schmidt, nach seiner Prognose für die Zukunft des Internets gefragt. Schmidts Antwort: Es wird verschwinden“, sagt Blas. „Was er eigentlich damit sagen wollte ist, dass das Internet in der Welt aufgehen und es keine Trennung mehr zwischen Internet und Welt geben werde. Diese Vorstellung spielt in meinem Projekt an vielen verschiedenen Ecken und Enden eine Rolle.“

Ein weiterer wichtiger Referenzpunkt für CONTRA-INTERNET: JUBILEE 2033 findet sich in dem 1995 publizierten Essay „The Californian Ideology“ von Richard Barbrook und Andy Cameron. Darin beschreiben die beiden Autoren das Silicon Valley als Ort, an dem Kybernetik, die Ökonomie des freien Markts und ein gegenkultureller Libertarismus aufeinandertreffen. „Ursprünglich sollte mein Film eine Dokumentation werden. Angesichts der Tatsache, dass er etwas so ganz anderes geworden ist, finde ich diese Vorstellung heute sehr amüsant“, freut sich Blas. CONTRA-INTERNET: JUBILEE 2033 beruht in Sachen Humor und in den Anspielungen auf bestimmte Songs auf einer queeren, campy Sensibilität. Dazu kommt eine queere Besetzung. Der Film erzählt die Geschichte eines Treffens zwischen Ayn Rand (gespielt von der legendären queeren Schauspielerin Susan Sachsse) und zwei anderen Mitgliedern ihres „Ayn Rand Collective“, Alan Greenspan und seine Exfrau Joan Mitchell, in New York im Jahr 1955. Die drei nehmen zusammen LSD (in einer fantastisch als „Objectivist Drug Party“ betitelten Szene). Anschließend werden sie von einem AI-Fembot namens Azuma in eine techno-akkzelerationistische Zukunft geführt.

„Man hat es nicht unbedingt mit einem realistischen Film zu tun, auch wenn er von einer realistischen Annahme ausgeht. Die Charaktere, für die ich mich entschieden habe, sind Leute, die sich tatsächlich so getroffen haben könnten. Denn während sie an , Atlas wirft die Welt ab‘ schrieb, traf Rand sich jede Woche mit den anderen Mitgliedern ihres Kollektivs“, erklärt Blas. „Ich betone das deswegen, weil es mir hier darum geht, verschiedene politische Programme und deren Verhältnis zur Welt in den Blick zu rücken – und dabei zu zeigen, dass das Internet eben von einem dieser Programme abhängt.“

Blas entschlüsselt einige der eher spielerisch und humoristisch eingesetzten Hinweise auf den Stellenwert von bewusstseinsverändernden Substanzen und Mystizismus im Silicon Valley. Solche Hinweise finden sich in der gesamten Ausstellung: Bei der queeren, kontrasexuellen AI-Prophet*in Nootropix (gespielt von Cassils) handelt es sich beispielsweise um eine Referenz auf Nootropika: smarte Drogen oder Neuro-Enhancer. Smarte Drogen, LSD eingeschlossen, werden im Silicon Valley in Mikrodosen konsumiert, um die Arbeitsfähigkeit zu steigern – ein Beispiel für eine gesellschaftlich akzeptierte Form. Etymologisch gesehen bedeutet „nootrop“ eigentlich „bewusstseinsverändernd“. „Ich wollte damit aber nicht auf das Offensichtliche anspielen – also darauf, dass Drogen eingeworfen werden, um auf einen Trip zu kommen –, sondern eher darauf, dass es ebenso bewusstseinsverändernd ist, eine militante utopische Vision vom Jenseits des Internets zu haben.“ CONTRA-INTERNET: JUBILEE 2033 setzt dabei auf die klassischen Mittel dystopischer Science-Fiction – und gibt uns so die Möglichkeit, unsere eigene Realität aus einer anderen Perspektive in den Blick zu nehmen.

Azumas Rolle verdient besondere Aufmerksamkeit. Es handelt sich bei ihr um einen realen AI-Chatbot, der bereits vorbestellt werden kann. Scheinbar direkt einer Episode der TV-Serie „Black Mirror“ entsprungen, verkörpert Azuma die im Silicon Valley und anderswo vorherrschenden Geschlechterdifferenzen. „An Azuma interessiert mich, dass es sich bei ihr um die erste kommerzielle AI handelt, bei der ein Hilfsprogramm oder Sprachassistent mit einem kompletten Körper ausgestattet wurde. Rand zaubert Azuma aus dem Hut und ermöglicht so die Vorstellung einer hypersexualisierten Frau, die noch dazu als eine Bedienstete programmiert ist. Darüber hinaus spielt hier auch ein rassistischer Aspekt eine Rolle. Die erste Szene des Films dreht sich letztlich um entsetzliche, extrem konservative Weiße. Selbst im Silicon Valley kommt es zu einer einer ethnischen Segregation auf der Grundlage von Arbeit – ein Video, das sich damit auseinandersetzt, ist beispielsweise Andrew Norman Wilsons WORKERS LEAVING THE GOOGLEPLEX.“

CONTRA-INTERNET: JUBILEE 2033 endet damit, dass Nootropix, es Atlas gleichtuend, die Welt auf den Schultern trägt, nur um danach in einem Cyberspace à la William Gibson in einen Freudentanz zu verfallen. Den Soundtrack zur Szene liefert Andrea Bocellis „Con te partirò“. Blas erzählt dazu, dass ihn schlicht die Tatsache fasziniert habe, dass es sich bei diesem Lied um Elon Musks Lieblingslied handelt. „Ich fand interessant, was Musk zu ‚Con te partirò‘ gesagt hat – nämlich dass dieses Lied die Schönheit der Welt in ihrer Essenz enthält. Da man es hier mit einer weiteren Beschwörung der Welt zu tun hat, war für mich schnell klar, dass ich an diesem Song nicht vorbeikam“, erzählt Blas aufgeregt. Und mit Spaß an der Spekulation fährt er fort: „Im April habe ich mit Jemima Wineman eine Arbeit über einen AI-Chatbot namens Tay gemacht. Wir haben uns dafür mit Googles Deep Dream im Sinne der Psychedelia des Silicon Valley auseinandergesetzt.“ Blas mag es, sich über einen spekulativen Realismus Momenten der Geschichte zu nähern, in denen gewisse Dinge hätten möglich sein können – und diese Momente des Möglichen zu verwenden, um seine Projekte damit nach vorne zu bringen. „Ich finde es spannend, Technologien zu nehmen, die auf derartigen Konzepten beruhen, und sie zu Ende zu denken – man nimmt einen Gedanken auf, der eigentlich schon auf den Weg gebracht wurde, und spinnt ihn weiter.“

„Es macht mir Spaß, mit der Geschichte Schabernack zu treiben. Man nehme nur den Zeitpunkt, zu dem diese Story spielt: 1955 bekam Alan Greenspan seinen ersten Job bei der US-Notenbank. Zur gleichen Zeit unternahm die CIA geheime Experimente, in denen versucht wurde, mithilfe von LSD Gedanken zu kontrollieren. Wenn man nun mit der Geschichte herumspielen möchte, dann wäre genau das der Zeitpunkt, zu dem auch Alan Greenspan Zugang zu LSD hätte haben können.“ Eine Entität wie die „Objectivist Drug Party“ wird so zur Verkörperung einer Möglichkeit. „Ich liebe es, die Perspektive zu wechseln. Denn dann sieht man, dass im Silicon Valley eigentlich etwas sehr Psychedelisches am Werk ist.“ Blas’ Fokus auf die Verbindung von Technologie und Mystik revidiert unser Verständnis datengestützter Tätigkeiten als etwas an sich Objektivem. [...] „Es gab zum Beispiel ein NSA-Programm mit dem Namen MYSTIC. Warum geben Tech-Companies sich selbst nur derartige Namen? Immer wieder spielen sie auf das Magische an. Indem man die Dinge derart benennt, beginnt man, sie Stück für Stück zu verstehen, das ist ein fortwährender Prozess.“ [...]

Blas hat ein Interesse an politisch gedachten Netzwerkalternativen, die sich der gegenwärtig vorherrschenden Infrastruktur des Netzes entgegenstellen oder sie zerschlagen möchten. Und er ist immer noch voller Hoffnung, was derartige Alternativen zum Internet angeht: „Es gibt momentan eine Reihe politisch motivierter Infrastrukturprojekte, die daran arbeiten, aus dem kommerziellen Internet, wie wir es kennen, auszusteigen. Ich habe mich von diesen Initiativen stark motivieren lassen – im Grunde sind das ebenfalls Kunstwerke!“ Auch wenn diese Alternativen nach wie vor begrenzt und lokal sind, wurden solche Technologien bereits an ganz verschiedenen Orten überall auf der Welt entwickelt, etwa im Zuge weitreichender Proteste oder im Rahmen kommunaler Projekte für mehr soziale Gerechtigkeit. „Für mich geht es darum zu glauben, dass eine Alternative möglich ist. Und das heißt nicht zuletzt, dass die Alternative zum Kapitalismus, um die es angeblich immer geht, nur dann verwirklicht werden kann, wenn man auch daran glaubt, dass es ein Jenseits des Kapitals gibt.“

Zach Blas’ Einzelausstellung „Contra-Internet“ war vom 21. September bis zum 10. Dezember 2017 bei Gasworks, London, zu sehen.

(Sukanya Deb: „Zach Blas talks exorcizing Silicon Valley’s tech determinist demons with the queer mysticism of ,Contra-Internet‘ in London,“ in: AQNB, 14.12.2017, URL: http://www.aqnb.com/2017/12/14/zach-blas-talks-exorcising-silicon-valleys-tech-determinist-demons-with-the-queer-mysticism-of-contra-internet/)

Produktion Ali Roche, Tiffany L. Gray, Tara De Maro, Jaclyn Amor, Marcela Coto, Martabel Wasserman, John Palmer. Produktionsfirmen Ali Roche (Bristol, Großbritannien), Extra Credit Studios (Los Angeles, USA). Regie, Buch Zach Blas. Kamera Alison Kelly. Montage Amy von Harrington. Musik xin. Sound Design Tom Sedgwick. Production Design Alexah Acuna, Kevin Gallo. Kostüm Lauren Warkentien. Maske Catherine Alfonso, Mikayla Gottlieb. Casting Zach Blas. Regieassistenz Sadé Clacken Joseph. Produktionsleitung Rachel Wilson. Visual Effects Harry Sanderson, Daniel Swan. Mit Susanne Sachsse (Ayn Rand), Dany Naierman (Alan Greenspan), Lindsay Hicks (Joan Mitchell), Fusako Shiotani (Azuma), Raquel Gutiérrez (Kunstprofessorin), Cassils (Nootropix).

Filme

2012: Facial Weaponization Communiqué: Fag Face (8 Min.). 2016: Face Cages (12 Min.). 2017: im here to learn so :)))))) (28 Min, mit Jemima Wyman). 2018: Contra-Internet: Jubilee 2033.

Foto: © Zach Blas

Gefördert durch:

  • Logo des BKM (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)
  • Logo des Programms NeuStart Kultur